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Zweiunddreißigstes Kapitel An Bord der ›Prinz Albert‹

Die Fahrt dauert zum Glück nicht lange, denn von Glasgow nach Balloch sind es nur ungefähr zwanzig Meilen. Der Railway rollt durch Dumbarton, königlicher Marktflecken und Hauptort der Grafschaft, der im Mündungsgebiet von Clyde und Leven nicht stolzer daliegen könnte; sein Schloß, das dem Unionsvertrag entsprechend immer noch befestigt ist, sitzt hoch oben auf den zwei Spitzen eines Basaltfelsens. Von Dumbarton zog Maria Stuart aus, um Königin Frankreichs zu werden. Eine historische Besonderheit weckte das Interesse der beiden Franzosen für dieses Schloß. Hier plante das englische Kabinett, Napoleon nach 1815 einzusperren: Dumbarton oder Sankt Helena,

immer war es ein Felsen, den Englands Haß für den Feind bereithielt, der seiner Ehrlichkeit vertraut hatte.

Kurze Zeit später hielt der Zug in Balloch, unweit einer Holzmole, die zum Loch Lomond hinabführte.

»Das wäre also der erste See, den ich in meinem Leben erblicke!« rief Jacques.

»Und der erste Berg!« entgegnete Jonathan, »denn bisher hast du nur lachhafte Berge gesehen, Berge für Pariser, Taschenberge!«

Sie stürmten sogleich aus dem Bahnhof hinaus, liefen die Mole hinunter und nahmen an Bord des Dampfschiffes Prinz Albert Platz; hier lösten sie Fahrkarten nach Inversnaid, am anderen Ende des Sees, und bezahlten für jede zwei Shilling und sechs Pence.

»Ganz schön teuer für eine Überfahrt von dreißig Meilen. Aber was für eine Überfahrt! Lieber Jonathan, vergiß nicht, daß wir im Land Mac Gregors sind!«

Anfangs ist der Loch Lomond von einer großen Anzahl reizender kleiner Inseln in allen möglichen Formen und von unterschiedlichster Beschaffenheit geprägt; die Prinz Albert fuhr an den schroffen Ufern entlang, und auf ihrem sich dahinschlängelnden Weg brachte sie den Augen tausend verschiedene Landschaften nahe, mal eine fruchtbare Ebene, dann wieder eine unwirtliche Schlucht, gespickt mit jahrhundertealtem Felsgestein. Jedes dieser kleinen Eilande hat seine historische Legende, und die Geschichte dieses Landstrichs ist wahrhaftig mit Riesenbuchstaben aus Inseln und Bergen geschrieben. Der See dürfte an dieser Stelle vier bis fünf Meilen breit sein. Diese Anordnung erinnerte Jacques an die tausend Inseln des Ontariosees, die vom Rivalen Walter Scotts so vortrefflich beschrieben worden sind. Die Natur schien all ihren Einfallsreichtum ausgeschöpft zu haben, um ihr Aussehen so mannigfaltig wie nur möglich zu gestalten: Eine verwilderte, felsige Insel, ohne jede erkennbare Vegetation, reckte ihre scharfen Spitzen ganz in der Nähe der grünen und rundlichen Kuppe einer zweiten empor; die Lärchen und Birken der einen protestierten durch ihr sattgrünes Geäst gegen das gelbe und vertrocknete Heidekraut einer anderen, und dennoch umspülte das Wasser des Sees sie alle mit seiner stillen Gleichmäßigkeit. Unweit von Balmaha, das den Beginn der Highlands anzeigt, erblickte Jacques mehrere verstreut daliegende Gräber, sie gehörten der alten Familie der Mac Gregors.

Die Ufer des immer noch breiten Sees strebten indessen mehr und mehr aufeinander zu, je näher sie dem kleinen Hafen Luss kamen. Trotz des recht

heftigen Regens verharrten die beiden Freunde unverzagt an Deck und ließen sich kein Detail dieses abwechslungsreichen Schauspiels entgehen. Jacques spähte im Nebel nach dem Gipfel des Ben Lomond; er fühlte sich ganz und gar von einer starken und ungezähmten Poesie erfüllt und fand zwischen diesen steilen Ufern, auf diesen schwarzen und friedlichen Wassern den Eindruck seiner Lieblingslektüren wieder; die sagenumwobenen Helden Schottlands bevölkerten in seiner Erinnerung dieses herrliche Fleckchen Erde der Highlands wieder.

Nachdem die Prinz Albert das Dorf Luss verlassen hatte, fuhr sie direkt auf den Ben Lomond zu, der am gegenüberliegenden Ufer emporragte. Endlich konnte Jacques den Berg sehen, dessen Fuß in die Wasser des Loch Lomond getaucht war und dessen Kopf in den Wolken verschwand. Es fiel ihm zunächst schwer einzuräumen, daß er über tausend Meter hoch war, er hatte sich von dieser Höhe eine andere Wirkung erwartet und war noch nicht an diesen wuchtigen Anblick gewöhnt. Doch bald schon löste sich das Haupt des Ben Lomond aus der Wolke und zeigte sich in seiner ganzen Pracht.

»Ach, wie herrlich!« rief Jacques und griff nach der Hand seines Freundes.

»Was für eine barbarische Größe! Schau dir nur diesen gewaltigen Sockel an!

Von diesem Gipfel muß man den ganzen südlichen Teil Schottlands mit einem Blick umfassen können!«

»Es ist ärgerlich, daß wir nicht genug Zeit haben«, antwortete Jonathan, »wir werden es immer bereuen, nicht auf den Ben Lomond gestiegen zu sein!«

»Wenn man bedenkt«, fügte Jacques hinzu, »daß dieser ganze Berg dem Herzog von Montrose gehört! Ihro Gnaden haben wirklich Glück, sie besitzen einen Berg geradeso, wie ein Pariser Bourgeois ein Stückchen Rasen in seinem Garten besitzt. Aber schau nur, Jonathan, schau!«

Die Prinz Albert näherte sich dem Ben Lomond, und der See wurde immer schmaler; der Ben ist die letzte Spitze der Gebirgskette Grampian Mountains, in die sich lange, abgelegene Glens hineinziehen: Wörter wie ben, glen und den sind keltischer Herkunft. Der Clan von Mac Gregor hatte sich in den clachans am Ostufer des Sees niedergelassen, unmittelbar am Fuß des Berges, auf den in klaren Nächten der Mond, Macfarlanes Laterne genannt, seine blassen Strahlen warf. Die Orte hier haben die Erzählungen dieser Helden mit angehört, ganz in der Nähe hat der Streit zwischen Jakobiten und Hannoveranern diese öden Schluchten mit Blut besudelt, und die unzähmbaren Echos rufen noch immer den Namen Rob Roys: Mac Gregor Campbell!

Die Prinz Albert erreichte das Dorf Tarbet am gegenüberliegenden Ufer, wo

das Schiff die Passagiere absetzte, die nach Inverary wollten; und hier zeigte sich der Ben Lomond in seiner ganzen Schönheit, von seinem tiefgrünen Fuß bis zu seinem ausgezehrten Gipfel. Seine mächtigen Flanken werden von Wildbächen durchfurcht, die in dieser Höhe als flüssig-funkelnde Silberplatten zu erkennen sind; die Wirkung dieser regelrechten Wasserfälle, die aus einer unsichtbaren Spalte hervorschossen, um sich dann in einen unbekannten Schlund zu stürzen, war neuartig und rief Staunen hervor.

Dann fuhr die Prinz Albert am Fuß des Berges entlang, und die Landschaft wurde immer schroffer; das Seeufer war ausgedörrt und steinig; hier und da standen noch vereinzelt Bäume, und unter ihnen jene Weiden, mit deren Ruten Menschen gehängt wurden, um Hanf zu sparen.

»Walter Scott«, sagte Jacques, »nennt den Loch Lomond den schönsten aller Seen und den Ben Lomond den König unter den Bergen: Er hat recht, und ich teile seine patriotische Bewunderung rückhaltlos.«

Dreiunddreißigstes Kapitel

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