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Siebenundzwanzigstes Kapitel Schottland ist reich an Niederschlägen

Der Firth of Forth, über den in Edinburgh immerzu gesprochen wird, ist ein von den Ufern des Fife im Norden und den Grafschaften Linlithgow, Edinburgh und Haddington im Süden umschlossener Golf; er wird vom Forth gespeist, einem unbedeutenden Fluß, der vom Ben Lomond herunterkommt und bei Kincardine, in der Nähe von Alloa ins Meer fließt. Das Steamboat braucht drei Stunden für die Fahrt vom Granton Pier bis zum äußersten Ende dieser Förde, die als Firth bezeichnet wird.

Die Ufer sind ungewöhnlich zerklüftet und zwingen die Schiffe, tausend Schlangenlinien zu fahren, um sich den verschiedenen Anlegeplätzen zu nähern, die fast alle mit Landestegen ausgerüstet sind. Die Städte, Dörfer und Cottages ziehen sich an seinen Gestaden dahin, in einer recht fruchtbaren und bewaldeten Landschaft. Den beiden Reisenden gelang es mit Müh und Not, diese bezaubernden, im Regen verschwimmenden Landstriche auszumachen; so gut es nur ging, suchten sie Schutz unter der vorspringenden Galerie des Kajütendachs oder unter dem breiten Steg zwischen den Schaufelradtrommeln. Sie hatten im übrigen nicht einmal den Trost, rauchen zu können, denn diese Art von Zerstreuung war nur auf dem Vorderschiff erlaubt.

Schon eine ganze Weile waren dumpfe Detonationen aus dem westlichen Teil des Golfes zu hören, und Jacques bemühte sich vergeblich, ihre Ursache zu ergründen. Sie wurden deutlicher, als die Prinz von Wales das Dorf Aberdour und die Insel Colm hinter sich ließ. Und nachdem sie um das befestigte kleine Eiland Garvie herumgefahren war, das ganz in der Nähe des königlichen Landstädtchens Queensferry liegt, genau da, wo der Forth am engsten ist, sahen sich die Passagiere des Steamboats plötzlich mit einem Linienschiff der englischen Marine konfrontiert. Es war ein zweistöckiger Transporter, der mit seinen Kanonen der unteren Batterie Schießübungen machte.

»Aber der wird noch auf uns feuern«, rief Jonathan.

»Das kommt dir nur so vor«, antwortete Jacques, »weil du seine Position schlecht einschätzt: Schau lieber zu.«

Dieses Abprallerschießen bot einen kuriosen Anblick: Die Kanonenkugel, die über die schräg angeschnittenen Wellen schnellte, tauchte in beachtlicher Entfernung wieder auf und zeigte ihren Weg durch aufschäumende Fontänen an.

Im übrigen tat Jonathan ganz recht daran, sich zu fürchten, denn ein paar Tage später bekam die Prinz von Wales höchstpersönlich eine Kugel mitten in den Rumpf verpaßt. Leider Gottes wurde niemand getroffen, was sehr englisch gewesen wäre.

Schon bald ließ die Prinz von Wales rechter Hand das Schloß von Rosyth hinter sich, in dem einst ein Zweig der Stuarts residiert hatte, von der Cromwells Mutter abstammte: eine merkwürdige Nähe, die zu denken gibt.

»Selbst unter diesem wolkenbruchartigen Regen!« sagte Jacques, der an solch historischen Orten immer vom Dämon der Geschichte geritten wurde.

Das Schloß von Blackness, das gemäß den Artikeln des Unionsvertrags befestigt war, der kleine Hafen von Charleston, in dem Lord Elgin den Kalk seiner riesigen Steinbrüche verschifft, blieben am linken Ufer hinter ihnen liegen, und die Glocke der Prinz von Wales meldete den Anlegeplatz von Cramby Point.

Das Schlechtwetter hatte gerade seinen Höhepunkt erreicht: Der von einem heftigen Wind aufgepeitschte Regen wirbelte in nassen Böen hernieder, und zu allem Unglück konnte das Schiff den Landesteg nicht anlaufen. Die beiden Pariser mußten bei diesem regelrechten Sturm in einen kleinen Kahn umsteigen, mitten im Forth, der an dieser Stelle zwei oder drei Meilen tief sein mag.

Jacques suchte mit den Augen vor allem nach der Mole von Cramby Point, auf der die verschwommene Gestalt eines einsamen Reisenden unter einem enormen Regenschirm sichtbar wurde.

Die Prinz von Wales setzte ihren Weg fort, nachdem sie den kleinen und nun sich selbst überlassenen Kahn ausgesetzt hatte. Der Fährmann war gezwungen, ein kleines Segel zu hissen, um Cramby Point anzusteuern, und nach vielen erfolglosen Anstrengungen erreichte er schließlich die Mole. Jetzt mußten sie noch bis zur Plattform über eine lotrechte, ins Meer herabhängende Leiter hochklettern, deren Sprossen mit Unkraut und Seetang überzogen waren, Ablagerungen der zurückweichenden Flut. Nachdem die Reisenden sich

zwanzigmal um ein Haar den Hals gebrochen hätten, standen sie tropfnaß neben Reverend S., der ihnen eine triefende Hand entgegenstreckte.

»Ich heiße Sie willkommen, meine Herren«, sagte er in seinem reinen Französisch, »und bitte Sie, dieses ärgerliche Wetter zu entschuldigen!«

»Reisende wie wir«, antwortete Jacques, »sind immer bereit, eine Auge zuzudrücken.«

»Der Regen wird stärker«, fügte Mister S. hinzu. »Gehen wir lieber in die Herberge am anderen Ende der Mole.«

Jacques und Jonathan folgten dem Reverend; seine Pfarrkinder nahmen ihn herzlich gern in ihrem abgeschiedenen Hause auf. Schon wenig später loderte ein prasselndes Feuer im Kamin, und die drei Reisenden verschwanden im dicken Dampf, der ihren Kleidern entströmte. Nach einigen Minuten schienen die Windstöße etwas schwächer zu werden, und tapfer machte sich Mister S.

wieder auf den Weg nach O.

Sie folgten ungefähr eine Meile lang dem Ufer des Forth; der Strand war ziemlich steinig, unberührt, flach und wellig, doch bald drang der Pfad unter hohen, rieselnden Bäumen ins Landesinnere vor. Unter diesen Bedingungen war jedes Gespräch unmöglich; der Reverend ging voran, gefolgt von Jacques, und dahinter kam Jonathan; der gewundene Weg schlängelte sich über dieses hügelige Gelände, unter dem sich der reichste Teil der schottischen Steinkohlelager erstreckt. Er wäre höchstens für die kleinen Pferde dieses Landstrichs begehbar gewesen, die eine Vorahnung von den Ponys im Norden geben; rings um einen entlegenen Bauernhof breiteten sich endlose Weideflächen aus, die mit friedlich im Regen grasenden Tieren übersät waren.

Jacques fielen vollkommen hornlose Kühe auf und kleine, seidige Wollschafe, die man für Kinderspielzeug hätte halten können. Der Schäfer dieser riesigen Herden saß wahrscheinlich geschützt unter irgendeinem Fels und ließ sich nicht blicken; aber der Collie, ein für diese Gegend typischer Hund, der für seinen Fleiß und seine Wachsamkeit bekannt ist, streifte um die Weide herum und sammelte die versprengten Tiere ein.

Der Reverend machte sie auf die erstaunliche Fruchtbarkeit des Bodens aufmerksam, den sie überquerten, während sie sich allmählich vom Forth entfernten. In diesen südlichen Grafschaften, die einst mit Tannen und Eichen bedeckt waren, wird heute mit viel Vernunft und guten Erträgen der Anbau von Weizen, Gerste und Roggen betrieben; doch im allgemeinen ist der schottische Boden, bedingt durch das feuchte Klima, dem englischen weit unterlegen. Im

übrigen erinnerte der Anblick dieser Fluren in nichts an die Fluren Frankreichs;

in der Einteilung der Felder, ihren dichten Umzäunungen, der Anordnung von Baumgruppen, in dieser ganz besonderen Atmosphäre lagen bestimmte Unterschiede, die der Verstand eher spürte, als daß er sie analysierend erforschte.

Jacques fand hier jenes felsenfeste Gefühl einer neuen Natur, das der Reisende fern der Heimat sucht. Nach eineinhalb Stunden Fußmarsch verkündete der Reverend, daß sie O. nahe waren; die Pariser gingen bereits durch den Park, der das Schloß umgibt, obwohl sie sich noch auf freiem Feld wähnten. Hinter einer breiten Eichenwand rollte sich eine stattliche, mit Sand bestreute Allee unter ihren Schritten aus, und während Wind und Regen noch einmal stärker wurden, erreichten sie einen Seiteneingang des Wohngebäudes, ohne daß es ihnen möglich gewesen wäre, sein äußeres Erscheinungsbild in Augenschein zu nehmen.

Achtundzwanzigstes Kapitel

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