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3. Das Verhältnis von Staat und Kirche seit der Auflärung anhand von ausgewählten Beispielen

3.2. Kirche und Staat in Frankreich

Die französische Entwicklung der Kirche – Staat – Beziehung hat einerseits gewisse Gemeinsamkeiten mit dem U.S.-Amerikanischen-Modell, aber auf der anderen Seite

auch Eigenarten, die sich klar von der in Kapitel 3.1 beschriebenen Situation in den USA unterscheiden. Obwohl in beiden Staaten die Trennung von Kirche und Staat ein wichtiges Merkmal ist, besteht eine Divergenz im Umgang mit Religion in der Öffentlichkeit.

Untrennbar verbunden mit dem Verhältnis von Staat und Kirche in Frankreich ist der Begriff „laïcité“. Willaime (2005) macht darauf aufmerksam, dass dieser Begriff sehr schwer zu definieren und übersetzen ist, da er in Geschichte und Gegenwart oft verschieden ausgelegt wurde. Eine mögliche Deutung des Begriffs „laïcité“ geht von der Prämisse aus, dass zwar die Trennung von Kirche und Staat betont wird, aber das dies zum Schutz der Individuen in ihrem Glauben oder Nicht-Glauben passiert. Die Religion an sich wird dabei weder als positiv noch als negativ betrachtet. Im Gegensatz dazu - und so kann „laïcité“ auch verstanden werden – wird jegliche Symbolik und Präsenz des Religiösen in der Öffentlichkeit abgelehnt. Die Religion an sich wird dabei sehr kritisch betrachtet und ihr Einflussbereich dementsprechend zu minimieren versucht. Trotz der zwei möglichen Sichtweisen muss erwähnt werden, dass die erste Strömung die in der staatlichen Praxis übliche und angewandte ist. Die zweite Strömung wird eher in öffentlichen Debatten von diversen Individuen oder Parteien verwendet, um eine gewisse Polemisierung und Aufmerksamkeit in der Gesellschaft zu erreichen.

Im Folgenden wird der Begriff Laizität herangezogen um die Trennung von Staat und Kirche zu beschreiben. Darin nicht inbegriffen ist eine generelle anti-religiöse Konnotation, da der Versuch unternommen wird, die erste Strömung - die in der Staatspraxis vorherrschend ist - näher zu betrachten.

Eine von Jacques Chirac einberufene Kommission brachte im Jahr 2004 einen Bericht heraus, der den Begriff „laïcité“ erklären und die Auswirkungen auf Staat und Gesellschaft untersuchen sollte. Der Bericht stellt dabei fest:

„Der Staat erlegt weder auf, noch zwingt er auf; es gibt weder ein zwingendes Credo noch ein verbietendes Credo. Laïcité impliziert die Neutralität des Staates: Er darf keine spirituelle oder religiöse Wahl privilegieren. Auf das Prinzip der Gleichheit gestützt, gesteht der weltliche Staat keinem Kult öffentliche Privilegien zu; Die Beziehungen zwischen Staat und Kult sind juristisch getrennt. Die Kultfreiheit erlaubt allen Religionen den Auftritt in der Öffentlichkeit, die Versammlung und die

gemeinsame Verfolgung von spirituellen Zielen. So verstanden, verbietet sie nicht jede antireligiöse Herangehensweise. Der weltliche Staat verteidigt weder ein religiöses Dogma noch fördert er atheistische oder agnostische Überzeugungen.

Ebenso müssen sich das Spirituelle und das Religiöse jeden Einfluss auf den Staat verbieten und auf ihre politischen Dimensionen verzichten. Die ‚laïcité‘ ist unvereinbar mit jeder Religionskonzeption, die im Namen ihrer Prinzipien das soziale System oder die politische Ordnung bestimmen will. Im weltlichen Rahmen beruht die spirituelle oder religiöse Wahl auf der individuellen Freiheit: Das bedeutet nicht, dass diese Fragen auf die Intimität des Bewusstseins begrenzt, ‚privatisiert‘, sind, und dass jede soziale Dimension oder öffentliche Äußerungsfähigkeit bestritten wird. Die

‚laïcité‘ unterscheidet die freie spirituelle oder religiöse Äußerung in der Öffentlichkeit, welche in der demokratischen Debatte legitim und wesentlich ist, von der Einwirkung auf die Öffentlichkeit, die illegitim ist. Die Vertreter der verschiedenen spirituellen Richtungen sind aus dieser Position heraus berechtigt, in der öffentlichen Debatte zu intervenieren, wie jedes andere Glied der Gesellschaft (Kommission über die Anwendung des Prinzips der Laizität in der Französischen Republik (2003), zitiert nach Willaime (2005, S. 344).“

Der Bericht beschreibt ganz klar, was unter der Laizität in Frankreich zu verstehen ist und welche Prinzipien dabei verfolgt werden. Im Folgenden wird unter Berücksichtigung der historischen Komponente die Laizität in Frankreich näher betrachtet. Dabei wird zu sehen sein, dass gewisse theoretische Konstrukte in der Praxis auf Probleme stoßen.

3.2.1. Historische Entwicklung

Obwohl die Laizität das derzeit vorherrschende Modell des Kirche – Staat – Verhältnisses in Frankreich ist, war lange Zeit die katholische Kirche ein wesentlicher Akteur in der französischen Politik. Im 16. Jhd. war Frankreich Schauplatz großräumiger Verfolgungen gegen die „Hugenotten“, französischer Protestanten. Die katholischen Orden spielten dabei eine wesentliche Rolle und ließen keine Möglichkeit aus, ihren Einfluss auf den König und dessen Beamte geltend zu machen.

Der Geist der Aufklärung bewirkte jedoch auch in Frankreich eine Zunahme der Religionskritik, die in Voltaire einen bedeutenden Philosophen auf ihrer Seite hatte.

Obwohl Voltaire die Bedeutung Gottes als Richter der Menschen durchaus

anerkannte, galt seine Kritik der Heiligen Schrift und der Verfolgung von Andersdenkenden und Andersgläubigen im französischen Absolutismus (Modehn, 1993).

Die Verzahnung von Kirche und Staat in Frankreich wurde durch die Französische Revolution 1789 nachhaltig aufgebrochen. Obwohl am Anfang der Revolution durchaus gemeinsame Standpunkte zwischen Kirche und Revolutionären bestanden, setzte im Laufe der Revolution ein Konflikt ein, der eine Entmachtung der Katholischen Kirche zur Folge hatte (Maier, 1989). „Schritt für Schritt verlor so die Kirche in der Revolution ihre Autonomie; politisch durch die Vereinigung der Geistlichkeit mit dem Dritten Stand, sozial durch die Aufhebung der Feudalrechte, wirtschaftlich durch die Nationalisierung der Kirchengüter, religiös durch die Zivilverfassung des Klerus (Maier, 1989, S. 6).“ Doch es blieb nicht nur bei einem Angriff gegen die Institution Kirche, sondern auch die Geistlichen erlebten eine Phase an Verfolgungen, Vertreibungen und sogar Ermordungen. Cirka 30.000 Geistliche verließen Frankreich aufgrund dieser Entwicklungen und diejenigen die blieben, agierten im Untergrund (Blaß, 2003).

Eine Stabilisierung der Beziehungen zwischen Kirche und Staat fand in den Anfangsjahren unter Napoleon Bonaparte statt. Mit der Vereinbarung eines Konkordats schien ein Kompromiss gefunden worden zu sein, der beide Seiten zufrieden stellen sollte. Zwar war die katholische Kirche nicht mehr Staatsreligion, aber sie bekam eine Sonderstellung im Staat zugesprochen. Doch schon im Jahr 1805 kam es zum Zerwürfnis zwischen Napoleon und der Kirche, da ersterer eine Gefährdung der nationalen Einheit und der staatlichen Prinzipien durch die katholische Kirche sah. Im Zuge der Einverleibung des Vatikans in das französische Staatsgebiet kam es zur Exkommunikation Napoleons durch Papst Pius VII. und zur Intensivierung des Konflikts. Die vollständige Säkularisation und Säkularisierung vollzog sich ab 1803 mit dem Reichsdeputations – Hauptbeschluß. Die Reichskirche wurde abgeschafft, die kirchlichen Vermögen umverteilt und der Mittelpunkt des kirchlichen Lebens auf die Pfarre verlagert (Blaß, 2003).

Der Phase der Entfremdung folgte im Zuge des Wiener Kongresses im Jahr 1848 wieder eine Annäherung zwischen Kirche und Staat in Frankreich, die jedoch nicht konfliktfrei verlief. Die sozialen und bürgerlichen Revolutionen wurden von den

Herrschern Europas niedergeschlagen und diese behaupteten ihre Macht auch im Glauben eines von Gott erhaltenen Auftrages. Frankreich behielt zwar die verfassungsrechtlichen Prinzipien und das Konkordat, die von Napoleon umgesetzt wurden, doch der Katholizismus wurde als Staatsreligion erneut etabliert und die innerkirchlichen Angelegenheiten neu geregelt. Die zur Zeit Napoleons entstandene Unabhängigkeit der Kirche vom Staat wurde rückgängig gemacht und die innerkirchlichen Angelegenheiten und die Beziehung zum Staat neu geregelt (Blaß, 2003).

Die ständige Auseinandersetzung zwischen der Katholischen Kirche in Frankreich und dem Staat sollte am Beginn des 20. Jhds. mit der Einführung eines Gesetzes endgültig ein Ende finden. 1905 trat das sogenannte „Trennungsgesetz“ in Kraft, das eine strikte Trennung von Kirche und Staat vorsah (Campenhausen, 1962). Artikel 1 und 2 des Gesetzes konkretisieren dabei den Inhalt der Trennung (Trennungsgesetz, 1905, zitiert nach Virtuelles Museum des Protestantismus, 2017):

Artikel 1: “Die Republik gewährleistet die Gewissensfreiheit. Sie garantiert die freie Ausübung der Kulte vorbehaltlich der nachstehenden, im Interesse der öffentlichen Ordnung verfügten Einschränkungen.”

Artikel 2: “Von der Republik wird kein Kultus anerkannt, besoldet oder subventioniert. Folglich werden ab dem auf die Verkündung dieses Gesetzes folgenden 1. Januar alle Ausgaben für die Ausübung der Kulte aus den Haushalten des Staates, der Departements und der Gemeinden gestrichen.“

Im Folgenden sollen nun einige Aspekte des Gesetzes näher betrachtet werden. Der erste Satz des oben zitierten Textes macht deutlich, dass die Republik einen Kult weder anerkennt, besoldet, noch subventioniert. Alle staatlichen Ebenen, von Gemeinde bis Bund, stellen ihre Zahlungen an die Kultvereine ein. Mit dieser Regelung verliert das von Napoleon abgeschlossene Konkordat seine Gültigkeit.

Doch werden schon im zweiten Absatz Ausnahmen für diese Regelung angeführt, nämlich im Sinne von seelsorgerischen Tätigkeiten und zur freien Kultausübung in öffentlichen Einrichtungen. Dazu zählen beispielsweise Schulen, Hospize und Gefängnisse. Um eine einheitliche Situation für alle Religionen zu schaffen, müssen sich diese als Kultvereine anmelden. Als solche obliegt ihnen die Selbstfinanzierung, die jedoch vom Staat überwacht wird. Des Weiteren wird festgelegt, dass die Gebäude

der Kultvereine zwar im Besitz des Staates bleiben, aber von den Kultvereinen genutzt werden dürfen. Auch das bewegliche Vermögen wird den Kultvereinen überlassen, jedoch mit der Einschränkung, dass es zweckgebunden eingesetzt werden muss. Im Allgemeinen wird die Präsenz von religiösen Symbolen in öffentlichen Einrichtungen untersagt und im Speziellen wird der Religionsunterricht in Schulen während der regulären Unterrichtszeit gestrichen (Loi de séparation, 1905). In der 100-jährigen Geschichte des Gesetzestextes über die Trennung von Kirche und Staat fand neun Mal eine Änderung statt, immer mit dem Hintergedanken, die praktischen Herausforderungen sukzessive zu bewältigen (Stenger, 2009).

3.2.2. „Laïcité“ – Herausforderungen in der Praxis

Bevor eine Analyse der Herausforderungen in Bezug auf die Laizität in Frankreich durchgeführt wird, soll zunächst erneut auf den Bericht am Anfang des Kapitels verwiesen werden, der den Begriff „Laïcité“ in Frankreich näher erläutert. Maclure &

Taylor (2011, S. 30) erklären ergänzend: „Unseres Erachtens beruht die Laizität auf zwei grundlegenden Prinzipien, nämlich der gleichen Achtung und der Gewissensfreiheit, sowie auf zwei Verfahrensmodi, die die Verwirklichung dieser Prinzipien erlauben, nämlich der Trennung von Kirche und Staat und der Neutralität des Staates gegenüber den Religionen.“ Das Prinzip der gleichen Achtung von Individuen soll dabei eine Diskriminierung gewisser Bevölkerungsschichten seitens des Staates unterbinden. In Verbindung mit der Neutralität des Staates gegenüber Religionen wird eine Situation geschaffen, die alle Individuen als gleiche Rechtssubjekte behandelt. Dies allein verhindert jedoch nicht, dass alle Bürger eines Staates gleichermaßen diskriminiert werden. Deshalb ist die Gewährung der Gewissensfreiheit eine notwendige Ergänzung, um den Menschen in ihrer Religionsausübung größtmögliche Freiheiten zu überlassen. Man kann die gleiche Achtung und die Gewissensfreiheit als moralische Prinzipien zuordnen, die sich von den institutionellen Prinzipien der Trennung von Kirche und Staat und der Neutralität des Staates gegenüber Religionen unterscheiden. Die laizistische Praxis zeigt, dass die Prinzipien oft in Konflikt stehen können und von einer Dynamik geprägt sind, die laizistische Staaten wie Frankreich vor zahlreiche Herausforderungen stellt (Maclure

& Taylor, 2011).

Eine der sichtbarsten Kontroversen stellt die Frage der religiösen Symbole in öffentlichen Einrichtungen dar. Insbesondere durch den Anstieg der muslimischen Bevölkerung in Frankreich ist der Staat gefordert, einen Ausgleich zwischen Religionsfreiheit und Laizität zu finden. Am eindrucksvollsten ist dieser Konflikt am Beispiel des Kopftuches in öffentlichen Schulen zum Tragen gekommen. Einige muslimische Schülerinnen sind 1989 mit dem Kopftuch in die Schule gekommen und haben einen Protest des zuständigen Direktors ausgelöst, der darin eine Verletzung der Laizität sah. Der Staatsrat entschied dabei, dass das Tragen der Kopftücher durch die Religionsfreiheit geschützt sei14. Doch die Diskussion flammte erneut auf, nachdem eine Expertenkommission 2003 ein Verbot des Tragens von Kopftüchern in öffentlichen Schulen forderte. Schon im Jahr darauf erfolgte die Umsetzung in ein Gesetz15, dass ein Tragen von religiösen Zeichen oder Kleidungsstücken in öffentlichen Schulen untersagte (Minnerath, 2011).

Von Befürwortern dieses Gesetzes wurde das Argument vorgebracht, dass solche religiösen Symbole die Integration – insbesondere der muslimischen Bevölkerung - erschweren würden und damit partikularistische Tendenzen aufweisen, die zu verhindern sind. Doch hat dieses Gesetz auch dazu geführt, dass Kreuze und andere religiöse Symbole aus den Schulen verbannt wurden. Dies war nur eine logische Folgerung des Prinzips der gleichen Achtung von Individuen und der Neutralität des Staates gegenüber den Religionen. Dadurch wurde deutlich, dass mit dem Gesetz auch jene Religionsgruppen betroffen waren, deren Integration in die französische Gesellschaft niemand anzweifeln würde (Willaime, 2005).

Nicht nur die Schüler als Rechtssubjekte einer laizistischen Gesetzgebung sind von der Thematik betroffen, auch Staatsbedienstete und deren Religionssymbolik.

Maclure & Taylor (2011) halten es für unangebracht religiöse Symbole per se zu verbieten, da damit ein klarer Einschnitt in die Religionsfreiheit der Staatsbediensteten erfolgt. Obwohl sie durchaus anerkennen, dass die Staatsbediensteten die Prinzipien des Staates – in diesem Fall Laizität – zu befolgen haben, wiegt die Religionsfreiheit allgemein gesprochen schwerer. Nur weil eine Person ihre Glaubensüberzeugung nach außen zeigt, heißt das nicht, dass sie oder er 14 vgl. dazu AJDA 1990, S. 39

15 vgl. dazu Code de l'éducation - art. L141-5-1 (V)

die aufgetragene Arbeit schlechter ausführt oder unparteilicher ist, als jemand der seine Glaubensüberzeugungen nicht durch Symbole kennzeichnet. Unerlässlich ist es deshalb, von Fall zu Fall prüfen, inwieweit das Tragen von religiösen Symbolen die Staatsbediensteten in ihrer Arbeit behindert. Als Beispiel sei hier das Tragen der Burka bei Lehrerinnen genannt, die eine nonverbale Kommunikation zwischen Lehrerin und SchülerInnen verhindert und somit ein essentieller Bestandteil der Kommunikation nicht adäquat erfüllt werden kann. In welcher Intensität der Konflikt in einem Staat geführt wird, hängt vom religiösen Pluralismus und der Erfahrung der Bevölkerung mit anderen Religionen. Je mehr Religionen vorhanden sind und die Gesellschaft keinen historischen Bezug zu neu hinzukommenden Religionen aufweist, desto wahrscheinlicher ist eine generelle Ablehnung dieser Religionen und ein erhöhtes Konfliktpotential.

Frankreich hat durch die Aufnahme von nordafrikanischen Einwanderern, die hauptsächlich dem Islam angehören, genau diesen Prozess durchlaufen und bis heute dauern die Diskussionen um Parallelgesellschaften und Integrationsfähigkeit der muslimischen Bevölkerung an.

Minnerath (2011) stellt generell fest, dass die Laizität unterschiedlich auf die Religionsgemeinschaften in Frankreich einwirkt. Durch die lange Historie mit der Katholischen Kirche ist das Verhältnis zu dieser im Gegensatz zur muslimischen Religionsgemeinschaft relativ klar geregelt. Generell stellt sich das Problem, dass der Islam stark das gemeinschaftliche Leben der Muslime betont, damit jedoch im Widerspruch zu der republikanischen Idee steht, die Kommunitarismus eher im negativen Lichte sieht.

Auch auf internationalem Parkett hat Frankreich stets seine Grundhaltung zur Laizität betont. Den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966 hat Frankreich zwar unterzeichnet, jedoch ohne Artikel 27 zu übernehmen. Dieser bezieht sich auf Minderheiten im Staat und fordert: „In Staaten mit ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten darf Angehörigen solcher Minderheiten nicht das Recht vorenthalten werden, gemeinsam mit anderen Angehörigen ihrer Gruppe ihr eigenes kulturelles Leben zu pflegen, ihre eigene Religion zu bekennen und auszuüben oder sich ihrer eigenen Sprache zu bedienen.“ Frankreich lehnt diesen Artikel mit dem Hinweis auf Artikel 2 der französischen Verfassung ab, der besagt:

„Frankreich ist eine unteilbare, laizistische, demokratische und soziale Republik. Es

sichert die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz zu, ohne Unterschied nach Herkunft, Rasse oder Religion. Es respektiert alle Überzeugungen. Seine Organisation ist dezentralisiert.“ Die Laizität in Frankreich kann also in Widerspruch zu internationalen Verträgen betreffend gewisser Rechte stehen, die einen Balanceakt zwischen Gewährleistung international anerkannter Rechte und dem Einhalten der Laizität erfordern (Lohmann, 2012).

Ein weiteres Problem besteht in der uneinheitlichen Gültigkeit des Trennungsgesetzes auf französischem Staatsgebiet. So ist beispielsweise Elsass-Lothringen nicht vom Gesetz betroffen und dort gilt die staatskirchenrechtliche Regelung, die noch aus Napoleons Zeit stammt. Diese beinhaltet im Gegensatz zur gesamtstaatlichen Praxis eine Anerkennung von Religionsgemeinschaften. Rechtlich anerkannt werden die römisch-katholische Kirche, die reformierte Kirche, die Kirche augsburgischen Bekenntnisses(Lutheraner) und der israelitische Kultus. Eine Besonderheit besteht in diesem Gebiet auch bezüglich des Schulsystems. Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen nicht nur erlaubt, sondern gehört zum Schulprogramm dazu und ist verpflichtend. Dementsprechend sind auch Geistliche und Ordensleute integraler Bestandteil des Schulsystems in Elsass-Lothringen (Campenhausen, 1962).

Mit einigen von Lohmann (2012, S. 105 – 106) aufgestellten Fragen bezüglich der teilweise paradoxen Auslegung der Laizität in Frankreich sollen im Folgenden die Herausforderungen in der Praxis zusammengefasst werden:

 „Fördert das strikte Verbot, religiöse und kulturelle Identität in der öffentlichen Sphäre offenzulegen, bei der gleichzeitigen völligen Liberalität des Vereinsrechts nicht gerade die Bildung von Parallelgesellschaften, obwohl deren Entstehung doch durch die laizistische Gesetzgebung gerade vermieden werden soll?

 Wie verträgt sich die im Hinblick auf Art. 27 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte formulierte Doktrin, es gäbe in Frankreich keine Minderheiten, mit deren ausdrücklichen Förderung im privaten Rahmen?

 Beruht nicht die ganze Trennung zwischen öffentlicher und privater Sphäre auf einer in der Praxis nicht haltbaren Abstraktion?

 Wird mit der Forderung nach Assimilation nicht die identitätsprägende Kraft der Zugehörigkeit zu einer partikularen Kultur zu sehr eingeengt?

 Hinzu kommt, dass die laizistische Konzeption in der Realität nicht konsequent umgesetzt ist. Dies zeigen die geschichtlich bedingten Sonderregelungen für Elsass-Lothringen...“

3.2.3. Katholische Kirche in Frankreich

Da in der Darstellung über die historische Entwicklung des Kirche – Staat – Verhältnisses die wechselhafte Situation für die katholische Kirche vor dem Trennungsgesetz 1905 bereits erläutert wurde, fokussiere ich mich in diesem Abschnitt primär auf die Zeit nach 1905.

Nichtsdestotrotz soll ein kurzer Exkurs in das 19. Jhd. den Beginn markieren, da zu dieser Zeit generell der Anfang des liberalen Katholizismus und der christlichen Demokratie in Frankreich gesehen wird. Den sich ständig ändernden Verhältnissen zum Staat versuchte auch die katholische Kirche ihrerseits Lösungsansätze entgegenzubringen, um ihre Situation zu verbessern. Die christliche Demokratie zielte dabei auf eine Versöhnung der orthodoxen Sichtweise mit der säkularisierten Bewegung ab. Im Mittelpunkt stand der Versuch, die Kirche in die sich immer stärker demokratisch entwickelnde Gesellschaft zu integrieren. Ein Name sticht besonders hervor in dieser Bewegung: Lamennais. Vom Traditionalisten wandte er sich im Laufe der Zeit zu einem Vertreter des Liberalen Katholizismus und versuchte die Ideen des Traditionalismus mit den Errungenschaften der Französischen Revolution in Einklang zu bringen. Nach dem Scheitern dieser Strömung im Jahr 1830 konnte die christliche Demokratie ihre Ideale während der Revolution 1848 entfalten und verschaffte sich Widerhall in der katholischen Öffentlichkeit in Frankreich (Maier, 1975).

Die Reaktion der Katholischen Kirche auf das Trennungsgesetz 1905 wird in Kapitel 4 detaillierter beschrieben. An dieser Stelle soll die allgemeine Entwicklung der Katholischen Kirche in Frankreich im 20. Jhd. kurz skizziert werden.

Trotz der durchaus liberalen Strömungen im 19. Jhd. im französischen Katholizismus, war die weitere Entwicklung der Katholischen Kirche vom generellen Antisemitismus

in Europa geprägt. Ihren Höhepunkt hatte diese Entwicklung zur Zeit des 2.

Weltkriegs und des Vichy-Regimes in Frankreich, das sich in einer Allianz mit den Nationalsozialisten aus Deutschland befand und Gesetze gegen die jüdische Bevölkerung einführte. Kirchliche Vertreter aller Ebenen in Frankreich machten keinen Hehl daraus, dass sie die neue Führung unter Philippe Pétain unterstützten und damit eine Stärkung der Katholischen Kirche erreichen wollten. Pétain gewährte der Katholischen Kirche im Gegenzug Freiheiten, die ihre Rolle in der französischen Gesellschaft ausbauen und als unverzichtbaren Teil eines erneuerten Staates darstellen

Weltkriegs und des Vichy-Regimes in Frankreich, das sich in einer Allianz mit den Nationalsozialisten aus Deutschland befand und Gesetze gegen die jüdische Bevölkerung einführte. Kirchliche Vertreter aller Ebenen in Frankreich machten keinen Hehl daraus, dass sie die neue Führung unter Philippe Pétain unterstützten und damit eine Stärkung der Katholischen Kirche erreichen wollten. Pétain gewährte der Katholischen Kirche im Gegenzug Freiheiten, die ihre Rolle in der französischen Gesellschaft ausbauen und als unverzichtbaren Teil eines erneuerten Staates darstellen