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Filip Šarić, MSc. Masterarbeit. zur Erlangung des akademischen Grades. eines Master of Arts. der Studienrichtung Global Studies

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Academic year: 2022

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Filip Šarić, MSc

Religionsfreiheit in der katholischen Kirche seit der Aufklärung: Eine historisch-kritische Untersuchung unter Berücksichtigung des Kirche-Staat-Verhältnisses

Masterarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades eines Master of Arts

der Studienrichtung Global Studies an der Karl-Franzens-Universität Graz

Betreuer: Remele Kurt, Ao.Univ.-Prof. Mag. Dr.theol.

Institut: Institut für Ethik und Gesellschaftslehre

Graz, September 2017

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Ehrenwörtliche Erklärung

Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen inländischen oder ausländischen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht. Die vorliegende Fassung entspricht der eingereichten elektronischen Version.

Datum: Unterschrift:

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Inhaltsverzeichnis

1. EINLEITUNG 1

1.1. PROBLEMSTELLUNG 2

1.2. FORSCHUNGSFRAGEN 3

1.3. METHODIK 4

1.4. VORGEHENSWEISE 6

2. RELIGIONSFREIHEIT 7

2.1. DIMENSIONENDER RELIGIONSFREIHEIT 8

2.2. RELIGIONSFREIHEITALS MENSCHENRECHTUNDDAS TOLERANZPRINZIP 11

2.3. GRENZENDER RELIGIONSFREIHEIT 15

3. DAS VERHÄLTNIS VON STAAT UND KIRCHE SEIT DER AUFKLÄRUNG ANHAND VON AUSGEWÄHLTEN BEISPIELEN 18

3.1. KIRCHEUND STAATINDEN USA 18

3.1.1. HISTORISCHE ENTWICKLUNG 20

3.1.2. CHRISTLICHE NATIONUND/ODERRELIGIÖSER PLURALISMUS 23

3.1.3. DIEKATHOLISCHE KIRCHEINDEN USA 25

3.2. KIRCHEUND STAATIN FRANKREICH 32

3.2.1. HISTORISCHE ENTWICKLUNG 34

3.2.2. „LAÏCITÉ“ – HERAUSFORDERUNGENINDER PRAXIS 36

3.2.3. KATHOLISCHE KIRCHEIN FRANKREICH 40

3.3. KIRCHEUND STAATIN ÖSTERREICH 43

3.3.1. HISTORISCHE ENTWICKLUNG 44

3.3.2. DAS STAATSKIRCHENRECHTUND KONKORDATIN ÖSTERREICH – BESTIMMUNGENUND

KONTROVERSEN 48

3.3.3. KATHOLISCHE KIRCHEIN ÖSTERREICH 51

4. DAS VERSTÄNDNIS DER KATHOLISCHEN KIRCHE VON DER

RELIGIONSFREIHEIT UND DER BEZIEHUNG ZUM STAAT SEIT DER AUFKLÄRUNG BIS ZUM II. VATIKANISCHEN KONZIL 52

4.1. QUODALIQUANTUM (1791) 52

4.2. MIRARIVOS (1832) 53

4.3. QUANTA CURAUND SYLLABUS (1864) 54

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4.4. VIXDUMANOBIS (1874) 56

4.5. IMMORTALE DEI (1885) 58

4.6. LIBERTASPRAESTANTISSIMUM (1888) 59

4.7. LONGINQUAOCEANI (1895) 61

4.8. VEHEMENTERNOS (1906) 62

4.9. HANDSCHREIBENVON PIUS XI. (1929) 63

4.10. DILECTISSIMA NOBIS (1933) 64

4.11. BISZUM 2. VATIKANISCHEN KONZIL 65

5. DAS 2. VATIKANISCHE KONZIL UND SEINE FOLGEN 66

5.1. DIE SITUATIONKURZVORDEM KONZIL 67

5.2. DAS KONZIL 69

5.2.1. PÄPSTEDES KONZILS 69

5.2.2. KONTINUITÄTODER DISKONTINUITÄT? 70

5.2.3. JOHN COURTNEY MURRAYUNDDIETHEOLOGISCHE BEGRÜNDUNGDER ANERKENNUNGDER

RELIGIONSFREIHEIT 73

5.3. DIE ZEITNACHDEM KONZIL 79

5.3.1. DIE FOLGENVON DIGNITATIS HUMANAEFÜRDIEKATHOLISCHE KIRCHE 79 5.3.2. NICHT-AUSGESCHÖPFTE POTENTIALEUNDDIEHEUTIGE ROLLEDERKATHOLISCHEN KIRCHE

IN FRAGENDER RELIGIONSFREIHEIT 81

6. SCHLUSSFOLGERUNG 83 LITERATURVERZEICHNIS 86

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Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Dimensionen von Religionsfreiheit...9

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1. Einleitung

Die Debatte um Religionsfreiheit hat in den letzten Jahren im Zuge der politischen Umwälzungen in Nordafrika und den Bürgerkriegen in Syrien und Irak wieder verstärkt an Aktualität gewonnen. Sowohl Christen als auch Muslime werden Opfer religiös-motivierter Angriffe und letztlich ist die Flucht aus dem Heimatland häufig die einzige Möglichkeit dem Tod zu entkommen. Internationale Apelle zur Beendigung religiös-motivierter Morde sind täglich wahrzunehmen. Auch die katholische Kirche nutzt ihre weltpolitische Rolle um das friedliche Miteinander der Religionen einzufordern. Religionsfreiheit bedeutet keineswegs nur von solchen Repressalien verschont zu bleiben falls eine Minderheit dem Religionsglauben der Mehrheit nicht angehört. Es geht auch um das Verhältnis zwischen einer Religion oder mehrerer Religionen zum Staat und ob Privilegien nur einzelnen Religionen zugesprochen werden.

Die Zeiten, als die katholische Kirche eng verflochten mit den staatlichen Strukturen einen Machtfaktor in der Gesellschaft darstellte und maßgeblich auf die Gesetzgebung einwirkte, scheint zumindest in vielen westlichen Gesellschaften der Vergangenheit anzugehören. Ihren Einfluss suchte die katholische Kirche in den letzten Jahrhunderten auch in Fragen der Religionsfreiheit geltend zu machen. Welche Rechte und Privilegien die katholische Kirche in einer mehrheitlich katholischen Gesellschaft und in einer Gesellschaft ohne katholische Mehrheit zuteil kommen sollten, sowie die Frage nach den Rechten für andere Religionsgemeinschaften, standen häufig auf der Agenda der Debatten innerhalb der katholischen Kirche. Um zu verdeutlichen, wie sich der Standpunkt der katholischen Kirche in Bezug auf die Religionsfreiheit verändert hat, sollen zwei Zitate von zwei Päpsten zitiert werden.

Das Erste stammt von Papst Leo XIII. und ist in seiner Enzyklika Libertas praestantissimus aus dem Jahr 1888 zu finden:

„So erhellt denn aus dem Gesagten, daß es keineswegs erlaubt ist, Gedanken-, Rede-, Lehr- und unterschiedslose Religionsfreiheit zu fordern, zu verteidigen und zu gewähren, als wären alle diese Freiheiten von Natur gegebene Rechte (Leo XIII., 1888, zitiert nach Utz & Galen, 1976a, S. 219).“

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Das zweite Zitat wurde von Papst Franziskus I. im Zuge seines Besuchs in den Vereinigten Staaten 2015 getätigt und nimmt Bezug auf die Religionsfreiheit in den USA:

„Diese Freiheit bleibt einer der wertvollsten Schätze Amerikas. Wie meine Mitbrüder, die amerikanischen Bischöfe uns erinnert haben, sind alle dazu aufgerufen, wirklich als gute Bürger wachsam zu sein, um jene Freiheit zu hüten und gegen alles, was sie bedrohen oder beeinträchtigen könnte, zu verteidigen (Franziskus I., 2015, zitiert nach Radio Vatikan, 2015).“

Aus den zwei Zitaten ist ein Wandel des Denkens der katholischen Kirche in ihrer Einstellung gegenüber der Religionsfreiheit erkennbar. Die Motivation zum Verfassen dieser Masterarbeit liegt in dieser Diskrepanz der Meinungen der katholischen Kirche begründet. Während meines Praktikums im Welthaus Graz konnte ich einen guten Einblick in das kirchliche Engagement für Religionsfreiheit weltweit bekommen.

Durch Diskussionen mit KollegInnen und kirchlichen AmtsrägerInnen wurde mir bewusst, dass die Kirche in den vergangenen drei Jahrhunderten eine andere Meinung in Bezug auf die Religionsfreiheit vertrat als heute. Erste Recherchen über Aussagen der Päpste des 19. und 20. Jhds. ließen mich diesen Meinungsunterschied in Fragen der Religionsfreiheit erkennen und waren Anlass, die Argumentationsmuster und Entwicklungen der verschiedenen Ansichten näher zu analysieren.

1.1. Problemstellung

Die Frage nach dem Verhältnis eines Staates zu einer oder mehreren Religionsgemeinschaften ist eine sehr alte und hat seit Anbeginn der jeweiligen Religionen viele Sichtweisen und Theorien hervorgebracht. Obwohl die Religionsfreiheit - wie sie in der heutigen Zeit besonders in der westlichen Welt verstanden wird - erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Eingang in internationale Dokumente gefunden hat, ist die Debatte über den Umgang mit anderen religiösen Gruppen eine Geschichte mit langer Tradition.

Betrachtet man den europäischen Raum nach dem Aufkommen des Christentums, so hat es von Beginn an Konfrontation mit dem Römischen Reich gegeben; mit Verfolgungen und Progromen, die es den Christen nicht ermöglichte, die Religion frei

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auszuüben. Jedoch änderte sich die Situation im 4. Jahrhundert und die Kirche gewann an Macht und Einfluss und war im Mittelalter eine wesentliche Institution im Gesellschaftssystem vieler europäischer Staatengebilde. An diesem Beispiel wird die Relevanz des Kirche-Staat-Verhältnisses deutlich und darüber hinaus, welche Macht Religionsgruppen in einem Staat ausüben bzw. wie sie mit einem Machtverlust umgehen. Die Entwicklung hin zu einer Trennung von Kirche und Staat wurde durch die Aufklärung und deren Fokus auf das rationale Individuum begünstigt und diese Strömung im 18. Jhd. in Europa leitete den Machtverlust der Kirche ein.

Die Herausbildung des Protestantismus im 16. Jahrhundert und die innerchristlichen Konflikte in der Folgezeit machen deutlich, dass nicht nur das Verhältnis von Kirche und Staat entscheidend für den Status der Religionsfreiheit in einem Gebiet ist, sondern auch das Verhältnis der Religionsgruppen untereinander. Dabei spielt die Einstellung der dominanten Religion in einem Staat gegenüber den anderen Religionen eine wichtige Rolle. Die katholische Kirche hat beispielsweise in den USA ein anderes Auftreten als in manchen europäischen Ländern, in denen sie die dominante Religionsgemeinschaft war. In den USA schätzte die katholische Kirche die gewährte Freiheit durch den Staat, die sie in der Ausübung ihrer Tätigkeit genoss, da sie - anders als in vielen europäischen Ländern - nicht die dominante Religionsgemeinschaft war. In den katholischen europäischen Staaten war sie dagegen darauf bedacht, die Vormachtstellung im Staats- und Gesellschaftssystem nicht aufzugeben.

1.2. Forschungsfragen

Das Ziel der Arbeit besteht in der Beleuchtung der Einstellung und Meinung der katholischen Kirche gegenüber der Religionsfreiheit und dem Verhältnis zum Staat seit der Aufklärung. Die Position der Kirche zum Thema Religionsfreiheit stand häufig in Widerspruch zu den Verfassungen und Gesetzen einzelner Staaten, insbesondere seit der Herausbildung demokratischer, freiheitlicher und rechtsstaatlicher Staatengebilde.

Folgende Forschungsfragen werden aufgestellt, um das Ziel der Arbeit zu erreichen:

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 Welche Gesetze können beispielhaft herangezogen werden, um das staatliche Bemühen zur Gewährung der Religionsfreiheit und der Trennung von Kirche und Staat zu verdeutlichen und welche Folgen hatten diese Gesetze für die weitere Entwicklung der Religionsfreiheit in den ausgewählten Ländern?

 Wie hat sich die Einstellung der Katholischen Kirche gegenüber den Themen Religionsfreiheit und der Trennung von Kirche und Staat seit der Aufklärung entwickelt?

 Welchen Beitrag leistete das 2. Vatikanische Konzil zum Umgang der katholischen Kirche mit der Religionsfreiheit und wie wurde dieser Beitrag theologisch begründet?

1.3. Methodik

Die Arbeit beruht auf zwei methodischen Herangehensweisen: einer Literaturrecherche und –analyse und einer qualitativen Forschungsmethode.

Im ersten Teil der Arbeit soll die Literaturrecherche helfen, wichtige Aspekte der Religionsfreiheit allgemein darzulegen. Diese Methode wird auch eingesetzt um die jeweils verschiedenen Modelle der Kirche-Staat-Beziehungen Österreichs, Frankreichs und der USA zu skizzieren. Im Vordergrund steht dabei die Betrachtung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat insbesondere hinsichtlich dem Thema Religionsfreiheit. Die Auswahl der Literatur folgt somit diesem Ansatz.

Im Fokus der Arbeit steht die Analyse der päpstlichen Enzykliken und der Bedeutung des 2. Vatikanischen Konzils. Dabei wird die qualitative Forschungsmethode als Hilfsmittel herangezogen. Um eine Systematik in die Betrachtung der Enzykliken zu schaffen, wurden im Vorhinein Kategorien gebildet. Die Kategorien bilden den Rahmen der Analyse, in dessen Grenzen die relevanten Passagen der Enzykliken gefiltert wurden. Die Kategorien sind:

 Religionsfreiheit

o Meinungsfreiheit o Bekenntnisfreiheit

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o Redefreiheit o Gewissensfreiheit

 Staat und Kirche

o Trennung Kirche und Staat o Freiheit der katholischen Kirche o Indifferentismus

o Liberalismus

Die zwei Hauptkategorien bilden die Religionsfreiheit und das Verhältnis zwischen Kirche und Staat. Innerhalb der Kategorie Religionsfreiheit treten die Subkategorien Meinungs-, Bekenntnis-, Rede-, und Gewissensfreiheit auf, da sie eng mit der Religionsfreiheit verknüpft sind. Die Hauptkategorie Staat und Kirche wird weiter unterteilt in die Subkategorien Trennung Kirche und Staat, Freiheit der katholischen Kirche, Indifferentismus und Liberalismus. Diesen Kategorien folgend wird die Analyse der päpstlichen Enzykliken durchgeführt.

In weiterer Folge dienen die Kategorien als Basis für das Experteninterview mit Weihbischof Helmut Krätzl. Die erste Frage behandelt die entscheidenden Faktoren, die zum 2. Vatikanischen Konzil geführt haben. In der zweiten Frage wird näher auf die Debatte eingegangen, ob das 2. Vatikanische Konzil einen Bruch mit der kirchlichen Lehre darstellte oder als Kontinuität der Lehre zu sehen ist. Darauf aufbauend soll die nächste Frage die Haltung der katholischen Kirche kurz vor dem Konzil beantworten. Die vierte Frage setzt sich mit den entscheidenden Faktoren für das Bekenntnis zur Religionsfreiheit beim 2. Vatikanischen Konzil auseinander. Als nächste Fragestellung werden die Befürworter und Gegner der Anerkennung der Religionsfreiheit analysiert. Welche Bedeutung das Bekenntnis der Religionsfreiheit für die katholische Kirche hatte, ist Inhalt der sechsten Frage. In der siebten Frage soll die Diskussion um das Verhältnis zwischen Kirche und Staat während des Konzils erarbeitet werden. Die nächsten und letzten drei Fragen beschäftigen sich mit der Zeit nach dem Konzil: den Folgen für die katholische Kirche, den nicht-ausgeschöpften Potentialen und der heutigen Rolle der katholischen Kirche in Bezug auf die Religionsfreiheit.

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Die Erkenntnisse aus dem Interview werden in das Kapitel über das 2. Vatikanische Konzil eingebettet und bilden einen wichtigen Beitrag zur Beantwortung der Forschungsfragen.

1.4. Vorgehensweise

Zu Beginn der Arbeit steht eine kurze Einführung in das Thema der Religionsfreiheit, um für die Arbeit wichtige Aspekte und Definitionen zu bestimmen. Dabei werden zuerst die Dimensionen der Religionsfreiheit dargestellt, die eine Klassifizierung auflisten und in weiterer Folge in der Diskussion um die Einstellung der katholischen Kirche zur Religionsfreiheit relevant sind. In Kapitel 2.2 folgt eine kurze Beschreibung der Einordnung der Religionsfreiheit als Menschenrecht und der Unterschied zum reinen Toleranzprinzip. Das Ende des Kapitels steht im Zeichen des Aufzeigens der Grenzen der Religionsfreiheit mit Beispielen, wie die Religionsfreiheit mit anderen Rechten teilweise in Konflikt gerät.

Das Kapitel 3 beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Kirche und Staat anhand von drei ausgewählten Beispielen. Die drei Länder sind die USA, Frankreich und Österreich. Zu Beginn jedes Unterkapitels wird die historische Entwicklung der Länder seit Beginn der gesetzlichen Anerkennung der Religionsfreiheit skizziert.

Darauf aufbauend wird jeweils eine länderspezifische Problemstellung bezüglich der Religionsfreiheit aufgezeigt. Am Ende jedes Unterkapitels wird die geschichtliche Entwicklung der katholischen Kirche in den ausgewählten Ländern präsentiert und welche Stellung die Kirche in den jeweiligen Epochen einnahm.

Im 4. Kapitel werden die päpstlichen Enzykliken und Schreiben seit dem Ende des 18.

Jahrhunderts analysiert und auf die Themen Religionsfreiheit und Trennung von Kirche und Staat hin untersucht. Die Sicht der Päpste in Bezug auf diese zwei Punkte wird bis zum 2. Vatikanischen Konzil betrachtet.

Das 5. Kapitel widmet sich dem 2. Vatikanischen Konzil und dessen Folgen. In Kapitel 5.1 wird zunächst die Situation kurz vor dem Konzil erläutert und auf die Faktoren, die zur Einberufung des Konzils geführt haben, sowie auf die Diskussion ob das Konzil als Kontinuität oder Diskontinuität der kirchlichen Entwicklung gesehen werden soll eingegangen. Kapitel 5.2 beschreibt die Entwicklung des Konzils und charakterisiert zu Beginn die beiden Konzilspäpste und deren Beitrag zum Konzil.

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Einen wichtigen Teil des Kapitels nimmt die Diskussion über die Bedeutung von Dignitatis Humanae für die katholische Kirche ein. In Kapitel 5.3 werden die Folgen des Bekenntnisses zur Religionsfreiheit für die katholische Kirche betrachtet. Dabei soll die Entwicklung bis heute dahingehend näher analysiert werden, indem nicht- ausgeschöpfte Potentiale benannt werden. Den Schluss des Kapitels rundet die Auseinandersetzung mit der heutigen Rolle der Katholischen Kirche in Fragen der Religionsfreiheit ab. Dieses Kapitel stützt sich primär auf den Erkenntnissen des Experteninterviews.

Im 6. und letzten Kapitel werden die Erkenntnisse der vorangegangenen Kapitel zusammengefasst und ein gesamtheitlicher Überblick der analysierten Materie geschaffen.

2. Religionsfreiheit

Eine Einführung in das Thema Religionsfreiheit könnte aufgrund der Vielschichtigkeit des Begriffes und der praktischen Umsetzung genügend Material für eine eigene Arbeit anbieten. Dennoch wird hier versucht, einige relevante Aspekte zu beleuchten, um insbesondere die nachfolgende Betrachtung des Kirche-Staat- Verhältnisses und der Religionsfreiheit aus Sicht der katholischen Kirche seit der Aufklärung besser erfassen zu können.

Religionsfreiheit nahm in der europäischen Geschichte abhängig von Raum und Zeit unterschiedliche Formen an. War im Mailänder Edikt von 313 noch die Rede von der Freiheit der Religion, so ist die Bevorzugung des Christentums und die Unterdrückung anderer Religionen im europäischen Mittelalter nicht diesem Grundsatz gefolgt. Die Verflechtung von Kirche und politischem Staatsgebiet setzte sich auch im Zuge der Reformation und des „Cuius regio, eius religio“ – Prinzips im 16. Jahrhundert fort (Brieskorn, 2008). Allerdings brachten dieses Prinzip und der Augsburger Religionsfrieden von 1555 die ersten Ansätze von Gewissensfreiheit mit sich. Diese Entwicklung spiegelt sich auch im Westfälischen Frieden von 1648 wieder, indem nach einer Phase intensiver Religionskriege die Gewissensfreiheit in Bezug auf die persönliche Religionswahl erwähnt wird. Jedoch galt diese Regelung keineswegs in allen vormals rivalisierenden Gebieten, sodass es weiter zu

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Verfolgungen aufgrund anderer Religionszugehörigkeit kam. Im 17. und 18.

Jahrhundert vollzog sich eine signifikante Änderung. Allmählich begannen die Staaten zu erkennen, dass die Überzeugungen der unterschiedlichen (christlichen) Glaubensrichtungen nebeneinander in einem politischen Gebilde Platz haben sollten.

Der Grad der Toleranz und der Umfang der Privilegien für eine Glaubensrichtung blieb jedoch weiterhin von Staat zu Staat unterschiedlich1. Die aufklärerischen Ideale dieser Zeit führten immer wieder zu Spannungen mit der Katholischen Kirche, die den Vorstellungen des Liberalismus klar negativ gegenüberstand (Campenhausen, 1971).

2.1. Dimensionen der Religionsfreiheit

Der historische Exkurs hat gezeigt, dass ein Bekenntnis zur Religionsfreiheit ein langer Prozess war. Ein Blick auf die heutigen Kontroversen rund um das Thema Burkaverbot beispielsweise macht deutlich, dass die Auseinandersetzung mit Fragen der Religionsfreiheit eine weiterhin aktuelle ist. Obwohl die Religionsfreiheit von vielen Verfassungen – wie in Kapitel 3 zu sehen sein wird – garantiert wird, muss zuerst die Frage geklärt werden, ob der Schutzbereich im jeweiligen Fall überhaupt eröffnet ist.

Zunächst ist zu betonen, dass die Religionsfreiheit nicht nur auf der individuellen Ebene verstanden werden darf, sondern die Freiheit einschließt, sich in Religionsgruppen zusammenzuschließen und Institutionen zur Religionsausübung zu gründen. Diese Mehrdimensionalität von Religionsfreiheit wird in Abbildung 1 dargestellt.

1 vgl. Kapitel 3 bei der Analyse der ausgewählten Länderbeispiele

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Abbildung 1: Dimensionen von Religionsfreiheit

Quelle: De Neve (2013)

Historisch betrachtet, ist die Herausbildung und Garantie von individueller Religionsfreiheit ein neueres Phänomen als die der institutionellen Religionsfreiheit, obwohl eine Trennung dieser beiden Arten in der Realität schwierig zu vollziehen ist.

Jedoch ist anzumerken, dass durch die Erwähnung der Religionsfreiheit in den internationalen Dokumenten nach dem 2. Weltkrieg der individuelle Aspekt stark herauszulesen ist. Die institutionelle Religionsfreiheit wurde schon zu früheren Zeiten einigen Kirchen oder Religionsgruppen durch den Staat garantiert, mit dem das Verhältnis zwischen Staat und Kirche geregelt werden sollte (Jarlert, 2013).

Die individuelle Religionsfreiheit kann allgemein in vier Bereiche unterteilt werden:

Glaubensfreiheit, Bekenntnisfreiheit, Freiheit der Religionsausübung und religiöse Vereinigungsfreiheit. Die Basis der individuellen Religionsfreiheit bildet die Glaubensfreiheit, die jedem Individuum die Freiheit einräumt, religiöse Überzeugungen zu besitzen. Die Bekenntnisfreiheit geht einen Schritt weiter und ermöglicht den Individuen ihre religiösen Überzeugungen den Mitmenschen mitzuteilen oder durch Symbole zu kennzeichnen, ohne dabei mit negativen Konsequenzen rechnen zu müssen. Eng damit verbunden ist die Freiheit der Religionsausübung. Die Individuen sollen dadurch in ihrer alltäglichen Lebensweise ihre spezifischen religiösen Vorschriften anwenden dürfen, ohne dabei gehindert zu werden. Neben alltäglichen Situationen gehören aber auch die Vorstellungen über richtiges Handeln in Extremsituationen wie Tod, Leiden und Erkrankung in diesen schützenswerten Bereich. Es muss jedoch erwähnt werden, dass die Freiheit der Religionsausübung nicht in die Rechte anderer eingreifen darf und ein besonderes Spannungsverhältnis entsteht, wenn dieses Recht sich im Widerspruch zu einem

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anderen Recht verhält. Zur Religionsausübung gehört schlussendlich auch die Freiheit, sich religiösen Vereinigungen anzuschließen. Obwohl der Zweck dieses Rechts ein kollektives Zusammenkommen ist um religiöse Praktiken in der Gemeinschaft zu vollziehen, ist der Träger dieses Rechts das Individuum. Dieses Individualrecht spielt eine entscheidende Rolle sowohl für die Person selbst als auch für die Religionsgemeinschaft. Eine Ausübung der christlichen oder islamischen Religion ohne der Möglichkeit einer Vereinigung beizutreten ist im Selbstverständnis der jeweiligen Religionen nicht enthalten. Deshalb wird der religiösen Vereinigungsfreiheit große Bedeutung in Fragen der Religionsfreiheit beigemessen (Witschen, 2013).

Im Gegensatz zur individuellen Religionsfreiheit steht in der institutionellen Religionsfreiheit nicht mehr das Individuum selbst im Mittelpunkt, sondern die religiöse Institution z.B. die katholische Kirche. Durch diese Freiheit werden den Institutionen gewisse Rechte eingeräumt, ihre Regeln und Bestimmungen selbst aufzustellen und dabei nicht vom Staat gehindert zu werden. Denkt man an die katholische Kirche, so obliegt dieser die Festlegung der Organisationsstruktur, der Voraussetzungen für die Zugehörigkeit, die Auswahl der Amtsträger sowie die autonome Verwaltung der Finanzen. Doch die institutionelle Religionsfreiheit geht in vielen Fällen über dieses Recht der Selbstbestimmung hinaus und greift in gesellschaftliche Bereiche ein. So ist das klassische Beispiel der Erziehung und Bildung zu nennen, wo religiösen Institutionen das Recht eingeräumt wird, eigene Schulen zu betreiben oder theologische Fakultäten an staatlichen Universitäten vorhanden sind. Ob so eine Kooperation zwischen Staat und Kirche besteht, hängt vom jeweiligen Staatskirchenrecht und der verfassungsmäßigen Bestimmung über das Verhältnis von Kirche und Staat zusammen (Witschen, 2013).

Dieses Verhältnis von Kirche und Staat sowie die Frage nach dem Ausmaß der individuellen bzw. institutionellen Religionsfreiheit führen zu gewissen Problemstellungen. Zum einen steht der Staat vor der Herausforderung den Begriff

„Religion“ zu definieren. Allein durch diese Definition kann es zur Exklusion einiger Individuen kommen, die ihre individuelle Religionsfreiheit nicht in vollem Umfang ausleben können. Im gleichen Sinne kann die institutionelle Religionsfreiheit einigen Gemeinschaften verweht bleiben, wenn sie beispielsweise nicht als religiöse Bekenntnisgemeinschaft anerkannt werden. In welchem Ausmaß die individuelle

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bzw. institutionelle Religionsfreiheit vom Staat gewährleistet wird, hängt auch davon ab, inwiefern die Religionsgemeinschaft selbst eher die individuellen Glaubensvorstellungen in den Mittelpunkt stellt oder die Relevanz der Institution und deren Wirken hervorhebt (Jarlert, 2013).

Wie vorher schon erwähnt, ist der Aktionsradius einer Religionsgemeinschaft in manchen Fällen nicht nur auf die Organisation selbst beschränkt, oft gibt es Interaktionen mit gesellschaftlichen Sphären. So ist beispielsweise die Kirche in Österreich ein wichtiger Akteur in der Seelsorge, bei sozial-karitativen Tätigkeiten (Sozialhilfe, Jugendwohlfahrt, Entwicklungszusammenarbeit etc.) und auch im Bildungs- und Gesundheitssystem (Potz & Schinkele, 2007).

Die staatliche Gewährleistung und Förderung von individueller und/oder institutioneller Religionsfreiheit hängt also vom Staatskirchenrecht der einzelnen Länder ab und wird anhand von ausgewählten Beispielen ausführlicher in Kapitel 3 behandelt.

2.2. Religionsfreiheit als Menschenrecht und das Toleranzprinzip

Die Religionsfreiheit wird neben anderen Rechten in vielen internationalen Dokumenten oder Vereinbarungen als Menschenrecht angeführt. An dieser Stelle soll daher ein kurzer allgemeiner Exkurs in die Menschenrechte allgemein vollzogen werden, um zu illustrieren, welche Bedeutung die Religionsfreiheit im Gefüge der Menschenrechte hat.

Einen genauen Beginn der Menschenrechtsgeschichte auszumachen, fällt sehr schwer und soll auch nicht unternommen werden. Auch hat die Menschenrechtsgeschichte keineswegs eine lineare Entwicklung vollzogen, bei der die Durchsetzung der Menschenrechte im Zeitverlauf eine immer größere Rolle einnahm. Um nur einige Dokumente zu nennen, die als Meilensteine zur Entwicklung der Menschenrechte geführt haben: die Magna Charta von 1215, die Habeas-Corpus-Akte von 1679, die Bill of Rights von 1689, die Virginia Bill of Rights von 1776 sowie die Französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789. Dass diese Zugeständnisse an Menschenrechte nicht immer eingehalten wurden, sollte sich am eindrucksvollsten im 1. und 2. Weltkrieg zeigen. Geprägt von diesen Ereignissen, beschloss die

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internationale Staatengemeinschaft, eine Organisation zu gründen, deren Ziel die Erhaltung des Weltfriedens ist. Die Gründung der Vereinten Nationen und die Ausarbeitung der Erklärung der Menschenrechte von 1948 waren somit ein sehr wichtiger Beitrag zur universellen Anerkennung der Menschenrechte (Fremuth, 2015).

Obwohl die Vereinten Nationen durch gewisse Mechanismen wie den UN- Sicherheitsrat oder durch Friedensmissionen zur Durchsetzung und zum Schutz der Menschenrechte beitragen können, obliegt die primäre Verantwortung für Durchsetzung und Schutz den einzelnen Staaten. Internationale Dokumente wie der UN-Zivilpakt rufen die einzelnen Staate dazu auf, die Menschenrechte in nationales Recht umzusetzen, einen Rechtsschutz zu gewährleisten wird und diesbezüglich effektive Institutionen (z.B. Gerichte) zu schaffen, um Beschwerden gegen die Verletzung von Rechten behandeln zu können. Die Realität ist in vielen Gegenden jedoch anders, als dies von Organisationen wie den Vereinten Nationen gefordert wird. Massive Menschenrechtsverletzungen stehen in vielen Ländern noch immer an der Tagesordnung (Fremuth, 2015).

Die Religionsfreiheit hat in vielen internationalen sowie regionalen Menschenrechtsdokumenten Eingang gefunden2. Ein bedeutendes Dokument indem die Religionsfreiheit als Menschenrecht anerkannt wird, ist die schon erwähnte Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948. Darin heißt es in Artikel 18:

„Jeder hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht schließt die Freiheit ein, seine Religion oder seine Weltanschauung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder seine Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Kulthandlungen zu bekennen.“

Wenn von der Religionsfreiheit als Menschenrecht die Rede ist, muss zunächst geklärt werden, wer Träger dieses Rechts ist. Bielefeldt (2008, S. 65) konstatiert hierzu: „Subjekte der Religionsfreiheit sind nicht bestimmte Religionen oder Weltanschauungen als solche, sondern die Menschen, deren freie Selbstbestimmung in religiösen Fragen rechtliche Anerkennung finden soll.“ Unter diesem Aspekt wird 2 Artikel 18 VN-Zivilpakt, Artikel 9 Europäische Menschenrechtskonvention, Artikel 12 Amerikanische Menschenrechtskonvention, Artikel 8 Afrikanische Charta der Menschenrechte („Banjul-Charta“) u.v.m.

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verdeutlicht, dass mit der Religionsfreiheit als Menschenrecht nicht die Religionen geschützt werden, sondern die Menschen als Individuen in ihrem Bedürfnis nach Religiosität. Dieser Umstand stellt auch eines der Charakteristika von Menschenrechten dar, nämlich das der individuellen Rechte. Daneben finden sich noch zwei weitere Charakteristika: die universalen Rechte und die gleichen Rechte.

Wenn von Menschenrechten die Rede ist, dann ist aufgrund des Merkmales „Mensch“

jedes Individuum Träger dieser Rechte. Dass Menschenrechte auch gleiche Rechte sind, geht von der Prämisse aus, dass nicht nur alle Menschen diese Rechte beanspruchen können, sondern diese in vollem Umfang und gleicher Weise genießen (Witschen, 2013a).

Betrachtet man die Inhalte der Menschenrechte, so ergeben sich daraus einige Merkmale, die sie von anderen Rechten unterscheiden und in ihrer Gesamtheit das Wesen der Menschenrechte ausmachen. Diese Merkmale sind (Witschen, 2013a):

Angeborene Rechte

Fundamentale Rechte

Allgemeingültige Rechte

Unteilbare Rechte

Gleichgewichtige Rechte

Unveräußerliche Rechte

Unverlierbare Rechte

Tiedemann (2012) betont in diesem Zusammenhang, dass Menschenrechte als fundamentale Rechte deshalb so relevant sind, weil damit die Identität und Authentizität des Individuums geschützt wird. Ob die Religionsfreiheit somit als Menschenrecht verstanden werden kann, hängt davon ab, ob der Verlust dieses Rechts zu einer Störung oder Wegfall der persönlichen Identität und Authentizität führt.

Bielefeldt (2008) argumentiert hierzu, dass die Religionsfreiheit weitestgehend als Menschenrecht akzeptiert ist, aber Debatten und verschiedene Ansichten über die Auslegung und den Umfang dieses Rechts damit keineswegs vollständig ausgeräumt sind.

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Durch die Anerkennung der Religionsfreiheit als Menschenrecht ist eine Trias menschenrechtlicher Pflichten verbunden: die Religionsfreiheit achten, die Religionsfreiheit schützen und die Religionsfreiheit gewährleisten (Witschen, 2013).

Im Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wird insbesondere die individuelle Religionsfreiheit betont und die in Kapitel 2.1 erwähnten Bereiche der individuellen Religionsfreiheit angesprochen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob es für einen Staat ausreicht die religiöse Ausübung der Menschen zu tolerieren oder ob die Religionsfreiheit als Menschenrecht mehr ist als ein Toleranzprinzip.

Eine Erklärung, weshalb diese Unterscheidung wichtig ist, liefert Paul Tiedemann in seinem Buch „Religionsfreiheit – Menschenrecht oder Toleranzgebot?“. Dabei stellt er fest: „Menschenrechte haben also nicht die Bedürfnisse des Staates, der Mehrheit, oder einflussreicher gesellschaftlicher Gruppen zum Gegenstand, sondern die Bedürfnisse des einzelnen menschlichen Individuums. Sie dienen dem Schutz der Minderheit vor der Mehrheit und nicht, wie das Toleranzgebot, dem Schutz der Mehrheit vor der Minderheit. Es liegt auf der Hand, dass dieser Ansatz einen anderen Religionsbegriff verlangt als ein bloßes Toleranzgebot (Tiedemann, 2012, S. 20).“

Um diese zwei verschiedenen Sichtweisen und ihre Beziehung zu verdeutlichen, soll auf die Erkenntnisse von Marianne Heimbach-Steins’ Buch „Religionsfreiheit – Ein Menschenrecht unter Druck“ zurückgegriffen werden. Darin wird u.a. die Frage aufgeworfen, ob das Freiheitsrecht einem Toleranzprinzip in Bezug auf Religionsfreiheit weichen soll. Ihre Kritik widmet sich insbesondere gegen die Forderungen, die Religionsgemeinschaften dürfen keinen Anspruch auf Einfluss in der Gesellschaft haben, die Staatsneutralität3 könne auch so ausgelegt werden, dass keine vollkommene Gleichbehandlung der Religionsgemeinschaften gewährleistet wird und letztlich solle die staatliche Toleranz an Stelle des Individualgrundrechts treten. Wenn nämlich die Toleranz als Staatsprinzip vorherrscht, dann besteht keine Rechtsverpflichtung auf Seiten des Staates und dieser kann nach eigenem Ermessen entscheiden, wie viel Raum zur Entfaltung der Religionsgemeinschaften geboten wird. Ein Recht auf Religionsfreiheit gestaltet sich demgegenüber anders. Hier hat der Staat die Aufgabe, die Trias menschenrechtlicher Pflichten (achten, schützen und 3 vgl. Witschen (2013): Religionsfreiheit und Kirche, Kapitel IV: Die Leitidee staatlicher Neutralität

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gewährleisten) umzusetzen. Ein sehr wichtiger Aspekt bei der Forderung nach dem staatlichen Toleranzprinzip wird außerdem vernachlässigt, nämlich die institutionelle Religionsfreiheit. Wie im vorherigen Kapitel erläutert, besteht die Religionsfreiheit nicht nur aus der Gewährung von Glaubens-, Bekenntnis-, Religionsausübungs- und Vereinigungsfreiheit, sondern auch der Konzession gewisser Rechte für die religiösen Institutionen selbst. Diese Berücksichtigung der institutionellen Religionsfreiheit scheint also durch das Menschenrecht besser abgedeckt zu sein als durch das Toleranzprinzip. Heimbach-Steins plädiert für die Religionsfreiheit als Menschenrecht und für die Toleranz als Menschen- und Bürgertugend. Letztere unterstützt den Prozess, ein friedliches Miteinander der verschiedenen Religionsgemeinschaften in einem Staat zu sichern.

Zusammenfassend kann die Debatte betreffend dem Toleranzprinzip und der Religionsfreiheit mit den Worten von Bielefeldt (2006, S. 67) festgehalten werden:

„Während die Toleranz obrigkeitlich gewährt (oder auch versagt) wurde, bezeichnet die Religionsfreiheit einen unveräußerlichen Rechtsanspruch der Menschen; während sich die Toleranz auf einen begrenzten Kreis religiöser Gruppen erstreckte, ist der Anspruch der Religionsfreiheit universalistisch gedacht; und während im Rahmen einer Politik religiöser Toleranz Rangabstufungen zwischen unterschiedlichen Religionsgemeinschaften möglich bleiben, ist das Menschenrecht auf Religionsfreiheit mit diskriminierungsfreier Gewährleistung verbunden.“

2.3. Grenzen der Religionsfreiheit

Nicht wenige Problemstellungen ergeben sich durch die unterschiedlichen Kirche- Staat-Beziehungen in Europa und weltweit und dem Thema der Religionsfreiheit. So ist etwa die aktuelle Diskussion um ein Burkaverbot in vielen europäischen Ländern4 mit der Frage verbunden, wo die Grenzen der Religionsfreiheit liegen und wo sie mit anderen Rechten oder kulturellen Normen kollidiert. Die Diskussion um die Grenzen der Religionsfreiheit kann auf vielen Ebenen betrachtet werden, da die Rahmensetzung von den jeweiligen staatlichen Verfassungen einerseits und durch die Judikatur andererseits abhängt. An dieser Stelle sollen nur einige ausgewählte 4 vgl. dazu https://kurier.at/politik/ausland/wo-die-burka-in-europa-bereits-verboten- ist/216.524.862

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Beispiele dazu dienen, die Problematik der Kollision von Religionsfreiheit mit anderen Grund- und Menschenrechten zu veranschaulichen. Dabei wird zunächst auf die inhaltliche Ebene der Grenzen der Religionsfreiheit eingegangen und im Anschluss die Grenzen der Religionsfreiheit aus organisationsrechtlicher Sicht behandelt.

Einen Anhaltspunkt für die Beschränkung von Religionsfreiheit bietet u.a. die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Hier wird in Artikel 9 Absatz 2 festgehalten:

„Die Religions- und Bekenntnisfreiheit darf nicht Gegenstand anderer als vom Gesetz vorgesehener Beschränkungen sein, die in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral oder für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer sind (EMRK, 1950).“

Die Religionsfreiheit schwebt somit nicht in einem (Rechts-)Raum ohne Grenzen, sondern kann auf Berufung der obengenannten Begriffe eingeschränkt werden. Die Bestimmung ob und inwieweit die Religionsfreiheit einzugrenzen ist, obliegt den einzelnen Staaten bzw. Gerichten. Im Folgenden sollen einige Debatten über die Grenzen der individuellen Religionsfreiheit präsentiert werden.

Ein klassisches Beispiel ist die Debatte Religionsfreiheit vs. Meinungsfreiheit. Der Streit um die Mohammed-Karikaturen im Jahr 20065 hat gezeigt, dass in einem säkularen Staat, der die Religionsfreiheit anerkennt, Spannungsfelder entstehen können. Die Front jener, die sich durch die freie Meinungsäußerung in ihren religiösen Gefühlen verletzt fühlten, stand jener gegenüber, die in der Meinungsfreiheit auch ein Recht zur Religionskritik sahen. Es sei an dieser Stelle nochmals darauf hingewiesen, dass die Religionsfreiheit nicht die Religionen schützt, 5 vgl. Tinnefeld, M.-T. (2008): Der Karikaturenstreit im säkularisierten Staat : wie weit reichen Meinungsfreiheit und Toleranz? In: Schweighofer, E. (Hrsg.):

Komplexitätsgrenzen der Rechtsinformatik. Tagungsband des 11.

Internationalen Rechtsinformatik-Symposions. S. 473 - 482

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sondern die Individuen als Träger dieses Rechts. Die Forderung nach einer Einschränkung der freien Meinungsäußerung aufgrund der Diffamierung einer Religion, hat somit keine Grundlage im Menschenrechtskontext. Auch abseits der Diskussion um Menschenrechte stellt sich die berechtigte Frage, ob eine Begrenzung der Meinungsfreiheit zu Zwecken einer Unterlassung von Gefühlsverletzungen mit einer pluralistischen Gesellschaft vereinbar ist (Heimbach-Steins, 2012).

Betrachtet man die Judikatur in einem Staat, so verfolgt diese nicht immer eine klare Linie, wenn es um die Begrenzung der individuellen Religionsfreiheit geht. Das Schweizer Bundesgericht musste sich beispielsweise mit den Themen Kruzifixe6 und Kopftücher7 in öffentlichen Schulen und der Praxis der Feiertagsdispense8. Dabei kamen zwei Zugangsweisen zum Vorschein: entweder entschied sich das Gericht für die (öffentliche) Ordnung und den Neutralitätsgedanken des Staates (im Falle der Kruzifixe und Kopftücher in den öffentlichen Schulen) und gegen die persönliche Freiheit, oder für die individuelle Religionsfreiheit (im Falle der Feiertagsdispense) und gegen das Einschreiten des Staates (Altermatt, Delgado & Vergauwen, 2006).

Der Eingriff des Staates in die individuelle Religionsfreiheit muss nach Möglichkeit gewissen Maßstäben folgen und nicht willkürlich betrieben werden. Heckel (1997) argumentiert in diesem Zusammenhang, dass ein Eingriff einem gewissen Ziel folgen und sich als geeignet, erforderlich und verhältnismäßig erweisen muss. Wird durch den Eingriff ein Schritt Richtung Zielerreichung vollzogen, so ist die Maßnahme geeignet. Das Prinzip der Erforderlichkeit trifft zu, wenn kein milderes Mittel vorhanden ist, um das gleiche Ergebnis zu erreichen. Schlussendlich fordert die Verhältnismäßigkeit, dass kollidierende Rechtsgüter, die Intensität des Eingriffs und die Sicherstellung des Rechtsschutzes analysiert werden und dabei behutsam vorgegangen wird. Generell kann jedoch festgestellt werden, dass ein staatlicher Eingriff in die Glaubensfreiheit nicht kompatibel mit der Forderung nach individueller Religionsfreiheit ist, ein Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung unter Umständen aber durchaus erfolgen kann.

6 vgl. BGE 116 Ia 252 = Pra 1992 Nr. 72 7 vgl. BGE 123 I 296 = Pra 1998 Nr. 47 8 vgl. BGE 114 Ia 129, 117 Ia 311

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Die Grenzen der institutionellen Religionsfreiheit können aus zwei Perspektiven betrachtet werden. Einerseits können den Religionsgemeinschaften wenige Rechte zugesprochen werden und dadurch kommt es zur Begrenzung der institutionellen Religionsfreiheit (z.B. in laizistischen Staaten). Andererseits ist es möglich, dass einer oder wenigen Religionsgemeinschaften überdurchschnittlich viele Rechte zugesprochen werden und damit Fragen nach der Diskriminierung anderer Religionsgemeinschaften und Kollision mit pluralistischen Vorstellungen einer offenen Gesellschaft aufkommen (z.B. Länder mit Staatskirchen). Diese beiden Sichtweisen werden nun anhand der Länder USA, Frankreich und Österreich in Kapitel 3 behandelt.

3. Das Verhältnis von Staat und Kirche seit der Auflärung anhand von ausgewählten Beispielen

3.1. Kirche und Staat in den USA

Eine historische Betrachtung der Religionsfreiheit und des Kirche–Staat–

Verhältnisses ist ohne die Erwähnung der US-amerikanischen Verfassung und deren progressivem Zugang zu vielen gesellschaftlichen Sphären lückenhaft. Die amerikanische Verfassung ist auch deshalb relevant, weil einige Passagen in weiterer Folge von europäischen Philosophen und Politikern übernommen und somit auch für Europa eine entscheidende Rolle gespielt haben.

Derek H. Davis (2005) macht darauf aufmerksam, dass die Kirche – Staat – Beziehung in den USA auf den ersten Blick sehr verwirrend aussehen mag und dies durch die oft widersprüchlich erscheinende Judikatur des Obersten Gerichtshofes untermauert wird. Um dieses sehr komplexe System zu verstehen empfiehlt er, drei Gesetzmäßigkeiten zu betrachten, die zwar unterschiedlich sind, aber dennoch Berührungspunkte aufweisen. Diese drei Gesetzmäßigkeiten sind: Trennung von Kirche und Staat, Integration von Religion und Politik und Akkommodation der Zivilreligion.

Trennung von Kirche und Staat

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Ein sehr wichtiges Element des Kirche – Staat – Verhältnisses stellt die Trennung dieser zwei Bereiche dar. Diese Trennung darf jedoch nicht im strikten Sinne verstanden werden, denn die Realität in den USA bietet ausreichend Hinweise darauf, dass sogar im öffentlichen Raum und bei den Staatsbehörden religiöse Symbole zu finden sind. Eine zielführendere und genauere Beschreibung geht von einer institutionellen Trennung von Kirche und Staat aus. Das bedeutet, „dass die Institutionen von Kirche und Staat in der amerikanischen Gesellschaft nicht miteinander verbunden sind, voneinander abhängen oder funktional aufeinander bezogen sind. Der Zweck dieser Forderung ist es, gegenseitige Unabhängigkeit und Autonomie für die Institutionen zu erreichen (Davis, 2005, S. 169).“ Nichtsdestotrotz entstehen immer wieder Berührungspunkte zwischen Staat und kirchlichen Institutionen, so etwa bei Fragen der religiösen Bildung in öffentlichen Schulen (Davis, 2005). Dennoch wird der verfassungsmäßige Grundsatz befolgt, dass keine Staatsreligion etabliert werden darf und das spiegelt sich auch in den öffentlichen Schulen wieder, wo zwar über Religionen unterrichtet werden kann und etwa deren historischer und kultureller Beitrag betrachtet wird, aber kein Religionsuntrrichtet gestattet wird (Anti-Defamation League, 2012).

Integration von Religion und Politik

Davis (2005) argumentiert, dass eine strikte Trennung von Kirche und Staat nicht mit der amerikanischen Realität einhergeht, die religiösen Personen und Gruppen erlaubt, sich politisch zu äußern und Einfluss auf die Gesetzgebung auszuüben. Dieses Recht wurde auch durch den Obersten Gerichtshof ausdrücklich bestätigt9. Im Vordergrund steht also die demokratische Teilhabe in der Gesellschaft – für religiöse sowie säkulare Personen und Gruppen. Das bedeutet, dass den religösen Gruppen durchaus Raum geboten wird sich auch politisch zu äußern, aber der Gesetzgebungsprozess frei von religiösem Einfluss ist. Der amerikanische Staat ist deshalb für Davis ein liberaler und weniger ein religiöser, denn die Verstrickung zwischen Religion und Politik erreicht nicht die Regierung und die Gesetzgebung. Als Beispiel für die Integration von Religion und Politik kann die religiöse Einstellung des Präsidenten gesehen werden. Von einem Präsidenten wird generell erwartet, dass er seine religiösen

9 vgl. Walz v. Tax Commission, 397 U. S. 664 (1970) und McDaniel v. Paty, 435 U.

S. 618 (1978), S. 640

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Ansichten darlegt und sie lebt, aber trotzdem säkular im Sinne der Verfassung als Präsident agiert (Davis, 2005).

Akkommodation der Zivilreligion

Obwohl der individuelle Aspekt der Glaubensüberzeugung ein wesentlicher Faktor in den USA ist, bedeutet dies nicht, dass die öffentliche Sphäre frei von religiösen Symbolen und Ritualen ist. Dabei spielt der Ausdruck „Zivilreligion“ eine entscheidende Rolle. Zivilreligion ist „eine Form von Religion, die dem nationalen Zusammenleben einen geheiligten Sinn verleiht. Sie ist eine Art theologisches Bindemittel, das die Nation durch die Verknüpfung des Politischen mit dem Transzendenten zusammenhält. Zivilreligion ist für Amerikaner eine Möglichkeit, die Souveränität Gottes über ihre Nation anzuerkennen, ohne darüber in theologische Meinungsverschiedenheiten zu verfallen (Davis, 2005, S. 176).“ Beispiele für die Anwendung der Zivilreligion sind z.B. das auf der US-Währung enthaltene „In God We Trust“ und die Erwähnung Gottes im Fahneneid sowie in politischen Reden („God bless America“) (Davis, 2005).

3.1.1. Historische Entwicklung

Um das System der drei Gesetzmäßigkeiten, Trennung von Kirche und Staat, Integration von Religion und Politik und Akkommodation der Zivilreligion, besser zu verstehen, bedarf es deren Betrachtung im historischen Kontext. Der Beginn der religiösen Geschichte der USA soll vor der Unabhängigkeit im Jahre 1776 angesetzt werden, da es für die weitere historische Betrachtung wichtig ist, die Vorgeschichte und deren Auswirkung auf die Entstehung der USA kurz zu skizzieren.

Im Bewusstsein vieler Amerikaner herrscht die Meinung vor, die „Pilgrim Fathers“ – eine Gruppe religiös Verfolgter – mussten aufgrund ihrer Überzeugungen aus England fliehen und fanden in Amerika ein Land vor, wo sie ihren Glauben ausleben konnten.

Dass ein Teil des „Pilgrim-Mythos“ der Wahrheit entspricht und die Puritaner sich gegen die Kirche in England wandten, ist wohl nicht zu leugnen (Tietz, 2012). Die Frage, inwiefern dieses Bild benutzt werden kann um das Selbstverständnis einer religiös offenen Gesellschaft zu untermauern und sich damit bewusst von der europäischen Religionsgeschichte abzugrenzen, bedarf aber einer tiefergehenden

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Analyse (Kosmin, B.A. & Lachman, S.P., 1993). Diese Puritaner kennzeichneten sich neben der Ablehnung einer Staatskirche auch als Kongregationalisten aus. Das bedeutet, dass die Autonomie einer Kirchengemeinde einen sehr hohen Stellenwert hat und der calvinistische Glaube in dieser Gemeinde auch gelebt werden muss.

Andere Religionsgemeinschaften, selbst jene mit protestantischer Konfession, wurden nicht geduldet. Doch die Puritaner waren im 17. Jhd. nur eine von mehrere christlichen Religionsgemeinschaften in den USA. In den Neuengland-Kolonien folgte man etwa diesen strikten Glaubensvorstellungen nicht und entwickelte andere Formen des religiösen Zusammenlebens. Auch Gebiete mit stark katholischen Einflüssen, wie z.B. Maryland, konnten sich zu dieser Zeit herausbilden. Eine grundlegende Einstellung der „Pilgrim-Fathers“ war, dass Religion und Wahrheit ihre Quelle in der inneren Überzeugung haben und kein staatlicher Zwang religiöse Dogmen aufstellen soll (Hauschild, 1999). Vor der Unabhängigkeit kann die Lage so beschrieben werden, dass in den meisten ehemaligen Kolonien eine etablierte Kirche dominant war. Neben den Puritanern war in den anderen Kolonien meist die anglikanische Kirche vorherrschend. Jedoch gab es auch Kolonien, die eine sehr durchmischte Religionszugehörigkeit aufwiesen bzw. in denen die Etablierung einer Kirche nicht vorhanden war (Reichley, 2002).

Eine Zäsur in der Entwicklung der Religionsfreiheit auf dem Gebiet der heutigen USA stellte die Unabhängigkeit Amerikas von England dar. Die sogenannten

„Founding Fathers“ - Politiker zur Zeit der Amerikanischen Unabhängigkeit - waren in ihren politischen Idealen und Grundsätzen stark von den aufklärerischen Ideen beeinflusst. Dieser Geist der Aufklärung sowie der Umstand, dass auf einem geographisch kleinen Gebiet viele verschiedene Religionsgemeinschaften präsent waren, trug dazu bei, eine Staatskirche nach europäischem Vorbild abzulehnen.

Thomas Jefferson, dritter Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, drängte schon früh in seinem Heimatstaat Virginia auf ein Gesetz zur Etablierung von Religionsfreiheit10. Als gewählter Präsident bezog er offen Stellung als klarer Befürworter der Religionsfreiheit und löste durch die Forderung einer „Mauer der Trennung zwischen Kirche und Staat“ einige Kontroversen aus. James Madison, Jeffersons Nachfolger als Präsident, sah neben der Einmischung des Staates in

10 vgl. dazu Jefferson, T. (1777): An Act for Establishing Religious Freedom

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religiöse Belange auch die staatliche Finanzierung der Kirche sehr kritisch (Ericksen, 2013).

Somit war es wenig verwunderlich, dass diese Politiker bei der Ausarbeitung der amerikanischen Verfassung die Religionsfreiheit als integralen Bestandteil einbeziehen wollten. Der erste Zusatzartikel (engl. „First Amendment“) der amerikanischen Verfassung nimmt Bezug auf das Verhältnis von Kirche und Staat bzw. Staat und religiös praktizierenden Menschen durch die folgende Formulierung:

„Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof; or abridging the freedom of speech, or of the press; or the right of the people peaceably to assemble, and to petition the government for a redress of grievances (U.S. Constitution, 1791).“

Dieser Zusatzartikel garantiert somit einerseits Das Ausbleiben der einer Staatskirche durch den Kongress und andererseits soll die freie Religionsausübung durch den Kongress nicht beschränkt werden. Diese zwei Bereiche werden in der Judikatur generell als „Establishment Clause“ und „Free Exercise Clause“ bezeichnet. Nicht wenige Fälle gab es, in dem sich der Oberste Gerichtshof mit der Bedeutung und Interpretation dieser beiden „Clauses“ beschäftigt hat und etwa zu entscheiden hatte, wie das Wort „Religion“ zu verstehen ist und wo die Grenzen des „Free Exercise Clause“ sind (Evans, 2010).

Diese klare Formulierung gegen eine Staatskirche, wie sie zu jener Zeit in Europa vorherrschend war, stellte eine Neuheit dar. Doch trotz dieser Neuheit darf nicht der Schluss gezogen werden, dass religionsbezogene Konflikte oder Diskriminierungen aufgrund der Religionszugehörigkeit aus dem Weg geräumt wurden. Die Frage, ob die USA eine christliche Nation sei oder der pluralistische Charakter eine solche Beschreibung obsolet macht, sollte bis in die heutige Zeit Diskussionsthema bleiben.

3.1.2. Christliche Naton und/oder religiöser Pluralismus

Trotz der durchaus progressiven Standpunkte der „Founding Fathers“ darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Mehrheit der Menschen in den 13 Kolonien nach der Unabhängigkeit Christen – genauer gesagt Protestanten – waren. Auch die Art und

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Weise in der die amerikanische Verfassung gedacht und ausformuliert war, kann nicht ohne den Bezug zum Protestantismus ausreichend erklärt werden. Dass die Religionsfreiheit Eingang in die Amerikanische Verfassung fand, war auch der Überlegung geschuldet, einen Konflikt der zahlreichen protestantischen Glaubensrichtungen zu verhindern. Stattdessen sollte die geistige Freiheit in den Vordergrund gestellt werden und damit die persönliche Glaubensüberzeugung und persönliche Erfahrung mit Gott. Religiosität verschwand somit keineswegs aus dem öffentlichen Leben in den USA nach der Unabhängigkeit (Shain, 2010). Zöller (2005, S. 137) beschreibt diesen Prozess als „religiöse Individualisierung“. Darunter versteht er „...dass die Kompetenz zur Beurteilung religiöser Qualifikation auf den einzelnen übergeht.“ In diesem Zusammenhang erläutert er weiter, dass es ein signifikanter Schritt war, die Kontrolle über die Glaubensüberzeugung nicht mehr der Kirche oder Gemeinde zu überlassen, sondern dem Individuum zuzusprechen. Dieser Prozess bewirkte somit eine antiautoritäre Grundhaltung, die prägend für die amerikanische Kultur ist (Zöller, 2015).

Doch nicht zu jedem Zeitpunkt der amerikanischen Geschichte seit der Unabhängigkeit kann von einem Pluralismus heutiger Ausprägung gesprochen werden. Der religiöse Pluralismus in den USA bedarf einer genaueren Analyse wie er zu verschiedenen Zeiten verstanden wurde (Lippy, 2005). Die Voraussetzungen für eine Herausbildung des religiösen Pluralismus in den USA sieht Mead (1963) durch zwei Faktoren gegeben: einerseits fehlte eine religiöse Geschichte wie in Europa, die maßgeblich auf die Politik einwirkte und andererseits begünstigte der riesige Kontinent Ausweichmöglichkeiten für jene, die aufgrund ihrer Glaubensüberzeugung in gewissen Kolonien diskriminiert wurden. Diese Verfolgten konnten gen Westen ziehen und sich dort niederlassen und eine eigene religiöse Gemeinschaft bilden.

Auch Lippy (2005) betont, dass die evangelikale Erweckungsbewegung im 18. Jhd.

mit ihrer Verlagerung der Autorität zum Individuum ein – wenn auch unbeabsichtigter – Meilenstein für die Herausbildung des religiösen Pluralismus war.

Doch lange Zeit wurden andere religiöse Gemeinschaften, wie z.B. die Katholiken, in der Hinsicht diskriminiert, dass ihnen öffentliche Ämter verweigert wurden oder die Einwanderung aus katholischen Ländern begrenzt wurde. Die Dominanz des Protestantismus in der Frühzeit der Amerikanischen Geschichte ist auch der Grund, weshalb bis heute viele die USA als „christliche Nation“ sehen. Der religiöse

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Pluralismus galt also zunächst nur den verschiedenen protestantischen Glaubensrichtungen. Erst allmählich entwickelte sich eine Toleranz gegenüber den Katholiken und auch Juden und ab Mitte des 20. Jhds. kann von einem dreigeteilten Pluralismus gesprochen werden, der die drei Glaubensrichtungen auf eine Ebene stellte11. Mit Einwanderungswellen aus asiatischen, muslimischen und südamerikanischen Ländern in den letzten Jahrzehnten nahm der religiöse Pluralismus die heutige Form an, der die USA vor neue Herausforderungen stellt.

Auch der Oberste Gerichtshof in den USA nahm Ende des 1892 Stellung zu dieser Debatte: „If we pass beyond these matters to a view of American life, as expressed by its laws, its business, its customs, and its society, we find every where a clear recognition of the same truth...These, and many other matters which might be noticed, add a volume of unofficial declarations to the mass of organic utterances that this is a Christian nation (Church of the Holy Trinity vs. Unites States, 143 U.S., S. 471).“ Die amerikanische Lebensweise mit all ihren Elementen (religiöse Praktiken in öffentlichen Einrichtungen, karitative Tätigkeiten von Religionsgruppen, Gemeindemissionen etc.) wird dabei vom Obersten Gerichtshof als Zeichen christlicher Tradition gesehen. Deshalb sei die Schlussfolgerung, die USA sei eine christliche Nation ist, in den Augen des Obersten Gerichtshofs durchaus gerechtfertigt gewesen.

Eine detaillierte Analyse zu dieser Thematik bietet das Buch „A New Religious America: How a „Christian Country“ Has Now Become the World’s Most Religously Diverse Nation“ von Diana L. Eck (2001). Eck behandelt dabei u.a. den Begriff

„From Many, One“ und argumentiert, dass dieses Gefühl des Zusammenhalts und der Einigkeit im Lichte vieler religiöser Glaubensüberzeugungen das staatsbürgerliche Verständnis der Amerikaner ist. Dass die USA und deren Verfassung u.a. vom Christentum geprägt wurde, ist nicht abzuweisen. Jedoch stellt sich heute wie damals die Frage, was unter Christentum zu verstehen ist, denn die Religion selbst kann nicht statisch und eindimensional betrachtet werden. Eck zeichnet dabei drei unterschiedliche Zugänge zum Thema religiöser Pluralismus in den USA. Bis ins 20.

Jhd. hinein war die Strategie der „Exklusivität“ mehr oder weniger intensiv vorherrschend. Dabei ging es primär um die Bewahrung der amerikanischen Kultur 11 vgl. dazu Herberg, W. (1955): Protestant, Catholic, Jew: an essay in American religious sociology. New York: Doubleday & Co

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und Religion durch Einschränkung fremder kultureller und religiöser Einflüsse. Als nächste Phase trat die „Assimilation“ ein, die zur Prämisse hatte, die Grenzen für Einwanderer zu öffnen, aber eine Anpassung dieser Einwanderer an die amerikanische Kultur nach gewisser Zeit zu erfolgen hat. Dieser Ansatz geht zwar davon aus, dass ein gewisser kultureller Mix bzw. ein „melting pot“ begrüßenswert ist, aber zu viele Unterschiede vermieden werden sollten und deshalb eine Angleichung an die amerikanische Kultur notwendig ist. Der letzte Ansatz, den auch Eck vertritt, setzt sich für einen wahren religiösen Pluralismus ein, der die Differenzen anerkennt und nicht beseitigen will. Betrachtet man die derzeitige Situation in den USA, so spielen neben christlich-jüdischen Einflüssen auch muslimische, buddhistische, hinduistische und weitere Glaubensrichtungen eine entscheidende Rolle im religiösen und kulturellen Leben. Eck betont deshalb, dass dieser religiöse Pluralismus dadurch gestärkt und ein friedvolles Miteinander bewerkstelligt werden kann, wenn ein gemeinsamer Sinn für das „civic“, das Staatsbürgerliche, herausgebildet wird. Findet man diesen Sinn fürs Gemeinsame, dann kann es als „One“ im vorher erwähnten „From Many, One“ – Begriff dienen.

3.1.3. Die katholische Kirche in den USA Die Anfänge der katholischen Kirche

Wie im vorherigen Abschnitt schon erwähnt, galt der religiöse Pluralismus in den USA zunächst nur den protestantischen Glaubensrichtungen. Obwohl Katholiken durch missionarische Aufträge der Spanier und Franzosen in geringen Zahlen den amerikanischen Kontinent bewohnten, waren es die Auswanderer aus England, die mit den zahlreichen protestantischen Glaubensrichtungen die ehemaligen Kolonien dominierten (Reinhold, 2011). Die erste katholische Kolonie wurde im 17.

Jahrhundert von der Familie Calvert gegründet und bekam den Namen Maryland.

Dies bedeutete jedoch nicht, dass die katholische Kirche zur Staatskirche wurde. Das Ziel war die Gewährung von Religionsfreiheit, die jedoch nicht durchgesetzt werden konnte, da Ende des 17. Jhds. die Englische Kirche zur Staatskirche gemacht wurde, die Katholiken an diese Steuern entrichten mussten und von politischen Ämtern ausgeschlossen wurden (Hertling, 1954).

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