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4 Verluste bis zur Unterkapitalisierung

4.2 Formelle Unterkapitalisierung

§ 30 Abs. 1 GmbHG verbietet Zahlungen an die Gesellschafter, soweit dadurch das Ei-genkapital unter das Stammkapital sinken würde. Die Regelung dient somit dem Schutz des Gesellschaftskapitals, indem sie verhindert, dass durch Zahlungen an die Gesell-schafter eine formelle Unterkapitalisierung entsteht. Die §§ 30, 31 GmbHG sind die zentralen Vorschriften zur Kapitalerhaltung in Deutschland. Sie dienen in erster Linie dem Gläubigerschutz, nachrangig dem Bestandsinteresse der Gesellschaft und dem Schutz der Gesellschafter103. Durch die Regelung werden unkontrollierte Vermögens-verschiebungen zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern zum Nachteil der Gesell-schaftsgläubiger verhindert104.

Streitig ist, ob bei über die Unterkapitalisierung hinaus eingetretener Überschuldung

§ 30 Abs. 1 GmbHG analog oder direkt anwendbar ist105. Jedenfalls bleibt es aber beim Auszahlungsverbot, auch wenn über die formelle Unterkapitalisierung hinaus Über-schuldung eintritt.

Geschützt ist jedoch nicht der Bestand des Stammkapitals in seiner vorhandenen Form, sondern nur sein rechnerischer Wert. Fließen daher gleichzeitig mit einer Zahlung

Stammkapitals und Haftung nach §§ 30, 31 GmbHG Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG

104 Auf diesen Umstand weist ausdrücklich Schön, ZHR 166 (2002), 1 (4 f), hin.

105 Vgl. Altmeppen in , § 30 Rz 11; Hueck/Fastrich in

, § 30 Rz 9 und § 31 Rz 17. Das Auszahlungsverbot gemäß § 30 Abs. 1 GmbHG besteht auch bei völliger Aufzehrung des Stammkapitals. Dies ergibt sich aus dem Normzweck, obwohl der Wort-laut („Das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen [...].“) nicht passt. Eine andere Frage ist, wie die Haftung gemäß § 31 Abs. 3 GmbHG vermieden werden kann, wenn sie den Betrag des Stammkapitals übersteigen würde oder sonstwie unkalkulierbar wird. Geht man von einer ledig-lich analogen Anwendung des § 30 Abs. 1 GmbHG aus, kann man die Anwendung des § 31 Abs. 3 GmbHG einfach verneinen, so etwa der BGH in seinem Urteil vom 29.3.1973, BGH Z 60, 324 (331).

Demgegenüber hat aber der BGH in seinem Urteil vom 5.2.1990, NJW 1990, 1730 (1732), klarge-stellt, dass auch § 31 Abs. 3 GmbHG anwendbar bleibt. Die Haftung aus § 31 Abs. 3 GmbHG kann aber ihrem Normzweck nach auf den Betrag des Stammkapitals beschränkt werden, was der BGH ausdrücklich offengelassen hat.

Altmeppen/Roth, GmbHG

sprechende Gegenleistungen dem Gesellschaftsvermögen zu, so werden diese aufge-rechnet106.

Bei verbotswidriger Zahlung an einen Gesellschafter trifft diesen eine Erstattungspflicht gegenüber der Gesellschaft, § 31 Abs. 1 GmbHG107. Ist der Gesellschafter jedoch gutgläubig, trifft ihn die Pflicht nur insoweit, als die Rückzahlung zur Befriedigung von Gesellschaftsgläubigern erforderlich ist, § 31 Abs. 2 GmbHG. Daran wird das Gläubi-gerschutzmoment der §§ 30, 31 GmbHG deutlich. Gemäß § 31 Abs. 3 GmbHG müssen die übrigen Gesellschafter, wenn von dem Zahlungsempfänger keine Erstattung zu er-langen ist, für diesen einspringen. Erst im letzten Schritt können diese Gesellschafter gemäß § 31 Abs. 6 GmbHG den Geschäftsführer in Regress nehmen. Damit sind zu-nächst die Gesellschafter erstattungspflichtig. Mit dem ausdrücklichen Verbot der Aus-zahlung in § 30 Abs. 1 GmbHG ist jedoch, anders als bei den §§ 32a, 32b GmbHG, auch eine Verhaltenspflicht für den Geschäftsführer konstituiert.

Ebenso wie bei den §§ 32a, 32b GmbHG gibt es eine den §§ 30, 31 GmbHG entsprechende Regelung im italienischen Recht nicht. Der Gläubigerschutz wird dort durch das unter 5.3 zu besprechende völlige Verbot weiterer Geschäfte bei Unterschreiten des gesetzlichen Mindestkapitals erreicht. Dagegen besteht eine dem Verbot des Erwerbs eigener Geschäftsanteile gemäß § 33 GmbHG vergleichbare Regelung in Art. 2483 c.c.. Diese Regelung ist sogar schärfer als § 33 GmbHG, da sie den Erwerb eigener Anteile vollständig verbietet.

4.2.1 Haftung gemäß § 43 Abs. 3 Satz 1 GmbHG gegenüber der Gesellschaft Gegenüber der Gesellschaft haften die Geschäftsführer bei schuldhafter verbotswidriger Auszahlung gemäß § 43 Abs. 3 Satz 1 GmbHG.

106 Meyke, Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz 71.

107 Dies gilt unabhängig davon, ob zwischenzeitlich das Stammkapital durch andere Zahlungen zwi-schenzeitlich wieder aufgefüllt worden ist: BGH, Urteil vom 29.5.2000, NJW 2000, 2577 (2578). Ist die Haftung also einmal entstanden, bleibt sie bestehen. Gegenleistungen, die gleichzeitig mit der Zah-lung anfallen, werden aber aufgerechnet, so daß es gar nicht erst zur Haftung kommt.

4.2.2 Ausfallhaftung gemäß § 31 Abs. 6 GmbHG gegenüber den Gesellschaftern Im Fall des § 31 Abs. 3 GmbHG, also der Inanspruchnahme der übrigen Gesellschafter, können diese den Geschäftsführer im Regresswege in Anspruch nehmen, sofern ihm ein Verschulden zur Last fällt, § 31 Abs. 6 GmbHG.

Das Verschulden wird einer Literaturmeinung zufolge vermutet108, ohne dass hierfür ein Argument genannt ist. Der Wortlaut des § 31 Abs. 6 GmbHG enthält keine Beweislast-umkehr. Denkbar wäre jedoch, ausgehend von einer Einordnung der Haftung als ver-traglich109 die Vermutungsregel beim Schadensersatz wegen Pflichtverletzung gemäß

§ 280 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BGB n.F. analog heranzuziehen. Der Gläubiger muss dann nur noch beweisen, dass der Geschäftsführer die ihm objektiv obliegende Pflicht ver-letzt hat110. Das subjektive Verschulden wird bei Beweis der objektiven Pflichtverlet-zung vermutet.

Die Anwendung des § 280 BGB n.F. setzt voraus, dass man als Grund für die vertragli-che Haftung das Organschaftsverhältnis zwisvertragli-chen Geschäftsführer und Gesellschaft heranzieht111. Bei Abstellen auf das Anstellungsverhältnis wäre dies nicht möglich, da es dann zum Konflikt mit den arbeitsrechtlichen Haftungsgrundsätzen käme.

4.2.3 Haftung gegenüber Gesellschaftsgläubigern

4.2.3.1 Kein Schutzgesetzcharakter nach herrschender Ansicht

Ein Verstoß gegen § 30 Abs. 1 GmbHG führt nach herrschender Ansicht nicht zur Haf-tung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern, da § 30 Abs. 1 GmbHG nicht

108 Goerdeler/Müller in , § 31 Rz 64; ,

§ 31 Rz 41. Offenbar von der regulären Beweislastverteilung gehen aus: Hueck/Fastrich in

, § 31 Rz 22; , § 31 Rz 30. Unklar

Wester-mann in , § 31 Rz 38.

Hachenburg/Ulmer, GmbHG Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG Baumbach/Hueck, GmbHG Lutter/Hommelhoff, GmbHG

Scholz, GmbHG

109 Vgl. Kap. 8.2.2 und 8.2.1.1.

110 Vgl. Palandt Ergänzungsband/Heinrichs, § 280 Rz 34 f.

111 Vgl. Kap. 8.2.2.

setz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der Gesellschaftsgläubiger sei112. Dies lässt sich damit begründen, dass andernfalls das von § 31 GmbHG vorgesehene System von Haftung und Ausfallhaftung umgangen würde. § 31 GmbHG, der keine Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern enthält, wäre insoweit abschließend.

Auch über § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 43 Abs. 1 GmbHG lässt sich keine Haftung aus der allgemeinen Sorgfaltspflicht konstruieren, da § 43 Abs. 1 GmbHG keinen unmittel-bar drittschützenden Charakter hat. Begründet wird dies damit, dass grundsätzlich Ge-sellschafts- und Gläubigerinteressen parallel laufen. Die allgemeine Sorgfaltsnorm kann nicht Schutzcharakter für Interessenkonflikte mit Ausnahmecharakter entfalten113. 4.2.3.2 Kritikwürdigkeit der herrschenden Ansicht

Die Ablehnung des Schutzgesetzcharakters von § 30 Abs. 1 GmbHG ist durchaus kri-tikwürdig. Wie noch zu zeigen sein wird, wäre es jedenfalls vorzugswürdig, ein Auszahlungsverbot statt der Insolvenzantragspflicht114 zum Anknüpfungspunkt eines Gläubigerschutzes praeter legem zu machen. Will man eine solche Veränderung der haftungsauslösenden Pflicht ohne Gesetzesänderung erreichen, böte sich § 30 Abs. 1 GmbHG als Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB an.

Zwar eignet sich § 30 Abs. 1 GmbHG nicht besonders gut zur Erreichung eines umfas-senden Gläubigerschutzes, da er nur eine Auszahlung an Gesellschafter verbietet. Ein umfassender Kapitalschutz kann somit nicht gewährleistet werden115. Im Hinblick auf die Aufgabe des Innenhaftungsmodells bei § 64 Abs. 1 GmbHG ist jedoch nicht

112 BGH, Urteil vom 19.2.1990, BB 1990, 802 (806);

, S. 27; Hueck Fastrich in , § 30 Rz 1. Ebenso Goerdeler/Müller in , § 30 Rz 16 und 79, mit Verweis auf die in der Vorauflage vertretene Gegenansicht.

Haas, Geschäftsführerhaftung und Gläubiger-schutz

Haas, Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz

Haas, Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz Hachenburg/Ulmer, GmbHG

Baumbach/Hueck, GmbHG

113 , S. 18.

114 So der BGH, vgl. Kap. 7.1.

115 Auch , S. 27 f, hält die Gründe gegen den

Schutz-gesetzcharakter von § 30 Abs. 1 GmbHG für überwiegend.

ständlich, warum nicht auch § 30 Abs. 1 GmbHG in seinem Anwendungsbereich Schutzgesetzcharakter zugebilligt werden soll116.