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Indem sie ihren Weg zum Water of Leith hin fortsetzten, gelangten sie schließlich unter einigen Schwierigkeiten in die hübsche Allee mit dem Namen Inverleith Row; nach einer halben Meile erreichten sie das Haus von Mister B.

Ein Gitterzaun, der einen kleinen, bepflanzten Hof umschloß, stand davor. Es war eine entzückende Villa, die gepflegt und adrett aussah, mit breiten, nach Licht und Luft gierenden Fenstern. Jonathan läutete: Ein Diener öffnete die Tür, und sobald Jonathan in seinem besten Englisch nach Mister B. verlangt hatte, wurde er, in Begleitung von Jacques, über eine glänzende und mit einem schmalen Teppich belegte Treppe zum Salon in den ersten Stock geführt.

Dort saßen zwei Frauen, mit Nadelarbeiten beschäftigt: Es waren Mistress B.

und Miss Amelia, ihre Tochter, eine überaus anmutige junge Person, deren Aufgewecktheit, Freundlichkeit und Liebreiz einen Gegensatz zur britischen Steifheit bildeten. Die beiden Pariser stellten sich selbst vor; man hatte sie bereits erwartet, und es war Miss Amelia zu verdanken, daß man sich rasch kennenlernte. Mistress B. sprach kein Französisch, aber ihre Tochter, die einige Zeit in Nantes und Paris gelebt hatte, drückte sich, ungeachtet ihres schottischen Akzentes, tadellos aus. Jacques, der hoch erfreut war, ein zusammenhängendes Gespräch führen zu können, bemühte sich eifrig um Miss Amelia.

Die Damen ließen auf einem Tablett zwei Gläser und zwei Flaschen bringen, eine mit Port, die andere mit Sherry – das ist der englische Name für Jerez; diese beiden Weine bilden offensichtlich den Grundstock eines englischen Kellers, denn sie werden überall angeboten, und man geizt nicht mit ihnen. Jacques und Jonathan nahmen diesen stärkenden Likör und einige Biskuits gerne an, dann baten sie um die Gunst, Mister B. vorgestellt zu werden.

»Mein Vater ist im Augenblick nicht hier«, antwortete Miss Amelia, »aber wenn Sie uns das Vergnügen bereiten, zum Essen zu bleiben, werden Sie ihn bestimmt treffen.«

Jacques bat, seinen Begleiter und ihn selbst zu entschuldigen, er wolle, obwohl man in Schottland war, die Gastfreundschaft nicht mißbrauchen.

»Das hat doch nichts mit mißbrauchen zu tun«, sagte die liebenswürdige Miss,

»es wird ein Dinner ganz ohne Umstände sein; aber Monsieur Savournon ist doch Musiker, und ich bin verrückt nach Musik; wir könnten also den Abend zwischen meiner Orgel und meinem Klavier verbringen.«

»Nun gut, Mademoiselle, morgen ist Sonntag, wenn es Mister und Mistress B.

genehm ist …«

»Oh!« meinte Miss Amelia. »Oh! Das ist unmöglich. Morgen speisen Sie mit uns, das versteht sich von selbst, aber am Sonntag können wir keine Musik machen; es widerspricht unseren Gewohnheiten, für Katholiken und Protestanten ist das eine Regel, die keine Ausnahme duldet.«

Jacques und Jonathan akzeptierten diese doppelte Einladung, die mit so viel liebenswerter Hartnäckigkeit gemacht worden war.

»Nun«, fuhr Miss Amelia fort, »werde ich meinen Hut und meinen Schal holen und Ihnen, bis Zeit zum Abendessen ist, die Sehenswürdigkeiten der Umgebung zeigen.«

Und von ihrer Mutter gefolgt verließ Amelia den Salon.

»Das ist wirklich eine reizende Schottin«, sagten die beiden Freunde einmütig.

Der Salon war ein geräumiges Zimmer, kühl und hell, nach allen Anforderungen der englischen Behaglichkeit eingerichtet. Die großen Fenster öffneten sich, wie überall in England, von oben nach unten mittels einer Feder und eines Gegengewichts; sie erinnern an die früheren Schiebefenster, sind aber außergewöhnlich leicht, und die von einem dünnen Eisengestell umrahmten Glasscheiben lassen das Tageslicht strahlend einfallen. Diese Vorrichtung kommt ohne Fensterflügel aus und erlaubt deshalb, im Inneren Jalousien aus dünnen, gepreßten Lamellen anzubringen. Der Kamin aus schwarzem Marmor war hoch, breit und fast ohne Vorsprung, mit einer Feuerstelle, die für das Verbrennen von Kohle geeignet war; eine kleine und einfache Wanduhr stand zwischen zwei bronzenen Kandelabern. Diese waren auf dem Kaminsims befestigt und bekamen über eine verborgene Leitung das Gas zugeführt, das sie für die Speisung ihres dreiköpfigen Brenners benötigten. Auf diese Weise wird das Gas in alle Ecken des Salons und bis zum Deckenlüster verteilt. Diese Art der Beleuchtung ist hell und praktisch zugleich. Die Polsterstühle in verschiedenen Formen und Stoffen stellten ihren müden Benutzern die vorteilhaftesten Rundungen zur Verfügung. Hier war keine der französischen Moden oder Gewohnheiten zu finden, weniger Luxus, dafür aber viel mehr Gemütlichkeit;

ein Broadwood-Flügel und eine klangvolle Orgel ergänzten diese Einrichtungsgegenstände, die ein ganz besonderes Stilempfinden und Harmonie zum Ausdruck brachten.

Wie so oft in Schottland spalteten Katholizismus und Protestantismus auch die Überzeugungen dieser gastfreundlichen Familie: Mister B. war ein strenggläubiger Protestant, während seine Frau und seine Tochter nach der

katholischen Religion lebten; aber durch ihre Toleranz, ihre Geselligkeit, ihre Poesie milderte diese mit ihrem Zauber die Nüchternheit des Protestantismus.

Die schottischen Kalvinisten haben, mit der Stimme von John Knox, diese Strenge in der Erfüllung religiöser Pflichten sehr weit getrieben und sich sogar von der anglikanischen Kirche getrennt; während diese, obwohl sie die kalvinistischen Glaubenssätze gelten läßt, die Bischöfe und eine gewisse Hierarchie im Priesteramt bewahrt hat. Die schottischen Presbyterianer haben eine absolute Gleichheit unter den Geistlichen verkündet, die, von jeder Liturgie und äußeren Religionsausübung befreit, keinen anderen Auftrag haben, als die Bibel durch die individuelle Vernunft auszulegen. Jacques nahm sich fest vor, die Einzelheiten der beiden, in der Familie B. vereinten Religionen mit Interesse zu verfolgen.

Nach einigen Minuten kehrte Miss Amelia allein zurück, und mit der Ungezwungenheit der jungen Engländerinnen wies sie ihren beiden Gästen den Weg zu einem neuen Ausflug.

»Meine Herren«, sagte sie, »ich werde sie in den Botanischen Garten führen, der sich hier in der Inverleith Row befindet; heute ist Samstag, die Gewächshäuser sind noch offen, und Sie werden ganz ungewöhnliche Pflanzen zu sehen bekommen.«

Jacques bot Miss B. seinen Arm an, diese stimmte anmutig zu, und schon bald standen sie vor dem Eingang der Botanical Gardens. Mit seinem schmucklosen kleinen Tor wirkt dieser Garten wie ein sorgfältig gepflegter Privatbesitz; seine Rasenflächen sind prachtvoll wie in ganz England, und die Spaziergänger schlendern so ungehindert auf ihnen dahin wie auf den Sandwegen. Miss Amelia lenkte ihre Schritte zu den Gewächshäusern, einer geräumigen Glasrotunde, unter der exotische Pflanzen aller Klimazonen Schutz finden. Die Kuppe dieser Rotunde wird von einer eisernen Galerie abgeschlossen, von der man eine herrliche Aussicht über ganz Edinburgh hat.

Dieser reizende Spaziergang dauerte ungefähr eine Stunde, angefüllt mit Jacques’ unablässigen Fragen über Schottland und Miss Amelias beständigen Erkundungen über Frankreich. Schließlich waren sie wieder in der Inverleith Row, und Miss Amelia führte ihre neuen Freunde ganz selbstverständlich, als sei es ein vergnüglicher Ort, zum Friedhof von Edinburgh, auf der anderen Straßenseite.

Dieser war im übrigen ein entzückender Park mit grünen Rasen und von Buchsbäumen gesäumten Alleen; die Gräber unter ihren kühlen Schattendächern

boten einen erfreulichen Anblick, und man bekam Lust, sich auf ihnen zur ewigen Ruhe auszustrecken. Die Vorstellung vom Tod hat nicht das schaurige Gesicht der Mausoleen und Säulenstümpfe in Frankreich; die Grabmäler gleichen bezaubernden Cottages, auf denen das Leben geruhsam und verlockend dahinfließt. Dieses eigentümliche Gefühl erfüllte Jacques, und er begriff, warum Miss Amelia sie ganz einfach und wie selbstverständlich in diesen hinreißenden Park geführt hatte.

Dreiundzwanzigstes Kapitel

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