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John Courtney Murray und die theologische Begründung der Anerkennung der Religionsfreiheit

5. Das 2. Vatkanische Konzil und seine Folgen

5.2. Das Konzil

5.2.3. John Courtney Murray und die theologische Begründung der Anerkennung der Religionsfreiheit

Für Helmut Krätzl war ein Faktor besonders ausschlaggebend für die Anerkennung der Religionsfreiheit auf dem 2. Vatikanischen Konzil: die Frage nach dem Gewissen.

Sobald die Erkenntnis einsetzte, dass der Mensch in Religionsfragen nur seinem Gewissen folgen sollte und nicht durch Druck von externen Institutionen zu entscheiden hatte, war der Weg für die Anerkennung der Religionsfreiheit geebnet.

Dass jeder nach seinem Gewissen denken und handeln soll, liegt in der Würde des Menschen begründet, die geachtet werden soll (Krätzl, 2017).

Ein Jesuit aus den USA, der sich dem Thema Religionsfreiheit und Verhältnis Kirche und Staat stark widmete, war John Courtney Murray (1904 – 1967). Murray gilt als vehementer Verfechter der Religionsfreiheit während des 2. Vatikanischen Konzils und ihm wird auch großer Einfluss auf den Text von Dignitatis Humanae zugeschrieben. Obwohl seine Meinung in Rom mit Argwohn gesehen wurde und ihm sogar das Veröffentlichen seiner Texte verboten wurde, konnte er sowohl das amerikanische Episkopat als auch Bischöfe und weitere Konzilsväter von seinen Ansichten bezüglich Religionsfreiheit überzeugen (Bsteh, 2012).

Im Folgenden sollen die Ausführungen von Murray dazu dienen, die unterschiedlichen Argumentationsmuster zur Ablehnung der Religionsfreiheit zu veranschaulichen. Diese behandelte er in dem 1964 erschienenem Artikel „The Problem of Religious Freedom“, indem er auf die Inhalte und Probleme der Argumente eingeht und sie schlussendlich auch im Zusammenhang mit dem Verhältnis zwischen Kirche und Staat sieht.

Anlehnend an die Erkenntnisse von Thomas von Aquin unterscheidet die „erste Sicht“

der Religionsfreiheit zwischen zwei Arten von Gewissen: jenes, mit objektiv wahren Prinzipien (conscientia vera) und jenes mit subjektiv zwar aufrichtigen, aber falschen Prinzipien (conscienta recta sed non vera). Ersteres von beiden wird mit dem katholischen Glauben verknüpft und als einzige Wahrheit dargestellt. Als Schlussfolgerung bleibt somit, dass „unwahre“ Prinzipien und ein „irrendes“

Gewissen nicht durch die Religionsfreiheit gedeckt sein können. Jedoch darf kein Zwang zur Bekehrung vorherrschen und die personale Freiheit des Individuums soll

geschützt werden. Wenn das „irrende“ Gewissen nur toleriert wird, aber kein Recht als solches genießt, dann hat der Staat auch nicht die Verpflichtung, es zu schützen.

Ganz im Gegenteil, wenn der Staat als Förderer einer sittlichen Gesellschaft auftreten will und eine sittliche Gesellschaft gleichgesetzt wird mit der conscientia vera, die als Grundlage den katholischen Glauben hat, dann muss sogar vom Staat erwartet werden, alle Maßnahmen zu treffen, um den Irrtum in der Gesellschaft zu beseitigen.

Diese „erste Sicht“ ist laut Murray nicht vereinbar mit einer verfassungsrechtlichen Garantie der persönlichen Freiheit und führt zu Konfliktpotential in einem Staat, der religiösen Pluralismus befürwortet (Murray, 1964).

Murray (1964) präsentiert im zweiten Artikel in „The Problem of Religious Freedom“

die „zweite Sicht“ der Religionsfreiheit. Diese betont die zeitabhängige Beurteilung der Religionsfreiheit und argumentiert in diesem Sinne, dass im Laufe der Zeit die Würde des Menschen in der öffentlichen Debatte an Bedeutung zugenommen hat. Die Betonung der Würde des Menschen gehe einher mit einer Forderung zur stärkeren politischen Teilhabe und zum Umbruch gewisser gesellschaftlicher – auch kirchlicher – Strukturen. Die individuelle Freiheit steht dabei im Fokus der Betrachtung und löst die reine Toleranzsicht als Prinzip ab. Vielmehr gehe es um die Frage wie die religiöse Freiheit im Staat verankert werden kann. Verschiedene Ansätze treten in dieser Sicht auf, um die Quelle der Religionsfreiheit zu bestimmen. Murray identifiziert in der Ableitung der Religionsfreiheit durch das theologisch-moralische Konzept mehr potentielle Problemfelder, als wenn die Religionsfreiheit im Prinzip auf mehreren Ebenen (theologisch-moralisch, philosophisch, rechtwissenschaftlich, politisch etc.) fußt. Diese Mehrdimensionalität umgeht eine zu starke Fokussierung auf einen Bereich, so wie beim ersten Ansatz, und stellt die Religionsfreiheit als Produkt mehrerer Faktoren dar. Dem zweiten Ansatz, beschreibt Murray, liegt eine Fokussierung auf den Freiheitsgedanken zugrunde, der vom Staat fordert, dass die Religionsfreiheit als Recht anerkannt wird und das Individuum vom Staat nicht in diesem Recht eingeschränkt werden darf (Murray, 1964).

Murrays außerordentliche Leistung während des 2. Vatikanischen Konzils war die Verknüpfung der Begründung der Religionsfreiheit mit den Verpflichtungen des Staates in dieser Hinsicht:

„There are, in general, two essential points of doctrine. First, it is asserted that every man by right of nature (jure naturae) has the right to the free exercise of religion in society according to the dictates of his personal conscience. This right belongs essentially to the dignity of the human person as such. Secondly, the juridical consequences of this right are asserted, namely, that an obligation falls on other men in society, and upon the state in particular, to acknowledge this personal right, to respect it in practice, and to promote its free exercise. This is, in a mode of general statement, the heart of the matter (Murray, 1963, S. 704).“

Im ersten Punkt wird also die freie Religionsausübung in der Würde des Menschen begründet, die als Naturrecht jeder Person zusteht. Damit dieses Recht in einer Gesellschaft auch durchgesetzt werden kann, steht insbesondere der Staat in der Verantwortung die richtigen Rahmenbedingungen zur Akzeptanz und Förderung dieses Rechts zu gewährleisten.

Im nächsten Schritt argumentiert Murray, dass die katholische Kirche diese Erkenntnisse nicht rein aus ihrer Tradition erklären kann. Zwar helfen Elemente aus der christlichen Tradition, die Begründung der Religionsfreiheit zu untermauern – so wie etwa die Forderung nach der Freiheit der Kirche und vom Zwang in Gewissensfragen, aber auch die Akzeptanz des Menschen als Individuum als auch soziales Wesen – aber Murray verweist darauf, dass diese Elemente nicht ausreichend für eine Begründung der Religionsfreiheit sind. Sein Fokus liegt – wie aus dem obigen Zitat erkennbar – auf der Würde des Menschen und dem Verhältnis zwischen Kirche und Staat (Klissenbauer, 2015).

Die von Murray skizzierten Positionen zur Religionsfreiheit spiegelt auch die unterschiedlichen Meinungen der Konzilsväter wieder. Obwohl eine klare Kategorisierung aufgrund der Vielzahl an teilnehmenden Personen beim Konzil schwer zu bewerkstelligen ist, so kann die Grundhaltung in zwei Kategorien unterteilt werden: die klassische und die existentielle. Die klassische Meinung – vertreten beispielsweise vom Sprachrohr der eher konservativen Fraktion Kardinal Ottaviani – sieht in der Wahrheit der katholischen Lehre ein nicht-verhandelbares Gut, das nicht mit dem Irrtum anderer Lehren gleichgesetzt werden darf. Murrays „erster Sicht“

folgend, ist höchstens eine Toleranz anderer Religionsgemeinschaften im Sinne des Gemeinwohls zu akzeptieren. Schlussendlich durchgesetzt hat sich aber die

existentielle Meinung. Diese geht, wie von Murray auch gefordert, von der Theorie aus, dass die Würde des Menschen jede Person befähigt, das Gewissen frei und ohne Einschränkung als Handlungsorientierung einzusetzen. Die Vorgabe der objektiven Wahrheit durch die katholische Lehre weicht der Forderung nach religiöser Freiheit als Ableitung der Menschenwürde. Um dies in einer Gesellschaft auch durchzusetzen, bedarf es auch eines geregelten Verhältnisses zum Staat (Von Galli & Moosbrugger, 1966).

Murray unterscheidet zwischen zwei Kirche-Staat-Modellen: dem amerikanischen und dem europäischen. Dabei betont er insbesondere die Relevanz der geschichtlichen Entwicklungsprozesse auf den jeweiligen Kontinenten. Dass auf dem 2.

Vatikanischen Konzil viele Bischöfe einer Trennung von Kirche und Staat skeptisch gegenübertraten, erklärte er sich durch deren Konnotation der Trennung von Kirche und Staat nach französischem Vorbild (Klissenbauer, 2015). Diesem Modell, das von einer stark laizistischen Grundordnung ausgeht, setzt Murray das amerikanische System des Verhältnisses von Kirche und Staat gegenüber. Ersteres sei auch Grund für die dauerhafte Ablehnung der Religionsfreiheit durch die katholische Kirche gewesen, denn die „totalitäre Demokratie“, die mit diesem Modell einherging, schaffte ein feindliches Umfeld für die Kirche (Murray, 1952).

Die totalitäre Demokratie nach Murray setzt sich aus vier Prinzipien zusammen (Murray, 1952):

 Der Mensch als rein politisches Wesen, das nur im Gefüge einer Nation verstanden wird und dieser Nation ein gemeinschaftlicher Wille zugeschrieben wird.

 Die Politik beansprucht ein absolutes Wahrheitsmonopol.

 Alle Menschen sollen nach einheitlichen moralischen Werten – die von der Politik vorgegeben werden - leben und handeln.

 Der so konstruierte Mensch sieht sich nur dem Staat gegenüber verpflichtet (Murray, 1952).

Die oben genannten Forderungen fanden ihren Höhepunkt nach Murray in der Französischen Revolution und dem französischen Laizitätsgesetz 1905 sowie der damit einhergehenden Forderung nach einer vollkommen säkularisierten Gesellschaft.

Betrachtet man somit die Schriften von Leo XIII.18, so muss man sie in der Vorstellung jener Zeit auffassen, als staatliche Maßnahmen die Unabhängigkeit der Kirche verletzten und antiklerikale Gesetze die Kirche in Bedrängnis brachten. Als Verfechter von Erklärungswegen, die historische Prozesse bei der Bewertung von Handlungen und Schriften vergangener Päpste in den Mittelpunkt stellen, verteidigt Murray die Lehre von Leo XIII. im Lichte der kirchenfeindlichen Umgebung des 19.

Jhds. (Murray, 1952).

Da Murray Zeit seines Lebens das US-amerikanische Verhältnis zwischen Kirche und Staat analysiert hat, fällt es ihm nicht schwer, einen Vergleich der beiden Modelle aufzustellen und das amerikanische System als jenes zu favorisieren, das die Freiheitsrechte im Allgemeinen und die Religionsfreiheit im Speziellen besser gewährleisten kann. Er begründet das in der Aufrechterhaltung der jahrhundertelangen amerikanischen Tradition, die klar eine Trennung zwischen Staat und Zivilgesellschaft zieht. Nach den Prinzipien der totalitären Demokratie sollten diese zwei Bereiche idealerweise eine Einheit bilden und hierin sieht Murray den entscheidenden Vorteil des amerikanischen Modells: Da der Staat nicht als Autorität und Herrscher von oben auftritt, sondern sich verpflichtet fühlt, seine Aufgaben zum Wohle der Gesellschaft auszuführen, besteht auch keine Gefahr für den Klerus antikirchlichen Gesetzen ausgesetzt zu werden (Murray, 1953).

Dass die amerikanische Tradition eher dem Ideal des religiösen Pluralismus entspricht als die europäische ist laut Murray auch dadurch zu erklären, dass in den USA der Entfaltungshorizont für die Religionsgemeinschaften nicht so sehr eingeschränkt ist.

Solange die Verfassung geachtet wird, soll der Staat nicht eingreifen. Im Gegenteil dazu, ist es in Europa eher Tradition, dass der Staat vorgibt, in welchem Rahmen sich die Religionen bewegen dürfen. Das kann in Folge zu einer Bevorzugung bzw.

Benachteiligung gewisser Religionsgemeinschaften führen und verhindert möglicherweise eine klare Trennung von Kirche und Staat (Murray, 1953).

Die Grundlage des amerikanischen religiösen Pluralismus sieht Murray im ersten Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung19. Darin geht es hauptsächlich um eine Rahmensetzung für den Staat selbst in Fragen des Umgangs mit der Religion bzw. mit 18 vgl. Kapitel 4.5 – 4.7

19 vgl. Kapitel 3.1.1.

den Religionsgemeinschaften. Daraus folgt, dass die primären Adressaten des Zusatzartikels also nicht die Religionen selbst sind, sondern dem Staat sozusagen Grenzen in seinem Handeln gesetzt werden. Murray fasst den Inhalt folgendermaßen zusammen und erläutert, wieso der Zusatzartikel Grundlage für die Entwicklung des religiösen Pluralismus in den USA war (Murray, 1946):

„It has simply an ethical and a political content. Its ethical content is the doctrine that religious conscience is immune from governmental coercion. And its political content is the assertion that the rights of conscience will be most securely protected and the political ends of the American State most effectively furthered by guaranteeing the equality of all religious consciences (and, by implication, of all religious bodies) before the law (Murray, 1946, S. 261).“

Seinen Standpunkt bezüglich des Vorteils des amerikanischen Modells machte Murray auch während des Konzils deutlich, als sich die Befürworter der religiösen Freiheit in zwei Lager teilten. Die Anhänger des amerikanischen Modells sahen die theologisch-moralische Begründung der religiösen Freiheit auf einer Ebene mit juristischen Schlussfolgerungen. Die Verfassung eines Staates und die Anerkennung der Würde des Menschen gehen – so wie in der amerikanischen Verfassung – Hand in Hand. Demgegenüber betont das französische Modell das Primat der theologisch-moralischen Frage, die zuerst ausgearbeitet werden muss, um daraus juristische Konsequenzen zu ziehen. Im Laufe des Konzils gewann die amerikanische Sicht immer mehr die Oberhand und hatte maßgeblichen Einfluss auf die Ausarbeitung des finalen Textes von Dignitatis Humanae (Von Galli & Moosbrugger, 1966).