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Korpusauswertung .1 Vorgehensweise.1 Vorgehensweise

Im Dokument Formelhafte (Ir-)Regularitäten (Seite 133-136)

Die Vielfalt formelhafter (Ir-)Regularitäten

3) Daumenschrauben (phraseologische Gebundenheit circa 72%) die Daumenschrauben anziehen

5.3 Korpusauswertung .1 Vorgehensweise.1 Vorgehensweise

Das Ziel der Korpusanalyse ist die Ermittlung des tatsächlichen Gebrauchs des Dativ-e in formelhaften Wendungen. Primär steht die Frage im Vordergrund, ob bei diesem Phänomen Schwankungen zwischen der markierten und der unmarkierten Variante existieren. Erste empirische Ergebnisse von Konopka (2010, 2012) weisen auf eine solche graduelle Ausprägung hin. Er wertet 100 Dativ-e-Verbindungen im Hinblick auf die Realisierung der e-Endung aus und kommt zu dem Ergebnis, dass es Wendungen gibt, in denen der Dativ-e-Anteil sehr hoch ist, aber auch solche, in denen diese Kasusmarkierung kaum auftritt (vgl. Konopka 2010: 30).121

120 Zur Entwicklung im 20. Jahrhundert siehe Eichinger/Rothe (2014: 74–84).

121 Verwiesen sei auch auf Eichinger (2013: 140–147), der das Dativ-e exemplarisch im Hinblick auf Stilerwartungen, Textsorten und feste Wendungen korpusbasiert betrachtet.

Die Analyse der vorliegenden Arbeit orientiert sich an der Methodik Konop-kas (2010, 2012), indem ebenfalls auf das DeReKo zurückgegriffen wird. Im Ge-gensatz zu Konopka (2010, 2012) liegt der Untersuchung jedoch eine weitaus größere Anzahl an möglichen Dativ-e-Phrasemen zugrunde. Ausgangspunkt stellt eine eigens erstellte Liste mit 436 formelhaften Wendungen dar, die in der Nennform ein Lexem aufweisen, das zum einen dativ-e-fähig ist und zum an-deren innerhalb des Phrasems im Dativ steht. Die Listenerstellung erfolgt zum einen auf der Grundlage bereits in der Forschungsliteratur verzeichneter Dativ-e-Wendungen und zum anderen aus der Durchsicht der phraseologischen Wör-terbücher Röhrich (2006), Duden (2008) und Schemann (2011).

Mithilfe detaillierter Suchanfragen können 253 der 436 Wendungen in Bezug auf die Realisierung bzw. Nicht-Realisierung des Dativ-e ausgewertet werden. Die restlichen Wendungen können deshalb nicht ausgewertet werden, weil ihre Quan-tität im DeReKo zu gering ist oder sie – was meistens der Fall ist – überhaupt nicht belegt sind (z. B. etw. mit dem Schwerte erlangen oder seinem Maule keine Stiefmut-ter sein). Als Mindestgrenze wird eine Trefferanzahl von 20 Belegen angesetzt.

5.3.2 Ergebnis: Schwankungen in der Dativ-e-Markierung

Die Ergebnisse der Korpusanalyse sind im Anhang 2 festgehalten. Zu sehen sind neben der formelhaften Wendung und der betreffenden Komponente (fett her-vorgehoben) zum einen die jeweilige Quantität des Gebrauchs mit und ohne -e und zum anderen der Anteil der Dativ-e-Realisierung in Prozent.

Die Korpusanalyse zeigt, dass die Realisierungshäufigkeit des Dativ-e bei for-melhaften Wendungen stark variieren kann. Auf der einen Seite gibt es Wortver-bindungen, in denen nahezu ausschließlich der Dativ mit -e steht (z. B. sich etw.

zu Gemüte führen und jmdn./etw. zu Grabe tragen):

(7) Der ermordete Linkspolitiker Chokri Belaïd wird unter Militärschutz zu Grabe getragen, und die Straße erlebt den Hauch einer Wiedergeburt der Revolution.

(die tageszeitung, 09.02.2013)

Auf der anderen Seite finden sich aber auch Phraseme, in denen die im Dativ stehende Komponente (fast) nie mit dieser Kasusendung versehen ist (z. B. auf freiem Fuß und (eine) Wut im Bauch (haben)):

(8) „Ich habe noch immer Wut im Bauch, weil wir in der Hinrunde so viele Punkte zu Hause verschenkt haben“, sagt Trainer Torsten Lieberknecht […]. (Braun-schweiger Zeitung, 14.02.2009)

In den meisten Fällen offenbaren die empirischen Ergebnisse mehr oder weni-ger große Schwankungen zwischen der Realisierung bzw. Nicht-Realisierung des

Dativ-e bei ein und derselben formelhaften Wendung (z. B. im Sand(e) verlaufen und sich etw. am Mund(e) absparen):

(9) Einer, der 30 Jahre in die Arbeitslosenkasse einbezahlt und sich einige Rückla-gen vom Mund abgespart hat, fällt nach nur einem Jahr Arbeitslosigkeit in Ar-beitslosengeld Hartz IV und muss erstmal vom Ersparten leben. (Rhein-Zeitung, 17.05.2005)

(10) Schließlich gibt es Tausende Teilnehmer, die sich das Geld für die Reise nach Südafrika vom Munde abgespart haben und die hier interessiert Erfahrungen aufnehmen. (Nürnberger Nachrichten, 30.08.2002)

Es handelt sich bei der Dativ-e-Realisierung innerhalb von formelhaften Wen-dungen also – ähnlich wie bei Unikalität – nicht um eine dichotomische „entwe-der – o„entwe-der“-Bedingung, son„entwe-dern um eine graduelle Eigenschaft.

5.3.3 Erklärungsansätze für die Bewahrung des Dativ-e

Rieger (2007) führt fünf Erklärungsansätze für die Bewahrung des Dativ-e in Phrasemen an. Mithilfe primärer und sekundärer Faktoren versucht sie die Fra-ge zu beantworten, wann und warum das Dativ-e bei einiFra-gen WortverbindunFra-gen weggelassen werden kann und bei anderen nicht. Als primär fasst sie die Funkti-onen auf, die das Dativ-e im Gegensatz zur Nullendung besitzt, als sekundär die

„Begleiterscheinungen“ im Zuge der Lexikalisierung (vgl. Rieger 2007: 9). Im Fol-genden werden die Kriterien von Rieger (2007) kurz angeführt und entsprechend der eigenen Korpusanalyse gedeutet und problematisiert. Im Anschluss daran wird ein weiterer Erklärungsansatz für die Bewahrung des Dativ-e vorgestellt.

1) Dativ-e als Stilmerkmal: Rieger (2007: 9–11) argumentiert, dass das Da-tiv-e als antiquierte Form die „Altehrwürdigkeit“ von Phrasemen verstärkt und somit als Mittel für eine „hochtrabend-pathetische Wirkung“ gebraucht werden kann. Die Tatsache, dass die archaische Form des Dativ-e für geho-benen (und somit auch humoristisch-übertriegeho-benen) Sprachgebrauch eine fruchtbare Grundlage bietet, kann nicht bestritten werden. Dies verdeutli-chen Wendungen, die einem gehobenen Sprachstil zugeordnet werden kön-nen und in dekön-nen das Dativ-e gegenüber der Nullendung deutlich überwiegt (z. B. jmdn./etw. zu Grabe tragen und im Schweiße meines Angesichts). Als al-leiniger Erklärungsansatz reicht dieses Argument jedoch nicht aus, denn die meisten Dativ-e-Phraseme gehören keiner gehobenen Stilschicht an (z. B. zu Hause und jmdm. stehen die Haare zu Berge). Es stellt sich ohnehin die Fra-ge, was unter „gehobenem“ Sprachgebrauch zu verstehen ist; eine eindeutige

Definition bzw. Klassifikation von Phrasemen, die dieser Stilschicht angehö-ren, gestaltet sich zum Teil äußerst schwierig (vgl. Burger u. a. 1982: 130f.).

2) Dativ-e als Formkomponente: Unter dem Kriterium des Dativ-e als Form-komponente versteht Rieger (2007: 11f.) „formale und rhetorische Stilmit-tel“, die dazu dienen, Phrasemen Expressivität zu verleihen. Das Dativ-e sei

„dabei hilfreich und zum Teil sogar unabdingbar“. Zur Verdeutlichung führt sie die aus Schillers Ballade „Die Bürgschaft“ stammende Wendung der Drit-te im Bunde an, in der das Dativ-e in dem Vers Ich sei, gewährt mir die BitDrit-te,/

in eurem Bunde der Dritte aufgrund des Metrums nicht weggelassen werden kann. Hierbei spielt jedoch vor allem auch der „Zitatcharakter“ sogenann-ter geflügelsogenann-ter Worte, den auch Rieger (2007: 12) betont, eine große Rolle.

Durch die psycholinguistische Festigkeit, die sich aus dem Zitatcharakter solcher literarisch belegbarer Wendungen ergibt, wird die Bewahrung des im Originaltext vorliegenden Dativ-e begünstigt. Weitere geflügelte Worte mit einer hohen Prozentzahl der Dativ-e-Realisierung sind beispielsweise etw. ist faul im Staate Dänemark und vom Winde verweht.

3) Dativ-e als Hilfe für Sprachfluss und Aussprache: Dem Kriterium der

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