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Autoren-Identität und Urheberrechtsschutz

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3. Autoren-Identität und Urheberrechtsschutz

Eine weitere Schwierigkeit bildet oftmals die Klärung der Identität der an der Erstel-lung der Online-Werke beteiligten Personen.

Im Gegensatz zum Print-Bereich lassen sich Werke aus dem World Wide Web oftmals keinem konkreten Autor oder einer bestimmten Autorengemeinschaft zuordnen. Der Nutzer wird zumeist nur darüber informiert, wer für Konzept und Gestaltung der WWW-Seiten verantwortlich zeichnet. Zu beachten ist jedoch, daß im Hinblick auf Online-Präsentationen zwischen mehreren Zuständigkeitsbereichen dif-ferenziert werden muß: Zum einen geht es um den dargebotenen Inhalt und deren geistige Schöpfer, zum anderen handelt es sich um die äußere Präsentation eines

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WWW-Angebots und den hierfür autorisierten Personenkreis. Neben diesen Verant-wortlichen, die kurz als Autoren und Designer bezeichnet werden sollen, stehen oftmals noch technische Bearbeiter, die nicht selten auch als die einzigen Kontakt-personen auf den Seiten aufgelistet sind, und die Betreiber der Web-Seiten, wobei alle erwähnten Aufgaben nicht selten von einem beziehungsweise einer Verantwort-lichen in Personalunion ausgeübt werden.

Für den Leser von Web-Literatur steht – unter anderem im Hinblick auf eine spätere Auflistung der bibliographischen Angaben – in erster Linie der Autor als geistiger Urheber im Vordergrund des Interesses, Bearbeiter und Betreiber der Web-Seiten sind lediglich von zweitrangiger Bedeutung. Angesichts oftmals lückenhafter Online-Dokumentationen ist der Nachweis der Urheberschaft jedoch vielfach nicht in der gewünschten Weise zu führen, so daß die bibliographischen Angaben oftmals unvollständig bleiben müssen.

Gleichfalls problematisch erscheint die Situation im Hinblick auf die Identität jener Personen, die sogenannte interaktive literarische Online-Werke in kreativer Mitwirkung und somit gewissermaßen in Koautorschaft erweitern. Da sie ebenso wie der Autor der literarischen Ausgangsform an der Entstehung des Werkes beteiligt sind und unter Umständen maßgeblich zu seiner Erweiterung beitragen, müßten sie – gegebenenfalls unter entsprechendem Hinweis auf den Umfang ihrer Beteiligung – namentlich erwähnt werden. Tatsächlich gelten sie laut deutschem Urheberrechts-gesetz als Miturheber des Werkes.110 Bleiben der oder die einzelnen Mitarbeiter jedoch unerwähnt, weil die Namen vom Herausgeber zurückgehalten werden oder aber die Beiträge anonym eingegangen sind, so liegt die Verantwortung für den Inhalt der Dokumente auf Herausgeberseite, wobei fraglich ist, wie dann das Urheberrecht an diesen Werken gehandhabt wird. So ist beispielsweise der Fall denkbar, daß ein Gedicht, das durch kooperative Zusammenarbeit im World Wide Web entstanden ist, in die Geschichte der Literatur eingeht, woraufhin sich ver-mutlich nicht nur auf seiten der Leser, sondern in erster Linie bei den Autoren der Wunsch nach Klärung des geistigen Eigentums an diesem Werk ergäbe.

Kist hat im Jahre 1988 festgestellt, daß die Gesetzgebung weit hinter der Ent-wicklung im Bereich elektronischer Medien zurückstehe, und gleichzeitig auf die bedenkliche Tendenz zu wachsender Indifferenz gegenüber Urheberrechten

110 H. Jochen Krieger, Verantw., Das deutsche Urheberrechtsgesetz – Teil 1 Urheberrecht, § 8 Mitur-heber (14.08.2002), <http://transpatent.com/gesetze/urhg1.html#8>, 22.10.2002.

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sen.111 Diese Neigung scheint nach wie vor ungebrochen zu sein, und so drängt sich der Eindruck auf, daß die derzeitige unbefriedigende Lage auf dem Gebiet des Urhe-berrechts nicht allein auf ein etwaiges Fehlen eindeutiger Rechtsvorschriften zurück-zuführen ist, sondern daß vielmehr eine – von der Existenz aller wirksamen Gesetze anscheinend unbeeindruckte – allgemeine Einstellung vorherrscht, das World Wide Web als rechtsfreien Raum zu betrachten. Kist merkte hierzu kritisch an, es sei ganz offensichtlich dem “Fehlen einer öffentlichen Moral” zuzuschreiben, daß der Um-gang mit fremdem geistigem Eigentum im WWW die angemessene Sorgfalt und das notwendige Rechtsbewußtsein vermissen lasse.112

Da die ganz überwiegende Zahl der Urheberrechtsverletzungen eher harm-loser Natur sein dürfte, scheint der von Kist erhobene Vorwurf fehlender öffentlicher Moral allerdings zu hoch gegriffen. Statt dessen sind es möglicherweise die Inter-nationalität des WWW mit seinen vielen fremden Netzteilnehmern in (Wohn-)Sitz-staaten fernab der Jurisdiktion des eigenen Landes und das Fehlen einer länderüber-greifenden, omnipräsenten Überwachungsinstanz, gleich in wessen Trägerschaft, die in vielen Fällen bei dem Schädiger den Gedanken, es könne eine Urheberrechts-verletzung begangen werden, gar nicht erst aufkommen lassen.

Entgegen Kist stellt zumindest die deutsche Rechtsprechung durchaus eindeutige Vorschriften zur Regelung von Urheberrechtsfragen bereit. Wiewohl diese zum Teil erst innerhalb der vergangenen Jahre aufgrund der verstärkten Nutzung des WWW geschaffen beziehungsweise den veränderten Bedingungen angepaßt worden sind, scheint die Situation aber auch vorher nicht so ungeregelt gewesen zu sein, wie sie oftmals beschrieben und kritisiert wurde. Hierzu findet sich beispielsweise bei Cyberlaw folgende Ausführung:

Im Internet besteht kein rechtsfreier Raum. Es gelten dieselben Regeln wie sonst, nur mit internationalen Konsequenzen. Insbesondere das Urheberrecht wie auch der Wettbewerb sind detailliert festgelegt und auch im Internet gül-tig.113

Ein weiterer Textauszug untermauert die These, daß das Hauptproblem bei der Debatte um Urheberrechte für Online-Werke nicht im Mangel an konkreten

111 Kist, Elektronisches Publizieren, 86.

112 Ebd.

113 Wilfried Gaiser, Hg., “Urheberrechte im Internet”, in: Ders., Verantw., Cyberlaw ([12002]),

<http://www.cyberlaw.de/Recht/Urheberrecht/ReUr025.pdf>, 04.11.2002.

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vorschriften, sondern in der ungenügenden Durchsetzung der bereits bestehenden Gesetze liegt:

Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. [...] die staatlichen Regeln hierzu sind bereits vorhanden. Auch wenn die Rechtsdurchsetzung durch den Staat derzeit noch schwierig ist.114

Welche Voraussetzungen ein Werk im World Wide Web erfüllen muß, damit dessen geistiger Schöpfer Urheberrechtsansprüche anmelden kann, ist dem folgenden Zitat zu entnehmen:

Um einen urheberrechtlichen Anspruch für Inhalte im Internet geltend machen zu können, müssen die Anforderungen des § 2 Abs.2 Urheberrechtsgesetz (UrhG) erfüllt sein. Die Internetseite muss eine persönliche geistige Schöpfung des Urhebers sein, also ein Werk darstellen. Ist dies der Fall, stehen dem Urheber insbesondere die Verwertungsrechte der §§ 15 ff UrhG zu, mit deren Hilfe er eine Vergütung für sein Werk erlangen kann. Um den Anforderungen des § 2 Abs.2 UrhG zu genügen, muss das Werk das Ergebnis individuellen Schaffens sein und eine gewisse Gestaltungshöhe erreichen. Dabei ist jedoch kein zu hoher Maßstab anzulegen, weshalb die Mehrzahl der Homepages im Internet diese An-forderung erfüllen dürfte.

Da auch frei zugängliche Texte im Netz in einer sogenannten HTML-Datei - der Computersprache des Internets - veröffentlicht werden müssen, um an den Bildschirmen der Nutzer lesbar zu sein, können diese Texte trotz nicht schutz-würdiger Inhalte als Datei gem. § 2 UrhG Schutz genießen. Außerdem kann der in einer Internetseite enthaltene Text als Sprachwerk gem. § 2 Abs.1 Nr. 1 UrhG geschützt sein, Grafiken als Werke bildender Kunst nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG und Fotos nach § 2 Abs.1 Nr. 5 UrhG.115

Es wäre nun allerdings zu kurz gegriffen anzunehmen, bei der Forderung nach einer rechtlichen Grundlage gehe es ausschließlich um materielle Vergütung.

Der Schutz des geistigen Eigentums soll vielmehr gleichzeitig auch verhindern, daß ein Werk einen Re- oder Dekontextualisierungsprozeß erfährt.116 Ist die rechtliche Grundlage nicht vorhanden, so kann “ohne den Schutz des Urheberrechts das zer-brechliche und vielfältig strahlende System des Schaffens und Verbreitens infor-mationeller Inhalte, das die Basis unserer kulturellen Kommunikation bildet, schließ-lich zusammenbrechen.”117

114 Ders., Hg., “Warum Info zum Internet-Recht?”, in: Cyberlaw ([12002]),

<http://www.cyberlaw.de/Recht/Onlinerecht/ReOn049.pdf>, 04.11.2002.

115 Ralf Möbius, “Urheberrechte im Internet”, in: Ralf Möbius, Hg., Internet-Recht-online,

<http://mitglied.lycos.de/InternetRechtOnline/urhr.htm>, 04.11.2002.

116 Steven Jones, “Kommunikation, das Internet und Elektromagnetismus”, in: Stefan Münker und Alexander Roesler, Hg., Mythos Internet (Frankfurt a.M., 1997), 131–146, hier: 139.

117 Kist, Elektronisches Publizieren, 87.

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Grundsätzlich sollte gewährleistet sein, daß sich wissenschaftliche Ressour-cen im World Wide Web korrekt zitieren lassen, ohne daß der Nutzer befürchten muß, daß die angegebenen Seiten ihre Gültigkeit verlieren. So wurde Anfang 1998 in weltweiter Übereinkunft ein neues Identifikationssystem eingeführt, das sich auf eine Identifizierungsnummer für digitale Objekte gleich welcher Art stützt, den soge-nannten Digital Objects Identifier (DOI),118 der etwa der International Standard Book Number (ISBN) für gebundene Bücher entspricht.119 Dieses Angebot der Zu-weisung und Verwaltung einer Identifikationsnummer richtet sich derzeitig haupt-sächlich an Unternehmen, doch auf lange Sicht könnte dieses System auch für Einzelpersonen realisierbar und hilfreich sein.

Einen weiteren Dienst zum Schutz von Autoren bietet die Clearingstelle Multimedia für Verwertungsgesellschaften von Urheber- und Leistungsschutzrechten GmbH, kurz CMMV. Diese zentrale Anlaufstelle bietet Multimedia-Produzenten die Möglichkeit, die Rechteinhaber all jener urheberrechtlich geschützten Werke oder Inhalte zu ermitteln, die sie im Rahmen einer Multimedia-Produktion verwenden möchten.120 Allerdings kann die Lizenzierung bislang noch nicht von der CMMV durchgeführt werden, sondern muß unmittelbar durch die Rechteinhaber selbst erfol-gen.

Unabhängig von der Diskussion, ob und wie Urheberrechtsansprüche durch-gesetzt werden können, bleibt fraglich, ob kostenpflichtige Literatur im World Wide Web zukünftig überhaupt die Chance hat, vom Nutzer angenommen zu werden.

Nachweislich stehen die meisten Befragten dem Lesen am Bildschirm eher ableh-nend gegenüber.121

Und noch ein weiteres Problem tut sich auf: Sollte Online-Literatur weiterhin größtenteils kostenfrei angeboten werden, so ist ungewiß, ob dies nicht letztlich zu

118 Tremmel Verlag, Hg., Urheberrechte im Netz, <http://www.tremmel.de/html/urheberrecht.htm>, 23.10.2002. Der elektronische Datenbestand erhält einen individuellen Identifizierungscode, den sogenannten DOI, der in einer zentralen Datenbank gespeichert ist. Aufgabe der Betreiber dieser Datenbank ist es, jederzeit die aktuelle Web-Adresse des Datenbestandes bereitzuhalten. Zu dessen Aufruf bedient sich der Nutzer anstelle eines URL des DOI; er wird sodann automatisch an den aktu-ellen Speicherplatz der Daten weitergeleitet. Marcel Schellong, “‘how to ...’: DOI – Digital Object Identifier”, in: Martin Huber u.a., Hg., Zentrum Elektronisches Publizieren in den Literaturwissen-schaften ([127.08.2003]), <http://www.zepl.uni-muenchen.de/reports/how_to_doi.htm>, 09.12.2003.

119 ISBN-Agentur für die Bundesrepublik Deutschland, Hg., Erste Informationen für Erzeuger, Verlage und Informationsanbieter zur Anwendung des Digital Object Identifier, <http://www.german-doi.org/LEITFADE.HTM>, 23.10.2002.

120 Clearingstelle Multimedia für Verwertungsgesellschaften von Urheber- und Leistungsschutzrechten GmbH, Hg., CMMV-Info, <http://www.cmmv.de/cmmv-info.htm>, 04.11.2002.

121 Boesken, “Lesen am Bildschirm”, 141.

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Lasten der Qualität des Dargebotenen geht. Es bleibt abzuwarten, ob es auch lang-fristig Autoren geben wird, die ihre Arbeiten frei zugänglich im WWW präsentieren und somit auf eine materielle Vergütung verzichten. Unbestritten besteht kein not-wendiger Zusammenhang zwischen der Qualität literarischer Online-Werke und einem Anspruch auf Kompensation; es dürfte jedoch außer jedem Zweifel sein, daß es in der Regel ein hohes Maß an Idealismus, Altruismus und finanzieller Unab-hängigkeit erfordert, persönliches Gedankengut kostenfrei für die Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Dies gilt zumindest für jene Autoren, die sich hohen Qualitäts-ansprüchen verpflichtet fühlen, sich intensiv engagieren und als Verfasser von Wer-ken hoher Qualität anerkannt sind.