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5. Das 2. Vatkanische Konzil und seine Folgen

5.2. Das Konzil

5.2.2. Kontnuität oder Diskontnuitätu

Einer der Diskussionspunkte, das während und insbesondere nach dem 2.

Vatikanischen Konzil für unterschiedliche Meinungen in kirchlichen Kreisen sorgte, war die Frage bezüglich der Kontinuität der katholischen Lehre in Bezug auf die Religionsfreiheit. Dabei ging es um verschiedene Ansichten hinsichtlich der Interpretation historischer Texte – auch vergangener päpstlicher Enzykliken – und deren Verhältnis zur kirchlichen Tradition.

Die Veränderung der kirchlichen Position in Fragen der Religionsfreiheit kann durch vier Interpretationsmöglichkeiten dargestellt werden (Gabriel, Spieß & Winkler, 2013):

1. Strikte Kontinuitätsthese:

Die strikte Kontinuitätsthese geht davon aus, dass die Lehre der Päpste im Laufe der Geschichte keine Brüche aufweist und dass unterschiedliche Positionen der Päpste alleinig dem Bezugsobjekt geschuldet sind. Damit ist gemeint, dass beispielsweise die Päpste im 19. Jhd. eine ganz andere Bedeutung von Freiheit hatten als die Päpste im 20. Jhd. und ein Vergleich der Positionen somit nicht adäquat ist. Den Liberalismus des 19. Jhds., der antireligiös interpretiert wurde, könne man nicht mit den Menschenrechten des 20. Jhds. gleichsetzen, weshalb auch eine Verurteilung der päpstlichen Enzykliken als diskriminierend nicht zulässig sei. Dieser Theorie zufolge, ist immer von einer Kontinuität der katholischen Lehre auszugehen, die in einen historischen Bezugsrahmen gesetzt werden muss (Gabriel, Spieß & Winkler, 2013).

2. Erweiterte Kontinuitätsthese:

Die erweiterte Kontinuitätsthese geht von den gleichen Prämissen aus wie die strikte Kontinuitätsthese, erkennt jedoch durchaus die zeitlich unterschiedlichen Lehrmeinungen der Päpste an, die aber notwendigerweise in einem historischen Kontext zu verstehen sind. Der französische Liberalismus nach der Revolution 1789 sei ein klar antireligiöser gewesen, der sich beispielsweise von dem in den USA unterschied. Letzterer gewährte den Religionsgemeinschaften genug Freiheiten, sodass auch die katholische Kirche ihre positiven Erfahrungen mit dem Liberalismus erleben konnte (Gabriel, Spieß & Winkler, 2013). „Diskontinuität besteht insofern in der pauschalen Ablehnung liberaler Freiheitsrechte, Kontinuität in einer grundsätzlichen Offenheit für die Idee der Freiheit (Gabriel, Spieß & Winkler, 2013, S. 11).“

3. Erweiterte Diskontinuitätsthese:

Der Übergang zur erweiterten Diskontinuitätsthese ist insbesondere durch die kritische Haltung gegenüber einer kontinuierlichen Lehrentwicklung gekennzeichnet.

Gemeinsamkeit mit den beiden oben beschriebenen Thesen besteht hauptsächlich in der Anerkennung der historischen Komponente. Dass die Päpste den Liberalismus des 19. Jhds. abgelehnt haben, könne nicht ohne zeitabhängiger Berücksichtigung erfolgen. In der Betrachtung der Zeitkomponente müssen eben auch die sich verändernden Lehrmeinungen – auch in Bezug auf die Religionsfreiheit – als Diskontinuität akzeptiert werden (Gabriel, Spieß & Winkler, 2013).

4. Strikte Diskontinuitätsthese:

Im Gegensatz zu den drei bereits vorgestellten Thesen, bedient sich die strikte Diskontinuitätsthese nicht des historischen Rahmens als Argumentationsbasis. Dem Menschen werden in dieser These gewisse Rechte zugesprochen, die sie unabhängig von Zeit und Ort besitzen (=Naturrecht). Diese Unveräußerlichkeit bestimmter Rechte hat somit auch zur Folge, dass Aussagen, die sich für eine Einschränkung dieser Rechte aussprechen, inakzeptabel sind. Wird die These auf die Lehrmeinung der Päpste in Bezug auf die Religionsfreiheit angewendet, so ist schnell erkennbar, dass die Ablehnung der Religionsfreiheit in den päpstlichen Enzykliken des 19. und teilweise 20. Jhds. in Widerspruch zu den Freiheitsrechten steht. In diesem theoretischen Konstrukt wird somit das 2. Vatikanische Konzil als vollkommener Bruch mit der bis dahin vorherrschenden Lehre betrachtet, da die ablehnende Position

gegenüber der Religionsfreiheit durch die Öffnung der katholischen Kirche ersetzt wurde (Gabriel, Stieß & Winkler, 2013).

Auch Helmut Krätzl (2017) sieht im 2. Vatikanischen Konzil einen „Sprung nach vorn“. Dieser Begriff stammt von Johannes XXIII. und wurde zu Beginn des Konzils verlautbart, um darauf hinzuweisen, dass das Konzil eine Entfaltung der Lehre erleben soll. Somit kann von keiner Kontinuität gesprochen werden, da neben der Liturgie, der Bibelwissenschaft und der Moraltheologie auch eine Neuauslegung der Lehre bei der Religionsfreiheit durchgesetzt wurde.

Einen Lösungsansatz für dieses Dilemma bot auch Papst Benedikt XVI., indem er die Hermeneutik der Diskontinuität ablehnte und durch die Hermeneutik der Reform ersetzte. Als Anhänger der Hermeneutik der Reform argumentiert er im Sinne einer erweiterten Kontinuitätsthese und sieht eine grundsätzliche Konstanz in der kirchlichen Lehre. Jedoch fügt er hinzu, dass eine Anpassung der Lehre nicht automatisch einen Widerspruch zur Tradition darstellen muss. Diese Reformfähigkeit in Abhängigkeit des historischen Kontextes erlaubt es, das 2. Vatikanische Konzil sowohl als Fortsetzung der Tradition als auch Prozess der Wandlung zu betrachten (Benedikt XVI, 2006).

Die unterschiedlichen Meinungen von Weihbischof Krätzl und Papst Benedikt XVI.

sind nur exemplarisch für die breite Diskussion, wie die Erklärung der Religionsfreiheit 1965 im Verhältnis zu vergangenen Dokumenten und Stellungnahmen der Päpste zu sehen ist. Als Argumentationsbasis insbesondere derer, die auf der Seite der Kontinuitätsthese stehen, dient als Begründung der ungleiche Begriff des Liberalismus. Dieser sei im 19. Jhd. säkular und antireligiös aufgetreten und nicht vergleichbar mit dem Liberalismus des 20. Jhds., der die Würde des Menschen in den Mittelpunkt stellt. Wie der Liberalismus zu verstehen ist, hängt maßgeblich vom Staat ab, der die Rahmenbedingungen setzt. Deshalb ist auch das Verhältnis von Kirche und Staat in der Diskussion um die Religionsfreiheit relevant, denn die Auflehnung der Päpste im 19. und 20. Jhd. gegen die Religionsfreiheit und die Trennung von Kirche und Staat kann als Reaktion auf unerwünschte Gesetzesnovellen in diesen Bereichen gesehen werden.

5.2.3. John Courtney Murray und die theologische Begründung der