• Keine Ergebnisse gefunden

Endlich auf dem Weg nach Schottland

Der große Salon der Hamburg, im Stil englischer Behaglichkeit eingerichtet, bot alle erdenklichen Vorzüge; ringsum waren ausladende Diwane aufgestellt, und elegante Vorhänge schmückten die Türen. In einer Konsole, die an der hinteren Holztäfelung angelehnt war, standen Bücher bereit, und die zwei Zifferblätter von Uhr und Barometer zeigten im gleichen Augenblick die gegenwärtige Stunde und das zukünftige Wetter an.

Auf jeder Seite des Bücherschranks befanden sich zwei Türen, die zu den Kabinen führten; jede Kabine bestand aus vier Schlafkojen, von denen jeweils zwei, der Schiffsachse folgend, übereinander angebracht waren; die gegenüberliegende Wand hatte kleine Fenster und erlaubte dem Blick, über das Meer zu schweifen. Darunter streckte sich ein breites Kanapee aus, und in der linken Ecke spendete eine Waschtoilette mittels zweier Hähne, auf denen die Wörter up und shut zu lesen waren, Wasser im Überfluß.

Die neuen Passagiere erkoren die beiden unteren Kojen zu ihrer Bettstatt, die nach englischer Art mit Matratzen, zu kurzen Baumwollaken und zu schmalen Kopfkissen ausgerüstet war. Lachend schlüpften sie hinein, und Jacques sank über dem dritten Band der Memoiren von Saint-Simon in den Schlaf.

Am nächsten Morgen bullerten die Öfen, und die Hamburg legte, unter dem Befehl eines unfreundlichen und griesgrämigen Lotsen, ihre erste kleine Fahrt im Hafen von Bordeaux zurück. Dieser Mann sprach kein Wort Englisch, was seine Beziehungen zu Kapitän Speedy mühselig machte.

Das Schiff fuhr die Garonne hinunter, doch es war noch kein endgültiger Aufbruch; es hielt in Bacalan an, wo seine Fracht ergänzt werden sollte. Die Luken des bis oben hin mit Getreide angefüllten Laderaums waren geschlossen und mit wasserdichten Persenningen zugedeckt; jetzt mußte auf dem Deck noch eine beachtliche Menge an Strebe-und Stützmaterial für Bergwerke verstaut werden, herbeigeschafft von zwei Lastkähnen, die an die Schiffsflanke geschwommen kamen.

Im selben Augenblick stieß auch Edmond zu seinen Freunden. Der Kapitän hoffte, die abendliche Flut nutzen zu können, wenn er das Trimmen seiner Ladung beschleunigte; doch es war eine langwierige Arbeit, denn dieser Holzhaufen mußte platzsparend gestapelt und mit Ketten gegen Erschütterungen durch starken Seegang gesichert werden.

Als Edmond sah, daß noch ein paar freie Stunden vor ihnen lagen, regte er an,

zum Mittagessen nach Lormont zu fahren, das eine Meile unterhalb von Bacalan lag; er lud sogar den Kapitän ein, doch dieser zog es vor, an Bord zu bleiben, um die letzten Arbeiten voranzutreiben. Die Schaluppe der Hamburg brachte die Tischgesellschaft ans rechte Flußufer, nachdem sie ausdrücklich versprochen hatte, vor der Flut wieder zurück zu sein.

Jacques hütete sich wohl davor, wortbrüchig zu werden; deshalb war er auch recht unwirsch während der Mahlzeit, die in einer blühenden Laube am Ufer der Garonne eingenommen wurde; um zwei Uhr sprangen die drei Freunde in ein Boot und segelten flußaufwärts. Nach einer entsetzlichen Diskussion zwischen Jacques und Edmond über die Frage, ob ihr Segel backbord und steuerbord beigeholt werden mußte – eine Diskussion, die den armen Jonathan beinahe seekrank werden ließ –, legten sie längsseits der Hamburg an: Doch leider Gottes waren die Feuer gelöscht! Die Verladung konnte vor dem Abend nicht zu Ende geführt werden, und so mußte man die Abfahrt wieder auf den nächsten Morgen verschieben.

Das alles lief dem gesunden Menschenverstand wirklich zuwider, und wäre Jonathans Seekoffer nicht bereits an Bord gewesen, so hätte er dem unberechenbaren Schiff den Rükken gekehrt. Jacques schwor, er wolle das Deck der Hamburg nicht mehr verlassen! Edmond gelang es dennoch, alle beide zum Abendessen recht weit wegzulocken und hielt sie bis um neun Uhr fest. Dann wurde in ergreifender Weise Abschied genommen, und man schüttelte einander lange die Hand! Edmond drückte lachend die Hoffnung aus, seine Freunde vor dieser unmöglichen Reise noch einmal zu sehen, und darauf trennten sie sich.

Die Nacht war sehr dunkel: Jacques und Jonathan gingen bis zum Quai vor den Quinconces hinunter, doch anstatt bis nach Bacalan weiterzulaufen – denn sie befürchteten, daß sie dort keine Möglichkeit finden würden, um an Bord zu gelangen –, nahmen sie bereits hier ein Boot. Es kostete sie einige Überredungskunst, bis der Fährmann einwilligte, sie zu begleiten, denn er mußte gegen die ansteigende Flut fahren; doch zuletzt entschloß er sich, durch den stolzen Preis von drei Franc fünfzig geködert und von seinem Sohn, einem zwölfjährigen Kind, unterstützt, das Abenteuer zu wagen. Er nahm seine Ruder in die Hand und steuerte geradewegs auf die Bastide zu, um den Sog zu nutzen und auf diese Weise leichter flußabwärts zu kommen. Es wurde eine beschwerliche Fahrt, denn die Strömung war so stark, daß der Kahn sich kaum von der Stelle rührte; nach einer Stunde hatte er nicht einmal die Hälfte der Strecke zurückgelegt, also zog Jacques seinen Rock aus, griff nach dem Ruder des Kindes und pullte aus Leibeskräften.

Zur Ermüdung gesellte sich bald schon eine weitere Schwierigkeit: Die Hamburg mußte erst einmal gefunden werden. Woran sollte man sie in dieser pechschwarzen Nacht unter all den Schiffen erkennen? Jacques hatte sich ihren Standort eingeprägt, doch er hatte seine Rechnung ohne die Dunkelheit gemacht.

Eine Stunde lang irrte das Boot auf gut Glück umher, und der todmüde Fährmann sprach davon, trotz allem wieder umkehren zu wollen!

»Das hat uns gerade noch gefehlt!« sagte Jonathan zutiefst entmutigt. »Ihr werdet sehen, wir finden die Hamburg nicht wieder, sie wird ohne uns auslaufen!«

Jacques war außer sich.

»Und für diese tolle Eskapade haben wir siebzehn Tage in Bordeaux zugebracht!«

Jacques gab keine Antwort, er riß die Augen weit auf und knirschte mit den Zähnen. In diesem Augenblick fuhr das Boot zwischen dem Land und einem Schoner hindurch, der ein paar Klafter weiter vertäut war. Jonathan, der sich von seiner Bank erhoben hatte, wurde plötzlich von dem zwischen Schiff und Land gespannten Seil erfaßt und fiel einen Schrei ausstoßend auf den Rücken.

»Geschieht dir ganz recht«, sagte Jacques, der unbarmherzig wurde.

Doch gerade da vermeinte er, einen schwachen Lichtschimmer zu erkennen, der am Bug eines Schiffes von einer vergoldeten Galionsfigur erzeugt wurde; die düstere Masse, die vor seinen Augen lag, erinnerte ihn an die schlanken Formen der Hamburg. Er ließ darauf zusteuern und war sich bald sicher, keiner Täuschung zu unterliegen! Endlich, nach zwei Stunden angestrengter Suche, kletterte er, von seinem treuen Gefährten begleitet, an Bord und legte sich schlafen, mit jener alten Spur von Hoffnung, die ihn nie verlassen hatte.

Am nächsten Tag schoß die Hamburg bei zurückweichender Flut auf die Garonne-Mündung zu.

Jacques blickte stolz über die Flußufer, herablassend grüßte er Le Bec d’Ambès, Pauillac und Blaye! Selbst Jonathan lächelte, während er die belebende Morgenluft einatmete.

»Auf geht’s nach Schottland«, rief der eine.

»Auf geht’s«, antwortete der andere.

An Bord ereignete sich nichts Außergewöhnliches. Aber der Komponist mußte als Dolmetscher zwischen dem Kapitän und dem Lotsen einspringen, um die Manöver der Hamburg im Hafen von Bordeaux zu regeln; er zog sich nur mit großer Mühe aus der Affäre und schwitzte dicke Tropfen, um dieses ungewohnte Englisch auszuhusten.

An der Flußmündung kam eine Schaluppe herangeschwommen, der griesgrämige Lotse hatte seinen Dienst auf dem Fluß beendet und überließ seinen Platz einem Zunftgenossen, der das Schiff aufs Meer hinausbringen sollte; er verschwand im Beiboot der Schaluppe, während diese am Heck festgemacht und von der Hamburg ins Schlepptau genommen wurde. Es gab noch eine kurze Unterbrechung, um bei einem staatlichen Aviso, das als Wachschiff benutzt wurde, die letzten Formalitäten zu erledigen, dann zog die Hamburg am Turm von Cordouan vorüber und durchfurchte mit ihrem Vordersteven die Wogen des Ozeans.

Zwölftes Kapitel

Outline

ÄHNLICHE DOKUMENTE