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Achtundzwanzigstes Kapitel Auf den Spuren von Walter Scott

Ein Kammerdiener, oder besser gesagt eine Art Schloßverwalter in schwarzem Frack, empfing sie in einem prunkvollen Vorzimmer, das mit ungewöhnlich schönen Schränken und Sitzgelegenheiten ausgestattet war.

»Nehmen Sie den Herren ihre Mäntel ab«, sagte Mister S., »und legen Sie ihnen Kleider zum Umziehen bereit; doch als allererstes wollen wir uns einen Augenblick in den Speisesaal begeben und uns an einem wärmenden Tropfen laben.«

Mit diesen Worten ging er seinen Gästen voraus in einen weitläufigen Saal, der von hohen Fenstern erhellt wurde; hier waren alle Künste des modernen Luxus vereint: Drei kleine Gläser wurden mit einem hervorragenden Branntwein gefüllt, den der Reverend, ohne mit der Wimper zu zucken, in einem Zug leerte.

Jonathan glaubte, ihm aus Höflichkeit nacheifern zu müssen, und wäre in den Umarmungen dieser kräftigen Flüssigkeit beinahe erstickt; er kam gerade noch mit einem grauenhaften Hustenanfall davon.

»Und nun, meine Herren«, sagte Mister S., »wird man Sie in Ihre Zimmer führen, wo Sie auch die Kleidungsstücke vorfinden werden, die ich Ihnen zurechtlegen ließ.«

Jacques und Jonathan schritten über eine wahrhaft königliche Treppe zum ersten Stock hinauf und wurden in vornehm bespannte Zimmer geführt. Ein

besonderer Duft, eine feinfühlige Anordnung der Möbel und anderer Gegenstände verrieten die Gemächer einer reichen Lady; große Ankleideräume, die in der kreisrunden Kammer eines Türmchens untergebracht waren, boten weiblichen Ansprüchen allen erdenklichen Tand.

Die beiden Freunde brauchten nur die Hand auszustrecken, um Strümpfe, Pantoffel und Hosen anziehen zu können; sie bemerkten, daß der Reverend ihnen seine eigene Garderobe zur Verfügung gestellt hatte. Sie mußten einfach aus vollem Halse lachen, als sie die weiten, schwarzen Kniehosen überstreiften, deren breiter Latz am Bund festgemacht war.

In dieser Ausstaffierung, aber immerhin höchst bequem gekleidet, gingen sie ins Erdgeschoß des Wohnhauses hinunter.

Ein zauberhafter Salon, der auf einer Seite an ein Arbeitszimmer grenzte und auf der anderen an einen Wintergarten voll seltener Blumen, bildete mit diesen beiden Räumen zusammen eine außergewöhnlich große Galerie. Es ist unvorstellbar, welche Lichtintensität die Engländer durch diese großzügigen Fenster erzielen, deren Glasfront über die Fassade hinausreicht, damit der Blick in alle Richtungen schweifen kann; diese Bauweise ist übrigens bei allen englischen Häusern anzutreffen, denn der beständige Nebel zwingt die Leute, der Natur so viel Helligkeit wie irgend möglich abzuringen. In dieser Galerie konnte man sich unter freiem Himmel wähnen; der Regen hatte aufgehört, und ein paar Sonnenstrahlen brachen durch die nicht mehr ganz so tief hängenden Wolken.

Im Kamin mit seiner breiten und einladenden Feuerstelle funkelten knisternde Flammen; vor einem der Fenster stand ein offenes Tafelklavier, Sessel in den verschiedensten Formen füllten die Ecken des Salons, und im Wintergarten schufen Mahagoni, Palisander und Rosenholz Platz für ornamentiertes Porzellan, wertvolle Bilder, herrliche Gemälde der Italienischen Schule, die der Reverend selbst aus Rom mitgebracht hatte, und einige Meisterwerke der Flämischen Schule hingen an der Wand. Jacques und Jonathan staunten, einen derartigen Luxus inmitten dieser urtümlichen Landschaft vorzufinden.

Nach der Innengestaltung zu urteilen, mußte dieses Schloß eine gotische Architektur aufweisen, die von den Angelsachsen so stark verbreitet wurde;

ansonsten war es vollkommen modern und erstrahlte vor jugendlicher Frische.

Diese besonders eigensinnige Form erlaubt der Phantasie des Architekten, sich ungehemmt zu entfalten, und wenn er Engländer ist, kann man sicher sein, daß er alles der Bequemlichkeit opfern wird: Er plant eine Tür da, wo sie am

praktischsten sein wird; er bricht ein Fenster an jener Stelle durch, an der es die schönsten Ausblicke bieten wird; er wird Salons und Zimmer in der günstigsten Weise anordnen, den Plafond eines großen Raumes höher und den eines Arbeitszimmers tiefer setzen; ein entzückendes Kämmerlein wird neben einer hohen und weitläufigen Galerie liegen, und das Ergebnis all dieser Einzelheiten wird eine unregelmäßige Fassade sein, die gerade in ihren Unregelmäßigkeiten bezaubern und die architektonischen Linien zugunsten des Unvorhergesehenen, das eines gewissen Stils nicht entbehrt, verschmähen wird. Es gibt in Schottland viele solcher gotischen Schlößchen, die ihrer Verwendung und dem Klima des Landes vortrefflich angepaßt sind.

Das Essen war diesem fürstlichen Luxus ebenbürtig. Reverend S. spielte mit liebenswürdiger Anmut den Hauswirt, und wie es der Brauch ist, lud er sie ein, die vor ihnen aufgetischten Gerichte in Stücke zu schneiden. Jacques schlug sich recht tolpatschig mit einem Hähnchen herum, das in einer ungewöhnlichen Sauce schwamm, Jonathan dagegen zerschnitt höchst bewundernswert ein Orangengelee, das in seiner emaillierten Porzellanschale vor sich hin zitterte.

Sherry, Port und Claret von erlesener Qualität gingen ausgiebig herum, zusammen mit dem Wasser aus Seltz, serviert in kleinen Flaschen, Saugfläschchen nicht unähnlich, die sich vor dem Teller jedes Tischgenossen aufreihten. Es ist wohl überflüssig zu erwähnen, daß der Kern dieses Mahls aus einem Berg Rindfleisch umgeben von seinen Hügeln aus in Wasser gekochtem Gemüse bestand.

Im Verlauf dieses homerischen Gelages, das Jacques an Waverleys Abendessen bei Fergus erinnerte, weihte Mister S. seine Gäste in die Sitten jenes Landstriches ein, durch den sie gereist waren, und jenes anderen, den sie erst noch besuchen würden.

»Sie werden sich mitten in Walter Scott wiederfinden, meine Herren; Sie werden sehen, mit welcher Genauigkeit er diese historischen Orte gezeichnet hat, und Sie werden selbst beurteilen können, wie wahr das Gefühl ist, das seine Werke ausstrahlen: Das Genie des Romanciers war unermeßlich und das Land seiner würdig.«

»Aber werden wir denn noch jenen denkwürdigen Highlandern begegnen«

fragte Jonathan, »gibt es noch Spuren der so berühmten Clans?«

»Ganz gewiß«, antwortete der Reverend, »auch wenn die Clans politisch gesehen nicht mehr existieren, so existieren sie noch in historischer Hinsicht.

Manche Familien gebieten noch immer aus Tradition, es gibt Mac Gregors, Mac

Douglas’, Sutherlands, Mac Donalds oder Campbells, deren feudale Herrschergewalt immer noch in Kraft ist; ihre Vasallen, die vor dem Gesetz ihren Herren gleichgestellt sind, bekennen sich als Untertanen und Abhängige, und jeder Clan zeichnet sich durch die Farbe seines Tartans aus.«

»Leider Gottes«, antwortete Jacques, »werden wir diese Eigentümlichkeiten nicht gründlich erforschen können, es wird uns an Zeit fehlen; und wir werden uns darauf beschränken müssen, diese in den Seen und Bergen der Grafschaften Stirling und Argyle immer noch lebendige Geschichte aus der Vogelschau zu verfolgen.«

»Mit einem Fremdenführer wie Walter Scott, Mister Jacques, können Sie ganz unbesorgt sein, Sie werden mehr als eine ernstzunehmende Studie machen, denn durch ihn haben Sie all diese Schönheiten des Mittelalters im voraus verstanden.

Sie haben bereits das alte Canongate-Viertel seiner Romane wiedergefunden, mit seinem so getreu beschriebenen Charakter; in den Bergen und an den Gestaden der Seen wird er Sie nicht im Stich lassen.«

Jacques fragte Reverend S. nach den religiösen Entwicklungen in Schottland und erfuhr, daß der Katholizismus wie in England Fortschritte machte, trotz aller Schranken, die die Gesetze seiner Ausbreitung in den Weg stellen. Die katholischen Priester mit ihrer stetigen Inbrunst, ihrer einschmeichelnden Höflichkeit, ihrer hieratischen Gnade werden zuletzt den Sieg davontragen über die Beherztheit und die Strenge der protestantischen Pfarrer. Diese Beobachtungen treffen auf Schottland noch stärker zu als auf England.

Gegen Ende der Mahlzeit kam der Verwalter, um den Reverend zu benachrichtigen, daß ein Kranker nach ihm verlangte; dem Wetter und der Entfernung zum Trotz brach Mister S. unverzüglich auf, verabschiedete sich noch von seinen Gästen, die er nicht wiedersehen würde, vertraute sie der Obhut des Aufsehers an, der sie durch den Park führen sollte, und verschwand nach einem letzten Händedruck.

»Entsagung und Hingabe, das ist ihre Devise«, sagte Jacques, während er vom Tisch aufstand.

Neunundzwanzigstes Kapitel

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