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3. Das Verhältnis von Staat und Kirche seit der Auflärung anhand von ausgewählten Beispielen

3.1. Kirche und Staat in den USA

3.1.2. Christliche Naton und/oder religiöser Pluralismus

Trotz der durchaus progressiven Standpunkte der „Founding Fathers“ darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Mehrheit der Menschen in den 13 Kolonien nach der Unabhängigkeit Christen – genauer gesagt Protestanten – waren. Auch die Art und

Weise in der die amerikanische Verfassung gedacht und ausformuliert war, kann nicht ohne den Bezug zum Protestantismus ausreichend erklärt werden. Dass die Religionsfreiheit Eingang in die Amerikanische Verfassung fand, war auch der Überlegung geschuldet, einen Konflikt der zahlreichen protestantischen Glaubensrichtungen zu verhindern. Stattdessen sollte die geistige Freiheit in den Vordergrund gestellt werden und damit die persönliche Glaubensüberzeugung und persönliche Erfahrung mit Gott. Religiosität verschwand somit keineswegs aus dem öffentlichen Leben in den USA nach der Unabhängigkeit (Shain, 2010). Zöller (2005, S. 137) beschreibt diesen Prozess als „religiöse Individualisierung“. Darunter versteht er „...dass die Kompetenz zur Beurteilung religiöser Qualifikation auf den einzelnen übergeht.“ In diesem Zusammenhang erläutert er weiter, dass es ein signifikanter Schritt war, die Kontrolle über die Glaubensüberzeugung nicht mehr der Kirche oder Gemeinde zu überlassen, sondern dem Individuum zuzusprechen. Dieser Prozess bewirkte somit eine antiautoritäre Grundhaltung, die prägend für die amerikanische Kultur ist (Zöller, 2015).

Doch nicht zu jedem Zeitpunkt der amerikanischen Geschichte seit der Unabhängigkeit kann von einem Pluralismus heutiger Ausprägung gesprochen werden. Der religiöse Pluralismus in den USA bedarf einer genaueren Analyse wie er zu verschiedenen Zeiten verstanden wurde (Lippy, 2005). Die Voraussetzungen für eine Herausbildung des religiösen Pluralismus in den USA sieht Mead (1963) durch zwei Faktoren gegeben: einerseits fehlte eine religiöse Geschichte wie in Europa, die maßgeblich auf die Politik einwirkte und andererseits begünstigte der riesige Kontinent Ausweichmöglichkeiten für jene, die aufgrund ihrer Glaubensüberzeugung in gewissen Kolonien diskriminiert wurden. Diese Verfolgten konnten gen Westen ziehen und sich dort niederlassen und eine eigene religiöse Gemeinschaft bilden.

Auch Lippy (2005) betont, dass die evangelikale Erweckungsbewegung im 18. Jhd.

mit ihrer Verlagerung der Autorität zum Individuum ein – wenn auch unbeabsichtigter – Meilenstein für die Herausbildung des religiösen Pluralismus war.

Doch lange Zeit wurden andere religiöse Gemeinschaften, wie z.B. die Katholiken, in der Hinsicht diskriminiert, dass ihnen öffentliche Ämter verweigert wurden oder die Einwanderung aus katholischen Ländern begrenzt wurde. Die Dominanz des Protestantismus in der Frühzeit der Amerikanischen Geschichte ist auch der Grund, weshalb bis heute viele die USA als „christliche Nation“ sehen. Der religiöse

Pluralismus galt also zunächst nur den verschiedenen protestantischen Glaubensrichtungen. Erst allmählich entwickelte sich eine Toleranz gegenüber den Katholiken und auch Juden und ab Mitte des 20. Jhds. kann von einem dreigeteilten Pluralismus gesprochen werden, der die drei Glaubensrichtungen auf eine Ebene stellte11. Mit Einwanderungswellen aus asiatischen, muslimischen und südamerikanischen Ländern in den letzten Jahrzehnten nahm der religiöse Pluralismus die heutige Form an, der die USA vor neue Herausforderungen stellt.

Auch der Oberste Gerichtshof in den USA nahm Ende des 1892 Stellung zu dieser Debatte: „If we pass beyond these matters to a view of American life, as expressed by its laws, its business, its customs, and its society, we find every where a clear recognition of the same truth...These, and many other matters which might be noticed, add a volume of unofficial declarations to the mass of organic utterances that this is a Christian nation (Church of the Holy Trinity vs. Unites States, 143 U.S., S. 471).“ Die amerikanische Lebensweise mit all ihren Elementen (religiöse Praktiken in öffentlichen Einrichtungen, karitative Tätigkeiten von Religionsgruppen, Gemeindemissionen etc.) wird dabei vom Obersten Gerichtshof als Zeichen christlicher Tradition gesehen. Deshalb sei die Schlussfolgerung, die USA sei eine christliche Nation ist, in den Augen des Obersten Gerichtshofs durchaus gerechtfertigt gewesen.

Eine detaillierte Analyse zu dieser Thematik bietet das Buch „A New Religious America: How a „Christian Country“ Has Now Become the World’s Most Religously Diverse Nation“ von Diana L. Eck (2001). Eck behandelt dabei u.a. den Begriff

„From Many, One“ und argumentiert, dass dieses Gefühl des Zusammenhalts und der Einigkeit im Lichte vieler religiöser Glaubensüberzeugungen das staatsbürgerliche Verständnis der Amerikaner ist. Dass die USA und deren Verfassung u.a. vom Christentum geprägt wurde, ist nicht abzuweisen. Jedoch stellt sich heute wie damals die Frage, was unter Christentum zu verstehen ist, denn die Religion selbst kann nicht statisch und eindimensional betrachtet werden. Eck zeichnet dabei drei unterschiedliche Zugänge zum Thema religiöser Pluralismus in den USA. Bis ins 20.

Jhd. hinein war die Strategie der „Exklusivität“ mehr oder weniger intensiv vorherrschend. Dabei ging es primär um die Bewahrung der amerikanischen Kultur 11 vgl. dazu Herberg, W. (1955): Protestant, Catholic, Jew: an essay in American religious sociology. New York: Doubleday & Co

und Religion durch Einschränkung fremder kultureller und religiöser Einflüsse. Als nächste Phase trat die „Assimilation“ ein, die zur Prämisse hatte, die Grenzen für Einwanderer zu öffnen, aber eine Anpassung dieser Einwanderer an die amerikanische Kultur nach gewisser Zeit zu erfolgen hat. Dieser Ansatz geht zwar davon aus, dass ein gewisser kultureller Mix bzw. ein „melting pot“ begrüßenswert ist, aber zu viele Unterschiede vermieden werden sollten und deshalb eine Angleichung an die amerikanische Kultur notwendig ist. Der letzte Ansatz, den auch Eck vertritt, setzt sich für einen wahren religiösen Pluralismus ein, der die Differenzen anerkennt und nicht beseitigen will. Betrachtet man die derzeitige Situation in den USA, so spielen neben christlich-jüdischen Einflüssen auch muslimische, buddhistische, hinduistische und weitere Glaubensrichtungen eine entscheidende Rolle im religiösen und kulturellen Leben. Eck betont deshalb, dass dieser religiöse Pluralismus dadurch gestärkt und ein friedvolles Miteinander bewerkstelligt werden kann, wenn ein gemeinsamer Sinn für das „civic“, das Staatsbürgerliche, herausgebildet wird. Findet man diesen Sinn fürs Gemeinsame, dann kann es als „One“ im vorher erwähnten „From Many, One“ – Begriff dienen.

3.1.3. Die katholische Kirche in den USA