• Keine Ergebnisse gefunden

Im Zusammenhang mit Ausnahmen der Mehrgliedrigkeit verweist Stein (1995: 27) auf sogenannte dialektale Zusammenziehungen wie

Im Dokument Formelhafte (Ir-)Regularitäten (Seite 45-48)

Irregularitäten“

1) Im Zusammenhang mit Ausnahmen der Mehrgliedrigkeit verweist Stein (1995: 27) auf sogenannte dialektale Zusammenziehungen wie

beispiels-weise von weißt du? zu weißt(e)?, von siehst du? zu siehste? oder gar von guten Abend zu nabend. Hier spielt es keine Rolle, ob diese polylexikalisch oder monolexikalisch realisiert werden; auf die gesprächsspezifische Funktion dieser Ausdrücke hat dies keine Auswirkungen.

2) Ein ähnlicher Fall, bei dem die pragmatische Funktion nicht von der Poly-lexikalität bzw. Nicht-PolyPoly-lexikalität des Ausdrucks beeinflusst wird, liegt bei formelhaften Einwortäußerungen wie hallo, danke und tschüs vor (vgl.

Stein 1995: 27). So macht es keinen Unterschied (außer vielleicht einen so-zialen bzw. stilistischen), ob das Gegenüber mit guten Tag oder hallo begrüßt wird, man sich bei jemandem mit vielen Dank oder danke erkenntlich zeigt oder man sich mit auf Wiedersehen oder tschüs verabschiedet. Obwohl sie das Kriterium der Polylexikalität nicht erfüllen, gehören solche formelhaften Einwortäußerungen dennoch aufgrund ihrer pragmatischen Festigkeit zum Bereich der Formelhaftigkeit (vgl. Filatkina 2007a: 143). Auch im Bereich

„phraseologischer Irregularitäten“ lassen sich Phänomene finden, bei denen das Kriterium der Polylexikalität zu unflexibel erscheint. Mit anderen Worten:

Auch bei monolexikalischen Einheiten lassen sich teilweise dieselben „irre-gulären“ Erscheinungsformen finden wie bei den in der vorliegenden Arbeit behandelten Mehrwortverbindungen. Beispielsweise gibt es – wie weiter oben vorgestellt – auch Routineformeln, die aus einer einzigen, „unikalen“ Kom-ponente bestehen (z. B. Donnerwetter, Scheibenkleister, pfui und dankeschön).

Zudem muss erwähnt werden, dass das Konzept der Unikalität ursprüng-lich aus der Morphologie stammt und sich auf Morpheme bezieht, die nur (noch) innerhalb eines einzigen Lexems vorkommen (z. B. Schornstein und Brombeere) (vgl. Donalies 2007: 10 sowie Fleischer/Barz 2012: 65f.). Des Weiteren lassen sich im Rahmen der „phraseologischen Irregularität“ des ad-verbialen Genitivs Einwort-Konstruktionen finden, in denen diese ebenfalls auch heutzutage noch erhalten ist (z. B. morgens und sonntags). Im Hinblick auf das polylexikalische Kriterium sind hier vor allem solche Beispiele inte-ressant, in denen eine monolexikalische Einheit vorliegt, die diachron aus ei-ner polylexikalischen Wortverbindung durch Zusammenrücken entstanden

ist (z. B. erstmals, mancherorts, dummerweise, keineswegs, jedenfalls und jeder-zeit) (vgl. Egorova 2006: 92f.). Ferner kann semantische Fossilierung nicht nur bei Paarformeln beobachtet werden (z. B. recht und billig), sondern auch bei einfachen Komposita (z. B. Tollhaus und Tollwut). Die Bewahrung älterer grammatischer respektive semantischer Strukturen in einer jüngeren Sprach-stufe ist also kein Phänomen, das nur polylexikalischen Einheiten vorbehal-ten ist. Aufgrund dessen ist das Kriterium der Polylexikalität auch im Bereich

„phraseologischer Irregularitäten“ zum Teil problematisch. In der vorliegen-den Arbeit wervorliegen-den primär Mehrwortverbindungen analysiert. Die Tatsache, dass „irreguläre“ Erscheinungen auch in einfachen Lexemen existieren kön-nen, sollte dabei aber immer im Hinterkopf behalten werden.

3) Als dritten Typ führt Stein (1995: 27) idiomatische Komposita wie Angstha-se, Dreikäsehoch und Grünschnabel an.28 Die Problematik ist hier offensicht-lich: Auf der einen Seite weisen solche Erscheinungen das phraseologische Merkmal der Idiomatizität auf, auf der anderen Seite widersprechen sie aber dem Kriterium der Mehrgliedrigkeit. Diese sogenannten „Einwortphraseo-logismen“ bzw. „Einwortidiome“ sind Gegenstand zahlreicher Diskussionen, wobei es sich im Grunde immer nur um die Frage dreht, welches Kriterium – das der Polylexikalität oder das der Idiomatizität – stärker zu gewichten ist.29 Die vorliegende Arbeit bezieht demgegenüber eine klare Stellung und sieht in der Eigenschaft der Polylexikalität das wichtigste Definitionskri-terium phraseologischer Einheiten (Ausnahmen bilden hier nur die oben vorgestellten formelhaften Einwortäußerungen). Die Bezeichnung „Ein-wortphraseologismus“ ist demnach ein Widerspruch in sich (vgl. Burger u. a. 2007: 9 sowie Heine 2010: 12). Bei solchen Lexemen wie Tapetenwechsel oder Naschkatze handelt es sich nicht um Phraseme, da diese trotz einer idio-matischen Ausprägung die Struktur einer Wortzusammensetzung und eben nicht einer Wortgruppe besitzen (vgl. Henschel 1987: 846); morphosyntak-tisch haben sie klar den Status von Wörtern und nicht von Phrasemen (vgl.

Burger 2002: 393). Aufgrund dessen schließe ich mich der Meinung Flei-schers (1997: 249) an, der die Bezeichnung „Einwortphraseologismus“ bzw.

„Einwortidiom“ als eine Überdehnung des Phraseologiebegriffs erachtet.

28 Eine der ersten Arbeiten, in denen auf diese aufmerksam gemacht wird, ist ein Aufsatz von Püschel (1978), in dem er sie als sogenannte „Wortbildungsidiome“ den Idiomen zuordnet (vgl. Püschel 1978: 156).

29 Siehe u. a. Henschel (1987); Duhme (1991, 1995); Gondek/Szczek (2002); Ágel (2004a); Szczek (2004) sowie Heine (2010).

Unproblematisch wäre es, von „(teil-)idiomatischen Komposita“ zu spre-chen, „da ,Idiomatizität‘ eine Eigenschaft ist, die zwar prototypisch in der Phraseologie anzutreffen ist, die aber nicht auf die Phraseologie beschränkt sein muss“ (Burger 2002: 393).30 Insgesamt besitzen idiomatische Kompo-sita Affinitäten zu frei verwendeten Unikalia (also Unikalia, die aus Phrase-men herausgelöst werden, siehe Kapitel 4.5). Denn auch bei re-unikalisierten Wörtern – wie beispielsweise Fettnäpfchen mit der phraseologisch motivier-ten Semantik ,eine unbedachte, taktlose Bemerkung, Verhalmotivier-tensweise‘ – lässt sich die Gesamtbedeutung nicht aus der Semantik der einzelnen Kompo-nenten, sondern nur im Hinblick auf das ursprüngliche Idiom erschließen.

4) Ein vierter Problembereich ist mit orthografischen Konventionen verbun-den (vgl. Coulmas 1985: 253). Bezüglich der Polylexikalität rückt hier vor allem die orthografische Schwierigkeit der „Getrennt- und Zusammenschrei-bung“ in den Mittelpunkt (vgl. Levin-Steinmann 2007: 37).31 Es stellt sich die Frage, wie mit sprachlichen Einheiten umzugehen ist, die sich entweder im Prozess der Grammatikalisierung von festen Mehrwortverbindungen zu Univerbierungen entwickeln (z. B. auf Grund/aufgrund und mit Hilfe/mithil-fe) (vgl. Eisenberg 1998: 317) oder durch Orthografiereformen erst einen polylexikalischen Status erhalten bzw. diesen verlieren (z. B. sitzen bleiben und eislaufen) (vgl. Levin-Steinmann 2007: 40).32 Auch hier ist es sinnvoll, die Polylexikalität als obligatorisches Merkmal anzusetzen und Zusammen-ziehungen aus dem Untersuchungsbereich auszugliedern. Donalies (2005:

339f.) macht ebenfalls darauf aufmerksam, dass im Deutschen tatsächlich die „grafische Lücke“ als Unterscheidungskriterium zwischen Phrasemen und Wortbildungsprodukten herangezogen werden kann und der orthogra-fische Usus somit von entscheidender Bedeutung ist (vgl. auch Topczewska 2004: 24).33 Im Bereich der „phraseologischen Irregularitäten“ tauchen vor

30 Ist man trotz allem gewillt, solche monolexikalischen idiomatischen Erscheinungen als phraseologisch zu bewerten, werden sie fast ausschließlich in der phraseologischen Peripherie angesiedelt (siehe Stein 1995: 42 sowie Lüger 1999: 36f.).

31 Zur Problematik der Getrennt- und Zusammenschreibung siehe Fuhrhop (2007) sowie Eisenberg (1998: Kapitel 8.4).

32 Anhand des Beispiels auf Grund/aufgrund weist Schindler (2002: 36) darauf hin, dass es sich bei solchen Fällen vom Standpunkt des Lexikons aus um „orthographische Scheinprobleme“ handelt, da hier zwei alternative graphematische Ausdrucksseiten mit einem Inhalt und einheitlichen syntaktischen Merkmalen lexikalisch verbunden sind.

33 Donalies (2005: 340) betont jedoch explizit, dass Orthografisches höchstens im Deutschen aussagekräftig ist, da in anderen Sprachen dieser Usus weniger strikt

allem bei Unikalia Schwierigkeiten bezüglich der Getrennt- und Zusam-menschreibung auf. Hierbei handelt es sich um Konstruktionen, die sich aus einem Verb und einer präpositionalen Substantivgruppe zusammensetzen, wobei die Substantivgruppe in der heutigen Gegenwartssprache als ein Wort aufzufassen ist und demnach zusammengeschrieben wird. Als Beispiele kön-nen angeführt werden: außerstande sein, instand halten/setzen/bringen und zustande kommen (vgl. Eisenberg 1981: 85). Da die präpositionale Substan-tivgruppe in den meisten dieser Konstruktionen nicht als selbstständiges Le-xem existiert und in ihrer Verwendung an bestimmte Verben gebunden ist, kann sie als unikale Komponente identifiziert werden (vgl. Fleischer 1997a:

92f.). Neben der Zusammenschreibung sind in gegenwartssprachlichen Tex-ten jedoch auch häufig noch Getrenntschreibungen zu finden (außer Stande sein, zu Nutze machen und zu Grunde gehen). Problematisch ist nun, dass bei der grammatikalisierten zusammengeschriebenen Variante unikale Kompo-nenten entstehen, bei der nicht-grammati kalisierten getrenntgeschriebenen jedoch nicht. Beispielsweise beinhaltet die Nennform etw. instand setzen die unikale Komponente instand, die Nennform etw. in Stand setzen weist dage-gen kein phraseologisch gebundenes Wort auf, da in, Stand und setzen auch im freien Sprachgebrauch auftreten können. In der vorliegenden Arbeit wird sich bei solchen Fällen auf ein korpusanalytisches Vorgehen gestützt. Lassen sich zu einer Konstruktion univerbierte präpositionale Substantivgruppen im DeReKo finden, werden diese als Unikalia klassifiziert.

5) Ein besonderes Phänomen stellt die Wortbildung auf der Grundlage von

Im Dokument Formelhafte (Ir-)Regularitäten (Seite 45-48)

Outline

ÄHNLICHE DOKUMENTE