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5.2 Bern West: Stadtteil zwischen Auf- und Abwertung

5.2.2 Demographische Entwicklung: Arbeiter- und Ausländervorstadt

Der Bevölkerungsbestand hat sich in seiner Zusammensetzung – einem allgemeinen demo-graphischen Trend folgend – über die Jahrzehnte hinweg verändert. Der Anteil der ausländi-schen Bevölkerung hat zu- derjenige der Schweizer Bevölkerung entsprechend abgenommen.

Die entsprechenden Zahlen sind in Tabelle 5-3 aufgeführt.

Tab. 5-3: Entwicklung der ausländischen Wohnbevölkerung in der Stadt Bern und in Bern West 1960-2009 (Quelle: Statistikdienste der Stadt Bern)

1960 1970 1980 1990 2000 2009

Stadt Bern total AusländerInnen in Prozent SchweizerInnen

163 172 14 381 8.8 148 791

162 405 22 532 13.9 139 873

145 254 18 342 12.6 126 912

136 338 23 739 17.4 112 599

128 634 28 070 21.8 100 564

130 289 28 662 22.0 101 627 Stadtteil VI total

AusländerInnen in Prozent SchweizerInnen

24 392 1 468 6.0 22 934

34 735 4 664 13.4 30 071

35 615 4 877 13.7 30 738

33 509 6 691 20.0 26 818

31 380 9 148 29.2 22 242

31 838 9 696 30.5 22 142 Bümpliz total

AusländerInnen in Prozent SchweizerInnen

14 088 847 6.0 12 241

17 116 2 430 14.2 14 686

19 384 2 334 12.0 17 050

17 216 2 989 17.4 14 227

15 832 4 162 26.3 11 670

15 898 4 530 28.5 11 368 Oberbottigen total

AusländerInnen in Prozent SchweizerInnen

1 074 43 4.0 1 031

1 050 49 4.7 1 001

1 083 45 4.2 1 038

989 43 4.3 946

1 074 42 3.9 1 032

1 328 87 6.6 1 241 Stöckacker total

AusländerInnen in Prozent SchweizerInnen

2 732 106 3.9 2 626

2 655 274 10.3 2 381

1 994 225 11.3 1 769

1 927 350 18.2 1 577

1 819 530 29.1 1 289

1 877 620 33.0 1 257 Bethlehem total

AusländerInnen in Prozent SchweizerInnen

6 498 472 7.3 6 026

13 914 1 911 13.7 12 003

13 154 2 273 17.3 10 881

13 377 3 309 24.7 10 068

12 655 4 414 34.9 8 241

12 753 4 459 35.0 8 276

Im Zeitraum zwischen 1960 und 2009 hat sich der Anteil der AusländerInnen in der Stadt Bern von 14‘381 Personen (8.8%) auf 28‘662 Personen (22.0%) absolut fast verdoppelt. Ihr Anteil beträgt mit 22% in der Stadt Bern rund ein Fünftel. Der Anteil der Schweizerinnen und Schweizer hat kontinuierlich abgenommen und steigt erst in Zusammenhang mit der allge-meinen Trendwende zu einer Bevölkerungszunahme wieder an.

In Bern West (Stadtteil VI) stieg der Anteil der Ausländerinnen und Ausländer von 1468 Per-sonen (6.0%) im Jahre 1960 auf 9696 PerPer-sonen (30.5%) und hat sich mehr als versechsfacht und beträgt fast einen Drittel der Stadtteilbevölkerung. Seit 1980 abnehmend ist der Anteil der Schweizerinnen und Schweizer. Es ist davon auszugehen, dass sich diese Verschiebung im Verhältnis der schweizerischen zur ausländischen Bevölkerung in einem Imageverlust des Quartiers äussert. Im Unterschied zur Stadt Bern hat in Bezug auf die Bevölkerungszusam-mensetzung (noch) keine Trendwende stattgefunden. Welchen Einfluss die derzeit

entstehen-den Neubauten in Brünnen auf die Bevölkerungsentwicklung haben werentstehen-den, wird sich erst in den nächsten paar Jahren zeigen.

Interessant ist jedoch auch zu schauen, wie sich die einzelnen Bezirke in Bern West über die Zeit hinweg bevölkerungsmässig entwickeln. Grundsätzlich lässt sich für alle vier Bezirke ein absoluter und relativer Anstieg des Anteils der ausländischen Bevölkerung resp. eine Abnah-me des absoluten und relativen Anteils der schweizerischen Bevölkerung feststellen (s. Tab.

5-3).

Der Bezirk Bümpliz legt bis 1980 bevölkerungsmässig zu und hat nach einer Phase der Be-völkerungsabnahme nun wieder einen leichten Anstieg zu verzeichnen. Ähnlich wie in der Stadt Bern nimmt mit einem Unterbruch um das Jahr 1980 der Anteil der ausländischen Ein-wohnerinnen zu. Der Anteil der ausländischen Bevölkerung beträgt 2009 28.5%. Die Schwei-zer Bevölkerung nimmt seit 1980 kontinuierlich ab, wenn auch in den letzten Jahren weniger markant.

Im Bezirk Oberbottigen bleiben die Zahlen über den gesamten Zeitraum hinweg relativ kon-stant. In den letzten Jahren ist eine vergleichsweise hohe Bevölkerungszunahme zu verzeich-nen, zweifellos eine Folge der Bautätigkeit in diesem Bezirk. Im gleichen Zeitraum verdop-pelt sich der Anteil der Ausländerinnen und Ausländer auf 6.6%, bleibt im Gesamtvergleich jedoch weiterhin gering. Auch der Anteil der Schweizerinnen und Schweizer nimmt absolut zu. Vom Bevölkerungsanteil her sind die Bezirke Oberbottigen und Stöckacker für Bern West vergleichsweise wenig bedeutsam.

Im Gebiet Stöckacker stellen wir seit 1960 eine kontinuierliche Bevölkerungsabnahme fest, erst in den letzten Jahren hat die Bevölkerung wieder minim zugenommen. Dies ist v.a. auf den Zuwachs der ausländischen Bevölkerung zurückzuführen, die seit 1980 stetig zunimmt und im Jahr 2009 33% der Gesamtbevölkerung des Bezirks ausmacht. Der Anteil der schwei-zerischen Bevölkerung nimmt seit 1960 ab.

Im Bezirk Bethlehem nimmt die Gesamtbevölkerung erst seit 1990 ab, in den letzten Jahren jedoch wieder leicht zu. Dies lässt sich dadurch erklären, dass die Überbauung Holenacker erst in den 80er Jahren fertiggestellt wurde und nochmals zu einem deutlichen Bevölkerungs-wachstum geführt hat. Die ausländische Bevölkerung nimmt in Bethlehem seit 1960 stetig zu und beträgt 35%, also gut ein Drittel. Die Anteile zwischen ausländischer und schweizerischer Bevölkerung haben sich jedoch in den letzten Jahren in Bethlehem nicht mehr erheblich ver-schoben. Darin unterscheidet sich Bethlehem von den anderen drei Bezirken in Bern West, in denen der Anteil der ausländischen Bevölkerung zwischen 2000 und 2009 von 26.3 Prozent

auf 28.5 Prozent (Bümpliz), von 3.9 Prozent auf 6.6 Prozent (Oberbottigen) und von 29.1 Prozent auf 33.0 Prozent (Stöckacker) zugenommen hat.

Für Bümpliz, Stöckacker und Bethlehem gilt, dass die deutlichste Verschiebung des Verhält-nisses zwischen ausländischer und schweizerischer Bevölkerung in den Jahren 1990 bis 2000 stattfindet. Diese Entwicklung dürfte nicht ohne Folgen für die Schulen im Stadtteil und für den politischen und medialen Diskurs geblieben sein. Sie führt einerseits dazu, dass der Anteil der ausländischen Bevölkerung in Bern West mit 30.5% insgesamt deutlich über demjenigen der Stadt Bern liegt, der 22.0% beträgt. Andererseits trägt es dem Stadtteil den Ruf eines

‚Ausländerquartiers’ ein.30

Mehr als ein Drittel (34%; 9696 Personen) der ausländischen Bevölkerung der Stadt Bern (28’662 Personen) wohnt in Bern West. Den absoluten und relativen Anteil zeigt Tabelle 5-4:

Tab. 5-4: Absoluter und relativer Anteil von Personen ausländischer Nationalität nach Staatsangehörigkeit in Bern West Ende 2009 (Quelle: Statistikdienste der Stadt Bern)

Staatsangehörigkeit Stadt Bern Anteil in Bern West absolut in Prozent

Deutschland 6206 802 12.9

Italien 4136 1644 39.7

Spanien 1843 658 35.7

Portugal 1325 648 48.9

Türkei 1104 609 55.2

Mazedonien 1078 822 76.3

Sri Lanka 1019 345 33.9

Kosovo 1011 591 58.5

Serbien 722 343 47.5

Kroatien 623 306 49.1

Serbien und Montenegro31 324 205 63.3

Anmerkung: In der Tabelle sind aus Gründen des Datenschutzes nur jene Gruppen von Staatsangehörigen aufgeführt, die in Bern West mehr als 200 Personen umfassen.

In der Stadt Bern sind deutsche Staatsangehörige die grösste Ausländergruppe, nur 13% der Deutschen leben jedoch in Bern West. Sehr stark konzentrieren sich die Mazedonierinnen und Mazedonier, die Staatsangehörigen aus Serbien und Montenegro, die Kosovarinnen und Ko-sovaren und die Türkinnen und Türken im Stadtteil VI. Mehr als die Hälfte dieser

30 Dass dieser Ruf ein Stigma, also eine negative Zuschreibung ist, veranschaulichen Aussagen von InformantInnen in der Untersuchung von Stienen (Stienen 2006b).

31 Personen aus dem Gebiet von Serbien und Montenegro, die nicht genauer zugeordnet sind.

tengruppen leben in Bern West. Über ein Drittel der Portugiesinnen und Portugiesen, der Kroatinnen und Kroaten, der Serbinnen und Serben, der Italienerinnen und Italiener, der Spa-nierinnen und Spanier sowie der Staatsangehörigen aus Sri Lanka leben in Stadtteil VI (vgl.

Stadt Bern Präsidialdirektion Abteilung Stadtentwicklung Statistikdienste 2009:8). Die stark vertretenen Nationalitätengruppen machen den überwiegenden Anteil der älteren Arbeitsmig-ration aus, die in der Phase der Hochkonjunktur nach dem 2. Weltkrieg angeworben wurde (vgl. Gächter 2005a, 2005b). Gemäss Stienen (Stienen 2007) sind es jene Gruppen, die finan-ziell am wenigsten gut gestellt sind.

Bezüglich der Altersstruktur zeigt sich, dass in Stadtteil VI überdurchschnittlich viele Kinder (0-16jährige) und Jugendliche (17-24jährige) leben. In Bümpliz liegt der Anteil der Kinder bei 14%, Oberbottigen 19%, Stöckacker 14%, Bethlehem 16% (Stadt Bern 12%). Die Jugend-lichen machen in Bümpliz 11%, in Oberbottigen 7%, in Stöckacker 11% und in Bethlehem 11% aus (Stadt Bern 10%). Deutlich über dem städtischen Durchschnitt von 11% liegt in den Bezirken Bümpliz der Anteil der 65-79jährigen. Er beträgt 19%. (Stadt Bern Präsidialdirekti-on Abteilung Stadtentwicklung Statistikdienste 2009:19). Der Anteil der über 65jährigen ist in allen Stadtteilen Berns zwischen 1990 und 2008 gesunken. Einzig in Bern West hat er zu-genommen, wie auch der Anteil der Kinder und Jugendlichen (0-19 Jahre). Vermutlich kommt es dadurch im Stadtteil verstärkt zu divergierenden Interessen zwischen älteren und jüngeren Bewohnerinnen und Bewohnern (ebd.:7).

Die oben genannte Publikation zur Sozialräumlichen Stadtentwicklung gibt zusätzlich Aus-kunft über das steuerbare Einkommen der Bevölkerung (Median in CHF) im Jahr 2007 sowie über den Anteil der Bevölkerung, die Sozialhilfe und Ergänzungsleistungen zur AHV (Alters- und Hinterbliebenenversicherung) bezieht.

Das steuerbare Einkommen ist im städtischen Vergleich durchschnittlich in Stadtteil VI am tiefsten (29’950 CHF), berücksichtigt man den ländlichen Bezirk Oberbottigen nicht, liegt das durchschnittliche steuerbare Einkommen in Bern West unter 30’000 CHF. Zum Vergleich: in Stadtteil IV (Kirchenfeld-Schosshalde) beträgt das durchschnittliche steuerbare Einkommen 42’200 CHF. Die übrigen Stadtteile liegen zwischen 34’300 CHF (Innere Stadt) und 38’000 CHF (Länggasse-Felsenau).

Innerhalb von Bern West ist der Bezirk Bethlehem derjenige mit der durchschnittlich ein-kommensschwächsten Bevölkerung (27’800 CHF), gefolgt von Stöckacker mit 29’950 CHF und Bümpliz mit 31’000 CHF. Das durchschnittliche Einkommen in Bethlehem ist vergleich-bar mit demjenigen des Bezirks Lorraine (27’100 CHF) und einzelnen Bezirken der Inneren Stadt (Gelbes Quartier 26’000 CHF, Rotes Quartier 20’000 CHF). Stöckacker und Bümpliz

liegen etwa auf demselben Einkommensdurchschnitt wie Breitenrain (21’100 CHF), Holligen (30’900 CHF) und Schwarzes Quartier (29’350 CHF).

Die Quote der Sozialhilfebezügerinnen und –bezügern beträgt in Bern West insgesamt 8.9%

und liegt damit deutlich über dem städtischen Durchschnitt von 4.8%. Am höchsten fällt diese Quote im Bezirk Stöckacker mit 10.2% aus. Bümpliz mit 8.4% und Bethlehem mit 9.8% lie-gen ebenfalls sehr deutlich über dem städtischen Durchschnitt. Breitenrain (6.1%) und Holli-gen (6.2%) sind diejeniHolli-gen Bezirke, die Bern West am nächsten kommen.

Der Anteil der Personen, die Ergänzungsleistungen zur AHV beziehen ist im Schwarzen (7%), Gelben (10.1%) und im Roten (10.5%) Quartier von Stadtteil I, der Innenstadt, am höchsten. Im Übrigen sind es erneut die Bezirke Stöckacker (6.3%), Bethlehem (6.2%), Büm-pliz (6.0%) und Breitenrain (5.6%) die vergleichsweise hohe Anteile der Rentnerinnen und Rentner mit Ergänzungsleistungen ausweisen (Stadt Bern Präsidialdirektion Abteilung Stadt-entwicklung Statistikdienste 2009:32).

In Bümpliz, Bethlehem und Stöckacker finden wir somit im städtischen Vergleich durch-schnittlich das tiefste steuerbare Einkommen pro Person, den höchsten Anteil an Sozialhilfe beziehenden Personen und mit den höchsten Anteil an Ergänzungsleistungen zur AHV bezie-henden Personen. Es handelt sich somit um die Stadtbezirke mit der durchschnittlich finanzi-ell am schlechtest gestfinanzi-ellten Stadtbevölkerung.

Unterstützt wird dieser Befund durch ältere Sozialraumanalysen, die auf den Volkszählungs-daten aus dem Jahr 2000 basieren. Der Sozialstatus der Bevölkerung der Stadt und der Region Bern wird in den Volkszählungsdaten anhand des ausgeübten Berufs, der beruflichen Stellung und des Ausbildungsniveaus der Personen festgelegt. Weniger als 10% Personen mit status-hohen Berufen leben in den Stadtbezirken Bern Wests. Umgekehrt sind in diesen Bezirken Personen mit statusniederen Berufen mit über 12% (Stöckacker) resp. über 14% (Bümpliz und Bethlehem) übervertreten. Ebenfalls übervertreten sind Personen, die ausschliesslich die obligatorische Schulzeit abgeschlossen haben oder ohne Schulabschluss geblieben sind (über 25% in den Bezirken Bümpliz, Bethlehem und Stöckacker). Dafür finden wir in diesen Bezir-ken durchschnittlich weniger als 5% Akademikerinnen und Akademiker (vgl. Gächter

2005:10ff.). Auch ältere Untersuchungen zur sozialräumlichen Segregation in Stadt und Re-gion Bern kommen zu denselben Schlüssen. Die entsprechenden Daten aus den Volkszählun-gen von 1970, 1980, 1990 und 2000 dienen dazu, die städtischen Quartiere zu typisieren. Die Bezirke Bümpliz, Bethlehem und Stöckacker werden dabei als Quartiere mit einem ver-gleichsweise hohen Anteil an Familien, als Unterschichtsquartiere sowie als Quartiere mit

einem relativ hohen Anteil ausländischer Bevölkerung beschrieben (vgl. Gächter 1978; 1989;

2005a;2005b).

Die Volkszählungsdaten zeigen zudem auf, dass die ausländische Bevölkerung bezüglich so-zioprofessioneller Kategorien insgesamt deutlich weniger qualifizierte Berufe ausübt (s. An-hang 3). Obwohl der Anteil der nicht Zuteilbaren bei den Ausländerinnen und Ausländern jeweils rund doppelt so hoch ist, wie bei den Schweizerinnen und Schweizern, zeigen die Da-ten, dass ausländische Staatsangehörige in sämtlichen qualifizierten Berufskategorien unter-vertreten sind. Einzig bei der Kategorie der ungelernten Arbeiterinnen, Arbeiter und Ange-stellten sowie den Erwerbslosen machen sie jeweils einen deutlich höheren Anteil aus. Dies verweist auf eine Unterschichtung der schweizerischen Bevölkerung durch den Zuzug aus-ländischer Staatsangehöriger (Hoffmann-Nowotny 1973). Damit erklärt sich auch der Ruf des Stadtteils als Arbeiter- und Ausländervorstadt oder als Stadtteil ‚bildungsferner’ Milieus.