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Vorangestellte Genitivattribute außerhalb formelhafter Wendungen

Im Dokument Formelhafte (Ir-)Regularitäten (Seite 177-181)

Die Vielfalt formelhafter (Ir-)Regularitäten

1) Jeder ist seines (eigenen) Glückes Schmied: Das Geni tivattribut Glück ist in diesem Phrasem in 95% aller Belege vorangestellt wie beispielsweise in:

7.4 Vorangestellte Genitivattribute außerhalb formelhafter Wendungen

Im Folgenden werden drei Bereiche in den Blick genommen, in denen auch au-ßerhalb formelhafter Wendungen pränominale Genitivattribute zu finden sind.

Während im freien Sprachgebrauch bei Eigennamen die Voranstellung (noch) der unmarkierte Fall ist, wird sie u. a. auch in literarischen Werken, Kinderlie-dern und KirchenlieKinderlie-dern tradiert. Zuletzt werden Belege angeführt, die verdeut-lichen, dass auch heute noch Substantive, die im engen Sinne keine Eigennamen sind, (innerhalb der Pressesprache) vorangestellt werden können.150

1) Eigennamen:151 Während der pränominale Genitiv bei Nicht-Eigennamen bereits gegen Ende des 17. Jahrhunderts stark rückläufig und stilistisch

150 Zudem ist der pränominale Genitiv in einigen Dialekten erhalten, vor allem in den höchstalemannischen Mundarten (vgl. Fleischer/Schallert 2011: 86f.).

151 Für ausführliche Informationen zum Eigennamen als Genitivattribut siehe Eisen-berg/Smith (2002) sowie Fuss (2011).

markiert ist, gibt es die Voranstellung bei Eigennamen auch im Gegenwarts-deutsch (noch):

Dabei ist der Genitiv im Normalfall dem Bezugswort nachgestellt, Voranstellung ist nur bei Eigennamen – besonders Personennamen – üblich und auch dort nicht notwendig […]. (Fabricius-Hansen 1987: 169)

Die pränominale Stellung ist gegenüber der postnominalen die klar bevorzug-te Varianbevorzug-te (vgl. Niehaus 2011: 69). Funktional gesehen sind vorangesbevorzug-tellbevorzug-te Eigennamen mit Determinativen verwandt, da sie pränuklear in unbetonter Position stehen und wie diese in der Regel eine Kasusmarkierung besitzen (vgl. Eisenberg/Smith 2002: 124). Der Grund für die Voranstellung von Ei-gennamen hängt mit der Artikelsetzung zusammen. Mit Aufkommen eines obligatorischen Artikels weicht das Genitivattribut nach rechts. Da aber bei Eigennamen im Standarddeutsch kein Artikel gesetzt wird, bleiben diese weiterhin vorangestellt (vgl. Eichinger/Plewnia 2006: 1062). Nübling u. a.

(2010: 102) differenzieren im Hinblick auf den pränominalen Gebrauch von Eigennamen zwischen Personen- und Ortsnamen: Während bei Ortsnamen die Nachstellung zurzeit eher abnehme (z. B. ?Triers Sehenswürdigkeiten versus die Sehenswürdigkeiten Triers), sei die alte Voranstellung bei Personennamen auch heute noch konstant (z. B. Carmens Sonnenstudio versus ?das Sonnen-studio Carmens). Niehaus (2011: 68) kann diese These indes im Zuge seiner empirischen Analyse von Zeitungstexten nicht bestätigen. Seine Stichproben zeigen keine signifikante Nachstellung bei Ortsnamen.

2) Literatursprache, Kinder- und Kirchenlieder: Typische Textsorten, in de-nen das vorangestellte Genitivattribut bewahrt bleibt, stellen insbesondere literarische Werke, Kinder- und Kirchenlieder dar. So bemerkt Marillier (1992: 48), dass, „wer am richtigen Ort sucht“, auch heute noch auf voran-gestellte Nicht-Eigennamen treffen kann. Marillier (1992: 48f.) wertet in diesem Zusammenhang vor allem literarische Werke aus und kommt u. a.

zu dem Ergebnis, dass sich gewisse Literaten – wie z. B. Christa Wolf – der Voranstellung vermehrt bedienen. Besonders häufig findet sich die mar-kierte Genitivstellung in der Lyrik. Wirft man beispielsweise einen Blick auf Gedichte von Georg Trakl, lassen sich u. a. folgende Belege finden: Es steigt und sinkt des Rohres Regung („Melancholie des Abends“), Ferne glänzt des Weihers Spiegel („Frauensegen“), durch der Gärten Blätterrahmen („Die schöne Stadt“), Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigen-den Hain („Grodek“) und Gesegnet auch blüht armer Mägde Schoß („Der

Spaziergang“).152 Die Voranstellung ist hier meist durch Reim und Metrik motiviert. Zudem ist sie einem gehobenen und archaischen Stil zuzurechnen und wird daher auch aus stilistischen Gründen eingesetzt. In Anlehnung an den lyrischen Stil, der durch die pränominale Stellung des Genitivs hervor-gerufen wird, sind folgende Zeilen zu interpretieren, die aus einem Lusti-gen Taschenbuch (2000: 143) stammen und sich bewusst dieses Stilmittels als Schablone bedienen:

Wer statt des Glückes Gunst nur Pech für sich gepachtet, den man zu Recht als armen Tropf erachtet! So wie den Donald, den des Schicksals Ungemach bekanntlich schon des Öftern stach… (Hervorhebung von SöSt)153

Eine kleinere Auswertung von deutschen Kinderliedern zeigt, dass auch in diesen ältere grammatische Phänomene bis heute Bestand haben. Beispiels-weise findet sich in „Der Mond ist aufgegangen“ der pränominale Genitiv des Tages Jammer in der Textzeile Als eine stille Kammer, wo ihr des Tages Jammer verschlafen und vergessen sollt (siehe Kapitel 6.4.1). Und auch in Kir-chenliedern wird die Voranstellung tradiert, was zweifellos dadurch zu erklä-ren ist, dass diese meist aus einer Zeit stammen, in denen der pränominale Genitiv noch üblich gewesen ist. Exemplarisch lassen sich folgende Belege anführen, die aus einem Evangelischen Gesangbuch (1996) stammen (in Klammern sind die dazugehörigen Liednummern angegeben): „Wacht auf“, singt uns der Wächter Stimme (69), hier ist des Paradieses Pfort (73), denn du durchdrangst des Todes Nacht (74), des Tempels Vorhang zerreißt (77), begnad unsers Geists Begier (78) und Keins Menschen Herz vermag es auszudenken (81). Die Bewahrung des vorangestellten Genitivattributs in literarischen Werken sowie in Kinder- und Kirchenliedern trägt sicherlich dazu bei, dass dieses uns zwar veraltet bzw. ungewöhnlich vorkommen mag, wir es aber nicht als vollkommen ungrammatisch, sprich „irregulär“ empfinden und es durchaus auch heute noch in bestimmten Kontexten – wie das obige Comic-Beispiel zeigt – verwendet werden kann.

3) Voranstellung in der Presse: Als Ergebnis einer stichprobenartigen Su-che im DeReKo kann festgehalten werden, dass auch heute noch Belege – vornehmlich aus Pressetexten – zu finden sind, in denen Nicht-Eigenna-men in attributiver Stellung vorangestellt sind. Selbstverständlich sind die

152 Die Gedichte finden sich in Killy/Szklenar (1969).

153 Diese Zeilen stehen zu Beginn eines Comics, in dem das außerordentliche Pech Donald Ducks thematisiert wird. Sie stecken sozusagen den Rahmen der Geschichte ab und leiten in die Episode namens „Der Glückshut“ über.

Trefferzahlen aus quantitativer Perspektive marginal, sie verdeutlichen aber, dass diese Konstruktion nicht als vollkommen ungrammatisch gelten kann.

Übersicht 7–1 zeigt einige Beispiele für die Voranstellung der Substantive Kanzler, Manager, Schüler und Professor.

Übersicht 7-1: Vorangestellte Genitivattribute außerhalb formelhafter Wendungen Kanzler Des Kanzlers Vorgabe wirkte sich aber auf die rot-grüne Disziplin

verhee-rend aus: Eine beträchtliche Minderheit erwägte, gegen die eigene Regierung zu stimmen. (St. Galler Tagblatt, 16.11.2001)

Des Kanzlers Rüpeleien im Fernsehen sind wie ein Startschuss: Überall in der Republik fallen Funktionäre und Abgeordnete über Journalisten her, als lebten wir plötzlich in einer südamerikanischen Bananenrepublik. (Braun-schweiger Zeitung, 24.09.2005)

„Sind die Medien der Souverän? Oder ist das Volk der Souverän?“ Das sollten die Fragen sein, die des Kanzlers Presseamt in einem Kongress „Medien und Wahlkampf“ beantwortet haben wollte. (Braunschweiger Zeitung, 01.10.2005) Manager Fax und Maileingang hatten in des Managers Büro gestern Dauerbetrieb.

(Mannheimer Morgen, 14.01.2004)

Auf die Frage, wie teuer der Ball war, antwortete Dürkop flüsternd hinter vorgehaltener Hand: „Sehr teuer.“ Dann lüften wir des Managers Geheimnis:

Der „Teamgeist“ kostet 110 Euro. (Braunschweiger Zeitung, 11.04.2006) Statt einer telegenen Wut-Rede hat Veh einfach schnörkellos den Ist-Zustand seines Teams analysiert und seine und des Managers Mitschuld eingeräumt.

(Braunschweiger Zeitung, 24.11.2008)

Schüler Die Ausstellung, die noch bis Freitag geöffnet ist, soll Schulräten, Eltern und Lehrern einen Einblick in das gewähren, was des Schülers Herz in Sachen Freizeit begehrt. (St. Galler Tagblatt, 21.01.1999)

Mit diesem Konzept fördern wir – den Legislaturzielen der Schulbehörde ent-sprechend – Kompetenzen und Haltungen, welche des Schülers Bereitschaft zu lebenslangem Lernen stärken. (St. Galler Tagblatt, 15.05.2010)

Das Deckblatt eines Reclam-Hefts provoziert in seiner leuchtend gelben Sach-lichkeit geradezu des Schülers Kreativität: Da wird aus Kafkas „Verwand-lung“ eine „Verwanzung“, verziert mit Krabbelkäfern, aus „Der zerbrochne Krug“ ein „Erbrochner Krug“ eines gewissen Peinlich und Dreist. (St. Galler Tagblatt, 04.05.2012)

Professor Des Professors Begeisterung kennt kaum Grenzen, wenn er von Hanspeter Reiflers Gestaltungskunst spricht. (St. Galler Tagblatt, 09.12.2000)

Kaum war das „Oh“ der Kinder verklungen, klingelte des Professors Handy.

(Braunschweiger Zeitung, 14.12.2009)

Eine Erklärung für die Voranstellung der in Übersicht 7–1 zu findenden Ge-nitive gibt Hengxiang (1986). Er nimmt eine Unterscheidung in Eigen- und Gemeinnamen vor und räumt nur den ersteren die Möglichkeit ein, pränominal verwendet zu werden. Das Problem besteht nun darin, dass das Deutsche auch Substantive aufweist, die sowohl als Gemeinnamen als auch – in einem bestimm-ten Kontext bzw. für einen bestimmbestimm-ten Zeitraum – als Eigennamen gebraucht werden können (vgl. Hengxiang 1986: 533). Zu diesen Substantiven gehört bei-spielsweise auch (Bundes-)Kanzler. Hengxiang (1986: 533) führt an, dass solche Substantive deshalb als Eigennamen fungieren können, weil bei ihnen die Mög-lichkeit besteht, dass sie sich jeweils auf ein bestimmtes Individuum beziehen, das im Umkreis des Sprechers nur einmalig sein kann. Sie können demnach auf ein belebtes individuelles Subjekt referieren und somit die Personennamen er-setzen (vgl. Demske 2001: 210). Auch Eisenberg/Smith (2002: 117) sprechen dem Substantiv Kanzler die Funktion eines Eigennamens zu. Sie ordnen es der Kategorie der „Titelbezeichnungen“ zu, denen sie die generelle Möglichkeit des direkten Referenzbezugs eines Individuums attestieren.154

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