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5.2 Bern West: Stadtteil zwischen Auf- und Abwertung

5.3.2 Schulstandort A

5.3.2.5 Die Zusammenarbeit mit den Eltern

nachgeht. Und bei uns ist ganz klar: Mann und Frau arbeiten und nehmen die Verantwortung für die Kinder, für die Erziehung der Kinder wahr. Und das ist in anderen Kulturen nicht so.

Sicherheit für das Alter ist auch so ein Beispiel. In anderen Kulturen sind das die Jungen, welche dann für die Alten schauen. Und die Ältesten sind zugleich auch das Oberhaupt, das sind die, die am meisten Respekt geniessen. Und bei uns ist es eher der, der den besten Titel hat und das schnellste Auto und das grösste Haus und so. Das sind bei uns noch Statussymbo-le, wobei ich denke, die beginnen langsam zu wackeln. Aber das sind im Moment noch Sta-tussymbole. Und dort ist es der älteste Mann, vielleicht der Neunzigjährige, aufgrund seines Alters. Die Jungen schicken ihm Geld oder geben ihm Geld, damit er leben kann. Und wir haben eine AHV und eine Pensionskasse, das sind Standards, das sind Rollen. Und das sind Systeme. Und mich dünkt, wir würden diese gegenüber den verschiedenen Ethnien zu wenig klar kommunizieren. Dort haben wir Nachholbedarf. Ich betrachte es auch nicht als meine Aufgabe als Schulleiterin. Ich weiss auch nicht, wer das machen würde, der Kanton, oder die Stadt. Jemand müsste klar diesen verschiedenen Ethnien, die hier in der Schweiz leben, die Kernrollen klar transparent machen, erklären, was dahinter steckt. Die Sozialversicherungs-systeme zum Beispiel oder Arbeitslosenkasse oder Familienaufteilung usw.“ (Schulleiterin A, Z. 991-1034).

Die Schule sieht sich also einerseits veranlasst, Erziehungsaufgaben aus dem Elternhaus zu übernehmen. Andererseits geht sie davon aus, dass sie den ausländischen Eltern erklären muss, wie das Leben in der Schweiz und das hiesige Schulsystem funktionieren. Aus diesen Anforderungen entsteht für die Schule ein zusätzlicher Mehraufwand, der aus Sicht der Schul-leitung von Behörden und Bildungspolitik zu wenig gewürdigt wird.

eben in einem solchen Brückenheft oder Verhaltenspass, welche Regeln gelten. Das gehört für mich zur Transparenz. Die Eltern haben Zeit, sich das zuhause zu Gemüte zu führen. Sie sind dann nicht unter Druck, dass man etwas von ihnen erwartet, was sie gar nicht wissen.

Und genau eben diese Transparenz, die Kommunikation mit solchen Instrumenten wie eben Brückenheft oder Verhaltenspass, gibt ihnen die Möglichkeit zu überlegen, was das ist und wie wir arbeiten. Und sie gibt die Möglichkeit nachzufragen. Denn im Brückenheft haben die Eltern auch die Möglichkeit, eine Rückmeldung zu geben oder direkt den Lehrer anzurufen“

(Schulleiterin A, Z: 722-762).

Für die Schulleitung ist Transparenz sehr wichtig, das Kommunizieren von Anforderungen und Erwartungen hat einen hohen Stellenwert. Nur so gelingt es den Eltern und ihren Kin-dern, sich an diese Erwartungen anzupassen. Aus Sicht der interviewten Lehrperson59 gelingt die Zusammenarbeit mit den Eltern dennoch nicht im gewünschten Ausmass. Ihre Erfahrun-gen mit Eltern sind exemplarisch: „Es ist mir sehr wichtig, dass ich mit den Eltern Kontakt habe, wobei das aber leider manchmal ganz schwierig ist, weil einfach das Sprachliche ein grosses Problem ist, dass sie mich einfach nicht verstehen und v.a. dass auch ich sie nicht verstehe, obschon sie das Gefühl haben, sie können Deutsch. Von daher bleibt trotz allem die Elternarbeit, oder so wie sie sich uns stellt, bei uns nicht so zufriedenstellend. Es ist auch we-nig Interesse bei den Eltern vorhanden. Eine Kollegin hat mir erzählt, sie hätte das Thema Ernährung gehabt, weil es ein grosses Problem ist, dass die Kinder Pommes Chips und Scho-kolade und sonst nichts den Tage über essen, weil die Eltern arbeiten. Sie haben die Sache im Unterricht angeschaut. Und dann haben sie auch noch eine Elternveranstaltung vorbereitet.

Sie haben ein schönes Büffet zurechtgemacht und von all den eingeladenen Eltern sind fünf Leute gekommen. Es wären Hunderte angesprochen gewesen und so läuft es eben. Die Eltern wollen einfach ihre Haut und sie wollen sich nicht dreinreden lassen. Sie denken, wir wollen ihnen Vorschriften machen, ich weiss es nicht. Aber es ist schon mehrfach vorgekommen, dass bei solchen Veranstaltungen fast nur Lehrer da gewesen sind, vielleicht eine oder zwei Hand voll Mütter und sonst einfach niemand“ (Lehrperson A, Z: 160-220).

Lehrperson A spricht einerseits die sprachbedingten Verständigungsschwierigkeiten an, die für viele Lehrpersonen ein Thema sind. Andererseits verweisen ihre Ausführungen aber auch auf ein Desinteresse der Eltern gegenüber schulischen Belangen. Kritisch merkt Lehrperson A an, dass die Eltern oft den Eindruck hätten, die Schule oder die Lehrpersonen würden sich in ihre Lebensführung oder auch ihre Privatsphäre einmischen wollen. Lehrperson A sieht, dass

59 Lehrperson A ist Mitte 50 und unterrichtet seit 30 Jahren auf der Primarstufe. Selber ist sie in Bern

nicht alle Eltern Vertrauen in die Institution Schule oder in die Lehrpersonen haben. So meint sie: „Ich habe schon Eltern kennen gelernt, bei denen die Schule ein rotes Tuch ist, das ist für sie etwas ganz Schlimmes gewesen.“ (Lehrperson A, Z: 384-397). Solche negative Erfahrun-gen der Eltern in ihrer Schulzeit würden die Zusammenarbeit erschweren.

Gleichzeitig stellt Lehrperson A fest, dass sich die Eltern in anderen Schulkreisen der Stadt Bern viel stärker in schulische Belange einbringen oder auch einmischen würden. Sie meint:

„Ich weiss auch, dass die Eltern dort [in einem anderen Quartier] hohe Ansprüche haben. Die kommen auch ins Schulhaus und sagen dir, wo es lang geht. Da sind wir bei uns dann wieder verwöhnt. Bei uns gibt es wenige Eltern, die bestimmen“ (Lehrperson A, Z: 537-566). Die Zurückhaltung vieler Eltern gegenüber der Schule wertet Lehrperson A positiv. Die Eltern mischen sich nicht ein, als Lehrperson wird man diesbezüglich respektiert. Die fehlende Be-teiligung der Eltern kann jedoch nicht einfach mit Desinteresse an der schulischen Performanz der Kinder gleichgesetzt werden. Selbst wenn Eltern schulisch nicht sehr erfolgreich waren, so liegt ihnen doch viel am Schulerfolg ihrer Kinder. So führt Lehrperson A weiter aus: „Die meisten Kinder kommen aus den sogenannt bildungsarmen Familien. Sie haben wirklich kei-ne Unterstützung und einfach auch keikei-ne Anregungen zuhause, z.B. in der Freizeitgestaltung und so. Ich weiss von anderen Leuten, die in anderen Gegenden der Stadt Bern wohnen, dass die Eltern schon mit den Kindern einen Vortrag vorbereiten oder ein Buch mit ihnen lesen und das zusammenfassen und sich einfach auch dafür interessieren, was die Kinder in der Schule machen. Das ist bei uns fast gleich null. Dennoch schicken sehr viele Eltern ihre Kin-der noch privat zu Leuten in die Nachhilfe, wenn sie jemanden kennen. Also die wissen schon, dass ihre Kinder weniger Chancen haben“ (Lehrperson A, Z: 456-491). Die Eltern ver-suchen also, ihre Kinder beim schulischen Lernen zu unterstützen, indem sie beispielsweise Nachhilfeunterricht organisieren. Eltern, die ihre Kinder zuhause bei den Aufgaben nicht un-terstützen können, seien sich bewusst – wie Lehrperson A meint – , dass die fehlenden elterli-chen Hilfeleistungen dem Schulerfolg der Kinder abträglich seien. So versuelterli-chen sie, über private Kanäle Unterstützung zu organisieren, obwohl auch die Schule über entsprechende Angebote verfügt. So wie Lehrperson A es formuliert, scheinen die Eltern davon auszugehen, dass die schulischen Angebote für den Schulerfolg ihrer Kinder nicht ausreichen. Dieser wür-de jedoch von vielen Eltern als wichtig für die Zukunft ihrer Kinwür-der angesehen, wie Lehrper-son A meint, auch wenn sie selber keine Unterstützung bieten können und kaum Deutsch sprechen. Viele würden in sehr engen räumlichen Verhältnissen leben. Lehrperson As Aus-führungen legen nahe, dass viele Eltern gegenüber der Schule kritisch eingestellt sind, sich vielleicht sogar benachteiligt fühlen. Armut, Fremdsprachigkeit und der Wunsch, den Kindern

– trotz schwierigen Bedingungen – eine bessere Zukunft zu ermöglichen, so nimmt Lehrper-son A viele Eltern ihrer Schülerinnen und Schüler wahr. Für eine erfolgreiche Schulkarriere scheinen (zu) viele Faktoren nicht zu stimmen.

Lehrperson A kennt Ansätze der interkulturellen Pädagogik. Sie versucht die migrationsbe-dingte Vielfalt in ihrem Unterricht zu berücksichtigen. Sie versucht, die Ressourcen der Kin-der zu stärken, ihr Wissen über ihre Herkunft und ihre Muttersprache einzubeziehen. So öff-net sie den Unterricht für Inhalte aus den Herkunftsländern der Familien, versucht die Her-kunftskulturen der Kinder kennen zu lernen und wertzuschätzen. „Ich sage den Kindern auch immer: -‚bringt mir von eurem Land eine Geschichte mit oder fragt eure Eltern’. Und es kommt nichts“ (Lehrperson A, Z: 707-723), wie Lehrperson A etwas ratlos feststellt. Die Re-sonanz dieser Bemühungen ist gering. Sie recherchiert selber entsprechende Beiträge oder Geschichten und baut diese in den Unterricht ein.

Die Lehrperson thematisiert die Schwierigkeiten im Umgang mit der Klientel der Schule A.

Dabei gibt sie auch zu, dass die Elternzusammenarbeit noch nicht wie gewünscht funktioniert.

Ihre Erklärungen gehen in die Richtung, dass Eltern oft selber ein unglückliches oder zumin-dest ambivalentes Verhältnis zur Institution Schule haben. Eltern haben aber auch gelegent-lich den Eindruck, die Schule wolle ihnen Vorschriften machen oder sich in ihr Privatleben einmischen oder ihren Lebensstil kritisieren. Aus ihrer Sicht erfahren die Eltern die Anforde-rungen und Ansprüche der Schule oft als assimilativ. Sie erfahren, dass sie ihren Kindern nicht bieten können, was von Seiten der Schule erwartet wird. Gründe dafür sieht Lehrperson A in der Armut, häufig gekoppelt mit Fremdsprachigkeit. Noch ist es der Schule A nicht ge-lungen, die Eltern auf eine für Lehrperson A befriedigende Art in den Schulalltag und den Unterricht einzubeziehen. Die migrationsbedingte Vielfalt wird schulisch – trotz grundsätzli-cher Offenheit und eines Interesses seitens der Lehrperson an den verschiedenen Kulturen – noch nicht angemessen repräsentiert.

5.3.2.6 Demographische Veränderungen und Schulreformen: doppelte Herausforderungen