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In diesem Augenblick war ein langer Rauchstreifen am Horizont zu erkennen.

Er stammte von einem Dampfer, der rasch aufholte und dem Comte d’Erlon zusehends näher kam; seine Segel waren sorgfältig an den Rahen festgemacht, und er fuhr, durch die kräftige und ruhige Bewegung seiner Schiffsschraube angetrieben, mit unvergleichlicher Grazie und Geschwindigkeit dahin.

»Das ist aber ein hübsches Schiff«, meinte Jacques, »und es läuft besser als unseres. Ich brenne darauf, seinen Namen zu erfahren, damit ich ihn mir hinter meine Reiseohren schreiben kann!«

Diese Genugtuung konnte er sich alsbald verschaffen: Er richtete sein Fernglas auf das Schiff und las auf der linken Backbordseite ganz deutlich:

Comtesse de Frecheville!

»Die Comtesse!« rief er.

Tatsächlich, es war die Comtesse, die, nachdem sie Nantes zwölf Stunden später als der Comte verlassen hatte, zwölf Stunden vor ihm in Bordeaux

eintreffen sollte.

»Die Comtesse ist entschieden gewandter«, sagte Jonathan zu ihm; »was für ein flottes Mädchen! Ich hatte schon recht, als ich ihr unser Schicksal anvertrauen wollte!«

Ein Pfotenhieb der so unvorsichtigerweise verschlungenen Katze brachte diesen harmlosen Scherz zum Verstummen.

Da bot die Gironde den Augen der Reisenden eines ihrer schönsten Schauspiele dar.

Sie erreichten Le Bec d’Ambès, jene Stelle, an der die Dordogne und die Garonne ihre Wasser unter dem Namen Gironde ineinanderströmen lassen.

Herrliche Bäume in verlockendem Grün säumen die vier Ufer, und die beiden Flüsse vertragen sich in den ersten Augenblicken ihrer Vereinigung nicht allzu schlecht; Le Bec d’Ambès wird noch von den Strahlen ihres Honigmondes erhellt, und erst weiter draußen, gegen den Atlantischen Ozean hin, streiten sie sich wie alte Eheleute und peitschen ihre zornigen Fluten auf.

Die Nacht brach bereits herein; die Passagiere warteten ungeduldig darauf, ans Ziel ihrer Reise zu gelangen, und standen vorn am Bug des Schiffes. Sie hefteten ihre Blicke auf die Windungen des Flusses, und bei jeder Krümmung wuchs ihre Enttäuschung.

»Es ist ärgerlich! Einfach absurd! Wir kommen auch heute abend nicht an!

Jetzt sind wir seit achtundvierzig Stunden in dieser verfluchten Sardinenbüchse eingesperrt!«

Dann wandten sie sich an den Kapitän, erkundigten sich beim Ersten Offizier, fragten den Lotsen aus, aber dieser blickte sie nur mit spöttischer Miene an.

Weitere zwei Stunden vergingen! Zwei schreckliche Stunden! Der Comte d’Erlon kämpfte gegen den Wind und die Gezeiten! Endlich tauchten am rechten Ufer verstreut ein paar Lichter auf, glühende Fabriksschlote kamen am linken Ufer in Sicht; Schattenrisse von Schiffen, die schlafend vor Anker lagen, zeichneten sich in einer verschwommenen Dunkelheit ab. Der Dampfer fuhr am felsigen Fuß eines hohen Hügels entlang, unter dem pfeifend der Zug nach Paris dahinbrauste; plötzlich wurde klirrend eine Kette entrollt, ein jäher Ruck ließ das Schiff stillstehen, der Dampf entwich aus dem Heizkessel, und die letzten Wassertropfen rannen über die müden Schaufelräder. Der Comte d’Erlon hatte soeben seinen Anker ausgeworfen.

»Wir sind angekommen«, rief Jacques.

»Angekommen!« antwortete jemand. »Aber wo ist Bordeaux?«

»Wir sind in Lormont«, sagte der Kapitän seelenruhig, »eine Meile unterhalb von Bordeaux. Wir können erst morgen früh am Quai anlegen!«

»Tod und Teufel!« riefen die Passagiere und trotteten zu ihren Schmerzenslagern zurück.

Da schließlich alles ein Ende nehmen muß, selbst eine Fahrt von Nantes nach Bordeaux, lag das Schiff am nächsten Tag vertäut vor dem Zollhaus, und nachdem die beiden Freunde ihre Seekoffer einem der lautesten Gepäckträger anvertraut hatten, steuerten sie auf das Hôtel de Nantes zu, das am Hafen steht.

Sie hatten sechzig Stunden auf dem Comte d’Erlon verbracht und befanden sich nun fünfhundert Kilometer südlich von Paris.

»Hübscher Anfang für eine Reise in den Norden!« sagte Jonathan.

Es ist leicht zu erraten, welche Sorge Jacques einzig und allein beschäftigte, als sie von Lormont aus die Garonne hochfuhren. Mit den Augen verschlang er die unzähligen Schiffe, die in der Flußmitte ankerten: Die Hamburg mußte unter ihnen sein! Hoffentlich war sie nicht während dieser verfluchten Reise ausgelaufen! Was für eine Enttäuschung, wenn sie auf einmal mit Volldampf in Richtung Liverpool an ihnen vorübergezogen wäre, während der Comte d’Erlon mühsam die Gironde hochkeuchte!

Sobald das Gepäck im Hotel abgestellt war, kehrte Jacques, mit seinem treuen Gefährten im Schlepptau, zum Hafen zurück. Sie wandten sich an einen Zöllner und fragten ihn nach den Ankünften und Abfahrten der letzten Tage. Der Beamte, ein überaus freundlicher Mensch, erteilte ihnen umfassend Auskunft:

Die Hamburg stand nicht auf der Liste der ein-oder ausgelaufenen Schiffe!

»Jetzt fehlt uns nur noch eins«, sagte Jacques zitternd.

»Was denn, bitte schön?«

»Daß die Hamburg sich entschlossen hat, ihre Fracht in Saint-Nazaire an Bord zu nehmen, jetzt, wo wir in Bordeaux sitzen!«

»Das wäre ja grauenhaft! Aber wir werden schon herausfinden, woran wir sind: Laß uns zunächst zu einem rechtschaffenen Bürger dieser Stadt gehen, der ein Freund von mir ist, und anschließend werden wir Mister Daunts Geschäftspartner unsere Aufwartung machen, er wird uns über die Lage ins Bild setzen.«

Nach so trefflichen Worten bleibt einem nur noch, auch trefflich zu handeln!

Aus diesem Grund marschierten Jacques Lavaret und Jonathan Savournon, nachdem sie sich den Weg hatten erklären lassen, Arm in Arm zur Rue Cornac.

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