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4.2 Das Volkschulwesen im Kanton Bern

4.2.2 Volksschulgesetz und Volksschulverordnung

4.2.2.2 Die Rechte der Eltern

In Artikel 4 des Volksschulgesetzes sind die für die Schule wichtigen Freiheits- und Eltern-rechte formuliert. Er lautet: „Die öffentliche Volksschule ist konfessionell neutral. Sie darf die Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie die im Zivilgesetzbuch [SR 210] geordneten Eltern-rechte nicht beeinträchtigen“ (Art. 4, VSG).12

Es wird erneut die Glaubens- und Gewissensfreiheit betont und es wird auf das ZGB und die darin festgehaltenen Elternrechte verwiesen. Wie bereits oben festgehalten ist im ZGB festge-legt, dass die Eltern die Erziehungshoheit gegenüber den Kindern einnehmen (vgl. Art 301, ZGB). Dies gilt insbesondere auch in Bezug auf die religiöse Erziehung (Art. 303, Abs. 1, ZGB). Bis zum vollendeten 16. Altersjahr des Kindes bestimmen diese die Eltern. Danach entscheidet nach schweizerischem Recht das Kind über sein religiöses Bekenntnis selbst.

In Artikel 26 VSG wird der Übertritt in die Sekundarstufe I geregelt. Dabei legt der Kanton Bern Wert auf ein im ganzen Kanton einheitliches Übertrittsverfahren. Die Einzelheiten des

12 „Der Begriff Konfession (v. lateinisch.: confessio = „Geständnis, Bekenntnis“) bezeichnet im heutigen Sprachgebrauch eine Untergruppe innerhalb einer Religion (ursprünglich nur der christlichen), die sich in Lehre, Organisation oder Praxis von anderen Untergruppen unterscheidet“ (wikipedia 2009). In anderen Religionen werden entsprechende Untergruppierungen auch als Sekten bezeichnet. In der Bevölkerungsstatistik wird unter Konfession in der Regel die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft verstanden.

Übertrittsverfahrens, z.B. die Rolle der Eltern im Verfahren, werden durch die Direktionsver-ordnung über Beurteilung und Schullaufbahnentscheide in der Volksschule (DVBS) ausfor-muliert. In dieser Verordnung wird festgehalten, dass „die Beurteilung [...] den Lernprozess und den Leistungsstand der Schülerin oder des Schülers“ (Art. 4, Abs. 1, DVBS) beschreibt.

Absatz 3 legt fest, dass die Beurteilung „der Förderung des Lernens, der Information der Schülerinnen und Schüler und ihrer Eltern“ diene und „die Grundlage für die weitere Schul-laufbahn“ bilde (Art. 4, Abs. 3, DVBS). In Artikel 14 wird definiert, dass „im Einvernehmen mit den Eltern [...] beim Einsatz von reduzierten individuellen Lernzielen auf Noten verzich-tet werden“ (Art. 14, Abs. 1, DVBS) kann. In Art. 16, Abs. 1 wird festgehalten, dass die Schulleitung „für die rechtzeitige Information der Eltern und der Schülerinnen und Schüler über Beurteilung, Übertrittsverfahren, Schullaufbahnentscheide und Bildungsgänge“ (Art. 16, Abs. 1, DVBS) verantwortlich ist. Die Schule hat eine Informationspflicht gegenüber den Eltern. Diese ist notwendig, damit die Eltern die Schullaufbahnentscheide, die von der Schule getroffen werden, nachvollziehen können und das Schulsystem gut kennen lernen. Werden Kinder schulisch zurückgestellt, indem die Lehrperson für sie reduzierte individuelle Lernzie-le vorsieht, muss das Einvernehmen der Eltern vorliegen. Die Lehrpersonen können somit nicht ohne weiteres Schülerinnen und Schüler zurückstellen. Die Eltern müssen überzeugt werden.

Im 3. Kapitel der Verordnung wird das Elterngespräch (Art. 17 und Art. 18) behandelt. So wird als Grundsatz festgelegt, dass die Klassenlehrperson die Eltern und die Kinder jährlich zum Gespräch einlädt (Art. 17, Abs. 1, DVBS). Das Gespräch wird von der Klassenlehrper-son durchgeführt. Sie kann weitere LehrperKlassenlehrper-sonen beiziehen. Im Gespräch werden „die schuli-sche Entwicklung und das Verhalten, insbesondere das Sozialverhalten, der Schülerin oder des Schülers“ (Art. 17, Abs. 3, DVBS) thematisiert. Die Gesprächsgrundlage bilden einerseits die Beobachtungen der Lehrperson, die Selbstbeurteilung des Kindes sowie der Beurteilungs-bericht, an welchem alle das Kind unterrichtenden Lehrpersonen beteiligt sind (Art. 17, Abs.

4, DVBS).

Im Beurteilungsbericht (Kapitel 4 DVBS) werden auch Bemerkungen zum Elterngespräch festgehalten. Der Bericht wird auf der Primarstufe am Ende des Schuljahres, auf der Sekun-darstufe I am Ende des Semesters abgegeben. Eltern und Schülerin oder Schüler bestätigen mit ihrer Unterschrift, dass sie den Beurteilungsbericht erhalten und eingesehen haben.

Der Übertritt in die Sekundarstufe I, der allgemein als der zukunftsweisende Selektionsent-scheid gilt, basiert auf der „Einschätzung der mutmasslichen Entwicklung der Schülerin oder

des Schülers“ (Art. 32, Abs. 1, DVBS). Seitens der Schule gründet die „Beurteilung des Ar-beits- und Lernverhaltens in allen Fächern und der Beurteilung der Sachkompetenz in den Fächern Deutsch, Französisch und Mathematik; massgebend sind insbesondere der Beurtei-lungsbericht des 5. Schuljahres und der Übertrittsbericht“ (Art. 32, Abs. 2, DVBS). Weiter aufgenommen werden die Beobachtungen der Eltern und die Selbsteinschätzung der Schüle-rinnen und Schüler.

Mit den Eltern besprochen wird der Übertritt in die Sekundarstufe I in einem Übertrittsge-spräch, das vor Ende Februar des 6. Schuljahres stattfindet. In diesem Gespräch soll geklärt werden, welchem Niveau (Sekundarklasse oder Realklasse) das Kind in der Sekundarstufe I zugewiesen wird. Kommt es zwischen den Eltern und der Klassenlehrperson nicht zu einer Einigung, so wird ein Einigungsgespräch13 durchgeführt und eventuell unter Beizug weiterer Personen das Einvernehmen gesucht. Gibt es auch dann keinen gemeinsamen Zuweisungsan-trag, so entscheidet die Schulkommission auf der Grundlage der unterschiedlichen Anträge von Eltern und Lehrpersonen. Gegen den Entscheid der Schulkommission können die Eltern beim zuständigen Inspektorat (kantonale Schulaufsicht) Beschwerde einreichen (Art. 34-36, DVBS; vgl. Hungerbühler et al. 2007: 28).

Die Schullaufbahnentscheide der Lehrpersonen, insbesondere beim Übertritt in die Sekundar-stufe, können somit von den Eltern angefochten werden. Eine gute Information seitens der Schule zielt darauf ab, die Eltern zu überzeugen und ihnen die Anforderungen der Schule transparent zu machen. Eine wichtige Rolle spielen jedoch bei der Selektion das Sozialverhal-ten sowie die Einschätzung des EntwicklungspoSozialverhal-tenzials des Kindes durch die Lehrperson.

Die Schülerinnen und Schüler müssen sich an die Regeln der Schule, die Anweisungen der Lehrpersonen und der Schulleitung halten (vgl. Art. 28, Abs. 1, VSG). Lehrpersonen und Schulleitung „sind ermächtigt, gegenüber fehlbaren Schülerinnen und Schülern diejenigen Massnahmen zu ergreifen, die zur Aufrechterhaltung des geordneten Schulbetriebes nötig sind“ (Art. 28, Abs. 2, VSG). Bei schwerwiegenderen disziplinarischen Massnahmen z.B.

einer Versetzung in eine andere Klasse, einem Verweis oder einem Schulausschluss sind die Eltern anzuhören. Weiter wird in diesem Zusammenhang betont, dass die Würde der Schüle-rinnen und Schüler und die Rechte der Eltern zu wahren sind (Art. 28, DVBS).

Art. 29 legt fest, dass die Schule bei Anzeichen für Mängel in Erziehung und Pflege der Kin-der und Jugendlichen in Kin-der Familie oKin-der auch bei Anzeichen für anKin-derweitige Gefährdungen

13 Mit der Revision des Volksschulgesetzes, die 2012 beschlossen wurde, wird das Einigungsgespräch durch eine Kontrollprüfung ersetzt (Erziehungsdirektion des Kantons Bern 2014b).

die Eltern informiert. In Ausnahmefällen kann zum Schutz des Kindes oder des/der Jugendli-chen auch die Vormundschaftsbehörde – ohne vorherige Information der Eltern – involviert werden (Art. 29, DVBS). Das bedeutet, dass bei Gefährdung des Kindes durch die Eltern die Elternrechte durch den Staat resp. die Schule ausser Kraft gesetzt werden können. Generell gilt jedoch, dass das Gespräch mit den Eltern als Erziehungsverantwortlichen an erster Stelle steht.

In Artikel 27 wird den Eltern zugestanden, ihr Kind zeitlich begrenzt vom Schulunterricht zu dispensieren (vgl. Art. 27, Abs. 3, VSG).

Kapitel VI des Volksschulgesetzes befasst sich explizit mit den Eltern. In Artikel 31 geht es um die Zusammenarbeit und die Elternmitsprache. So wird in Absatz 1 erneut festgehalten, dass die den Eltern übertragenen Rechte und Pflichten gemäss Zivilgesetzbuch gehandhabt werden. Weiter wird in Absatz 2 die gegenseitige Zusammenarbeit als Verpflichtung für El-tern, Lehrpersonen und Schulkommission festgelegt. Absatz 3 legt nochmals explizit die Rechte der Eltern fest:

3 Die Eltern sind von der Schule regelmässig und in angemessener Weise über die schulische Entwicklung und das Verhalten ihrer Kinder sowie über wichtige Geschehnisse und Vorha-ben im Zusammenhang mit dem Unterricht und dem Schulbetrieb zu informieren.

4 Die Eltern werden einzeln oder als Gesamtheit auf ihr Verlangen durch die betreffenden Lehrkräfte, die Schulleitung oder die Schulkommission angehört und beraten. Sie haben das Recht, den Unterricht ihrer Kinder gelegentlich zu besuchen. Im Besonderen besteht die In-formations- und Anhörungspflicht der Schule gegenüber den Eltern während des Vorberei-tungsverfahrens zu Übertritten und bei Übertrittsentscheiden innerhalb der Volksschule.

(Art. 31, Abs. 3-4, VSG)

Den Gemeinden wird im VSG zugestanden, weitere Formen der Mitsprache und Mitwirkung der Eltern vorzusehen. Im Gegenzug sind die Eltern „verpflichtet, die Kinder regelmässig in die Schule zu schicken“ (Art. 32, Abs. 1, VSG) und machen sich strafbar, wenn sie dies ab-sichtlich nicht tun. Die entsprechenden Strafen sind in Art. 33 Absatz 1-3 formuliert und um-fassen Bussen. Wird im Verfahren festgestellt, dass die Schülerinnen oder Schüler verwahr-lost sind, wird die Vormundschaftsbehörde benachrichtigt sowie die Schule informiert.

Die Eltern sind damit der Schule gegenüber in Pflicht genommen. Sie machen sich strafbar, wenn sie ihre Kinder nicht regelmässig zur Schule schicken. Die Schule resp. der Staat hat bei Anzeigen der Verwahrlosung der Kinder die Möglichkeit, in das System Familie einzugrei-fen. Als Hilfestellung für Eltern stehen die kantonalen Angebote der Erziehungsberatung und des Jugendpsychiatrischen Dienstes zur Verfügung. Sie sind für die Eltern unentgeltlich, so-fern nicht die Krankenkasse die Kosten übernimmt. Diese Dienste dienen dazu, „Eltern,

Fa-milien, Lehrkräfte, andere Erziehende, Behörden und Institutionen mit Rat und Anleitung“ zu unterstützen (Art. 61, Abs. 4-5, VSG).

Im Volksschulgesetz werden somit die Rechte der Eltern umfassend beschrieben. Die Schule hat eine Informationspflicht und eine Pflicht zur Zusammenarbeit. Die Eltern unterliegen der Verpflichtung, ihre Kinder in die Schule zu schicken und mit der Schule zusammenzuarbei-ten. Weitere Mitwirkungsmöglichkeiten im Sinne einer Demokratisierung der Schule sind auf der Ebene der Gemeinden festgelegt (s. Kapitel 4.3.1).