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3 Kapital als Indikator und Tatbestände wirtschaftlicher Schieflage

3.3 Ermittlung der Kennzahlen durch den Geschäftsführer aus der Bilanz

3.3.3 Behandlung von Rücklagen bzw. riserve bei Verlusten

Rücklagen bilden einen Eigenkapitalposten, der in der Bilanzgliederung nach dem Stammkapital zu bilanzieren ist. In Deutschland gibt es die Kapitalrücklagen, die aus einem Agio bzw. Aufgeld bei der Ausgabe von Geschäftsanteilen oder aus nachge-schossenem Kapital gebildet werden, § 272 Abs. 2 HGB, und die Gewinnrücklagen, die durch nicht ausgeschüttete Gewinne entstehen, § 272 Abs. 3 HGB. Der Kapitalrücklage entspricht in Italien die riserva da sopraprezzo delle azioni, den Gewinnrücklagen die riserva legale sowie die riserve statutarie75. Anders als in Deutschland, wo die Bildung einer Gewinnrücklage bei der GmbH gemäß § 29 Abs. 2 GmbHG im Gegensatz zu § 150 AktG fakultativ ist, muss in Italien auch bei der S.r.l. eine gesetzliche Rücklage, riserva legale, gebildet werden76. Dies ist Folge der Behandlung der S.r.l. als „kleine S.p.a.“.

3.3.3.1 Rücklagen in der Unterbilanz

Im deutschen Recht sind bei der Ermittlung einer Unterbilanz die Rücklagen nicht dem Stammkapital zuzuschlagen77. Verlustvorträge bzw. Jahresfehlbeträge können daher durch bestehende Rücklagen kompensiert werden. Eine Unterbilanz liegt vor, wenn das Aktivvermögen abzüglich der Verbindlichkeiten unter den Betrag des Stammkapitals sinkt. Somit liegt in Fortführung des Bilanzbeispiels zur Unterbilanz keine formelle Unterkapitalisierung vor, wenn Rücklagen in Höhe von 20.000 € vorhanden sind:

75 Vgl. im einzelnen: Villa in Palma, BILANCIO DI ESERCIZIO, S. 170 ff.

76 Vgl. Fn 29.

77 Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 30 Rz 14; Westermann in Scholz, GmbHG, § 30 Rz 14.

Aktiva Tausend € Passiva Tausend €

Bilanzsumme 160 Bilanzsumme 160

Bestehende Rücklagen können – soweit gesetzlich zulässig - zum Ausgleich eines Jah-resfehlbetrags rückgeführt werden, müssen es aber nicht79.

Auch ohne die bilanzielle Nachvollziehung durch Auflösung der Rücklagen tritt somit Unterkapitalisierung nicht ein, solange nach der Auszahlung das Reinvermögen den Betrag des Stammkapitals noch deckt80.

Entsprechend verbietet auch § 57d Abs. 2 GmbHG die Umwandlung von in der Bilanz bestehenden Rücklagen in Stammkapital, wenn diese durch Verluste rechnerisch aufge-zehrt worden sind. Diese Regelung geht von einer Situation aus, in der Rücklagen durch Verlustvorträge bzw. Jahresfehlbeträge aufgezehrt bzw. neutralisiert werden.

3.3.3.2 Perdite und riserve

Auch die herrschende Ansicht in Italien geht davon aus, dass erst die riserve aufge-braucht werden müssen, bevor Verluste zu einer perdita del capitale werden können81.

78 In diesem Beispiel wurde durch Gesellschafterzahlungen eine Kapitalrücklage in Höhe von 20.000 € gebildet, die den erwirtschafteten Jahresfehlbetrag in Höhe von 10.000 € kompensiert. Der aus dem Jahresfehlbetrag zu bildende Verlustvortrag wird ebenfalls durch die Rücklage kompensiert, ohne dass die Rücklage aufgelöst werden müsste.

79 Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 30 Rz 8; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 30 Rz 15.

80 Goerdeler/Müller in Hachenburg/Ulmer, GmbHG, § 30 Rz 28.

81 Appello Napoli, Beschluss vom 29.1.1988, LE SOCIETÀ 1988, 736 (739); Tribunale Genova, Be-schluss vom 2.2.1987, LE SOCIETÀ 1987, 526 (526 f); Tribunale Genova, BeBe-schluss vom 6.6.1989,

Die Verrechnung erfolgt automatisch, ohne dass bilanziell die riserve aufgelöst werden müssten.

Teilweise werden jedoch davon abweichende Ansichten vertreten. Zum einen ist denk-bar, Verluste anteilig auf das capitale und auf die riserve anzurechnen82. Dies ergibt sich, wenn man bei dem Vergleich von Aktivvermögen und capitale die riserve zum capitale schlägt.

Zum anderen wird vertreten, die riserve könnten nicht automatisch gegengerechnet werden, da es auch zu ihrer Auflösung eines Gesellschafterbeschlusses bedürfe83.

Die Hinzurechnung der Rücklagen zum capitale ist jedoch, ebenso wie in Deutschland, abzulehnen. Einerseits widerspricht sie dem Wortlaut der gesetzlichen Regelungen, die auf das capitale abstellen. Andererseits verkennt sie auch die Funktion der Rücklagen, indem sie diese automatisch zu Stammkapital macht. Dies gilt auch für die riserva lega-le, die gewissermaßen einen Puffer für das capitale darstellt84 und gesetzlich vorge-schrieben ist. Bei Gleichbehandlung mit dem capitale hätte das Gesetz auch auf die ri-serva legale verzichten und einfach den Mindestkapitalbetrag höher setzen können.

Ein Hauptargument der Ansicht, die nicht automatisch die bestehenden riserve gegen-rechnen möchte, liegt darin, dass die riserve anders als das capitale nicht gebunden sind und an die Gesellschafter jederzeit ausgekehrt werden können. Hauptzweck der Art.

2446 c.c. und ganz besonders der Art. 2447 ff c.c. ist der Gläubigerschutz. Dieser würde

LE SOCIETÀ 1990, 59 (59); , S. 327 ff (insbes. 329); Ferri

, S. 834; , S. 285 ff (insbes. 289);

(527).

Bianchi, OPERAZIONI SUL CAPITALE ,

LE SOCIETÀ

82 Ein entsprechendes Rechenbeispiel findet sich bei ,

S. 287, unter Verweis auf eine Entscheidung des Amtsgerichts/Strafgericht Milano (Pretura Penale Milano, Urteil vom 15.2.1978, Giur. comm. 1980, II, 153), der dies aber nicht entnommen werden kann. Zudem findet sich der Hinweis auf , S. 833, der davon spricht, dass riserva legale und capitale gleich zu behandeln seien. Allerdings spricht sich auch Ferri auf S. 834 für eine automatische völlige Aufzehrung der riserve (in der Reihenfolge: riserve facoltative [freiwillige Rücklagen], riserve statutarie, riserva legale) aus, bevor das capitale angegriffen wird.

83 Appello Milano, Urteil vom 6.2.1996, Giur. Ital. 1996, I, 2, 832 (834).

84 , S. 833. Im gleichen Sinne für sämtliche riserve: Sal (527).

jedoch eingeschränkt, wenn Verluste mit nicht gebundenem Eigenkapital gegengerech-net werden könnten. Auch bestünde die Möglichkeit, Verluste bilanziell zu verstecken, indem sie nur zu Lasten der riserve gehen, ohne dass diese aufgelöst werden müssten85. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass, anders als das capitale bzw. Stammkapital, die riserve als Rechnungsposten nicht dem Gläubigerschutz dienen. Der Bestand der riserve ist daher nicht wie das capitale zu schützen. Gerade wegen der Gläubigerschutzfunktion der Art. 2446 ff c.c. kommt es darauf an, ob das, was die Gesellschaft tatsächlich an Vermögen hat, den gesetzlichen Anforderungen entspricht, die im Stammkapital mit seinem Mindestbetrag ihren Ausdruck gefunden haben 86. Dies macht aber eine Reakti-on erst erforderlich, wenn nicht mehr genug Gesellschaftsvermögen vorhanden ist, um das Stammkapital zu decken. Solange bestehende riserve die Verluste decken, ist dies der Fall. Würde durch eine Auskehrung der riserve das Gesellschaftsvermögen so weit vermindert, dass es unter die Grenze von 2/3 des capitale sinkt, greifen die Art. 2446 c.c. wieder. Daher muss es bei der herrschenden Ansicht bleiben, die erst eine rechneri-sche Aufzehrung der riserve verlangt.

3.3.3.3 Rücklagen in der Überschuldung

Bei der Überschuldung gilt ebenso wie bei der Unterkapitalisierung: Erst, wenn die Rücklagen rechnerisch aufgezehrt sind, wirken sich die Verluste auf das Stammkapital aus. Aus der Definition von Überschuldung ergibt sich dies automatisch. Überschuldung liegt vor, wenn die Verbindlichkeiten das Aktivvermögen übersteigen. Dies ist nur dann der Fall, wenn das Eigenkapital und somit auch die in ihm enthaltenen Rücklagen im Saldo mit den Verlustvorträgen und dem Jahresfehlbetrag auf Null sinken. Verlustvor-träge und Jahresfehlbetrag übersteigen dann die Summe von Stammkapital und Rückla-gen.

85 Bianchi, OPERAZIONI SUL CAPITALE, S. 329.

86 (204), spricht unter Bezugnahme auch auf das deutsche Recht von einem Trend „da un concetto formale ad un concetto materiale di capitale [Schrägstellungen im Original]“.

Portale, BANCA BORSA 1986, 201

Bei dem folgenden Bilanzbeispiel ist daher die Gesellschaft noch nicht überschuldet:

Aktiva Tausend € Passiva Tausend €

Anlagevermögen

Bilanzsumme 160 Bilanzsumme 160

Die Gesellschaft hat zwar Verluste in Höhe von 100.000 €, diese werden aber durch Rücklagen in Höhe von 110.000 € kompensiert.