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Der Buckinghampalast, Hyde Park, Piccadilly, der Strand

Der freie Platz zwischen den Gebäuden der Horse Guards dient diesen verschiedenen Regimentern zum Exerzieren; jeden Morgen ist dort eine Musik zu hören, die man in den Pariser Vorstadtschenken auspfeifen würde. Nachdem es dafür aber bereits zu spät war, konnte Jonathan die von englischen Künstlern ausgeführten Variationen auf irgendein Thema aus dem Trovatore nicht miterleben. Der Saint James’s Park bietet den Spaziergängern recht schöne Rasenflächen und ein wenig Schatten; er wird von einem Flüßchen durchzogen, über das sich eine schwerfällige Hängebrücke ohne jede Anmut spannt. Am anderen Ende des Parks stößt man auf den Buckinghampalast, die Residenz der Königin Victoria, und an der Nordseite auf den Saint-James-Palast. Der Letztgenannte ist für den Altertumsforscher von geringem Interesse, er wird für Feierlichkeiten, Empfänge und Galaveranstaltungen des Hofes genutzt. Der andere hingegen kann überaus schön sein, vor allem in jenem Teil, der zu den privaten Gärten hin liegt; aber von außen kann man seine Ornamentik nicht beurteilen. Der Green Park ist genau genommen die Verlängerung des Saint James’s Parks; sein grüner Rasen bedeckt eine weite Fläche und ist mit hübschen Schafen übersät, die städtisches Gras fressen und sich dennoch mitten auf dem Land wähnen können. Die Londoner Metzger pachten hier das Weiderecht für ihre riesigen Herden. Im allgemeinen sind diese so nützlichen, angenehm kühlen und friedlichen Parks inmitten dieser uferlosen Stadt ziemlich schlecht gepflegt, doch jeder schlendert, wie es ihm beliebt, über diese Grünanlagen, die durch keine Absperrung geschützt werden.

Der monumentale Eingang zum Hyde Park und der davor stehende

Triumphbogen liegen am äußersten Ende des Green Park.

»Mein guter Jonathan, beachte die Reiterstatue, mit der die Plattform dieses Triumphbogens geschmückt ist, sie überbietet an Lächerlichkeit und Häßlichkeit alles, was man sich vorzustellen vermag. Man kann behaupten, daß sie die Grenzen des schlechten Geschmacks erweitert hat. Ich weise dich daraufhin, daß dieses Pferd betrunken ist und den Herzog von Wellington auf seinem Rücken trägt, dessen Palais sich hier befindet; auf diese Weise konnte sich der alte Held vom Speisesaal aus sehen, und er war wirklich ein Held, wenn ihm dieser Anblick nicht den Appetit verschlug. Aber da er sich auch aus seinem Schlafzimmer sehen mußte, haben ihn die Damen von London als riesigen Achilles im Hyde Park aufstellen lassen: Warum sie die Gestalt dieses Wichtigtuers aus der Antike gewählt haben, dem kein Verdienst an seiner Tapferkeit zufiel, das weiß ich nicht; aber dafür ist Wellington nackt, von einer Nacktheit, die einen erschauern läßt. Überdies wimmelt es auf den ganzen Britischen Inseln von diesen Statuen, Büsten und Porträts. Die Engländer sind zu weit damit gegangen, so wie sie mit Waterloo zu weit gegangen sind!«

Hyde Park ist ein unermeßlich großer Garten mit breiten Alleen, weitläufigen Rasenflächen, hohen Bäumen, einem ernstzunehmenden Fluß und einer prachtvollen Steinbrücke; er ist der Treffpunkt der gesamten englischen fashion.

Man sieht zahlreiche Equipagen, obwohl bürgerliche Wagen nicht zugelassen sind, und häufig werden sie von Mitgliedern des Clubs four in hand gelenkt, die sich damit brüsten, die besten Kutscher der Welt zu sein. Während der Saison, das heißt, wenn die sommerliche Hitze die gesamte Gentlemanschaft und den Adel vom Land in die Stadt treibt, dann herrscht hier ein kurioser Andrang von Fußgängern und Reitern: Ganze Familien, Vater, Mutter, Töchter und Söhne galoppieren auf wertvollen Pferden dahin; alte Lords fuhren hier ihren alltäglichen Überdruß spazieren, bevor sie ihn ins Oberhaus mitnehmen, wo er sie in den Schlaf wiegt; im übrigen weckt ein Amtsdiener sie, wenn abgestimmt wird. Im Hyde Park trifft man bezaubernde Engländerinnen und für gewöhnlich mehr Frauen als Männer; das entspricht überdies dem allgemeinen Verhältnis, was in einer gar nicht so fernen Zukunft unweigerlich zum Ende Englands führen wird.

Diese Bemerkung Jonathans gefiel Jacques.

»Obendrein«, sagte er deshalb zu ihm, »ist die Anzahl der alten Jungfern unter diesen Inselbewohnern beachtlich, und wenn du dem launischen Einfall, eine reiche, ihres Zölibats überdrüssige Erbin zu ehelichen, nachgeben willst, so wird dich das vor keinerlei Schwierigkeiten stellen; du brauchst dir nur die Wappen

anzusehen, die auf die Wagentüren der Equipagen gemalt sind. Jedesmal, wenn du eine Raute darauf erblickst, ist es das Zeichen einer zum Pflücken reifen Jungfer.«

»Ich bin viel zu müde«, antwortete Jonathan, »und wir haben keine Zeit. Ich möchte mich gerne setzen.«

»Auf keinen Fall! Marsch! Marsch! Sobald wir den Hyde Park hinter uns haben, nehmen wir ein Cab und fahren zum Abendessen in unsere kleine Taverne.«

Das war weit weg, aber trotz aller Sorgfalt hatten sie auf ihrem Spazierweg nicht das winzigste Restaurant erblicken können. Natürlich gab es boarding houses und cating houses, aber diese Einrichtungen wirkten so wenig munter, so wenig lebhaft, so geschlossen, daß es einem nicht in den Sinn kam, über die Schwelle zu treten.

Das Cab, von einem überaus distinguierten Kutscher, einem echten englischen Peer gelenkt, fuhr über Piccadilly, eine breite Straße, die sich zwischen unregelmäßigen, niedrigen und oft schwarzen, aber Reichtum und Behaglichkeit ausstrahlenden Häusern dahinzieht. Jeder wohnt in seinem eigenen Heim mit einem großen Balkon, der auf einer Gitterfläche ruht; das kann bei den heutigen Reifröcken unliebsame Begleiterscheinungen haben, aber die Engländerinnen an ihren Fenstern oder, man muß es wohl sagen, die Engländer auf der Straße schauen nicht so genau hin. Es ist leicht zu begreifen, daß London mit diesem Prinzip von Stadthäusern und herrschaftlichen Wohnsitzen zwölftausend Straßen und zweihunderttausend Häuser zählt. Deshalb hat Horace Say auch mit Fug und Recht behauptet: London ist keine Stadt, sondern eine mit Häusern überzogene Provinz.

In diesen vornehmen Vierteln von Piccadilly, Regent Street und Hay Market stößt man wieder auf das rege, jedoch etwas weniger geschäftige Leben der City.

Jonathan machte es Spaß, ein paar Einzelheiten des englischen Lebens zu erhaschen, während sie durch die Straßen von Piccadilly und die stärker vom Handel geprägte Umgebung des Strand rollten: Der Postbote im roten Rock schlug mit dem Türklopfer zweimal kurz und kräftig gegen die kleinen Pforten, der vorbildliche Herr kündigte seine Ankunft durch fünf langsam wiederholte Schläge an, und die elegante Dame, die zu Besuch kam, machte ihre Anwesenheit durch sieben leichte und hastige Schläge deutlich. Auf diese Weise wußte jedermann im voraus, welche Art von Besuch und Besucher er zu erwarten hatte. Jacques war verwundert, welche Unmenge von Schuhmachern

und Modegeschäften die Hauptstadt enthält, denn er zählte gleich mehrere Tausend von ihnen; auch die Anzahl der, im übrigen vollkommene Handelsfreiheit genießenden, Zigarrenverkäufer ist unübersehbar, doch ihre Zigarren taugen nichts; sie locken den Raucher mit verführerischen Sprüchen und Aushängen an, denen man mißtrauen sollte.

Nachdem das Cab den Trafalgar Square überquert hatte, fuhr es am Palais des Herzogs von Northumberland vorüber, einem alten und charaktervollen angelsächsischen Bau; in einem dieser Salons hängt wahrscheinlich die famose bank-note von fünfhunderttausend Franc in ihrem Rahmen: Und der Herzog maßt sich an, so etwas als Meistergemälde auszugeben!

Der Strand ist eine breite Geschäftsstraße, die das Parlamentsviertel mit der City verbindet. Hier herrscht ein lebhaftes Treiben, die Wände, die Häuser und sogar die Bürgersteige sind mit tausenderlei Anschlägen und Werbeplakaten bedeckt; Männer in Kegeln oder Pyramiden mit Anzeigen spazieren umher und stacheln durch ihre great attraction die Begierde des Publikums an. Das Reklamefieber greift in England wie eine Seuche um sich.

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