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Zölle, Mauten, Verbote : Die wechselnde Durchlässigkeit

4. Austauschsphären

4.1 Handel : Waren- und Güterströme

4.1.1 Zölle, Mauten, Verbote : Die wechselnde Durchlässigkeit

Die Grenzen, die die Reichweite und das Ausmaß von ökonomischen Austausch-prozessen regulieren, sind selektiv durchlässig. Zudem unterschieden sie sich in ihrer Art sowie Funktionsweise und unterlagen einem zeitlichen Wandel.1 Zoll- und Mautbestimmungen an den Staatsgrenzen und innerhalb des staatlichen Ter-ritoriums bestimmten die Kosten des Warenverkehrs und regulierten somit das Ausmaß von Import und Export. Die Instrumentarien, die dem Staat dabei zur Verfügung standen, reichten von Veränderungen der Zollsätze über Handelsver-bote für einzelne Produkte oder Gütergruppen bis zu einer gänzlichen Freigabe von Warenströmen und der Aufhebung von Zollsätzen.

Mit der Annexion Galiziens im Lauf des Jahres 1772 wurde eine neue politische und wirtschaftliche Grenze gezogen, „wo nie zuvor eine war“.2 Gleichzeitig fielen die bislang bestehenden Staatsgrenzen im Süden und Westen weg. Damit setzte ein Prozess ein, in dessen Verlauf Galizien aus seinen bisherigen Handelsverflechtungen sukzessive herausgelöst wurde : In den unmittelbaren Jahren nach der Ersten Teilung Polen-Litauens blieben Galiziens Grenzen in alle Richtungen relativ durchlässig :

1 Zu der unterschiedlichen Funktion von Grenzen siehe : Haslinger, Grenze als Strukturprinzip, 13f.

2 Pacholkiv, Entstehung, 169.

Dies lag zunächst auch daran, dass die endgültige Festlegung des Grenzverlaufes aufgrund der Uneinigkeit zwischen den drei Teilungsmächten bis 1776 andauerte.3 Die Handelspolitik war zunächst von Kontinuität gekennzeichnet : Die bestehenden polnisch-litauischen Zollsätze wurden beibehalten und an der neu gezogenen pol-nisch-galizischen Grenze angewendet. Um dem neu in Besitz genommenen Territo-rium die wichtigen Einnahmen aus dem lukrativen Transithandel zu sichern, wurde allerdings der Durchfuhrzoll bereits 1773 auf die Hälfte gesenkt.4

Die Diskussionen der habsburgischen Zentral- und Provinzbehörden in den 1770er Jahren demonstrieren die Unsicherheit sowie die verschiedenen Interes-senlagen hinsichtlich des zoll- und handelspolitischen Status’ Galiziens. Noch ein Jahr vor der Grenzziehung 1776 wurde ein Handelsvertrag mit Polen geschlossen, der nicht nur den Handelsinteressen der Habsburgermonarchie entgegenkam, son-dern durch begünstigte Zölle bei Ein-, Aus- und Durchfuhr die Handelskontakte zwischen Galizien und der geschwächten Adelsrepublik aufrechterhalten sollte.5

Gleichzeitig erschwerte die im gleichen Jahr etablierte Zollunion den Waren-austausch zwischen den Erblanden und Galizien. Die Aufhebung der Binnen-zölle und -mauten zwischen den böhmischen sowie österreichischen Provinzen (mit Ausnahme Tirols, der Vorlande und Adriaküste, angeführt von den Freihäfen Triest und Fiume) ging zwar mit einer Aufhebung der Importverbote einher. Zu-gleich wurden jedoch die Einfuhrzölle stark erhöht, was auch für Warenlieferun-gen aus Galizien galt.6

Anstelle der von einigen Beamten geforderten Eingliederung Galiziens in die Zollunion wurden in den Zolltarifen 1776 und 1778 Zollsenkungen vorgenom-men, die den Handel zwischen den Erblanden sowie der ungarischen Länder mit der nördlichen Provinz fördern und den Schmuggel ausländischer Waren unter-binden sollten. Darüber hinaus wurden Zollerleichterungen für einzelne Waren bis 1784 beschlossen. 1779 erfuhr die Zoll- und Mautgrenze mit der Schaffung der Freihandelsstadt Brody eine räumliche Veränderung.7

Erst die preußische Hochzollpolitik führte 1784 zur Integration Galiziens in die Zollunion : Die bis dahin niedrigen Einfuhrzölle Galiziens, die einen Sog für

3 Ebenda, 172.

4 Ebenda, 171–173. Beer, Zollpolitik, 299. Grossmann, Handelspolitik, 44f.

5 Grossmann, Handelspolitik, 183, 200. Beer, Die österreichische Handelspolitik unter Maria There-sia, 97. Drozdowski, Traktaty handlowe, 95. Kazusek, Handel, 53f. Sauer, Aspekte der Handelspoli-tik, 252.

6 Ebenda, 242. Beer, Zollpolitik, 278. Freudenberger, Lost Momentum, 116. Grossmann, Handelspo-litik, 209f. Hassinger, Außenhandel, 61. Komlosy, Grenze, 44–46.

7 Grossmann, Handelspolitik, 221f., 224, 252, 254. Kuzmany, Grenze an der Grenze, 121–123. Ders., Brody, 51–53, 55. ÖStA, FHKA NHK Kamerale Ö Akten Fasz. 7 G, Nr. 210, V.356, IV.257.

ausländische Fertigwaren bewirkten, aber keine Kompensation durch den Export galizischer Produkte auf der Weichsel zur Folge hatten, sollten durch hohe Schutz-zölle und der Erschließung neuer Absatzmärkte für die galizischen Produkte in den Erblanden abgelöst werden.8

Ab diesem Zeitpunkt war Galizien Teil des westlichen Zoll- und Handelsge-bietes der Habsburgermonarchie. Da über die Grenzregion am nordöstlichen Rand des Staates umfangreiche Außenzollgrenzen sowie ein beachtliches Stück der Zwi-schenzolllinie zu Ungarn verliefen, hatten handels- und zollpolitische Veränderun-gen unmittelbare AuswirkunVeränderun-gen. Dabei konnten es sich sowohl um innere als um äußere Grenzverschiebungen handeln. So förderte die Aufhebung der Zwischen-zolllinie zu Ungarn per 1. Oktober 1850 den handelspolitischen Interaktionsrah-men Galiziens innerhalb der Habsburgermonarchie, während die Aufnahme der Lombardei, Venedigs und Tirols (1825/26) in die Zollunion für Galizien weniger bedeutsam gewesen war.9

Allerdings hatten zollpolitische Erleichterungen den Warenaustausch zwischen den beiden Reichshälften bereits vor 1850 gefördert, weshalb die Aufhebung der Zolllinie in ihrer Wirkung nicht überschätzt werden darf. So wurden zwischen 1786 und 1793 die ungarischen Importzölle auf erbländische und galizische In-dustriewaren aufgehoben und 1828 die Exportzölle beim Transport aller Güter aus den westlichen in die ungarischen Provinzen auf 5/12 Prozent gesenkt. Auch die erbländischen Importzölle sanken für eine Reihe von Gütern, stiegen allerdings für Getreide und Wein wieder. Ein Jahrzehnt später wurden Branntwein, Roheisen und Eisenwaren in beide Richtungen von allen Gebühren befreit.10

Eine neuerliche Veränderung ergab sich mit dem Ausgleich von 1867. Die Umgestaltung der Monarchie in zwei staatsrechtliche, per Personalunion (mit Elementen einer Realunion) verbundene Teile hatte eine auf jeweils zehn Jahre abgeschlossene Zollunion zwischen beiden Reichshälften zur Folge. Die Verhand-lungen über die Verlängerung des wirtschaftlichen Bündnisses waren ab der Jahr-hundertwende durch zunehmende Spannungen und unterschiedliche Interessenla-gen gekennzeichnet, allerdings blieben etwaige Blockaden und Handelshemmnisse von geringer Bedeutung.11 1878 wurden weitere interne Zollenklaven integriert

8 Grossmann, Handelspolitik, 374f. Grodziski, Historia, 57.

9 Gross, Industrielle Revolution, 210. Pacholkiv, Entstehung, 187. Raptis, Kaufleute, 42. Weiss, Ver-hältnis, 110. CDIAL, f.146-op.80-spr.266 (in weiterer Folge : 146–80–266), Fol. 139.

10 Beer, Die österreichische Handelspolitik unter Maria Theresia, 23f. Ders., Handelspolitik im 19.

Jahrhundert, 35, 45. Huertas, Economic Growth, 19f. HHStA, KA, Nachlass Zinzendorf, Hand-schriften Bd. 120, Fol. 225. CDIAL,146–80–251, Nr. 9892, Fol. 69. CDIAL, 146–80–259, Z. 33067, Fol. 240. CDIAL, 146–80–260, Z. 235, Fol. 62.

11 Brusatti, Die wirtschaftlichen Folgen, 308f.

– neben den Freihäfen Triest, Fiume, Buccari, Porto Ré und Carlopago betraf dies Dalmatien und die galizische Freihandelsstadt Brody. Auch das neu okkupierte Bosnien-Herzegowina wurde in dieses erweiterte Zollgebiet einbezogen.12

4.1.1.2 Galizien als Teil des habsburgischen Außenhandelssystems Folgte die Herausbildung des habsburgischen Binnenmarktes einem relativ line-aren Entgrenzungsprozess, so war die Durchlässigkeit der Außengrenzen nicht nur deutlich geringer, sondern auch stärkeren Schwankungen unterworfen, auf die konjunkturelle Momente ebenso wirkten wie geo- und wirtschaftspolitische Einflüsse. Parallel zur Inkorporierung Galiziens in die Zollunion wurden 1784 die ein Jahrzehnt zuvor abgeschafften Im- und Exportverbote wieder eingeführt.

Dieses protektionistische Prohibitivsystem wurde 1787/88 erneut verschärft und durch weitere Importzollerhöhungen ergänzt. Die als „isolationistisch“ beschrie-bene Zoll- und Handelspolitik war von merkantilistischen Überlegungen geprägt und zielte auf die Förderung der Protoindustrialisierung ab.13

Zwar wurden zwischen 1810 und 1825 einige Waren von den Verboten ausge-nommen, diese jedoch durch die Einführung von Prohibitivzöllen 1818 und 1824 kompensiert. Zudem brachte der Handelsvertrag zwischen der Habsburgermon-archie und dem Russischen Reich 1818 zwar eine Zollsenkung, aber die neuen Zolltarife des Russischen Reichs (1821/22) und des Königreichs Polen (1823) führten zahlreiche Importverbote ein. Letzteres hatte bereits zuvor zusätzlich seine Einfuhr- und Transitzölle erhöht, weshalb der Handel zwischen den polnisch-li-tauischen Teilungsgebieten auch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gering blieb.14

Mit der erneuten Aufhebung der Ein- und Ausfuhrverbote in der Habsbur-germonarchie 1828/30 und ihrer Ersetzung durch Zollsätze wurde zwar ein erster Schritt in Richtung Liberalisierung des Außenhandels getan, dieser jedoch durch selektive Importzollerhöhungen gleichzeitig wieder konterkariert. Auch der 1837 erlassene und 1839 in Kraft tretende neue Zollsatz führte zu keiner nennenswerten Liberalisierung des Außenhandels.15

12 Matis, Österreichs Wirtschaft, 376f.

13 Beer, Die österreichische Handelspolitik unter Maria Theresia, 116–119. Sauer, Aspekte der Han-delspolitik, 241f.

14 CDIAL, 146–8–250, Fol.  78–81. Beer, Handelspolitik im 19. Jahrhundert, 436f. Freudenberger, Lost Momentum, 125. Franaszek, Economic effects, 27f. Jezierski/Leszczyńska, Historia gospodar-cza Polski, 146. Pacholkiv, Entstehung, 187. Rutkowski, Historia gospodargospodar-cza, 406.

15 CDIAL, 146–80–252, Nr.  4460, Fol.  3–4 ; Nr.  8642, Fol.  14 ; 146–80–254, Fol.  203–206. Beer, Handelspolitik im 19. Jahrhundert, 14f.

Erst als sich das neoabsolutistische Regime nach 1849 um die Aufnahme in den 1834 gegründeten Deutschen Zollverein bemühte, kam es 1852 und 1854 zur voll-ständigen Ablöse des Verbotssystems durch Prohibitivzölle.16 Tatsächlich liberali-siert, wenn auch räumlich begrenzt, wurde der Außenhandel durch den 1853 zwi-schen der Habsburgermonarchie und Preußen abgeschlossenen Handelsvertrag, dem nacheinander alle Mitgliedsstaaten des Zollvereins beitraten. Zwar wurden dadurch die wesentlichen Zoll- und Mautbarrieren aus dem Weg geräumt, aller-dings sicherte das aufgrund der „weichen“ österreichischen Währung bestehende Silberagio der heimischen Industrie zwischen 1848 und 1878 einen künstlichen Wettbewerbsvorteil.17

Dies war insofern bedeutend, als sich mit der Liberalisierung des Außenhan-dels, eingeleitet durch den Zolltarif vom Februar 1862, die Verflechtung der nur beschränkt wettbewerbsfähigen habsburgischen Industrie mit dem Weltmarkt verstärkte : Zwischen 1865 und 1875 schloss die österreichisch-ungarische Regie-rung eine Reihe von Freihandelsabkommen mit asiatischen, europäischen und la-teinamerikanischen Staaten ab – von Japan, China und dem Osmanischen Reich reichte die Liste der Vertragspartner über England, Frankreich, den Deutschen Zollverein und Belgien bis hin zum Russländischen Reich, Rumänien, Portugal und Spanien.18

Nach der Weltwirtschaftskrise setzte vor dem Hintergrund der sich verschär-fenden Weltmarktkonkurrenz eine Allianz aus böhmischen und österreichischen Industriellen sowie ungarischen Großgrundbesitzern 1878 und 1882 die Rückkehr zu einer protektionistischen Hochzollpolitik durch.19 Diese war ebenso wie die vorhergehende Außenhandelsliberalisierung Teil einer internationalen Tendenz, die etwa auch das Deutsche und Russländische Reich sowie Frankreich erfasste.

Die stärksten Zollerhöhungen nahmen die nord- und südamerikanischen Staaten vor. Ab 1891 kam es mit der vom deutschen Reichskanzler Leo Graf von Caprivi initiierten Zentraleuropäischen Zollunion, der neben dem Deutschen und dem Habsburger Reich die Schweiz, Italien und Belgien angehörten, zu einer räumlich und zeitlich beschränkten Außenhandelsliberalisierung. Nach Auslaufen der

Ver-16 Huertas, Economic Growth, 3, 18, 26–28.

17 Ebenda, 35. Otruba, Einführung, 126, 133. Grossendorfer, Österreichs Außenhandel, 629. Koch, Österreich und der Deutsche Zollverein, 545. März, Industrie- und Bankenpolitik, 19f, 58–60.

März/Socher, Währung und Banken, 325. Letztere Autoren weisen auch auf den begrenzten Nutzen des Agios hin, das auch den Export hemmte.

18 Brusatti, Die wirtschaftlichen Folgen, 307. Koch, Österreich und der Deutsche Zollverein, 548, 556, 560. Matis, Leitlinien, 40. Ders., Sozioökonomische Aspekte, 253. Tremel, Binnenhandel, 385.

Grunzel, Handelspolitik, 41f. Beer, Handelspolitik im 19.Jahrhundert, 421–425.

19 Matis, Österreichs Wirtschaft, 374–377. Ders., Leitlinien, 42, 51.

träge im Jahr 1903 stiegen die Zölle jedoch erneut.20 Im Jahr 1906 folgte eine dras-tische Zollerhöhung, die Mindestsätze festlegte, die auch durch Handelsverträge nicht außer Kraft gesetzt werden konnten. Insgesamt nahmen die Zolleinnahmen gemessen an den Warenimporten Österreich-Ungarns zwischen 1878 und 1913 von 4,1 auf 7,1 Prozent zu, was die Zunahme protektionistischer Maßnahmen deutlich macht. 21 Umgekehrt wirkte sich der mit der Währungsreform von 1892 erfolgte Umstieg auf die goldbasierte Krone aus, für die ein relativ hoher Wech-selkurs festgelegt wurde : Importe wurden dadurch billiger, Ausfuhren hingegen erschwert.22

Während die Verschiebungen und Regulierungen der inneren Zoll- und Maut-grenzen den Interaktions- und Verflechtungsraum Galiziens mit anderen habsbur-gischen Regionen bestimmten, betrafen die Außenhandelsregulierungen einerseits Galiziens direkte Kontakte mit dem Ausland, allen voran mit den anderen pol-nisch-litauischen Teilungsgebieten sowie mit den zum Osmanischen Reich gehö-renden und dann im Lauf des 19. Jahrhunderts ihre Unabhängigkeit erlangenden südosteuropäischen Staaten, mit denen vor 1772 enge Kontakte bestanden hatten.

Andererseits beeinflussten die verschiedenen Außenhandelsregime Galiziens Rolle als Transferraum für den Warenaustausch anderer habsburgischer Regionen mit ausländischen Handelspartnern, indem die Region als Transportroute und even-tuelles Dienstleistungs- und Vermittlungszentrum fungierte. Galizien spielte so-mit eine Doppelrolle als innere (bzw. teilweise auch externe) Peripherie sowie als Grenzregion.