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3. Das Verhältnis von Staat und Kirche seit der Auflärung anhand von ausgewählten Beispielen

3.1. Kirche und Staat in den USA

3.1.3. Die katholische Kirche in den USA Die Anfänge der katholischen Kirche

Wie im vorherigen Abschnitt schon erwähnt, galt der religiöse Pluralismus in den USA zunächst nur den protestantischen Glaubensrichtungen. Obwohl Katholiken durch missionarische Aufträge der Spanier und Franzosen in geringen Zahlen den amerikanischen Kontinent bewohnten, waren es die Auswanderer aus England, die mit den zahlreichen protestantischen Glaubensrichtungen die ehemaligen Kolonien dominierten (Reinhold, 2011). Die erste katholische Kolonie wurde im 17.

Jahrhundert von der Familie Calvert gegründet und bekam den Namen Maryland.

Dies bedeutete jedoch nicht, dass die katholische Kirche zur Staatskirche wurde. Das Ziel war die Gewährung von Religionsfreiheit, die jedoch nicht durchgesetzt werden konnte, da Ende des 17. Jhds. die Englische Kirche zur Staatskirche gemacht wurde, die Katholiken an diese Steuern entrichten mussten und von politischen Ämtern ausgeschlossen wurden (Hertling, 1954).

Obwohl der 1. Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung die Etablierung einer Staatskirche verbot und die freie Religionsausübung gewährte, war dies mit Einschränkungen in der Praxis verbunden, die eine Verbesserung der Lage für Katholiken zunächst nicht vorsah. Die Gründung einer Staatskirche durfte nur auf Bundesebene nicht vollzogen werden, die einzelnen Bundesstaaten waren davon nicht betroffen. Dies führte dazu, dass auch nach dem Inkrafttreten der Verfassung einzelne Bundesstaaten eine Staatskirche hatten. Auch die freie Religionsausübung bedeutete nicht, dass eine Gleichstellung der unterschiedlichen Glaubensrichtungen stattfand und vor dem Gesetz alle Konfessionen gleichbehandelt wurden (Hertling, 1954).

Trotz dieser Umstände wurde John Carroll (1735 – 1815) – ein katholischer Pfarrer – 1790 als erster Bischof der USA geweiht und übte einen erheblichen Einfluss auf die weitere Entwicklung der katholischen Kirche aus. Die erste Diözese fand ihren Platz in Baltimore, mit Carroll als Leiter und meist ehemaligen Ex-Jesuiten als Priester. Die Herausforderungen dieser Zeit waren insbesondere der Bedarf an Priestern und die neue Situation, dass die Katholiken selbst den Unterhalt ihrer Seelsorger finanzieren mussten. Bis zu seinem Tod gelang es Carroll eine Hierarchie in der katholischen Kirche der USA zu etablieren, die als Grundstein für die Zukunft dienen sollte (Ahlstrom, 1972).

Mit dem Beginn der institutionalisierten katholischen Kirche in den USA gingen auch Besonderheiten einher, die sie von der katholischen Kirche in den europäischen Ländern unterschied. Carrol und seine Mitbrüder setzten sich von Anfang an für eine freie und unabhängige Kirche ein, die sich soweit wie möglich ausländischen Einflüssen – auch vom Vatikan - zu widersetzen versuchten. Als „nationale“ Kirche sahen sie sich dem amerikanischen Volk verpflichtet und insistierten, dass gewisse Prozesse, wie die Wahl des Bischofs, vom amerikanischen Klerus bestimmt werden soll. Neben diesem Wunsch nach Unabhängigkeit ist ein weiterer Faktor charakteristisch für die katholische Kirche in den USA. Konträr zu der katholischen Kirche in vielen europäischen Staaten, war die katholische Kirche in den USA der Überzeugung, dass eine Trennung von Staat und Kirche und der religiöse Pluralismus zu befürworten sind. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass die Katholiken in der Minderheit waren und somit eine Unterstützung des religiösen Pluralismus deren Situation verbessern sollte. Doch auch der Einfluss der Aufklärung auf die katholische Kirche in den USA darf nicht vernachlässigt werden, der einen

Kompromiss zwischen theologischen und aufklärerischen Standpunkten zu finden suchte. So wurden etwa die Laien von Anfang an stärker in kirchliche Strukturen eingebunden, wodurch der demokratische Charakter der Gesellschaft wiedergespiegelt wird (Dolan, 1992).

Diese erste Phase des kirchlichen Gemeindelebens wird von Dolan (1992) als

„Congregational Parish“ genannt. Im Mittelpunkt stehen dabei eine gewisse Demokratisierung der Hierarchiestrukturen und der Fokus auf lokale Autonomie.

Dieses System war den Katholiken aus Europa fremd und spiegelte eindeutig den protestantischen Einfluss auf die Gesellschaftsstrukturen wieder. In dieser Umgebung mussten sich die Katholiken anpassen und dieses Modell des Gemeindelebens übernehmen. Doch schon zu Beginn des 19. Jhds. und nach dem Tod von John Carroll änderte sich das Gemeindeleben in Richtung eines „Devotional Parish“. Dies ging einher mit einer Transformation der katholischen Kirche, die nun vermehrt europäische Einflüsse aufnahm und sich vom Anspruch einer nationalen amerikanischen Kirche wieder entfernte. Dieser Prozess wurde maßgeblich von einer enormen Einwanderungswelle von Katholiken aus Deutschland und insbesondere Irland determiniert. Allein zwischen 1846 und 1851 kamen aufgrund der Hungersnot in Irland mehr als eine Million Iren in die USA. Das gleiche Bild zeichnete sich auch in den 1880er Jahren ab, als innerhalb von 10 Jahren ca. 1,5 Millionen Deutsche in die USA einwanderten und somit die größte Immigrantengruppe stellten. In der Folge überquerten auch zahlreiche Italiener und Osteuropäer den Atlantik und erhöhten damit die Zahl der Katholiken in den USA um ein Vielfaches.

Anti-Katholizismus

Die in ihrer Quantität signifikanten Einwanderungswellen hatten eine negative Reaktion der mehrheitlich protestantischen Bevölkerung zur Folge, die auf mehreren Begründungen fußte. Zum einen wurden die USA von einigen als protestantische Nation gesehen, die in den enormen Einwanderungsströmen einen Niedergang dieser Tradition befürchteten. Auch eine „aufklärerische“ Ablehnung wurde herbeigezogen, indem darauf aufmerksam gemacht wurde, dass die katholische Kirche zu viel Macht besäße, in ihrer Struktur sehr hierarchisch geordnet sei und somit nicht in die amerikanische Gesellschaft und Kultur hineinpasse. Eine wichtige Begründung stellt auch der soziale Faktor dar. Im Bewusstsein vieler war die USA durch traditionelle

und agrarische Lebensformen gekennzeichnet, die jedoch zu erodieren drohten, weil sich die Einwanderer in den Städten niederließen und dort für ein Bevölkerungswachstum sorgten. Letzten Endes fließen auch sozioökonomische Überlegungen mit ein, denn neue, billige Arbeitskräfte führten zu Arbeitsverlust der ansässigen Bevölkerung und damit zur Ablehnung von Einwanderern. All diese Ängste mündeten in eine anti-katholische Reaktion, die von Zeitungen verbreitet und von einigen protestantischen Priestern mitgetragen wurde. Es bildete sich sogar eine Organisation, die unter dem Namen „Know-Nothings“ bekannt wurde und deren Ziel die Beseitigung bzw. Verhinderung von Katholiken im öffentlichen Dienst war.

Obwohl die „Know-Nothing“-Bewegung bald ihr Ende fand, blieben die Vorbehalte gegenüber Katholiken weiterhin bestehen und sollten erst Jahrzehnte später verblassen (Ahlstrom, 1972).

Aufgrund dieser Entwicklungen wurde der Übergang zum vorher erwähnten

„Devotional Parish“ begünstigt, der die Frömmigkeit und Spiritualität in den Mittelpunkt des religiösen Lebens stellte. Dabei sind vier Säulen ausschlaggebend für den „Devotional Parish“: die Autorität, die Sünde, das Ritual und das Übernatürliche.

Die Verehrung von Jesus, Maria und weiterer Heiliger wurde intensiviert, um das Ziel der Erlösung der Menschen einen Schritt näherzukommen. Zu erwähnen ist hierbei, dass die spirituellen Zeremonien und frommen Lebenseinstellungen nicht neu erfunden, sondern aus Europa importiert wurden und damit eine stärkere Verbindung zu der Katholischen Kirche in Europa geschaffen wurde. Obwohl „Congregational Parish“ und „Devotional Parish“ Jahrzehnte nebeneinander präsent waren, setzte sich ab ca. 1860 der „Devotional Parish“ als dominantes Gemeindewesen der Katholiken durch (Dolan, 1992).

Zur selben Zeit brach auch der Schulstreit aus, der zur Grundlage hatte, dass die katholischen Schulen im Gegensatz zu protestantischen Schulen nicht von öffentlichen Geldern finanziert wurden. Das hatte zur Folge, dass Eltern ihre Kinder – anders als in Europa – nicht in Schulen mit Religionsunterricht schicken konnten, und den Schulbesuch häufig durch eigene Aufwendungen zu finanzieren hatten. Es setzte sich somit die Überzeugung durch, dass eine staatliche Bevormundung nicht das Ziel sein kann und ein Besuch in öffentlichen Schulen keine Lösung für die Katholiken darstellte. Die Relevanz der Pfarrschulen für die katholische Gemeinde führte trotz dieser Umstände zu einem stetigen Zuwachs an Pfarrschulen im Laufe der Zeit und

der Angleichung von Standards in Bezug auf öffentliche Schulen. Die Früchte dieser Arbeit machten sich bezahlt, denn in den 50er Jahren des 20. Jhds. besuchten zwischen 50-66% der katholischen Kinder eine katholische Schule (Hertling, 1954).

Auch die Judikatur spielte in der Causa der Pfarrschulen eine wichtige Rolle, denn der Oberste Gerichtshof entschied im Fall „Pierce vs. Society of Sisters“12 für die Freiheit der Eltern bei der Schulwahl und ermöglichte so die Ausbreitung der katholischen Pfarrschulen in den USA (Reinhold, 2011).

„Amerikanisierung“ der Katholischen Kirche

Die rasant gestiegene katholische Bevölkerung – von ca. 3 Millionen im Jahr 1860 auf ca. 12,5 Millionen im Jahr 1895 – bestand aus einer Vielzahl an Nationalitäten.

Obwohl sie alle eine gemeinsame katholische Grundlage hatten, bestanden teilweise erhebliche Meinungsverschiedenheiten in diversen Fragen der Religion, aber insbesondere in der Frage, wie die Beziehung zur amerikanischen Gesellschaft bzw.

der amerikanischen Kultur sich gestalten soll. Die Deutschen befürworteten durch ihre hohe Anzahl an Mitgliedern, einer langen theologischen Tradition und einer starken Anwaltschaft aus Europa eine Bewahrung ihrer Selbstständigkeit. Die Iren passten sich durch die gemeinsame Sprache eher an die Gegebenheiten an und so kam es immer wieder zu innerkatholischen Debatten über den Grad an Anpassung und Selbstständigkeit, aber auch in Fragen der Hierarchie in der U.S.-Amerikanischen Katholischen Kirche (Ahlstrom, 1972).

Die Stärkung der Position des Papstes, die Phase des „Devotional Parish“ mit der Hervorhebung der Autorität und eine Ablehnung des Modernismus schienen die Debatte zulasten der „Amerikanisierung“ zu führen. Ein glühender Verfechter dieser Position war Papst Leo XIII, der jedwede Abweichungen von der traditionellen Lehre ablehnte und sich klar gegen eine „Amerikanisierung“ der Katholischen Kirche aussprach13. Dass sich die Katholiken zu dieser Zeit also sowohl als Amerikaner und Patrioten fühlten und gleichzeitig loyal zur römisch-katholischen Kirche waren, brachte sie in ein gewisses Spannungsverhältnis (Dolan, 1992).

Ahlstrom (1972) argumentiert, dass trotz der strikten Worte aus Vatikan nicht der Fehlschluss gezogen werden darf, dass in den USA nur Modernisten in den Reihen 12 vgl. dazu Pierce vs. Society of Sisters, 268 U.S. 510 (1925)

13 vgl. dazu Papst Leo XIII (1899): Apostolischer Brief „Testem Benevolentiae“

der Katholischen Kirche agierten. Diejenigen, die eine liberalere Grundhaltung vertraten, taten dies in Bezug auf praktische, nicht doktrinäre Belange. Außerdem übten die konservativen Priester noch immer den größten Einfluss in der Hierarchie aus und waren sich mit Rom über die Frage des „Amerikanismus“ einig.

Doch in den Augen vieler Protestanten stellte sich die Frage, ob der Katholizismus mit seinem autoritären Weltbild im Einklang mit der demokratischen Regierungsform und individualistischen Lebensweise gebracht werden kann (Reinhold, 2011).

Obwohl die Tendenzen am Ende des 19. Jhds. eher in Richtung Anti-

„Amerikanisierung“ und Papsthörigkeit gingen, änderte sich der Kurs nach dem 1.

Weltkrieg. Dolan (1992, S. 352) meint dazu: „It was the gospel of Americanism all over again, but this time it was not aimed at the adaption of religion to culture, but at the conversion of culture to religion, another way of putting it is that the culture of Catholicism would permeate American culture.“ Die 20er Jahre des 20. Jhds. brachten signifikante Veränderungen für die katholische Kirche mit sich. Um die Einwanderung aus Europa und Asien zu begrenzen, beschloss der Kongress, Einwanderungsquoten einzuführen. Besonders hart traf es in der Folge die ost- und südeuropäischen Länder, aus denen in den vorherigen Jahrzehnten eine Welle an Einwanderern in die USA eintraf. Diese Beschränkung wurde von der katholischen Kirche in den USA als Affront gegen die Katholiken gesehen, da der Großteil der in diesen Ländern ansässigen Bevölkerung Katholiken waren. Der Protest trug keine Früchte und die katholische Kirche sah sich vor vollendete Tatsachen gestellt. Die Konsequenz dieser Entscheidung war eine erheblich reduzierte Einwanderungsquote von Katholiken, die ihre religiösen Elemente aus Europa mitimportierten. Ohne diese ständige religiöse Erneuerung betonten die Katholiken in den USA nicht mehr so stark ihre ethnischen Wurzeln, sondern suchten einen Weg um die amerikanisch-katholische Identität zu stärken (Dolan, 1992).

Dieser Prozess hin zu einer „Amerikanisierung“ vollzog sich auf mehreren Ebenen.

Die Katholiken verloren allmählich das Image der „working class“, dass in vielen Fällen zur Distanz mit der protestantischen Gesellschaftsschicht führte. Auch die Katholiken siedelten sich nun vermehrt in den Vororten der Städte an und besiegelten somit den sozialen Wandel hin zum Mittelstand (Dolan, 1992). Eine besonders relevante Entwicklung vollzog sich in den Pfarrschulen. Wie schon erwähnt, gewährte der Oberste Gerichtshof 1925 Unterrichtsfreiheit für die Pfarrschulen. Doch anstatt

die Pfarrschulen damit von der übrigen Gesellschaft zu lösen, gingen die Katholiken den entgegengesetzten Weg. Die Standards, die in öffentlichen Schulen eingeführt worden sind, fanden auch ihren Platz in den katholischen Schulen. Als Unterrichtssprache war englisch vorherrschend und trug auch dazu bei, dass die Zweisprachigkeit der neuen Generationen langsam verschwand. Diese Angleichung der Standards mit öffentlichen Schulen trug wesentlich zur „Amerikanisierung“ bei.

Auch das in den USA und bei den Protestanten sehr aktive Vereinsleben erlebte bei den Katholiken einen Aufschwung und bewirkte, dass sowohl auf Gemeindeebene als auch bei überregionalen Organisationen hinaus die Bereitschaft vorhanden war, sich aktiv in die Gesellschaft einzubringen (Reinhold, 2011).

Obwohl man in einigen Gemeinden mit der Förderung der „Amerikanisierung“ sehr vorsichtig sein musste um die national-religiösen Gefühle nicht zu verletzen, war nach dem 2. Weltkrieg ein genereller Trend Richtung „Amerikanisierung“ erkennbar.

Interethnische Hochzeiten, national und kulturell gemischte Gemeinden, die Bewunderung der amerikanischen Massenkultur und deren Verbreitung durch Massenmedien führten zu einer kulturellen Einheit der USA, die das „Amerikanische“

in den Vordergrund stellte. Von nun an war man Amerikaner mit deutschen/irischen/polnischen etc. Wurzeln (Dolan, 1992).

Ressentiments gegenüber Katholiken beschränkten sich in der zweiten Hälfte des 20.

Jhds. auf Einzelfälle, auch deshalb, weil nunmehr die Rassenfrage in den Mittelpunkt der politischen und gesellschaftlichen Debatten gerückt war. Die Wahl des Katholiken John F. Kennedy zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika war ein besonderes Zeichen der Integration der katholischen Gemeinschaft in die amerikanische Gesellschaft und spiegelte die Großteils friedliche Koexistenz zwischen Katholiken und Protestanten wieder (Reinhold, 2011). Reinhold (2011, S.

168) erläutert dabei treffend: „Seine Wahl besiegelte die endgültige Anerkennung der Katholiken als vollgültige Amerikaner und symbolisierte gleichzeitig das sichtbare Ende der Voreingenommenheit der Protestanten gegenüber den Katholiken...“