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Gemäss der Schweizerischen Bundesverfassung (BV) ist „Der Anspruch auf ausreichenden und unentgeltlichen Grundschulunterricht“ (Art. 19, BV) in der Schweiz gewährleistet. Für das Schulwesen sind die Kantone zuständig. Der Grundschulunterricht steht allen Kindern offen, ist obligatorisch und steht unter staatlicher Leitung oder Aufsicht. Öffentliche Schulen sind unentgeltlich (Art. 62, BV).

Im folgenden Kapitel wird aufgearbeitet, wie im Kanton Bern und in der Stadt Bern dieser Verfassungsauftrag umgesetzt wird. Einerseits wird das kantonale und kommunale Schulwe-sen organisatorisch dargestellt. Weiter wird aufgezeigt, welche rechtlichen und institutionel-len Grundlagen für die Zusammenarbeit von Schule und Familie resp. Eltern und die Aufga-benteilung zwischen Eltern und Lehrpersonen bestehen. Als Grundlage für die Analyse die-nen kantonale Dokumente: die Verfassung des Kantons Bern, das Volksschulgesetz (VSG), die Volksschulverordnung (VSV), das Lehreranstellungsgesetz (LAG), die Lehreranstel-lungsverordnung (LAV) sowie der Lehrplan des Kantons Bern (Erziehungsdirektion des Kan-tons Bern 1995). Als Dokumente auf der Ebene der Gemeinde Bern werden die Gemeinde-ordnung (GO), das Schulreglement (SR), die SchulverGemeinde-ordnung (SV) sowie die Bildungsstra-tegie der Stadt Bern für die Jahre 2004 bis 2008 (Stadt Bern Gemeinderat 2009) bearbeitet. Es wird untersucht, welche Rahmenbedingungen die Bildungsbehörden und die Bildungspolitik für die Zusammenarbeit und die Aufgabenteilung zwischen Schule und Elternhaus definieren.

In diesem Zusammenhang stellt sich weiter die Frage, inwiefern die vorliegenden Dokumente Hinweise auf institutionelle Diskriminierung liefern. Die Auseinandersetzung mit den rechtli-chen und institutionellen Rahmenbedingungen soll auch verdeutlirechtli-chen, welche Normalitäts-vorstellungen in den Dokumenten enthalten sind und von welchen Problemlagen in der Zu-sammenarbeit von Schule und Elternhaus Behörden und Schulen implizit oder explizit ausge-hen. Damit soll der rechtliche und institutionelle Kontext geklärt werden, auf den sich die Schulen beziehen und in welchem die Erfahrungen und Erwartungen der interviewten Eltern zu verorten sind.

Elternhaus und Schule, beide Institutionen sind wichtig für die Erziehung und Bildung der nachkommenden Generationen. Unterschiedliche Auffassungen über die Aufgabenteilung und

die Zusammenarbeit dieser Institutionen sind nicht neu, wie aus der Literatur zu diesem The-ma hervorgeht. Dennoch wird aufgrund des gesellschaftlichen Wandels, insbesondere der Pluralisierung der Familienformen und des Wandels der Erziehungsstile in den letzten Jahr-zehnten, heute von einem zunehmenden Bedarf an Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus ausgegangen. Wandeln sich Gesellschaft und Familie, kann die Schule nicht mehr auf die als selbstverständlich vorausgesetzten Leistungen der Familie zählen, so der Tenor der Diskussion. Entsprechend mehren sich die Klagen der Schule über die Erziehungsdefizite der Eltern. Diese Klagen begleiten die Zusammenarbeit von Schule und Elternhaus allerdings seit langem, wie Gomolla ausführt. „Mit Beginn der Massenbildung im 20. Jahrhundert wurde die Schule zunehmend als Ausgleich der wahrgenommenen Schwächen der Erziehung im Eltern-haus verstanden. Eltern wurden in Schulen nicht gern gesehen; ihre häusliche Lebenswelt, Sprache und Kultur abgewertet. Nach dem 2. Weltkrieg – im Zuge des Autonomiegewinns der Schulen, der Professionalisierung des Lehrerberufs und der Bildungsexpansion – wurde v.a. in den Wohlfahrtsstaaten die Zuständigkeit der Schule weiter auf traditionell elterliche Verantwortlichkeiten ausgedehnt (z.B. Gesundheit, Sexualkunde)“ (Gomolla 2009: 23).

Heute sind es vor allem zugewanderte Familien, die solchen Anforderungen nicht zu genügen scheinen und somit aus der Sicht der Schule Integrationsdefizite aufweisen. In der monolin-gualen, an der „christlich-abendländischen“ Überlieferung orientierten Schule (vgl. Art. 2, Abs.2, VSG) gelten ihre Sprachkenntnisse, Familienformen und Erziehungsstile als nicht kompatibel. Viele zugewanderte Familien sind mit wenig differenzierten Assimilationsforde-rungen konfrontiert. So muss berücksichtigt werden, dass das Verhältnis zwischen Schule, Lehrpersonen und den ausländischen und/oder fremdsprachigen Familien auch von integrati-onspolitischen Forderungen gerahmt wird (vgl. Gomolla 2009: 27). Diese Eltern machen im Kontakt mit der Volksschule die Erfahrung, „dass Integration ausschliesslich als von den Zu-gewanderten zu erbringende Anpassungsleistung“ gilt (ebd.).

Die Erkenntnis, dass die Familie mit ihren auf die Schule bezogenen Leistungen (Sozialisati-onsleistungen, Abstimmung des Familienlebens auf zeitliche Erfordernisse der Schule wie z.B. Stundenplan, Unterstützung bei Hausaufgaben uam.) einen bedeutenden Beitrag zum Gelingen des Schulalltags leistet, führt zu einem wachsenden Interesse daran, was in der häuslichen und ausserschulischen Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen vermittelt wird.

So soll der Einbezug der Eltern das schulische Lernen der Kinder und die Anliegen der Schu-le unterstützen. Dies führt zu einer paradoxen Situation: In dem Moment, in dem der SchuSchu-le durch den gesellschaftlichen Wandel die ‚ideale’ Familie abhanden kommt, sollen Eltern in das schulische Lernen ihrer Kinder stärker einbezogen werden (vgl. Stienen 2006b: 340).

Der gesellschaftliche Wandel führte auch dazu, die Mitspracherechte der Eltern seit den 1990er Jahren auszubauen (vgl. Keller 1998: 278ff.; für den Kanton Bern: Ingrisani 2004).

Auch in diesem Zusammenhang ist die Schule dazu angehalten, Anliegen der Eltern zu be-rücksichtigen. Die Institution Schule ist durch die erweiterte Mitsprache der Eltern transpa-renter geworden, steht damit auch vermehrt unter öffentlichem Druck, ihr Tun zu legitimieren und zu begründen. Der Ausbau der Elternrechte ist aus Sicht von Krumm als „Abwehrrechte gegenüber der Staatsgewalt konzipiert“ (Krumm 2006: 109). Denn „aus einer historischen Perspektive ist die Schule in vieler Hinsicht eine Institution, mit der der Staat das Ziel verfolgt hat, seine Interessen gegenüber den Eltern durchzusetzen“ (Fürstenau & Gomolla 2009a: 14).

Der Einbezug der Eltern wird auch in Zusammenhang mit sozialer Ungleichheit diskutiert. Es wird davon ausgegangen, dass jene Eltern, die einen privilegierten gesellschaftlichen Status innehaben, ihre Mitspracherechte innerhalb der Schule besser wahrnehmen können. In dieser Logik werden die ausgebauten Elternrechte zu einem Vorteil der privilegierten gegenüber den weniger privilegierten Eltern und Familien. Dieselben Überlegungen gelten auch für die ver-stärkte Zusammenarbeit von Eltern und Lehrpersonen im Hinblick auf das Lernen der Kinder:

privilegierte Familien, die Ressourcen für entsprechende Unterstützungsleistungen aufbringen können, befinden sich gegenüber den weniger privilegierten, sogenannt bildungsfernen Fami-lien im Vorteil (vgl. Krumm 2006; Gomolla 2009: 32ff.).

Zwar muss sich die Schule den veränderten Bedingungen aufgrund des gesellschaftlichen Wandels anpassen. Sie muss die Eltern vermehrt über die Aufgaben, Ziele und Arbeitsweisen der Schule informieren (Herzog 2001a, 2001b, 1997). Im Zuge der Bildungsexpansion hat aber auch die Bedeutung von Bildungsabschlüssen trotz oder wegen der damit verbundenen Inflation dieser Abschlüsse zugenommen. Die Schule vergibt Bildungszertifikate und prägt damit die Lebenschancen der Kinder und Jugendlichen wesentlich mit. Insofern bleibt die Definition dessen, was als Schulerfolg gilt, weitgehend der Schule und den Lehrpersonen vorbehalten. Damit führt für Eltern – solange sie ihre Kinder in die staatliche Volksschule schicken – nichts an der Schule und der Zusammenarbeit mit den Lehrpersonen vorbei.

Wie im Kanton Bern und in der Gemeinde Bern die Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus gedacht ist, wird im vorliegenden Kapitel beleuchtet. Zuerst folgt eine allgemeine Darstellung des Volksschulwesens im Kanton und in der Stadt Bern. Daran schliesst die Dar-stellung der rechtlichen und institutionellen Vorgaben auf der Basis der entsprechenden Ge-setze, Verordnungen, dem Lehrplan und der Bildungsstrategie der Stadt Bern an. Abschlies-send wird diskutiert, welche Normalitätsvorstellungen über Eltern und Familien in diesen

Dokumenten enthalten sind, die die Zusammenarbeit von Schule und Elternhaus rahmen und somit institutionell diskriminierend wirken.