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Das Verständnis der Katholischen Kirche von der Religionsfreiheit und der Beziehung zum Staat seit der

Auflärung bis zum II. Vatkanischen Konzil

Nach einer Einführung in die Thematik der Religionsfreiheit und der Darstellung verschiedener staatskirchenrechtlicher Modelle, will ich mich im nächsten Schritt intensiver mit der Auseinandersetzung der Katholischen Kirche in Bezug auf die Religionsfreiheit und die Rolle des Staates beschäftigen. Im Fokus steht dabei die Analyse von päpstlichen Enzykliken und Schreiben, die inhaltlich näher auf die genannten Themengebiete eingehen.

4.1. Quod aliquantum (1791)

Wie in Kapitel 3.2.1 dargelegt, erlebte die Beziehung zwischen der Katholischen Kirche und dem Staat in Frankreich eine ständige Veränderung. Eine nachhaltige Zäsur stellte dabei die Französische Revolution dar, die mit ihrem Anspruch einer bürgerlichen Revolution auch die Autorität der Kirche in Frage stellte und die Macht dieser einzuschränken vermochte.

Die Ereignisse der Revolution bewogen Papst Pius VI. ein Schreiben – Quod aliquantum - an die Geistlichen in Frankreich zu richten und dabei auf die Forderung der Revolutionäre, einen laisierten Staat einzuführen, näher einzugehen. Neben den veränderten Gesetzen zur Bischofswahl, den Ordensgemeinschaften und dem Vermögen der Kirche prangerte Pius VI. auch die Idee der Religionsfreiheit an (Utz &

Galen, 1976):

„Desgleichen wird die Meinung vertreten, es sei ein Recht des in der Gesellschaft lebenden Menschen, in allem volle Freiheit zu genießen, sodaß er nicht nur in der Ausübung seiner Religion nicht behindert werden darf, sondern daß es auch seinem Ermessen überlassen bleibt, was er über religiöse Fragen denken, reden, schreiben und im Druck veröffentlichen will. Diese wahre Ungeheuerlichkeit stamme und folge, so wird erklärt, aus der Gleichheit aller Menschen und ihrer natürlichen Freiheit (Pius VI., 1791, zitiert nach Utz & Galen, 1976, S. 2663).“

„...und da er notwendigerweise von Geburt an seinen Vorgesetzten gehorchen muß, um von ihnen geführt und belehrt zu werden und so sein Leben entsprechend der Norm der Vernunft, der Menschlichkeit und der Religion einzurichten verstehe, so ist klar, daß jene angeborene Gleichheit und Freiheit unter den Menschen sinnlos ist (Pius VI., 1791, zitiert nach Utz & Galen, 1976, S. 2665).“

Den Äußerungen des Papstes folgend besteht kein Zweifel, dass er die freiheitlichen Ideen der Revolution in aller Klarheit ablehnte. Für ihn symbolisierte die Französische Revolution die Entmachtung der Katholischen Kirche, ja sogar den Versuch die Kirche in Frankreich aus der Gesellschaft zu eliminieren. In der weiteren Analyse päpstlicher Enzyklika und Schreiben wird zu sehen sein, dass die Entwicklung in Frankreich mehrmals Anlass für die Päpste war, die dortige Situation zu thematisieren.

4.2. Mirari vos (1832)

Die Enzyklika Mirari Vos wurde von Papst Gregor XVI. verfasst und 1832 veröffentlicht. Sie behandelt u.a. die Sorgen des Papstes angesichts des Niedergangs der kirchlichen Gesinnung, die Wahrung der kirchlichen Disziplin, die Ehe (eheloses Priesterleben und unauflösliche Ehe), die Gleichgültigkeit im Glaubensleben, den bürgerlichen Gehorsam und verderbliche Gesellschaften. Für diese Arbeit relevant sind jedoch zwei weitere Abschnitte: die Meinungs- und Pressefreiheit sowie die Trennung von Kirche und Staat (Utz & Galen, 1975). Die Meinungsfreiheit wird an dieser Stelle deshalb näher betrachtet, da sie eng mit der Bekenntnisfreiheit verbunden ist und somit ein Draht zur Religionsfreiheit hergestellt werden kann (vgl. Kapitel 2.1).

Es folgen zwei Passagen aus dem Kapitel „Meinungs- und Pressefreiheit“, die exemplarisch die Standpunkte Gregors XVI. zu diesem Thema beleuchten sollen:

„Aus der Quelle dieser verderblichen Gleichgültigkeit fließt jene törichte und irrige Meinung, oder noch besser jener Wahnsinn, es sollte für jeden die „Freiheit des Gewissen“ verkündet und erkämpft werden (Gregor XVI., 1832, zitiert nach Utz &

Galen, 1976, S. 149).“

„Staatswesen, die in Reichtum, Macht und Ruhm blühten, fielen durch dieses eine Übel erbärmlich zusammen, nämlich durch zügellose Meinungsfreiheit, Redefreiheit, Neuerungssucht (Gregor XVI., 1832, zitiert nach Utz & Galen, 1976, S. 149).“

Auch in Bezug auf die Trennung von Kirche und Staat hat Gregor XVI. eine klare Position: „Ebensowenig Erfreuliches für Kirche und Staat können Wir von jenen erwarten, die Kirche und Staat trennen und das gegenseitige Einvernehmen zwischen weltlicher und geistlicher Obrigkeit zerstören möchten. Es ist ja bekannt, daß die Anhänger der schrankenlosen Freiheit diese Eintracht sehr fürchten, weil sie sowohl für die kirchliche als für die staatliche Seite stets glückbringend und heilsam war (Gregor XVI., 1832, zitiert nach Utz & Galen, 1976, S. 155).“

Mirari Vos spiegelt in seiner Gesamtheit ein Gefühl der Besorgnis des Papstes über die Entwicklungen in Gesellschaft und Staat wieder. Er mahnt zur kirchlichen

Disziplin und betont die Wichtigkeit der kirchlichen Hierarchie zur Wahrung ebendieser Disziplin. Den liberalen Strömungen, die die unauflösliche Ehe in Frage stellen, die Gewissensfreiheit betonen und in Gleichgültigkeit in Glaubensfragen verfallen, erteilt er eine klare Absage. Stattdessen wird die kirchliche und insbesondere päpstliche Autorität in Fragen des sittlichen Lebens in den Vordergrund gestellt, um die Glaubenssätze der katholischen Kirche in der Gesellschaft aufrechtzuerhalten.

4.3. Quanta Cura und Syllabus (1864)

Drei Jahrzehnte nach Mirari Vos veröffentlichte Papst Pius IX. 1864 seine Enzyklika Quanta Cura. Schon am Beginn der Enzyklika lobt er die Ablehnung seines Vorgängers Gregor XVI. in Bezug auf die Gewissensfreiheit und die Freiheit jedes Menschen, die Suche nach Gott selber zu bestimmen. Der erste Teil der Enzyklika baut auf der Kritik dieser geistigen Strömung in der Gesellschaft auf und nimmt kritisch zur Forderung nach Religions- und Gewissensfreiheit Stellung. Im selben Jahr verschickte der Papst das Syllabus errorum über die hauptsächlichen Irrtümer der damaligen Zeit, das noch detaillierter auf die fehlgeleitete Entwicklung in der Gesellschaft eingeht (Utz & Galen, 1976).

Erneut sollen Passagen aus der Enzyklika und dem Syllabus herausgenommen werden, die eine strikte Distanz zu der Meinungs- und Religionsfreiheit sowie der Trennung von Kirche und Staat fordern. Das erste Zitat stammt aus Quanta Cura. Die Restlichen sind Ausschnitte aus dem Syllabus errorum und müssen als Irrtümer in den Augen des Papstes gelesen werden, die von ihm auf das Schärfste verurteilt und abgelehnt werden:

„In Folge dieser ganz falschen Vorstellung von der Regierung der Gesellschaft scheuen sie sich nicht, jene irrthümliche, der katholischen Kirche und dem Seelenheile höchst verderbliche Meinung zu hegen,...„die Freiheit des Gewissens und der Culte sei ein jedem Menschen eigenes Recht, welches durch das Gesetz ausgesprochen und festgestellt werden müsse...(Pius IX., 1864, zitiert nach Utz &

Galen, 1976, S. 164).“

„Es ist jedem Menschen freigestellt, jene Religion anzunehmen und zu bekennen, die er im Lichte der Vernunft für die wahre hält (Pius IX., 1864, zitiert nach Utz & Galen, 1976, S. 39).“

„Die Menschen können in der Pflege jeder beliebigen Religion den Weg des ewigen Heils finden und das ewige Heil erlangen (Pius IX., 1864, zitiert nach Utz & Galen, 1976, S. 39).“

„Der Protestantismus ist nichts anderes als eine andere Form derselben, wahren, christlichen Religion, in der man, genauso wie in der katholischen Kirche, Gott gefallen kann (Pius IX., 1864, zitiert nach Utz & Galen, 1976, S. 39).“

„Die Kirche hat keine Vollmacht, in einem Glaubenssatz zu definieren, daß die Religion der katholischen Kirche die einzig wahre Religion sei (Pius IX., 1864, zitiert nach Utz & Galen, 1976, S. 41).“

„Die Kirche muß vom Staat, der Staat von der Kirche getrennt werden (Pius IX., 1864, zitiert nach Utz & Galen, 1976, S. 47).“

„Daher ist es gutzuheißen, wenn in gewissen katholischen Ländern gesetzlich vorgeschrieben wird, daß Einwanderer ihre Religion öffentlich ausüben dürfen (Pius IX., 1864, zitiert nach Utz & Galen, 1976, S. 53).“

„Denn es ist nicht wahr, daß die bürgerliche Religionsfreiheit sowie die allen gewährte unbeschränkte Meinungs- und Gedankenfreiheit dazu beitragen, Geist und Sitten der Völker zu verderben...(Pius IX., 1864, zitiert nach Utz & Galen, 1976, S.

53).“

Aus den angeführten Passagen der Enzyklika Quanta Qura und dem Syllabus errorum über die Irrtümer der damaligen Zeit von Papst Pius IX. ist ersichtlich, dass die Idee der Religionsfreiheit zu jener Zeit keinen positiven Widerhall im Vatikan erfahren hat. Weiterhin wird die katholische Kirche als Garant der gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung gesehen und in diesem Sinne sei auch jeder Versuch, die katholische Kirche vom Staat zu trennen, abzulehnen. Auch in weiteren Enzykliken17 ruft Pius IX. alle Katholiken auf, der Entwicklung hin zu einer Trennung von Kirche und Staat entschieden entgegenzuwirken. Besonders hervorzuheben ist dabei der 17 vgl. Etsi multa luctuosa (1874), Quod numquam (1875), Graves ac diuturnae (1875)

sogenannte „Kulturkampf“ in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts in Preußen bzw.

dem Deutschen Kaiserreich, bei dem sich die katholische Kirche mit Pius IX. an der Spitze vehement gegen die liberale Gesetzgebung unter Otto von Bismarck stellte.

Doch nicht nur das Deutsche Kaiserreich schlug in gewissen gesellschaftlichen Aspekten den Weg einer gemäßigten Liberalisierung ein, auch in Österreich war eine Bewegung in diese Richtung erkennbar.

4.4. Vix dum a nobis (1874)

In Kapitel 3.3.1 wurde die historische Entwicklung der Beziehung von Kirche und Staat in Österreich beschrieben. Zur Sprache kam dabei auch die liberale Gesetzgebung - genauer gesagt das Staatsgrundgesetz - unter Kaiser Franz Joseph I., der u.a. Religionsfreiheit in seinem Reiche vorsah. Dagegen protestierte Papst Pius IX. in seiner Enzyklika Vix dum a nobis im Jahr 1874, der einen Machtverlust der Katholischen Kirche in Österreich fürchtete. Insbesondere wird die Missachtung des Konkordats von 1855 kritisiert, da die Zuständigkeit gewisser Bereiche von der kirchlichen zur staatlichen Autorität wechselte.

In Opposition zu diesem Vorgehen verfasste er Vix dum a nobis und verkündete dem österreichischen Kardinal und den österreichischen Bischöfen:

„As far as the laws themselves go...although they may perhaps seem to present an appearance of moderation, if they are compared with the recent laws of Prussia, in reality they have the same intent: they prepare the way for the same destruction of the Catholic Church in Austria (Pius IX., 1874, zitiert nach Papal Encyclicals Online, o.J.).“

„These powerful laws would impede the inviolable liberty of the Church to care for souls, to rule the faithful, to carry out religious instruction of the people and the clergy as well, to exhort to evangelical perfection, and to administer and possess goods. They would also introduce the perversion of Catholic discipline, encourage defection from the Church, and strengthen the coalition and conspiracy of the sects against the true faith of Christ (Pius IX., 1874, zitiert nach Papal Encyclicals Online, o.J.).“

„Wherefore We urge you to assemble together as soon as possible and with mutual counsel draw up a clear norm by which you may bravely defend the liberty of the Church and unanimously repel, in keeping with the nature of your office, the attacking evils (Pius IX., 1874, zitiert nach Papal, Encyclicals Online, o.J.).“

Obwohl Pius IX. in Vix dum a nobis inhaltlich nicht auf die genannten Gesetze eingeht und sie beim Namen nennt, ist doch anzunehmen, dass durch die Verurteilung dieser Gesetze – die u.a. bürgerliche Rechte stärken und die Religionsfreiheit etablieren sollten – der liberale Vorschub in der Gesellschaft aufgehalten werden sollte. Doch ging es nicht nur um die Ablehnung dieser liberalen Gesetzgebung, sondern auch um die Sorge des Papstes, dass die Unabhängigkeit und Freiheit der Katholischen Kirche zu sehr eingeschränkt werden würde. Eine Kirche, die in Abhängigkeit zum Staat geriet, erweckte nicht nur beim österreichischen Klerus Besorgnis. Auch in anderen europäischen Staaten konnte eine ähnliche Entwicklung beobachtet werden (z.B. Spanien, Italien und Portugal), die immer wieder Anlass zur Verfassung einer päpstlichen Enzyklika war.

4.5. Immortale Dei (1885)

Leo XIII. war der Nachfolger von Pius IX. und von 1878 bis 1903 Papst. In dieser Zeit verfasste er zahlreiche Enzykliken, die auf die Beziehung von Kirche und Staat in gewissen Ländern eingingen und die Liberalisierung dortiger Gesetze – besonders in Themengebieten, die auch die Kirche betrafen – kritisierten. Ein allgemeines Werk über die christliche Staatslehre in der Auseinandersetzung mit der neuzeitlichen Auffassung vom Staat stellt die Enzyklika Immortale Dei aus dem Jahr 1885 dar (Utz

& Galen, 1976).

Zu dieser Zeit schien die Auseinandersetzung zwischen liberalen Strömungen im Staatswesen und konservativen Kräfte innerhalb der Katholischen Kirche an Intensität zu gewinnen. Dies nutzt Leo XIII. um die Position der Katholischen Kirche klar darzulegen:

„Wenngleich jedoch viele vieles versucht haben, das eine steht fest, daß für die Begründung und Leitung eines Staatswesens keine bessere Ordnung erdacht worden

ist, als jene, die sich aus der Lehre des Evangeliums von selbst ergibt (Leo XIII., 1885, zitiert nach Utz & Galen, 1976, S. 2119).“

„Es ist offenbar, daß eine solche bürgerliche Gesellschaft nichts anderes ist als eine Massenherrschaft; und weil man sagt, alle Gewalt und alle recht ruhe im Volke, so folgt, daß eine solche Gesellschaft in keiner Weise sich als Gott gegenüber verpflichtet erachtet, darum auch keine Religion öffentlich bekennt, sich auch nicht verpflichtet fühlt, nach der allein wahren Religion zu forschen und die eine wahre den falschen Religionen vorzuziehen und ihr ihren Schutz angedeihen zu lassen; sie wird vielmehr alle für gleichberechtigt erklären, solange das Staatswesen dadurch nicht Schaden leidet (Leo XIII., 1885, zitiert nach Utz & Galen, 1976, S. 2135).“

„Wo nämlich solche Theorien im Staatsleben Geltung gewinnen, werden die katholischen Gemeinschaften nicht nur den anderen religiösen Gesellschaften gleich-.

Sondern selbst nachgestellt; die kirchlichen Gesetze finden keine Berücksichtigung;

die Kirche...wird von dem öffentlichen Volksunterricht gänzlich ausgeschlossen (Leo XIII., 1885, zitiert nach Utz & Galen, 1976, S. 2137).“

„Die Gesetzgebung, die Verwaltung, der religionslose Jugendunterricht, die Beraubung und Aufhebung der religiösen Orden, die Vernichtung der weltlichen Herrschaft der Römischen Päpste, all das hat keinen anderen Zweck, als die christlichen Institutionen zu lähmen, die Freiheit der katholischen Kirche zu beengen und ihre übrigen Rechte zu schmälern (Leo XIII., 1885, zitiert nach Utz & Galen, 1976, S. 2137).“

„Wenn auch nach dem Urteil der Kirche die verschiedenen Religionsformen mit der wahren Religion nicht gleichberechtigt sein können, so tadelt sie deswegen die Regierungen nicht, wenn sie um eines wichtigen Gutes willen oder zur Vermeidung eines Übels nach Herkommen und Gewohnheit verschiedene Religionsformen dulden (Leo XIII., 1885, zitiert nach Utz & Galen, 1976, S. 2145).“

In den Worten von Leo XIII. ist eine Kontinuität päpstlicher Ablehnung in Fragen der Gleichberechtigung verschiedener Religionen im Staatswesen erkennbar. Diese Indifferenz führe in den Augen des Papstes - zum Leidwesen des Staates - zu einem Verlust der Moral in der Gesellschaft, denn nur die katholische Kirche sei Garant für den Erhalt und die Förderung sittlicher Tugenden. Deswegen wendet sich der Papst

mit der Forderung an alle Katholiken, die kirchlichen Lehrmeinungen zu befolgen und den Irrtümern der Zeit zu widerstehen.

4.6. Libertas praestantssimum (1888)

In der Enzyklika Libertas praestantissimum aus dem Jahr 1888, die manchmal kurz einfach als Libertas bezeichnet wird, widmet sich Papst Leo XIII. den Irrtümern des Liberalismus. Dabei lobt er die Leistungen der Kirche als Behüterin und Förderin der Freiheit. Er meint keinesfalls jene Freiheit, die von vielen Liberalen „falsch“

interpretiert wird. Die Auslegung der Freiheit als Ungebundenheit führe nämlich zu einem Verderben der Moral in der Gesellschaft. Libertas gibt Auskunft über die kirchliche Definition von Freiheit und – die von Papst verurteilende – liberalistische Auffassung von Freiheit. Einen beachtlichen Teil nimmt hierbei die Auseinandersetzung mit der Religionsfreiheit ein (Utz & Galen, 1976a):

„Der Grundgedanke, auf dem sie ruht, ist die volle Freiheit eines jeden, eine beliebige Religion oder auch gar keine zu bekennen...Eine Freiheit in dem ebengenannten Sinne würde darum dem Menschen die Befugnis zugestehen, seine heiligste Pflicht ungestraft zu verletzen und ihr untreu zu werden, das heißt, sich von dem unwandelbaren Guten weg zum Bösen hinzuwenden (Leo XIII., 1888, zitiert nach Utz

& Galen, 1976a, S. 203).“

„Betrachtet man diese Freiheit, wie sie sich im Staatsleben verhält, so ergibt sich, daß der Staat nach ihr keinen Grund hat, in irgendeiner Weise Gott öffentlich zu verehren oder dessen Verehrung zu wollen, keinen Kult zu bevorzugen, vielmehr sollen alle als gleichberechtigt betrachtet werden, selbst ohne jedwede Rücksicht darauf, ob das Volk die katholische Religion bekennt. Dies könnte nur wahr sein unter der Voraussetzung, daß die bürgerliche Gesellschaft Gott gegenüber keine Pflichten hat oder ungestraft sich von denselben lossagen kann; beides aber ist offenbar falsch (Leo XIII., 1888, zitiert nach Utz & Galen, 1976a, S. 203).“

„Ein Staat ohne Gott, oder auch, was schließlich auf dasselbe hinausläuft, ein Staat, der, wie man sich ausdrückt, gegen alle Religionen sich gleichgültig verhält und sie ohne Unterschied als gleichberechtigt anerkennt, stellt sich in Gegensatz zur Gerechtigkeit und Vernunft. – Da also der Staat notwendige Einheit des religiösen

Bekenntnisses fordert, hat er sich zu der allein wahren, der katholischen nämlich, zu bekennen (Leo XIII., 1888, zitiert nach Utz & Galen, 1976a, S. 203).“

„Viel gepriesen wird auch die sogenannte „Gewissensfreiheit“. Wird sie so verstanden, daß ein jeder nach Belieben Gott verehren oder auch nicht verehren kann, so ist sie nach dem bereits früher Gesagten hinlänglich widerlegt (Leo XIII., 1888, zitiert nach Utz & Galen, 1976a, S. 211).“

„So erhellt denn aus dem Gesagten, daß es keineswegs erlaubt ist, Gedanken-, Rede-, Lehr- und unterschiedslose Religionsfreiheit zu fordern, zu verteidigen und zu gewähren, als wären alle diese Freiheiten von Natur gegebene Rechte (Leo XIII., 1888, zitiert nach Utz & Galen, 1976a, S. 219).“

Leo XIII. betont einige Jahre nach Immortale Dei die Notwendigkeit des Gehorsams kirchlicher Autorität in Fragen des sittlichen Lebens in einer Gesellschaft. Dazu gehört auch die Zurückweisung des Liberalismus, der damals in vielen Ländern Fuß fasste. Die Gleichbehandlung aller Religionen wird als Verstoß der Pflicht eines jeden Menschen gesehen, die wahren Gesetze Gottes zu befolgen.

4.7. Longinqua oceani (1895)

In seiner jahrzehntelangen Amtszeit als Papst war Leo XIII. auch mit der Entwicklung der Katholischen Kirche in den Vereinigten Staaten beschäftigt. Wie in Kapitel 3.1.3 dargelegt, durchlebte die katholische Kirche mehrere Phasen der Anpassung an die amerikanische Kultur. Somit stellte sich auch immer wieder die Frage nach dem Verhältnis zum Vatikan. Papst Leo XIII. war es ein großes Anliegen, die Katholiken und den Klerus in den Vereinigten Staaten an die unzertrennliche Verbindung zu Rom zu erinnern (Utz & Galen, 1976).

Die Enzyklika Longinqua oceani beginnt mit einem Lob des materiellen und geistigen Fortschritts Amerikas und skizziert in weiterer Folge die Entwicklung der katholischen Kirche in den USA. Die glückliche Lage für die Katholiken in diesem Land wird dabei positiv hervorgehoben und insbesondere auf die fruchtbare Tätigkeit der dortigen Kirche zurückgeführt. Leo XIII. geht auch auf das Verhältnis zwischen

Kirche und Staat ein und geißelt dabei die vollzogene Trennung in den USA an (Leo XIII., 1895, zitiert nach Utz & Galen, 1976):

„Doch wenn all das auch wahr ist, so wäre es doch ein Irrtum, daraus zu schließen, daß Amerika als Beispiel für den besten Status der Kirche gelten könne und daß es ganz allgemein angebracht und wünschenswert sei, nach amerikanischem Vorbild die Angelegenheiten des Staates und der Kirche zu trennen und voneinander zu scheiden (Leo XIII., 1895, zitiert nach Utz & Galen, 1976, S. 2385).“

Longinqua oceani enthält am Ende des Schreibens auch einen Abschnitt über das apostolische Verhalten der Katholiken gegenüber den Nicht-Katholiken. Dabei wird erläuter, dass es die Pflicht jedes Katholiken ist, die Botschaft der Heiligen Schrift auch an die „Ungläubigen“ heranzutragen (Leo XIII., 1895, zitiert nach Utz & Galen, 1976):

„Auch zu jenen wendet sich Unser Gedanken, die nicht im gleichen christlichen Glauben mit uns vereinigt sind. Wer will leugnen, daß sie es mehr aufgrund überkommener Anschauungen als aus eigenem freien Willen sind?...Gewiß dürfen wir sie nicht aufgeben, sie nicht ihrer Sinnesart überlassen, wir müssen sie vielmehr mit Milde und großer Liebe zu uns herüberziehen und sie auf jede Weise zu überzeugen suchen, damit sie bereitwillig alle Einzelheiten der katholischen Doktrin prüfend betrachten und ihre vorgefaßten Meinungen aufgeben (Leo XIII., 1895, zitiert nach Utz & Galen, 1976, S. 2401).“

Bemerkenswert an dieser Formulierung ist die Zuwendung an die Nicht-Katholiken, die mit „Milde und großer Liebe“ behandelt werden sollen um zum Katholizismus

Bemerkenswert an dieser Formulierung ist die Zuwendung an die Nicht-Katholiken, die mit „Milde und großer Liebe“ behandelt werden sollen um zum Katholizismus