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5.2 Bern West: Stadtteil zwischen Auf- und Abwertung

5.3.3 Schulstandort B

5.3.3.6 Heterogenität und Integration

zu nutzen. Dies kann die HSK-Lehrperson des Kindes sein, auf die Eltern manchmal besser hören als auf die Lehrperson. Im Austausch mit den Eltern können Kompromisse ausgehan-delt werden. Darauf angesprochen, wie sie auf ein Kind reagieren würde, das mit Kopftuch in die Schule kommt, meint Lehrperson B: „So wie gewisse Mütter bei uns auch den Kompro-miss finden, sie tragen das Kopftuch für die Moschee, sie tragen das Kopftuch, wenn eine heilige Zeit ist und für das Turnen und so tragen sie eben Hosen und ziehen das Kopftuch aus.

Wenn bei mir jetzt ein Kind ein Kopftuch tragen müsste, dann würde ich mit den Eltern das Gespräch suchen“ (Lehrperson B, Z: 571-577). Dabei steht das Wohl des Kindes im Vorder-grund. Lehrperson B würde dem Kind grundsätzlich helfen einen Weg zu finden, der das Kind wenig unter Druck setzt. „Ich denke, dass die Kinder in einen rechten Gewissenskonflikt kommen können. Dann muss man einfach versuchen sich zu finden, auch mit den Eltern. Man muss es offen legen und im Gespräch mit den Eltern versuchen zu lösen“ (Lehrperson B, Z:

587-589).

In der Elternarbeit setzt Lehrperson B auf die direkte Auseinandersetzung mit den Eltern.

Schulische Regeln sind für sie weniger im Vordergrund, sie orientiert sich generell am

Kindswohl. Es soll den Kindern in der Schule gut gehen und sie sollen optimale Bedingungen für das Lernen haben. Lehrperson B ist eine der Pionierinnen der Schule B und ist von der inneren Differenzierung überzeugt. Ihr Unterricht ist stark individualisiert und findet meist in Form von Wochenplan- und Werkstattunterricht statt. Um ihn dahingehend zu entwickeln hat sie – wie die anderen Teammitglieder der Schule B auch – viel Zeit investiert und die Schule in ihrer heutigen Form mitaufgebaut.

konse-quenter zu differenzieren, die Schülerinnen und Schüler ihren Bedürfnissen entsprechend in-dividuell zu begleiten. Beide Interviewten sind überzeugt, dass die seit Jahren andauernde schulinterne Auseinandersetzung über Unterrichts- und Schulmodelle auch für die aktuellen Entwicklungen Lösungen bietet. Der festgestellten Pluralisierung der Erwartungen und An-sprüche an die Schule seitens der Bildungspolitik, seitens der Eltern und seitens der Schüle-rinnen und Schüler wird das Selbstbewusstsein einer funktionierenden und erfolgreichen Pio-nierschule entgegengesetzt. Auch für den Umgang mit migrationsbedingter Heterogenität – so die Überzeugung – sind integrierende Konzepte und innere Differenzierung im Unterricht die angemessenen Lösungen. Mit den spezifischen Herausforderungen interkultureller Pädagogik hat sich die Schule jedoch nicht explizit befasst. Spezielle Sprachförderung soll ebenso im Rahmen innerer Differenzierung stattfinden, wie Dyskalkulie, Logopädie usw. Dahinter steht die Überzeugung, dass Kinder in Regelklassen insgesamt bessere Lernfortschritte machen, als wenn sie in separaten Klassen unterrichtet werden. Die integrierenden Modelle stossen jedoch auch an Grenzen, wie die Schulleitung betont. Die maximale Klassengrösse wird bei 20 Kin-dern angesetzt.

Die Elternzusammenarbeit der Schule strebt eine Öffnung gegenüber den Eltern an. Diese sollen unterstützt und in wichtige Entscheidungen, die ihre Kinder betreffen, einbezogen wer-den. Mit Eltern muss immer wieder das Gespräch gesucht werden, damit vereinbart werden kann, welche Massnahmen für die Kinder am erfolgversprechendsten sind. Der Elternent-scheid für das Niveau auf der Sekundarstufe ist dabei sicher ein weitreichender Versuch, die Zusammenarbeit mit den Eltern zu stärken. Gleichzeitig führt er in der Praxis dazu, dass sich Eltern stärker an der Expertise der Lehrperson orientieren. Dies ist möglicherweise auch des-halb nötig, weil die notenfreie Beurteilung, also die Beurteilung anhand von Worten, den El-tern weniger eindeutige Hinweise auf die ‚objektiven’ schulischen Leistungen und damit die schulischen Chancen ihrer Kinder vermittelt.

Die Schule B zeichnet sich noch durch eine weitere Besonderheit aus. Da sie ein Schulver-such ist, haben Eltern die Möglichkeit zu wählen, ob sie ihre Kinder in die Schule B einschu-len möchten oder nicht. In diesem Zusammenhang spieeinschu-len die Besonderheiten der Schule eine Rolle. Bei der einen Familie ging es darum, die Tochter in die Regelklasse zu integrieren, obwohl sie eigentlich eine Kleinklasse besuchen müsste. Bei der anderen Familie gab die Möglichkeit der ganztägigen Betreuung in der Schule (Tagesheim) den Ausschlag. Beide Kinder wären ansonsten in Schulen mit einem höheren Anteil ausländischer Kinder und Ju-gendlicher (35.5% und 59.7%) eingeschult worden. Die Schule B führt somit innerhalb des Stadtteils – in dem die Schulen aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte sehr nahe beieinander

liegen – zu einer erhöhten Wettbewerbssituation. Die für den Stadtteil hohen Übertrittsquoten in die Sekundarstufe mit erweiterten Ansprüchen und der eher geringe Anteil ausländischer Kinder und Jugendlicher wirken sich positiv auf das Image der Schule aus. Die Schule ermög-licht den Eltern in einem gewissen Ausmass freie Schulwahl. Das eigene Profil, die eigenen Spezialitäten müssen vor diesem Hintergrund entsprechend propagiert werden. In den Schul-versuch und die damit verbundene Schulentwicklung wurde viel investiert – nicht nur von Seiten der Bildungsbehörden, sondern auch vom Kollegium der Schule. Dass die Errungen-schaften dieser Arbeit weitergeführt werden sollen, macht in dieser Logik Sinn. Für eine ver-tieftere Auseinandersetzung mit Ansätzen der interkulturellen Pädagogik fehlt wohl aufgrund der demographischen Zusammensetzung des schulischen Umfelds sowie der eigenen Über-zeugung, dass integrative Modelle ohne grössere Schwierigkeiten auf weitere Anspruchs-gruppen generalisierbar sind, die Dringlichkeit. Mängel stellen die Interviewten beim Lern-, Arbeits- und Sozialverhalten der Kinder und Jugendlichen fest. Die Lösung dafür sind jedoch nicht Regeln, Werte und Normen, sondern den Schülerinnen und Schülern sollen mehr Ver-antwortung für ihren eigenen Lernprozess gegeben werden. In diesem Bereich ortet die Schul-leitung Entwicklungsbedarf bei sich und den Lehrpersonen.

Mit ihren Modellen der inneren Differenzierung hat sich die Schule B von den Vorstellungen der homogenen Lerngruppe verabschiedet. Inwieweit sie bereit und fähig ist, mit ihren Mo-dellen eine zunehmende Heterogenität zu bewältigen, kann aufgrund ihrer Situation im Quar-tier nicht abschliessend beurteilt werden. Sicher bringt sie aufgrund ihrer langjährigen Ausei-nandersetzung mit integrierenden Modellen dafür relativ gute Voraussetzungen mit. Im Un-terschied zur Schule A setzt sie keine allgemeingültigen Werte und Normen ins Zentrum, bil-det keine Schulgemeinschaft, die sich spezifischen Werten verpflichtet sieht. Vielmehr steht das für die einzelnen Schülerinnen und Schüler optimale Lernen im Vordergrund. Wie dieses gefördert werden kann und was es dafür braucht, muss individuell mit der Schülerin, dem Schüler und den Eltern ausgehandelt werden. Im Vordergrund stehen konkrete, individuell zugeschnittene Massnahmen und nicht abstrakte Regeln und Normen, denen sich die Schüle-rinnen, Schüler und ihre Eltern unterordnen müssen. Im Vordergrund steht nicht die Schule, sondern die Klasse als lernende Gemeinschaft. Insofern geht es in der Schule B um die In-tegration in eine lernende Klassengemeinschaft. Dabei geht es in der Logik der InIn-tegrations- Integrations-diskussion um „das Finden eines grundlegenden Konsenses über die Regeln und Formen des Zusammenlebens“ (Schönenberger & d'Amato 2009: 5) und zusammen Lernens. Wie dieses ausgestaltet und organisiert wird muss je nach Situation stets neu ausgehandelt und festgelegt

werden. Damit verändern sich auch die Aufgaben und das berufliche Selbstverständnis der Lehrperson.