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6.2 Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter der 1. und 2. Generation: abhängig von der

6.2.2 Frau Petrusic: Schulerfolg als Basis für die Lehrstellensuche

6.2.2.1 Biographische Angaben

Frau Petrusic ist zum Zeitpunkt des Interviews 49 Jahre alt. Sie wurde im ehemaligen Jugo-slawien geboren und lebt seit 1985 in der Schweiz. Ihr Ehemann, ebenfalls im ehemaligen Jugoslawien geboren und aufgewachsen, ist 52-jährig und wurde 1980 als Saisonnier ange-worben. Nach fünf Jahren erhielt er eine Aufenthaltsbewilligung B und konnte seine Frau in die Schweiz einreisen lassen. Heute verfügen die Petrusics über ein Aufenthaltsbewilligung C. Im Haushalt lebt noch der 12-jährige Sohn Goran, der die 5. Klasse besucht, nachdem er das dritte Schuljahr wiederholt hat. Die älteren Kinder des Ehepaares, die allesamt ebenfalls im ehemaligen Jugoslawien geboren und im Alter von 9 bis 15 Jahren zwischen 1988 und 1990 von den Eltern in die Schweiz geholt wurden, haben bereits eigene Familien gegründet.

Der jüngste Sohn Goran wird 1995 geboren.

Frau Petrusic besucht während acht Jahren die Primarschule. Sie arbeitet als unqualifizierte Arbeitnehmerin im Reinigungsgewerbe. Zum Zeitpunkt des Interviews ist sie stundenweise erwerbstätig und bezieht Arbeitslosenunterstützung. Der Ehemann hat eine Berufsschule be-sucht und ist Handwerker. Als Gastarbeiter arbeitete er jahrelang im Baugewerbe. Derzeit ist er krankgeschrieben und hat eine Invalidenrente beantragt. Die Eltern von Frau Petrusic wa-ren Kleinbauern und Handwerker. Sie leben bis heute im ehemaligen Jugoslawien, wie auch ihre Geschwister.

Frau Petrusic und ihr Mann leben mit dem jüngsten Sohn in einer Dreizimmerwohnung in einer der typischen Grosssiedlungen in Bern West im Umfeld der Schule A. Das Ehepaar

leb-te zuerst in Bern Nord in einem Studio, das den Vorgaben für den Familiennachzug nicht ent-sprach. So vermittelte der damalige Arbeitgeber Herrn Petrusic eine firmeneigene Wohnung in Bern West. Im Stadtteil lebt Frau Petrusic nun seit insgesamt 21 Jahren. Vor sechs Jahren ist sie mit ihrem Mann und Goran in die aktuelle Wohnung umgezogen.

6.2.2.2 Wenig Schulbildung – prekäre Lebensverhältnisse

Frau Petrusic besuchte im ehemaligen Jugoslawien während acht Jahren die Primarschule.

Trotz guter Schulleistungen ging sie anschliessend arbeiten, wie sie erzählt. Nicht alle Kinder konnten eine weiterführende Schule besuchen. Dafür reichte das Geld nicht. „Meine Eltern hatten viele Kinder und so hatten sie nicht genug Geld, um für alle die Schule zu finanzieren.

Meine älteren Schwestern und ich konnten nicht weiter zur Schule gehen. Nur meine jüngeren Schwestern und meine Brüder konnten eine Berufsfachschule besuchen und eine Lehre ma-chen“. Frau Petrusic denkt, dass sie mit mehr Schulbildung und mit Weiterbildungen auf dem Arbeitsmarkt bessere Chancen hätte. In ihren Ausführungen scheint sie etwas zu bedauern, nicht mehr Qualifizierungsmöglichkeiten gehabt zu haben. Seit ihrem Schulabschluss arbeitet sie im unqualifizierten Dienstleistungsbereiche, auch in der Schweiz. Sie erzählt: „Es ist auch schade, dass ich nicht für etwas einen Kurs gemacht habe. Aber das Problem ist, ich bin zum Arbeiten hierher gekommen. Meine Kinder blieben eine Zeit lang bei meiner Mutter in Jugo-slawien. Und nachher, als ich auch die B-Bewilligung erhalten habe, haben wir die Kinder in die Schweiz geholt. Ich hatte dann drei Kinder zu Hause, ich arbeitete 100%. Ich hatte keine Zeit für Kurse, das ist so schade. Ich denke, es ist schade, dass ich keinen Deutschkurs ge-macht habe. Oder keinen anderen Kurs. Viele Landsleute haben keine Lehre gege-macht aber machen hier einen Kurs und haben bessere Arbeit. Ich habe viele Bekannte, wie ich, haben sie im ehemaligen Jugoslawien nur die achte Klasse abgeschlossen. Aber jetzt arbeiten sie im Altersheim, nachdem sie nur ein halbes Jahr einen Kurs gemacht haben. Nach sechs Monaten arbeiten sie als Pflegerin“.

Frau Petrusic verpasst es, sich weiterzubilden, wie dies einige ihrer Landsleute getan haben und damit auch beruflich in eine sicherere und qualifiziertere Position vorrücken konnten. Sie verbessert auch ihre Sprachkenntnisse nicht weiter. Zu absorbiert ist sie mit Erwerbstätigkeit und Kindern. Seit der Geburt von Goran hat sie ihr Arbeitspensum reduziert. Der Wiederein-stieg gestaltet sich jedoch aufgrund ihrer fehlenden beruflichen und sprachlichen Qualifizie-rung schwierig. Sie arbeitet stundenweise im Dienstleistungsbereich und bezieht Leistungen der Arbeitslosenversicherung. Ihrem Wunsch, einen Deutschkurs zu besuchen, um die

Ver-mittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern, wurde von der Versicherung nicht entspro-chen mit dem Argument, ihre Deutschkenntnisse reichten für die Stellensuche aus.

Frau Petrusic lebt in finanziell prekären Verhältnissen und unter der Belastung einen kranken Ehemann und einen 12-jährigen Sohn betreuen zu müssen. Sie erzählt: „Mein Mann ist krank und Goran ist noch jung. Meinem Mann geht es nicht gut. Er hat Schmerzen. Darum ist es mir lieber, wenn ich momentan nur ein paar Stunden pro Tag arbeite und mehr Zeit mit Goran zuhause verbringe. Vorher habe ich immer 100% gearbeitet. Wenn Goran grösser ist, werde ich wieder mehr arbeiten“. Frau Petrusic lässt ihren Sohn lieber nicht allzu lange mit dem kranken Vater allein zuhause. Ihre Aussagen verweisen darauf, dass dies für Goran überfor-dernd sein könnte. Sie möchte ihm nicht die Verantwortung für den kranken Vater überlassen.

Die Situation hat zur Folge, dass die Familie an der Armutsgrenze lebt. Dadurch rückt auch der Wunsch nach Einbürgerung in unerreichbare Ferne. Herr und Frau Petrusic sowie Goran haben eine C-Bewilligung. Aufgrund der Abhängigkeit von Sozialversicherungen können sie sich jedoch nicht einbürgern. Aus Sicht von Frau Petrusic ist dies vor allem für Goran ein Nachteil. Sie geht davon aus, dass er mit einem Schweizerpass bessere Chancen auf eine Lehrstelle hätte. „Die drei grossen Kinder sind eingebürgert. Wir haben Probleme. Mein Mann arbeitet nicht. Ich bin ein Sozialfall. Wir konnten nicht alle Steuern bezahlen. Und das schon lange, seit sechs oder sieben Jahren. Die Fremdenpolizei hat mir gesagt, wenn ich die Steuern bezahle, schicken sie mir die Einbürgerungsunterlagen. Aber ich habe das Geld nicht, um die Steuern zu bezahlen. Wir hoffen, dass mein Mann bald eine Rente bekommt. Dann hätten wir vielleicht eine Chance für die Einbürgerung. Mir spielt es keine Rolle, ob ich C-Aufenthalt habe oder Schweizerbürgerin bin. Der Unterschied ist nicht gross. Aber für Goran ist es besser, wenn er Schweizerbürger ist, sobald eine Lehrstelle sucht“, ist Frau Petrusic überzeugt.

Frau Petrusic gehört zur Generation der Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter aus dem ehemali-gen Jugoslawien, die in der Schweiz unqualifizierte, körperlich anstrenehemali-gende Arbeit verrich-ten oder verrichtet haben. Zwar sind ihre Kinder in der Schweiz heimisch geworden und ha-ben eigene Familien gegründet. Frau Petrusic lebt jedoch an der Armutsgrenze und unter psy-chischen Belastungen, wie ihre Äusserungen zeigen. Insbesondere die finanzielle Situation hat zur Folge, dass sie auch den aufenthaltsrechtlichen Status nicht verbessern kann. Für Wei-terbildung oder -qualifizierung fehlten und fehlen Zeit, Geld und Energie.

6.2.2.3 Disziplin als Grundlage für das Lernen in der Schule

Die eigene Schulzeit liegt für Frau Petrusic schon lange zurück. Sie äussert sich dazu kaum.

Die Schulsysteme der Schweiz und des ehemaligen Jugoslawien vergleicht sie anhand der Schulerfahrungen ihrer Kinder, die beide Systeme kennen. So erzählt sie: „Als meine grosse Tochter hierher kam, wurde sie in die siebte Klasse eingeteilt. Im Mathematikunterricht hatte sie Stoff, den sie in Jugoslawien in der fünften Klasse durchgenommen hatten. Das war früh, da musste sie viel mehr lernen“. Die Schule scheint aus ihrer Sicht somit nicht so ein hohes Niveau zu haben. Hingegen findet sie das System der Berufslehre in der Schweiz gut, denn:

„hier ist die Lehre viel praktischer, man hat viel mehr Praxis. Im ehemaligen Jugoslawien hatte man nicht viel Praxis. Man besuchte nur die Schule. Als meine Tochter hier eine Lehre machte, ging sie nur einen Tag in die Schule. An den übrigen Tagen hat sie gearbeitet. Das ist hier super. Aber in der Schule lernt man hier weniger als im ehemaligen Jugoslawien“. Die Erfahrungen mit Schule und Berufsbildung fallen zwiespältig aus. Während das Berufsbil-dungssystem aus Sicht von Frau Petrusic positiv bewertet wird, ist sie mit der Schule selber nicht so zufrieden. Sie findet es „normal, dass wenn man jeden Tag arbeitet, dass man dann auch mit dem Kopf etwas lernen muss. Umgekehrt, wenn man nur lernt, lernt, lernt, dann fehlt der praktische Anteil. Das ist dann ein Problem“.

Frau Petrusic ist verunsichert, welchen Stellenwert der Schulunterricht in der Schweiz hat.

Diese Unsicherheit wird dadurch genährt, dass aus ihrer Sicht in der Schule zu wenig Diszip-lin eingefordert wird. Sie erklärt, was sie unter DiszipDiszip-lin versteht: „DiszipDiszip-lin ist, wenn ein Kind 15 Minuten zu spät kommt, werden sofort die Eltern benachrichtigt. Wenn ein Kind zum Arzt muss, muss das dem Lehrer schriftlich mitgeteilt werden“. Mit dem Lehrer von Goran ist sie zufrieden. Er fordert Disziplin ein. Jedoch hat sie auch andere Erfahrungen gemacht: „Ich habe noch drei erwachsene Kinder. Mein älterer Sohn ging auch in Schule A, vor 15 Jahren.

Er hat 230 Stunden verloren und die Lehrerin hat uns weder angerufen, noch einen Brief ge-schrieben. Das war in der 8. Klasse. Er hat die Schule geschwänzt und dann hat er keine Lehr-stelle gefunden. Er ist jetzt 30 Jahre alt und hat keine Ausbildung, das ist schlimm. Wenn ein Kind 15 Minuten zu spät kommt, müssen das die Eltern wissen. Sie müssen wissen, wo sich ihr Kind aufhält und was es macht“. Wer in der Schule fehlt, lernt nichts, so die Überzeugung von Frau Petrusic. Dass ihr älterer Sohn keine Lehrstelle fand – die Töchter haben beide eine Lehre im Verkauf gemacht – ist für Frau Petrusic schwierig zu akzeptieren. Sie weiss, dass seine Position auf dem Arbeitsmarkt dadurch prekär ist. Sie erzählt: „Er hat sich geweigert, die 9. Klasse zu besuchen. Er sagte, diese Lehrperson ist nicht gut und hat die Schule verwei-gert. Was sollten wir machen? Im Moment geht es ihm gut. Er hat sich selbständig gemacht.

Es ist schon schlimm, dass er keine Lehre gemacht hat, aber im Moment ist alles gut“. Auf die Frage, ob sie denn mit der Schule Kontakt aufgenommen habe, als ihr Sohn die Schule ver-weigerte, antwortet Frau Petrusic: „Es war nicht nur mein Sohn, das waren auch noch, ich weiss nicht wie viele, aber viele andere Kinder, die Probleme mit dieser Lehrerin hatten. Sie war nicht sympathisch oder ich weiss nicht. Ich bin schon in die Schule gegangen. Aber es war schon zu spät alles. Die Lehrerin hat zu mir gesagt: ‚Es ist eine Katastrophe, dein Sohn kommt nicht zur Schule und macht Probleme’ [...] Im ehemaligen Jugoslawien hat er in der Schule sehr gut gelernt. Er hatte gute Noten. Als er hierher gekommen ist, hatte er schlechte Noten. Vielleicht weil er hier keine Kollegen hatte, vielleicht weil die Lehrerin nicht sympa-thisch war. Ich weiss nicht, woran es lag“. Die Lehrperson kooperierte nicht mit den Eltern.

Betroffen war nicht nur der Sohn von Frau Petrusic. Dies bestätigt sie darin, dass das Problem nicht ausschliesslich bei ihrem Sohn zu suchen war. Dennoch musste er als Schulabgänger die Folgen tragen.

Die Erfahrungen mit ihrem älteren Sohn führen dazu, dass Frau Petrusic sich auch Sorgen um die Schullaufbahn von Goran macht. Sie hat jedoch zum Lehrer ihres jüngsten Sohnes Ver-trauen gefasst. Denn dieser Lehrer fordert von den Schülerinnen und Schülern Disziplin. Sie erzählt: „Bis zur fünften Klasse, erste, zweite, dritte, vierte, das war eine Katastrophe, keine Disziplin. Die Kinder wurden gefragt, was sie machen wollen. So geht das nicht. Jetzt bei Gorans Lehrer ist Disziplin, wie im Militär und so lernen die Kinder gut. Ich bin sehr froh und Goran auch. Ein, zwei Monate, hat er in der fünften Klasse die Schule verweigert. Er hat ge-sagt, es ist viel zu streng. Ich habe ihm gege-sagt, so ist es richtig und inzwischen sieht er das auch so. Er sagt, sein Lehrer ist ein guter Lehrer“. Und sie lobt den Lehrer weiter: „Jetzt lernt er in der Schule gut und hat nicht so viele Hausaufgaben. Der Lehrer hat mir gesagt, ‚ich gebe nicht so viele Hausaufgaben. Wenn die Eltern nicht richtig Deutsch sprechen, ist es besser, wenn die Kinder in der Schule gut lernen’“.

Die drei älteren Kinder besuchten durchwegs das Realschulniveau der Sekundarstufe I. Dies wird auch bei Goran so sein, wie sein Lehrer Frau Petrusic bereits im fünften Schuljahr eröff-net. Offenbar gilt er als leistungsschwacher Schüler.69 Nach der sechsten Klasse wird er in die Realschule übertreten. Frau Petrusic finde sich mit dieser Prognose ab, obwohl auch sie lieber hätte, wenn er die Sekundarschule besuchen würde: „Das ist normal, alle Eltern wollen, dass ihre Kinder eine gute Lehre machen und in die Sekundarschule gehen. Aber ich denke, Goran

69 Aus Sicht der Lehrperson ist Goran das leistungsschwächste Kind der Klasse und eigentlich zu jung, sozial aber wichtig, da er sehr sozialkompetent ist. Goran kann [im 3. Schuljahr] kaum lesen und schreiben (Beobach-tungsprotokoll 6.8.2004).

hat wenige Chancen für die Sekundarschule. Der Lehrer hat mir gesagt: ‚Es ist besser, Goran besucht die Realschule und hat gute Noten. Wenn er in die Sekundarschule geht, hat er schlechte Noten’. Und Goran hat nicht viel Zeit, weil er drei Mal in der Woche Training und jedes Wochenende Fussballmatch oder Turnier hat. Der Lehrer hat gesagt: ‚Goran spielt bes-ser Fussball und besucht die Realschule. Ich hätte gerne gehabt, wenn er in die Sekundarschu-le gehen könnte. Das ist normal, alSekundarschu-le Eltern wolSekundarschu-len, dass ihre Kinder gut Sekundarschu-lernen und gut in der Schule sind. Aber wenn er schlechte Noten hat, kann er nicht in die Sekundarschule. Dann geht er besser in die Realschule und hat gute Noten. Mir ist das lieber“. Die Sorgen um die Zukunft werden von der Lehrperson ernst genommen. Frau Petrusic vertraut auf deren Ein-schätzung, dass mit guten Noten in der Realschule die Chancen auf eine Lehrstelle besser ausfallen als mit schlechten Sekundarschulnoten. Sie wünscht sich zwar, dass ihr Sohn für die Lehrstellensuche eine gute Grundlage hat, d.h. aus ihrer Sicht einen Sekundarschulabschluss, lässt sich jedoch von den Argumenten des Lehrers überzeugen. Dieser bestätigt sie darin, dass die Prioritäten von Goran im Fussballspiel liegen und er zuhause wenig Zeit zum Lernen hat.

6.2.2.4 Abhängig von der Beratung und der Einschätzung der Lehrperson

Frau Petrusic war eine gute Schülerin, die jedoch keine weiterführende Schule besuchen und keine Ausbildung machen konnte, da ihre Familie arm war, wie sie erzählt. Nur die jüngeren Geschwister hatten diese Möglichkeit. Ihr fehlt damit nicht nur eine Berufsausbildung, die eine Basis für die berufliche Weiterentwicklung und Weiterbildung wäre. Ihre Erwerbstätig-keit im stark prekarisierten Reinigungsgewerbe, die vier Kinder und die Hausarbeit verun-möglichten ihre zudem, Sprachkurse zu besuchen und damit ihre Chancen auf dem Arbeits-markt zumindest etwas zu verbessern. Sie ist sich bewusst, dass Schulbildung für die Chancen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt wichtig ist. Stolz erzählt sie von ihren Töchtern, die Berufslehren gemacht haben. Sorge bereitet ihr der erwachsene Sohn, der damals im achten und neunten Schuljahr die Schule schwänzte und in der Folge auch keine Lehrstelle fand.

Obwohl das Geschäft dieses Sohnes zum Zeitpunkt des Interviews gut läuft, wünscht sich Frau Petrusic, dass der jüngste Sohn Goran eine Berufslehre machen kann. Sein Traumberuf Fussballprofi ist für sie eine zu unsichere Option.

Um ihre Kinder schulisch voranzubringen, ist Frau Petrusic auf die Unterstützung der Schule und die Beratung der Lehrpersonen angewiesen. Selber hat sie wenig Erfahrung mit schuli-schen Lernprozessen. Sie vergleicht das Schulsystem ihrer älteren Kinder im ehemaligen Ju-goslawien mit demjenigen in Bern West. Vor allem im Fach Mathematik sind/waren die Kin-der im ehemaligen Jugoslawien inhaltlich deutlich weiter fortgeschritten. Diese Beobachtung wird auch von anderen Interviewten aus dem ehemaligen Jugoslawien berichtet. Frau Petrusic

macht zudem die Erfahrung, dass Lehrpersonen von den Schülerinnen und Schülern wenig Disziplin einfordern. Für sie entsteht dadurch der Eindruck, dass in der lokalen Schule zu we-nig Wert auf das Lernen gelegt wird. Aus ihrer Sicht hat dies zur Folge, dass die Lehrperso-nen und die schulischen Anforderungen von den Kindern nicht ernst genommen werden. Für die Eltern geht damit ein Vertrauensverlust einher. Frau Petrusic begrüsst daher die Praxis des aktuellen Lehrers ihres Sohnes Goran, der klare Anforderungen formuliert. Sie vertraut auf dessen Expertise, auch wenn sie sich für ihren Jüngsten einen Übertritt in die Sekundarschule mit erweiterten Ansprüchen wünschte. Da Goran durch das Fussballspiel zeitlich stark absor-biert ist, muss er in der Schule aus Sicht der Lehrperson Abstriche machen. Goran ist auf das Wohlwollen und die Unterstützung der Lehrperson angewiesen. So hofft Frau Petrusic denn auch, dass ihr Jüngster in der Schule keine Konflikte mit der Lehrperson haben wird. Solche – so die Sicht von Frau Petrusic – führten bei ihrem ältesten Sohn zu einem denkbar schlechten Start in eine Berufslaufbahn.