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werden. Damit verändern sich auch die Aufgaben und das berufliche Selbstverständnis der Lehrperson.

Übertrittsquote in die Sekundarstufe mit erweiterten Ansprüchen beigezogen. Schwierigkeiten im Unterricht ergeben sich also nicht nur durch die fehlende kulturelle Passung, wie sie in der Schule A betont wird. Sie ergeben sich auch durch Mängel im Lern-, Arbeits- und Sozialver-halten resp. dem fehlenden Zugang zu Bildung, der durch das Elternhaus vorgespurt wird.

Beide Schulen bemühen sich, diese Defizite durch Stütz- und Förderunterricht zu kompensie-ren. Sie unterscheiden sich lediglich darin, dass in der Schule A diese Stütz- und Förderange-bote oft im Rahmen von Klein- und Sonderklassen geleistet werden. In der Schule B gesche-hen sie während des Regelunterrichts, indem innere Differenzierung und ambulante heilpäda-gogische Unterstützung praktiziert wird. Ein Übertritt in die Kleinklasse wird in der Schule B möglichst vermieden, da die heterogenen Lerngruppen der Regelklasse als lernförderlich für alle Schülerinnen und Schüler betrachtet werden. So versuchen die Schulen Benachteiligun-gen auszugleichen, reflektieren dabei jedoch ihre NormalitätsvorstellunBenachteiligun-gen des ‚guten Schü-lers oder der guten Schülerin’ nur ansatzweise.

In beiden Schulen müssen die Kinder und Jugendlichen Anpassungsleistungen erbringen. In der Schule A werden diese wesentlich als kulturelle Anpassungen verstanden. In der Schule B geht es dabei eher um den Arbeitsstil im Unterricht oder die Art des Lernens. Die Anpas-sungsleistungen sind konkreter auf das Lernen und Situationen im Unterricht ausgerichtet. In der Schule A sind sie als abstrakte Forderungen im Leitbild und in der Schulhausordnung formuliert. Sie werden zudem als typisch für die Schule ‚bei uns’ begriffen und somit an ge-sellschaftliche Werte und Normen einer als homogen vorgestellten ‚schweizerischen’ öffent-lichen Kultur angebunden. Die sogenannte Herkunftskultur der zugewanderten Familien wird als Privatsache verstanden. Mit solchen Herausforderungen ist die Schule B bislang nicht konfrontiert. Die interviewte Lehrperson reagiert auf unterschiedliche Voraussetzungen der Kinder mit einer stärkeren Gewichtung von Lern- und Arbeitstechniken zulasten des Schul-stoffes. Bislang haben Kinder ausländischer Staatsangehörigkeit höhere Chancen auf einen Übertritt in die Sekundarstufe mit erweiterten Ansprüchen, als in der Schule A.

Zwar öffnet sich die Schule A gegenüber den Kindern und ihren Familien. Sie möchte mehr über deren ‚Kulturen’ erfahren, möchte deren ‚Kulturen’ als Ressource für den Unterricht nutzen. Diese Öffnung bleibt jedoch ambivalent, da sie Kinder und ihre Eltern als Repräsen-tantinnen und Repräsentanten dieser ‚Kulturen’ begreift und damit an den Lebensrealitäten der Familien in Bern West vorbeizielt. Dieses Verständnis von ‚Kulturen’ ist homogen ge-dacht, wie auch die Vorstellungen einer schweizerischen ‚Kultur’. Es konstruiert in erster Linie kulturelle Differenzen und betont resp. problematisiert damit immer wieder die fehlende kulturelle Passung der Schülerinnen, Schüler und ihrer Familien. Die Zugehörigkeit zur

Schulgemeinschaft und zur Gesellschaft bleibt damit prekär. Entsprechend gelingt die Zu-sammenarbeit mit den Eltern noch nicht im gewünschten Mass. Ansprüche, die von Seiten der Schule an die Eltern formuliert werden, wirken – so die Vermutung der Lehrperson A – eher verunsichernd.

Die Schule B hat sich ihrem Anspruch nach von der Vorstellung der homogenen Schul- resp.

Klassengemeinschaft verabschiedet. Die Gemeinschaft konstituiert sich durch das gemeinsa-me Lernen, das den individuellen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Bedürfnissen der Kinder an-gemessen organisiert werden soll. Auch in der Schule B werden die Kinder und Jugendlichen auf das Leben in der Gesellschaft vorbereitet. Dabei steht jedoch nicht die Anpassung an eine als homogen vorgestellte ‚Kultur’ im Vordergrund, sondern der Erwerb von Grundlagen, da-mit die Kinder und Jugendlichen möglichst selbständig lebenslang lernen können. Die Zu-sammenarbeit mit den Eltern wird dabei als wichtig erachtet, auch um ihnen die Besonderhei-ten der Schule (noBesonderhei-tenfreie Beurteilung, Modell Twann) nachvollziehbar zu machen. Das Inte-resse an ihren konkreten Lebenssituationen ist in der Schule B adaptiver, d.h. auf die Lernvo-raussetzungen des Kindes und das optimale Lernen bezogen gedacht. In diesem Sinne ist es sowohl methodisch – als Erwerb von Techniken und Strategien – als auch emanzipativ – als Möglichkeit der zunehmenden Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit – vorgestellt.

Beide Schulen bereiten ihre Schülerinnen und Schüler auf das Leben in der Gesellschaft vor.

In der Schule A bedeutet dies, dass die Kinder und Jugendlichen (und ihre Familien) sich den Werten, Normen und dem Wissen im Sinne eines Kanons der hiesigen Gesellschaft anpassen müssen. Die Gesellschaft wird als homogen verstanden. Schule B geht von einer Heterogeni-tät aus, mit der umzugehen ist. Die Kinder und Jugendlichen sollen entsprechend ihren Fähig-keiten optimal gefördert werden. Arbeits- und Lerntechniken sind wichtig, damit sie zu guten

‚Selbstmanagerinnen und –managern’ werden. In diesem Sinne versucht die Schule A die Schülerinnen, Schüler und ihre Familien in eine als homogen vorgestellte schweizerische Ge-sellschaft einzugliedern. Diese Eingliederung ist letztlich nur durch Anpassungsleistungen zu haben. Die Zugehörigkeit bleibt aufgrund der Herkunft fragil.

Schule B will die Schülerinnen und Schüler zur Teilnahme an der Gesellschaft befähigen. Sie unternimmt den Versuch, den Schülerinnen, Schülern und ihren Eltern die Verantwortung für das Lernen und den Schulerfolg der Kinder zu übergeben. Dies gelingt da besser, wo entspre-chendes Lern-, Arbeits- und Sozialverhalten bereits vorausgesetzt werden kann. Damit hängt die Zugehörigkeit von der eigenen Leistungsfähigkeit aber auch von der sozialen Herkunft ab.

Soziale Herkunft ist dabei als vertikale Schichtung und nicht im Sinne von vertikal und

hori-zontal ausdifferenzierten Milieus gedacht. Die eigene Position, d.h. die Position von Lehrper-sonen und Schulleitenden wird als ‚schweizerisch’ resp. ‚mittelständisch’ wahrgenommen.

Die beiden Schulen treten vor diesem Hintergrund mit unterschiedlichen Erwartungen an die Eltern heran. Schule A möchte den Eltern die ‚schweizerische Kultur’ erklären, damit sie sich möglichst gut anpassen und die vielfältigen und ausgebauten Unterstützungsangebote wahr-nehmen können. Sie tritt ihnen als staatliche Autorität entgegen. Schule B versucht die Eltern für die optimale Unterstützung der Kinder zu gewinnen und übergibt ihnen – wie auch den Schülerinnen und Schülern – Mitverantwortung. Lehrpersonen und Schulleitung treten den Eltern als Expertinnen und Experten mit Coachingfunktion entgegen. Dabei ist zu berücksich-tigen, dass das Quartierumfeld von Schule B in den Zeiten der grossen demographischen Umwälzungen im Stadtteil vergleichsweise stabil geblieben ist. Der Anteil der ausländischen resp. fremdsprachigen und der sozial tief gestellten Familien ist geringer. Anpassungsforde-rungen an die ‚schweizerische Kultur’ stehen damit weniger im Vordergrund, weder im Un-terricht noch in der Auseinandersetzung der Schule mit dem Quartierumfeld.

Wie die Arbeit der Schulen und der Lehrpersonen, aber auch die Situation im Quartier von den Eltern wahrgenommen werden, wird in den nächsten Kapiteln ausgeführt.

6 Wofür ist die Schule da? Erfahrungen und Erwartungen von

Eltern