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5.2 Bern West: Stadtteil zwischen Auf- und Abwertung

5.3.3 Schulstandort B

5.3.3.4 Innere Differenzierung und Integration

schiedlichen Bedürfnisse anpassen, dies steht für die Lehrperson im Vordergrund. Sie ver-sucht die Kinder soweit zu bringen, dass sie gut selber lernen können. Damit antwortet sie auf die veränderten Bedingungen mit pädagogisch-didaktischen Überlegungen, mit der Entwick-lung des eigenen Unterrichts. Auch soziale Werte sind ihr dabei wichtig. Überlegungen zur Art des Zusammenarbeitens und des Zusammenlebens im Hinblick auf optimales Lernen ge-winnen an Bedeutung. Die Antwort auf gesellschaftliche Veränderungen ist also einerseits das Aushandeln gemeinsamer Regeln für den Schulalltag, andererseits der Erwerb von Lern- und Arbeitsstrategien. Der eigentliche Schulstoff verliert an Bedeutung. Die Kinder müssen zuerst zum Lernen befähigt werden und das Lernklima muss stimmen. Dazu tragen Modelle der in-neren Differenzierung bei. Lehrperson B steht trotz oder eben gerade wegen der zunehmen-den Heterogenität und dem steigenzunehmen-den Anteil fremdsprachiger Kinder hinter Schulversuch und Schulentwicklung: „Ich denke, das Wichtigste ist, das man die Kinder nicht sortiert, dass man alle zusammen unterrichtet. Und für mich ist es im Laufe der Jahre schön zu sehen, wie solide die Idee sich hält und wie gut das für alle stimmt, das sieht man bei den Abgängen [...]

Und ich denke schon, dass das Eine das Andere bedingt. Also, wenn du dich entscheidest, keine Noten in der Schule zu machen, dann prägt es nachher deine Haltung und deinen Unter-richtsstil und umgekehrt [...] Wir haben einfach viel mehr Erfolg und viel mehr Fortschritte“

(Lehrperson B, Z. 241-255). Gemeinschaft entsteht und entwickelt sich durch das gemeinsa-me Aushandeln und Lernen, das Suchen nach Lösungen für optimales Lernen.

entscheid beim Übertritt in die Sekundarstufe, die innere Differenzierung auf der Sekundar-stufe sowie die durchlässigen Kleinklassen sind Besonderheiten der Schule geblieben. Die Kinder bleiben somit in der Regel vom 1. bis zum 9. Schuljahr in derselben Klasse zusam-men. Ab dem 5. Schuljahr werden sie von einem Zweierteam von Lehrpersonen unterrichtet, die sie bis zum Schulabschluss resp. zum Übertritt ins Gymnasium am Ende des 8. Schuljah-res begleiten. Der Wechsel in die Sekundarstufe 1 nach dem 6. Schuljahr bringt somit weder einen Klassenwechsel noch in der Regel einen Wechsel der Klassenlehrperson mit sich. Die Arbeit in Teams ist für die Schulleitung generell wichtig. Den heutigen Anforderungen des Berufs muss die Schule durch Teamarbeit begegnen, so die Überzeugung.

Die Schule vertritt nicht nur mit dem Modell Twann einen integrierenden Ansatz. Auch im Zusammenhang mit den Kleinklassen wird die Durchlässigkeit zur Regelklasse betont. So kann ein Kind provisorisch oder auch einfach für ein Fach, z.B. Mathematik, in eine Klein-klasse wechseln, sofern die Eltern (Erziehungsberechtigten) einverstanden sind. Spätestens nach einem Semester braucht es dann einen definitiven Entscheid. Soll der Schüler oder die Schülerin in der Kleinklasse bleiben, muss eine Fachinstanz (Erziehungsberatung) Abklärun-gen vornehmen. In der Kleinklasse sollen die Schülerinnen und Schüler möglichst individuell betreut und gefördert werden können. Der Unterricht erfolgt nach demselben Lehrplan wie in der Regelklasse. Mit diesem durchlässigen Modell versucht die Schule B der äusseren Diffe-renzierung entgegenzuwirken. Gleichzeitig soll damit dem für die Eltern schwierigen Thema Kleinklasse die Härte genommen werden, indem der Unterricht in der Kleinklasse sozusagen ausprobiert werden kann. Wie die schulstatistischen Daten zeigen, hat das integrative Para-digma der Schule Folgen. Es gibt in der Schule B vergleichsweise wenig Kleinklassenschüle-rinnen und –schüler.

Die Schulleitung schätzt das Quartier als stabil ein, sieht jedoch, dass Kinder und Jugendliche oft in Zusammenhang mit Lern-, Arbeits- und Sozialverhalten schwierig sind. Die interviewte Lehrperson nimmt Veränderungen im Umfeld ihres Schulstandortes wahr. Sie unterrichtet mehr fremdsprachige Kinder und hat den Eindruck, dass einige Kinder zuhause belastete Si-tuationen durchleben. Gemeinsam ist die Sicht, dass integrierende Ansätze, innere Differen-zierung im Unterricht die richtige Antwort auf die (zunehmende) Heterogenität der Schüle-rinnen und Schüler sind. Die Heterogenität scheint auf einer allgemeineren Ebene Ausdruck gesellschaftlicher Veränderungen zu sein. Sie hat paradigmatische Folgen für Schule und Un-terricht, wie die Schulleitung erklärt: „Das sind Entscheide, dass man den heilpädagogischen Ansatz integriert, dass wir hier die offenen Kleinklassen haben, die Kleinklassenkinder kön-nen in diesen Schonraum und auch wieder raus, auch nur für einzelne Fächer. Wir könkön-nen

heute einfach nicht das Gefühl haben, dass durch äussere Differenzierung man noch homoge-ne Klassen machen kann. Das ist glaube ich einfach vorbei. Da sind so viele Umfeld- oder Umstandssituationen rund herum, die dieses Wunderbild von 20, die zur gleichen Zeit aufste-hen, hinfällig machen. Von dem muss man Abschied nehmen“ (Schulleiter B, Z: 186-188).

Modelle der inneren Differenzierung vertritt die Schule auch in Zusammenhang mit sprachigen Kindern: „Weil mich dünkt, man müsse das ganze Konzept für Deutsch für fremd-sprachige Klassen und Fremdfremd-sprachige, KKB, Kleinklassen, Heilpädagogik und alles wirklich mal wie wegtun und sagen, in welcher Form können wir die Schule so führen, dass sie be-zahlbar ist, aber eben auch effizient? [...] Es ist unbestritten, dass Kinder, welche möglichst rasch in der Regelklasse sind, besser Deutsch lernen“ (Schulleiter B, Z. 317-330).

So ist die Schulleitung auch gegenüber der in den letzten Jahren aufgekommen Schulsozialar-beit skeptisch. Eine stärkere personelle Ausdifferenzierung entlang unterschiedlicher Bedürf-nisse der Kinder und Jugendlichen findet sie eher problematisch und wirft gleichzeitig die Frage auf, was die Aufgaben der Schule sein können und sollen. „Fälle, welche man als schwierig anschaut, bei denen die Schule halt nicht die Möglichkeit hat zu stützen, dort müs-sen andere Institutionen einspringen. Wir müsmüs-sen vielmehr den Mut haben, Gefährdungsmel-dungen zu schreiben und das der Vormundschaft so zu geben, wenn weil es nicht mehr in unserer Hand ist. Als Beispiel: wenn eine alleinerziehende Mutter mit einem 16jährigen nicht mehr zu Rande kommt, können wir ihm vielleicht hier eine Struktur bieten, er kann bis 18.00 Uhr in der Tagesschule sein. Und wenn er nachher bis morgens um 3.00 Uhr weg ist, dann ist es morgen um 3.00 Uhr und dann passt es wohl nicht mehr so zum Schulalltag. Also, dass man dort ganz gut wieder hinschauen muss, ob da nicht wieder etwas darauf hinauf gepfropft ist, was nicht Sache der Schule ist. Wir müssen andere Integrationsmodelle suchen und dort, wo wir keine Möglichkeit haben, das Kind, diesen Jugendlichen in der Schule zu halten, dass wir dort viel mehr den Mut haben zu sagen: ‚Jawohl, wir können da nichts mehr bieten, da müssen andere Stellen her, professionellere Stellen, welche halt diese Dauerbetreuung anbie-ten können oder was auch immer das Kind braucht’“ (Schulleiter B, Z. 364-379).

Die Schulleitung spricht sich somit einerseits dagegen aus, dass schulische Aufgaben perso-nell ausdifferenziert werden. Andererseits plädiert sie dafür, sich genau zu überlegen, wo der Bildungsauftrag der Schule aufhört und wo andere Institutionen Eltern unterstützen und be-gleiten müssen. So präzisiert sie: „Wir haben schon mehrheitlich den Bildungsauftrag, Stoffvermittlung, als Quartierschule ein Zusammenführen von diesen Kindern und hier in diesem Rahmen, in diesen Schulregeln, diesen Unterricht durchzuführen“ (Schulleiter B, Z.

381-383). Die Schulgemeinschaft ist somit auch hier wichtig, hat auch eine wichtige

quartier-spezifische Funktion. Die Schule hat den Auftrag, den Kindern und Jugendlichen etwas bei-zubringen. Die Schulgemeinschaft, die Klassengemeinschaft ist heterogen gedacht, was ins-besondere im Anliegen zum Ausdruck kommt, die Kinder über die gesamte Volksschulzeit in derselben Klasse zu unterrichten und den Unterricht durch innere Differenzierung den Fähig-keiten und Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen anzupassen. Eine Auftrennung durch Schullaufbahnentscheide wird möglichst vermieden.

Dieses Paradigma und die pädagogischen Zielsetzungen der Schule sind auch in den Leitsät-zen der Schule (s. Anhang 3) festgehalten. Sie behandeln die Themen Zusammenarbeit, Di-daktik, Mitsprache/Mitbestimmung, Beurteilung, Heilpädagogik, Konfliktfähigkeit und Ta-gesschule. Die Leitsätze sprechen die Eltern als mögliche Kundinnen und Kunden der Schule an. Da die Schule B ein Schulversuch ist, können Eltern auch von ausserhalb des Einzugsge-bietes beantragen, dass ihr Kind in die Schule aufgenommen wird. Umgekehrt können sie sich dafür einsetzen, dass ihr Kind an einem anderen Schulstandort eingeschult wird, da Eltern rechtlich nicht gezwungen werden können, ihr Kind in einem Schulversuch einschulen zu lassen (Lüscher 1997; Salm 1999). Im Zentrum des Leitbildes stehen Ziele und Massnahmen, die als Besonderheiten und Stärken der Schule und des Unterrichts hervorgehoben werden.

Die Schule vermittelt Leserinnen und Lesern auf diese Weise die Sicherheit, dass ihre Kinder in der Schule B optimal gefördert und gut aufgehoben sind. Im Unterschied zur Schule A wird im Leitbild nicht auf das Quartier und nicht auf Erwartungen gegenüber den Eltern eingegan-gen. Die hervorgehobenen Besonderheiten beziehen sich einzig auf die schulische Arbeit. In diese hat die Schule im Rahmen des Schulversuchs und der damit verbundenen Schulentwick-lung viel investiert – eine aktive, nicht eine reaktive SchulentwickSchulentwick-lung, wie die Schulleitung erläutert (vgl. Fiechter 2008: 174). Der Zusammenhalt, das Verständnis der Schule bezieht sich damit weniger auf einen lokalen Kontext als auf die Überzeugung mit Modellen der inne-ren Diffeinne-renzierung auf die Heterogenität der Schülerinnen und Schüler und die unterschied-lichen Anliegen der Eltern gut vorbereitet zu sein.

Der Schulversuch wurde lanciert, um pädagogische Zielsetzungen in die bildungspolitische Debatte einzubringen und letztlich im gesamten Kanton Bern umzusetzen. Auf gesellschaftli-che Veränderungen gibt die Schule B eine pädagogisgesellschaftli-che und eine bildungspolitisgesellschaftli-che Antwort:

es braucht (weitere) grundlegende Reformen in der Volksschule – hin zu integrierenderen Modellen.