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Neunundzwanzigstes Kapitel Im Zug nach Glasgow

Der Aufseher von Ockley war mit seiner Kniehose aus gestreiftem Samt, seinen Ledergamaschen und seiner schottischen Mütze eine stolze Erscheinung;

mit einem Plaid über den Schultern und einem Dirk am Gürtel wäre er vollkommen gewesen. Er mußte ein Nachfahre jener treuen Zinsbauern sein, die einst ihrem Lehnsherrn mit Leib und Seele ergeben waren; er stellte sich den beiden Freunden zur Verfügung, und Jonathan hatte einige Mühe, seine halb gälische, halb angelsächsische Sprache zu verstehen. Gleichwohl gelang es ihm, ausfindig zu machen, daß der Sohn dieses guten Mannes am Krimkrieg teilgenommen und an der Seite der Franzosen gekämpft hatte; er schien sehr stolz darauf zu sein. Zunächst zeigte er ihnen noch das Schloß und ließ keine Einzelheit aus; sie mußten alles sehen, die schlichte und ruhige Bibliothek, eine naturgeschichtliche Sammlung, in deren Mitte ein beeindruckender ausgestopfter Tiger stand. Jonathan, der vorangegangen war und nicht damit gerechnet hatte, diesem Tier in die Arme zu laufen, stieß einen entsetzten Schrei aus. Der Schotte nutzte diesen Zwischenfall, um so herzlich zu lachen, wie vielleicht nie zuvor in Schottland gelacht worden ist.

Über einem der Terrassendächer reckte sich ein mächtiges Fernrohr in die Luft, das zu diesem Zeitpunkt mit einer Lederhülle überzogen war; es drehte sich auf einem schwenkbaren Fuß und konnte auf alle Punkte am Horizont gerichtet werden. Von dieser Höhe aus konnte der Blick über einen unendlichen Raum schweifen, der von kargen und unberührten Flecken Erde zu bestellten Landstrichen wechselte. Hinter dem Schloß, ungefähr zwei Meilen entfernt, bliesen die Schornsteine einer Steinkohlengrube friedlich Rauch in die Luft.

Dieses Bergwerk gehört Mister S. und liefert ihm durch einen beachtlichen Kohleabbau das Gas, mit dem Schloß und Park beleuchtet werden, denn seine Alleen sind von Pfählen gesäumt, die elegante Laternen tragen. In England wie auch in Schottland gibt es kein kleines Dorf und keinen ordentlich ausgerüsteten Bauernhof, die ihr Licht nicht aus der Verkokung von Steinkohle gewinnen: Auf diesem vorteilhaften Gelände reicht es sozusagen, ein Loch zu graben, damit Wärme und Helligkeit unversiegbar daraus hervorsprudeln.

Die Außenfassade des Schlosses, vor dem sich ein üppiger grüner Rasen ausdehnte, erzielte mit seinen bizarren Unregelmäßigkeiten, seinen vielen, verschiedenförmigen Dächern, seinen gotischen Giebeln und Türmchen eine bezaubernde Wirkung. Diese Fassade wurde mit besonderer Sorgfalt gepflegt, und man hätte meinen können, eines jener nagelneuen Puppenhäuser vor sich zu sehen, das eben erst aus seiner Schachtel geholt worden ist. Die Laune, die es eines schönen Tages an diesen Ort gestellt hatte, schien es mühelos an jede beliebige andere Stelle versetzen zu können, wenn dem Besitzer der Sinn danach stünde.

»Mein guter Jonathan«, sagte Jacques, »würdest du nicht gerne ein solches Kleinod in diesen herrlichen Gefilden bewohnen! Wie vergnüglich die Arbeit hier wäre! Wie süß das Leben! Wie unbeschwert das Glück!«

»Ich finde dich recht gewagt, mein guter Jacques, für einen eingefleischten Pariser, der alles Ländliche verabscheut!«

»Ich verabscheue das Land rund um Paris, weil es im Grunde genommen immer noch die Stadt ist, mit etwas weniger Bäumen, weil man es zugunsten der Boulevards entwaldet! Aber hier! Schau dir diese Natur an, diese dichten Wälder; atme diesen Wind ein, der schwer ist vom wilden Duft des Heidekrauts und durch die tiefen Täler braust; lausche seinem klagenden Lied in den Dudelsäcken des Strathdearie, um ein Wort von Walter Scott zu zitieren, und sage mir, ob das etwas mit jener geleckten, kahlgeschorenen und zurechtgestutzten Landschaft des Departements Seine gemein hat. Dort sind mir die Gerüche allzu zivilisiert, und die schwindsüchtige Luft hat nicht mehr die Kraft, diesen rauhen Hochlandwind auszustoßen! Wenn mir jemals das Glück lächeln sollte, kaufe ich hier ein erfrischendes Cottage und will als echter Highlander darauf leben!«

»Eitle Hoffnung!« antwortete Jonathan. »Da mußt du anderswo suchen, lieber Jacques, Ausländer haben nicht das Recht, auch nur einen Zoll vom Boden des alten England zu besitzen!«

»Traurig, traurig!«

Nachdem sie um das Schloß herumgegangen waren und die langen, gesandeten Parkwege abgeschritten hatten, steuerte der Aufseher die Gewächshäuser an, unmittelbar neben den lodges, in denen die Pferdeställe untergebracht waren. Diese Gewächshäuser in fabelhafter Anordnung und Lage enthielten die schönsten, voll ausgereiften Früchte der Welt; die Reben bogen sich unter dem Gewicht phänomenaler Trauben; es war ein natürliches Laboratorium, in dem frühes Obst und Gemüse in allen erdenklichen Zusammenstellungen zum größten Vergnügen der Bewohner dieses Ortes heranwuchsen.

Als sie diesen Kristallpalast verließen, schlug der Aufseher den Besuchern vor, noch zu den Kohlengruben zu gehen, doch es war spät geworden, und so kehrten sie ins Schloß zurück. Jacques und Jonathan schälten sich aus den Kleidern von Mister S. und konnten nicht verhindern, daß sich Gelächter unter ihre Dankesworte mischte, dann zogen sie ihre vollkommen trockenen Sachen wieder an. Der Verwalter führte sie in den Speisesaal und bot ihnen, in Gestalt

eines Whiskys, den doch and dorroch an, den schottischen Abschiedstrunk. Um die simpelsten Gesetzte der Höflichkeit nicht zu verletzen, nahmen sie an, und machten sich anschließend auf den Weg zum Bahnhof von Ockley, wo der Zug aus Dunfermline sie über Stirling nach Glasgow bringen sollte. Sie vergalten die Aufmerksamkeit ihres freundlichen Führers mit einer eher französischen denn britischen Großzügigkeit und verließen endlich dieses bezaubernde Landgut unmittelbar an der Eisenbahnstation.

Kurze Zeit später erreichten sie Stirling, wo sie umsteigen mußten. Von Stirling sahen sie absolut nichts, denn sie durchquerten den Bahnhof auf einer Art überdachter Brücke, unter der die Lokomotiven fauchten, und auf der anderen Seite gelangten sie zu ihrem Abfahrtsbahnsteig. Jonathan kaufte Fahrkarten nach Glasgow zum Preis von drei Shilling und drei Pence in der zweiten Klasse, und in Anbetracht der Unfähigkeit und des Unwillens der Angestellten hatte er große Mühe, den richtigen Zug herauszufinden. Schließlich stieg er, gefolgt von Jacques, in ein Abteil, das bereits mit englischen Damen überfüllt war; diese wirkten nicht gerade erfreut über die männlichen Reisenachbarn, und als Jonathan die Bemerkung fallen ließ, er wolle nach Glasgow, beeilten sich diese alten Mistresses auch sogleich, ihm verständlich zu machen, daß er sich im Zug geirrt hatte. Und tatsächlich wären die beiden Reisenden auf diesem Geleise nach Ockley zurückgefahren; sie stiegen schleunigst aus, gerade als die Lokomotive nach Glasgow ihren Pfiff ertönen ließ, und mit typisch französischem Ungestüm stürzten sie sich in ein Abteil.

Bei der Ausfahrt aus Stirling entfernt sich der Railway vom Forth, der an dieser Stelle das Tiefland vom Hochland trennt, aus diesem Grund wird er auch

»Zügel der Bergbewohner« genannt. Walter Scott findet in Rob Roy, daß er eher wie ein englischer als ein schottischer Fluß aussieht; zu seinem großen Bedauern konnte sich Jacques von der Richtigkeit dieser Beobachtung nicht überzeugen.

Der Zug brachte ihn wieder nach Süden, und ohne es einzugestehen, verspürte er darob ein gewisses Unbehagen, denn sein Streben war beständig auf den Norden gerichtet; doch er tröstete sich, als Jonathan ihn daran erinnerte, daß ihr Ausflug an die Seen sie in höhere Breiten fuhren würde.

Ein paar Meilen vor Stirling rollt die Eisenbahn ganz nahe an dem Dorf Bannockburn vorüber, wo Robert Bruce einen gewaltigen Sieg über den englischen König Edward II. davongetragen hat. Sie zieht sich am Forth-Kanal entlang, auf dem sich zahlreiche plattbodige Schiffe tummeln, deren Masten mit den Bäumen der Landschaft in ein wirres Durcheinander geraten. Der Abend

brach bereits herein, als Castlecary auftauchte, in dem noch die Überreste jener alten römischen Mauer zu sehen sind, die Agricola gegen die unabhängigen Kaledonier im Norden erbauen ließ; die Eroberer der Welt mußten vor diesem stolzen und tapferen Volk haltmachen, das noch immer unter der englischen Herrschaft stöhnt. Schließlich verschwand der Zug in einem langen Tunnel und hielt mitten im Stadtzentrum von Glasgow.

Dreißigstes Kapitel

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