• Keine Ergebnisse gefunden

6 Unterschreiten des gesetzlichen Mindestkapitals

7.1 Konkurs- bzw. insolvenzrechtliche Antragspflicht

7.1.3 Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern aus

§§ 823 Abs. 2 BGB, 64 Abs. 1 GmbHG

Verstößt der Geschäftsführer gegen § 64 Abs. 1 GmbHG, so haftet er gemäß

§ 823 Abs. 2 BGB unmittelbar gegenüber den Gesellschaftsgläubigern241.

§ 64 Abs. 1 GmbHG ist also Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Die daneben in Betracht kommende Haftung aus §§ 823 Abs. 2 BGB, 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG242 hat demgegenüber keine eigenständige praktische Bedeutung.

Dagegen ist in Italien ein Verstoß gegen die Antragspflicht mit keiner besonderen zivil-rechtlichen Haftung verknüpft. Der Gläubigerschutz wird bereits durch Art. 2448, 2449 c.c. gewährleistet. Strafrechtlich sanktioniert ist die Antragspflicht des Geschäftsführers gemäß Art. 217 Nr. 4, 224 Nr. 1 l.fall..

Sowohl in Italien, als auch in Deutschland gibt es somit eine direkte Haftung des Ge-schäftsführers gegenüber Gesellschaftsgläubigern. Während in Italien jedoch bereits das Herabsinken unter den Betrag des gesetzlichen Mindestkapitals die Haftung auslöst, muss in Deutschland Überschuldung vorliegen.

7.1.3.1 Umfang des Schadensersatzes

Umstritten war in Deutschland bis zu einem Urteil des BGH aus dem Jahre 1994243 vor allem der Umfang des ersatzfähigen Schadens.

241 Ständige Rechtsprechung seit BGH, Urteil vom 16.12.1958, BGH Z 29, 100 (102 ff); Altmeppen in

, § 64 Rz 13; , S. 22;

, § 64 Rz 36; Marsch-Barner/Diekmann in

, § 46 Rz 69, S. 675; Schmidt-Leithoff in ,

§ 64 Rz 37 ff; K. Schmidt in , § 64 Rz 37 ff; Schulze in ,

§ 64 Rz 9; Schulze-Osterloh in B , § 64 Rz 82;

, S. 708 ff; Ulmer in , § 64 Rz 35 und 47. Neuerdings mit Verweis auf das Innenhaftungskonzept des § 64 Abs. 2 GmbHG wieder ablehnend:

(679); 1999, 673 Sandmann, Haftung von Arbeitnehmern, Geschäftsführern und leitenden Angestell-ten

242 Vgl. Altmeppen in , § 84 Rz 14; Schaal in

, § 84 Rz 2; Kohlmann in , § 84 Rz 33;

, § 84 Rz 1; Schulze-Osterloh in , § 84 Rz 19.

243 BGH, Urteil vom 6.6.1994, BGH Z 126, 181 ff.

7.1.3.1.1 Ersatz des negativen Interesses für Neugläubiger nach geänderter Auf-fassung des BGH

Zunächst ist auf der Seite der Anspruchssteller zu unterscheiden zwischen Altgläubi-gern, deren Anspruch vor Eintritt des Insolvenzfalles entstanden ist, und NeugläubiAltgläubi-gern, die erst nach Eintritt des Insolvenzfalles mit der Gesellschaft kontrahiert haben.

Die früher herrschende Auffassung hatte beiden nur Ersatz des sogenannten Quoten-schadens, also der Differenz zwischen hypothetischer Quote ohne Pflichtverletzung und tatsächlicher Quote244, gewährt245.

Nach geänderter Rechtsprechung des BGH aus dem Jahre 1994246 haftet nun der Ge-schäftsführer gegenüber den Altgläubigern weiterhin nur für den Quotenschaden. Den Neugläubigern gegenüber steht er aber für deren Vertrauensschaden, soweit er nicht durch die Insolvenzquote gedeckt ist, in vollem Umfang ein247. Ersetzt wird also das negative Interesse. Die Gläubiger sind so zu stellen, wie sie stehen würden, wenn sie nicht auf die Gültigkeit des Geschäfts mit der Gesellschaft vertraut hätten248. Damit ist nun das Modell der Innenhaftung endgültig aufgegeben worden. Während der Ersatz des Quotenschadens seiner Höhe nach noch mit dem Schadensersatzanspruch der Konkursantragspflicht bei Überschuldung einer GmbH

246 BGH, Urteil vom 6.6.1994, BGH Z 126, 181 ff, auch veröffentlicht in NJW 1994, 2220 ff. Ergänzend zwei Beschlüsse des BGH im Vorfeld: BGH, Beschluß vom 1.3.1993, ZIP 1993, 763 ff; BGH, Be-schluß vom 20.9.1993, NJW 1993, 2931 ff. Zustimmend (523);

(504); (873). Ablehnend (629);

Gerd Müller, GmbHR 1994, 209 Baumbach/Hueck, GmbHG

Baumbach/Hueck, GmbHG

Ulmer in 50 Jahre Bundesgerichtshof

247 BGH, Urteil vom 6.6.1994, BGH Z 126, 181 (201). Der BGH folgt damit der bereits 1969 von , S. 89 f, vertretenen Auffassung. Ebenso 1990

, S. 173.

Weiterhin ablehnend: (679 und 681), und

, S. 469 f, die den Schutzgesetzcha-rakter des § 64 Abs. 1 GmbHG insgesamt ablehnen; sowie Schulze-Osterloh in

, § 64 Rz 84 und , S. 720, der weiterhin von einem einheitlichen Quotenschaden der Alt- und Neugläubiger ausgeht. Zustimmend , § 64 Rz 40.

Stapelfeld, Haftung des GmbH-Geschäftsführers für Fehlverhalten in der Gesellschaftskrise

Altmeppen/Wilhelm, NJW 1999, 673 Sandmann, Haftung von Arbeitnehmern, Geschäftsführern und leitenden Angestellten

Schulze-Osterloh in FS Lutter

Lutter/Hommelhoff, GmbHG

248 /Heinrichs, vor § 249 Rz 17. Zum ersatzfähigen Schaden gehören somit auch die entstandenen Prozesskosten, vgl. OLG Jena, Urteil vom 28.11.2001, 4 U 234/01, ZIP 2002, 631 (632).

Palandt

sellschaft und damit dem, was die Gläubiger bei einer strikten Innenhaftung bekämen, korreliert, ist dies beim Ersatz des negativen Interesses nicht mehr der Fall249.

Die juristische Diskussion zu diesem Problem ist mit der Rechtsprechungsänderung durch den BGH als abgeschlossen zu betrachten250. Als ergänzendes Argument für die Ausdehnung des Haftungsumfanges bleibt noch hinzuzufügen, dass dies auch eine An-näherung an die Haftungsverfassung in Italien bewirkt. Dennoch bestehen weiterhin zwischen der Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern in Deutschland und Itali-en auch Unterschiede hinsichtlich des Haftungsumfangs. In Deutschland muss nach

§§ 823 Abs. 2 BGB, 64 Abs. 1 GmbHG nur der Vertrauensschaden ersetzt werden, in Italien haftet jedoch nach Art. 2449 Abs. 1 Satz 2 c.c. der Geschäftsführer zusammen mit der Gesellschaft gesamtschuldnerisch auf Erfüllung.

7.1.3.1.2 Ersatz des positiven Interesses

Auch in Deutschland sind Tendenzen erkennbar, den Haftungsumfang hin zum positi-ven Interesse auszudehnen. So hat das OLG Koblenz251 einem Werkunternehmer den vollen Werklohnanspruch gegen die Gesellschaft als Schaden unter dem Gesichtspunkt des entgangenen Gewinns zuerkannt. Das LG München252 sprach einem Verkäufer auf-grund der Vermutung, dass bei marktgängiger Ware bei einem anderen Abnehmer der gleiche Kaufpreis erzielt worden wäre, den vollen Kaufpreis zu.

OLG Koblenz, Urteil vom 3.8.1999, GmbHR 2000, 31 (33). Allerdings stellt das OLG Koblenz klar, dass gerade kein Anspruch auf Geltendmachung des Erfüllungsinteresses besteht. Dementsprechend bekommt der Werkunternehmer auch nicht den ihm aus dem geplatzten Geschäft mit der Gesellschaft entgangenen Gewinn, sondern der Gewinn, der bei Leistung an andere Kunden bei anderweitiger Nut-zung der betrieblichen Kapazitäten angefallen wäre. Dieser sei im konkreten Fall mit dem Nettoent-gelt aus dem Vertrag mit der Gesellschaft gleichzusetzen. Dennoch ist diese Argumentation problema-tisch, da sie die Unterscheidung zwischen Vertrauens- und Nichterfüllungsschaden verwischt.

249 Dementsprechend argumentiert auch (1537): Der Schutz auch der Neu-gläubiger könne nicht weiter gehen, als der Schutz der Gesellschaft. Eine dem zuwiderlaufende offene Rechtsfortbildung sei mit dem bestehenden Recht nicht zu vereinbaren.

Gerd Müller, ZIP 1993, 1531

250 Vgl. , S. 298 ff (301): „Daher ist auch nicht damit zu rechnen, daß es in absehbarer Zeit zu einem erneuten Wandel der Rechtsprechung zur Geschäftsführerhaftung wegen Konkursverschleppung kommen könnte.“ Neuerdings fordern jedoch

, (677 ff), und

, S. 469 f, eine Rückkehr zum reinen Innenhaftungsmodell.

Ulmer in 50 Jahre Bundesgerichtshof

Altmeppen/Wilhelm, NJW 1999, 673 Sandmann, Haftung von Arbeitnehmern, Geschäftsführern und leiten-den Angestellten

251

7.1.3.2 Aktivlegitimation

Nach früher herrschender Meinung soll der Anspruch im Konkurs bzw. in der Insolvenz durch den Konkurs- bzw. Insolvenzverwalter geltend gemacht werden253. Dieser An-sicht liegt das alte Haftungsmodell des GmbHG zugrunde, das die Gesellschaftsgläubi-ger nur im Rahmen des konkursrechtlichen Verteilungsverfahren befriedigen wollte.

Dem Ersatz des Quotenschadens bzw. Gesamtgläubigerschadens entsprach der Verlust der Aktivlegitimation im Konkurs. Das alte Haftungsmodell trug insbesondere dazu bei, einen Wettlauf der Gläubiger zum Geschäftsführer zu verhindern254. Durch die entspre-chende Konzeption des § 64 Abs. 2 GmbHG wurde eine Gleichbehandlung der Gläubi-ger durchgesetzt255.

Die entsprechende Anwendung dieses Prinzips auf den Anspruch der Altgläubiger aus

§§ 823 Abs. 2 BGB, 64 Abs. 1 GmbHG hat nunmehr auch eine gesetzliche Regelung erfahren. Mit § 92 Satz 1 InsO, der in der Konkursordnung noch keine Entsprechung hatte, ist nun die Geltendmachung des Gesamtgläubigerschadens durch den Insolvenz-verwalter auch für andere Anspruchsgrundlagen wie §§ 823 Abs. 2, 64 Abs. 1 GmbHG gesetzlich geregelt.

Mit Zubilligung einer Haftung auf das negative Interesse gegenüber den Neugläubigern hat der BGH das Innenhaftungsmodell endgültig aufgegeben. Folgerichtig hat er daher auch den Verlust der Aktivlegitimation in der Insolvenz für die Geltendmachung des negativen Interesses durch die Neugläubiger aufgegeben256. Die Neugläubiger behalten auch in der Insolvenz ihre Aktivlegitimation; § 92 Satz 1 InsO ist für die

252 LG München, Urteil vom 22.9.1999, BB 2000, 428 (429).

253 (134); (690); Ulmer in ,

§ 64 Rz 56.

Lutter, DB 1994, 129 Reese, DStR 1995, 688 Hachenburg/Ulmer, GmbHG

254 Vgl. Bork, ZGR 1995, 505 (524); Dauner-Liebs, ZGR 1997, 617 (629).

255 Schulze-Osterloh in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64 Rz 84.

aumbach/Hueck, GmbHG

256 BGH, Urteil vom 6.6.1994, BGH Z 126, 181 (201); BGH, Urteil vom 30.3.1998, BGH Z 138, 211

(214). Zustimmend , § 64 Rz 45; (214);

, S. 1085; Schmidt-Leithoff in R , § 64

Rz 49; Schulze-Osterloh in B , § 64 Rz 88.

Lutter/Hommelhoff, GmbHG K. Schmidt, ZGR 1996, 209 K.

Schmidt, Gesellschaftsrecht owedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG

chung ihres Vertrauensschadens nicht anwendbar. Dies entspricht dem Ziel, die Haf-tungsverfassung insoweit zu ändern, als für die Neugläubiger nicht mehr der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger gelten soll.

7.1.3.3 Ergebnis: Verwirklichung des Außenhaftungsmodells

Mit der Zuerkennung eines eigenständigen Schadensersatzanspruchs für Neugläubiger, der auf Ersatz des negativen Interesses geht und dessen Aktivlegitimation in der Insol-venz nicht untergeht, hat der BGH sich konsequent für ein System der Außenhaftung entschieden.

An der zugrundeliegenden Entscheidung für mehr Gläubigerschutz kann man zwar Kri-tik üben, ebenso daran, dass dieser Wechsel nur im Wege der Rechtsprechungs- und nicht der Gesetzesänderung erfolgt ist. Die Entscheidung für mehr Gläubigerschutz ist rechtspolitischer Natur, erscheint jedoch zustimmungswürdig. Der von der Rechtspre-chung eingeschlagene Weg zu seiner ErreiRechtspre-chung ist aber folgerichtig. Der Vergleich mit dem italienischen Recht zeigt, dass das System der Innenhaftung nicht zwingend ist. Bei einer ansonsten masselosen GmbH kann unter Umständen ein Insolvenzverfahren sogar entbehrlich werden. Die relevanten Schadensersatzansprüche gegen den Geschäftsführer können außerhalb abgewickelt werden, während die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt wird. Dies erscheint durchaus sinnvoll, da somit ein Stück wirtschaftlicher Verantwortung wieder den Gläubigern zurückgegeben wird.

7.2 Haftungsmaßstab bei der Haftung gegenüber den