• Keine Ergebnisse gefunden

IV. Formen webunabhängiger digitaler Literatur im WWW 75

1.1. Digitalisierte Druckwerke in Datenbanken und Archiven

1.1.3. Datenbanken

1.1.3.1. Banned Books On-Line

Einem umstrittenen Thema widmet sich der Herausgeber der Web-Seiten Banned Books On-Line263. In Kooperation mit anderen Gleichgesinnten wendet er sich im Sinne der Kampagne Free Speech Online - Blue Ribbon Campaign gegen die Zensur elektronischer Bücher durch öffentliche Bibliotheken. In einer repräsentativen Aus-wahl werden jene Werke vorgestellt, die zu irgendeinem Zeitpunkt der Zensur oder Zensurbestrebungen unterlagen. Zu diesen Texten zählen beispielsweise Ulysses von Joyce, Canterbury Tales von Chaucer, Moll Flanders von Defoe, Leaves of Grass von Whitman, Twelfth Night und The Merchant of Venice von Shakespeare oder Tom Sawyer und Huckleberry Finn von Twain. Die zu allen aufgeführten Werken mit-gelieferten kurzen Hintergrundinformationen geben jeweils Aufschluß darüber, warum ein Werk als anstößig angesehen wurde; da diese Ausführungen sehr knapp gehalten sind, bleiben indes einige Fragen offen. Als vergleichsweise ausführlich erscheinen hingegen die Informationen zur Banned Books On-Line-Initiative oder ähnlichen Kampagnen sowie die Literaturhinweise zum Thema Zensur. Leider bleibt hierbei eine Option unrealisiert, nämlich eine Textaufbereitung für das Thema Zen-sur, bei der die als anstößig erachteten Passagen besonders hervorgehoben sind. Da es sich hier allerdings um eine Datenbank handelt – die Werke selbst sind auf diversen Servern archiviert und nur über eine Verknüpfung zugänglich –, ist diese Funktion vermutlich nicht umzusetzen.

Ob es Web-Nutzern freigestellt sein sollte, Anstoß erregende Dokumente mittels spezieller Software-Programme herauszufiltern, oder ob die Publikation be-stimmter Dokumente generell verboten werden sollte – die Seiten von Banned Books On-Line geben Anstoß zur Auseinandersetzung mit der noch immer ungeklärten Frage des Ob und Wie einer Zensur von Publikationen im World Wide Web.

263 John Mark Ockerbloom, Hg., The Online Books Page – Banned Books On-Line ([11993]),

<http://digital.library.upenn.edu/books/banned-books.html>, 07.03.2003.

IV. Formen webunabhängiger digitaler Literatur im WWW 87

1.1.3.2. Prize-Winning Books On-Line

Vom Herausgeber der Banned Books On-Line stammt auch die Auswahl an online zur Verfügung stehenden elektronischen Versionen jener Bücher, die mit bedeu-tenden Literaturpreisen bedacht wurden, wie beispielsweise dem Newbery Award für herausragende Kinderbücher, dem Literaturnobelpreis für Werke mit außergewöhn-lich idealistischem Grundgedanken oder dem Pulitzer-Preis für amerikanische Lite-ratur in Lyrik, Drama, Prosa, Biographie und Geschichte.264 Die Veröffentlichung dieser Werke setzt grundsätzlich voraus, daß sie entweder nicht mehr dem Urheber-recht unterliegen oder per Genehmigung freigegeben sind, weshalb die Liste der mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Werke nicht über das Jahr 1953 hinausgeht und die Aufstellungen in den Kategorien Pulitzer-Preis und Newbery Award bereits in 1923 beziehungsweise in 1924 enden.265 Zumindest für die wissenschaftliche Nutzung wäre hier eine lückenlose Version wünschenswert. Gegebenenfalls müßte diese kostenpflichtig angeboten werden, auch wenn es dem idealistischen Grundgedanken vieler Herausgeber im WWW widersprechen mag, den Zugang zu Online-Publi-kationen zu beschränken. Neben dem inhaltlichen Wert rechtfertigt aber gerade die Unvollständigkeit der Auflistungen die Erwähnung von Prize-Winning Books On-Line; führt sie doch vor Augen, daß die Frage einer Anpassung des Urheberrechts an die Gegebenheiten des WWW und der Regelung des Zugangs zu Online-Doku-menten dringend einer einheitlichen Klärung bedarf.

1.2. Analoge Publikationen von Monographien, Periodika und Einzel-werken

Zur zweiten Gruppe der Literatur im Web zählen jene Veröffentlichungen, die im WWW als analoge Publikationen, das heißt entweder als Vorabversion, als Parallel-publikationen oder aber als Folgeversion eines Druckwerkes auftreten. Sie ent-wickeln als Spiegel der Papierausgaben keine eigene Dynamik im Web, sondern ermöglichen dem Nutzer a) einen vorzeitigen Zugriff im Falle einer Vorabversion, b) die Möglichkeit schnellen, effektiven Recherchierens durch spezielle

264 Ders., Hg., The Online Books Page – Prize-Winning Books On-Line ([11993]),

<http://digital.library.upenn.edu/books/prize.html>, 07.03.2003.

265 An dieser Stelle sei betont, daß der Herausgeber von Banned Books On-Line von der Ent-scheidung hinsichtlich der Freigabe eines Werkes für eine Veröffentlichung im World Wide Web nur indirekt betroffen ist, insofern er in seiner Datenbank selber keine Dokumente archiviert, sondern dem Nutzer nur eine Verknüpfung zu ihnen anbietet.

IV. Formen webunabhängiger digitaler Literatur im WWW 88

funktionen266 sowie c) – im Falle von Periodika – gegebenenfalls den Zugriff auf ein Archiv vorangegangener Ausgaben. Das Online-Angebot analoger Zeitschriften ist allerdings nicht immer uneingeschränkt und kostenfrei zugänglich. Ein Beispiel ist Connotations - A Journal for Critical Debate, eine parallel publizierte internationale Fachzeitschrift zur Förderung der kritischen wissenschaftlichen Diskussion auf dem Gebiet der englischen Literatur vom Mittelenglischen bis zur Gegenwart. Der Nutzer hat hier lediglich Zugriff auf eine Auswahl der Beiträge; zur uneingeschränkten Nutzung bedarf es eines Abonnements.267

Auch wenn eine Zugangsbeschränkung einen schwerwiegenden Nachteil für den Nutzer darstellt, ist die parallele Publikation von gedruckten und digitalen Doku-mentversionen dennoch als zukunftsweisend anzusehen. Gerade mit Blick auf einen möglichst regen wissenschaftlichen Austausch stellt das World Wide Web einen außerordentlichen Fortschritt dar. Die Vorteile liegen unter anderem in der kosten-günstigen und vor allem raschen allgemeinen Verbreitung von Forschungspubli-kationen, die Verlegern, Leserschaft und Autoren gleichermaßen zugute kommt.268 In seiner Beitragsfolge für Gegner und Befürworter der elektronischen Netzwerke zeichnet Zimmer den langen und zähen Weg einer wissenschaftlichen Arbeit von ihrer Entstehung bis zur Publikation in einer gedruckten Zeitschrift nach. Danach veranschlagt er für den Veröffentlichungsprozeß eine Dauer von 3 bis 36 Monaten,

266 Die Vorteilhaftigkeit der Suchfunktionen erweist sich zum Beispiel bei der gezielten Suche nach speziellen Themen oder auch einzelnen Begriffen. Suchprogramme erlauben, innerhalb kürzester Zeit bestimmte Daten zusammenzustellen und anschließend zu speichern oder auf Papier auszu-drucken. Auf diese Weise lassen sich Recherchen in Datenbanken durchführen oder Texte nach bestimmten Begriffen durchsuchen. Dies eröffnet beispielsweise völlig neue Perspektiven im Hinblick auf Untersuchungen zu Worthäufigkeiten oder zur Frequenz morphologischer Elemente, wie zum Beispiel Präfixen oder Suffixen.

267 Inge Leimberg und Matthias Bauer, Hg., Connotations - A Journal for Critical Debate,

<http://www.connotations.de/>, 22.05.2003. Parallelpublikationen: Connotations - A Journal for Critical Debate 1 (1991)–11 (2002). Connotations mag nicht nur als Beispiel für Zugriffsbeschrän-kungen bei Periodika dienen, sondern auch für eine Eins-zu-eins-Übernahme der Seitenangaben.

Um eine korrekte Zitierung der Aufsätze zu gewährleisten und zudem sicherzustellen, daß die bibliographischen Angaben zu den Online-Ausgaben deckungsgleich sind mit den Bezugnahmen auf die gedruckten Ausgaben von Connotations, sind alle Online-Texte mit den Seitenzahlen der Print-Versionen versehen.

268 So können die Autoren sicher sein, daß die Ergebnisse ihrer Arbeit auf schnellstmöglichem Wege an die Öffentlichkeit gelangen; für die Verlage wiederum entfällt der kostspielige Marketing-Pro-zeß – ihre Einnahmen sind ihnen auch im Internet durch Lizenzierung ihrer Zeitschriften garan-tiert; die Leserschaft schließlich erhält schnellen und direkten Zugriff auf die neuesten Forschungs-ergebnisse. In zeitschrifteninternen Kommunikationsforen besteht zudem oftmals die Möglichkeit zu Nachfragen, zu spontanen Meinungsäußerungen und zum Gedankenaustausch mit Gleichgesinnten.

IV. Formen webunabhängiger digitaler Literatur im WWW 89

was die Aktualität einer Arbeit deutlich verringern kann und zudem noch hohe Verlags- und Versandkosten verursacht.269

Bei den Peer-reviewed electronic journals liegt eine gewisse Verzögerung des Publikationsvorganges gleichsam in der Natur der Sache. Diese Zeitschriften, die ein Auswahlverfahren durchlaufen, können im akademischen Bereich am ehesten den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben. Obwohl der Prüfungsprozeß keine Garantie für inhaltliches Niveau darstellen kann, bietet er dem Leser doch einen gewissen Schutz vor unfundierten oder unwissenschaftlichen Ausführungen. Die Verleger vorgenannter Zeitschriften gewährleisten einen Mindest-Qualitätsstandard, indem sie alle Artikel vor ihrer Veröffentlichung durch einen Gutachterstab prüfen lassen. Dieser Vorgang der peer review, das heißt der Prüfung durch Gleichrangige, wird anonym270 von einem Gremium durchgeführt, das dem jeweiligen Fachgebiet entsprechend ausgewählt wird.271

Während sich die Peer-reviewed electronic journals ohne weiteres für den (geistes-)wissenschaftlichem Gebrauch empfehlen, setzt die Nutzung anderer elek-tronischer Zeitschriften272 eine kritische Prüfung voraus. So erheben E-zines gemäß

269 Zimmer, “Die digitale Bibliothek”, 279f. Allerdings stellen die Veränderbarkeit und Kopier-barkeit der Dokumente nach wie vor eine Publikationshürde dar. Die Ungewißheit, ob die eige-nen Forschungsergebnisse auch nach einigen Jahren noch unverändert an zuverlässiger Stelle vorzufinden sind, läßt viele Wissenschaftler gedruckten Zeitschriften den Vorteil geben. Eine Ausnahme bilden – siehe oben – analoge Publikationen. Hier gewährleistet das zusätzliche Er-scheinen in gedruckter Form gewissermaßen die dauerhafte Beurkundung der Forschungsarbeit.

Vgl. ebd, 282.

270 Man spricht in diesem Falle von blind peer review. Die Identität des Autors bleibt dem Gutachter unbekannt; umgekehrt wird dessen Name nicht an den Autor weitergegeben. Auf diese Weise soll eine vorurteilsfreie Bewertung durch den Gutachter gewährleistet werden, der seinerseits vor einer möglichen Einflußnahme der Autoren geschützt bleiben soll. Siehe hierzu auch Zimmer, Die Bibliothek der Zukunft, 78.

271 Obwohl Online-Periodika einen nicht unerheblichen Anteil der Informationsträger im WWW dar-stellen, sollen sie im weiteren Verlauf vorliegender Arbeit keine exponierte Stellung einnehmen.

Dies liegt darin begründet, daß der thematische Schwerpunkt der Untersuchung in erster Linie auf den Charakteristika webbasierter Literatur liegt und nicht auf den Träger- beziehungsweise Präsentationsmedien.

272 Die Bezeichnung Elektronische Zeitschrift wird oftmals für die Gesamtheit aller elektronischen Periodika sowohl im World Wide Web als auch auf anderen elektronischen Datenträgern ver-wendet. Diese breite Auslegung des Begriffes findet sich beispielsweise bei Möbius, der sowohl E-zines als auch Electronic Newsletters, E-journals und Peer-reviewed electronic journals unter der Bezeichnung Elektronische Zeitschrift zusammenfaßt. Eine Unterteilung nimmt Möbius nur insofern vor, als er all jene Periodika, die mittels eines beliebigen elektronischen Mediums (CD-ROM, Magnetband, WWW oder ähnliches) verbreitet werden, als Elektronische Zeitschriften im weiteren Sinne von Elektronischen Zeitschriften im engeren Sinne abgrenzt, worunter Möbius ausschließlich jene Zeitschriften versteht, die über das Netz vertrieben werden. Michael Uwe Möbius, “Elektronische Zeitschriften über Internet”, in: Jüngling, Hg., Internet und Bibliotheken, 136–169, hier: 139.

IV. Formen webunabhängiger digitaler Literatur im WWW 90

einer Einteilung von Möbius273 offensichtlich keinen wissenschaftlichen Anspruch und widmen sich oftmals bizarren, esoterischen oder auch ausgesprochen frag-würdigen Themen. Je nach inhaltlicher Ausrichtung des Periodikums kann die Be-zeichnung zine entweder für fanzine oder magazine stehen. Electronic Newsletters hingegen widmen sich teilweise auch wissenschaftlichen Themen; sie enthalten aber hauptsächlich Kurzinformationen, aktuelle Nachrichten und Reviews. Electronic Journals (E-journals) schließlich dienen der Förderung bestimmter Fachgebiete durch die Veröffentlichung fachbezogener Artikel und Forschungsberichte; vom Themenspektrum her stehen sie auf gleicher Stufe wie die Peer-reviewed electronic journals, mit dem Unterschied, daß sie eben nicht dem beschriebenen Prüfungs-vorgang unterliegen.

1.3. Linear-konzipierte, in digitaler Form erzeugte zeitgenössische Werke