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1. Einleitung

1.3 Arbeitsweise

Aus den theoretischen Perspektiven ergeben sich folgende Untersuchungsebenen, deren methodische Dimensionen hier kurz beleuchtet werden :

• Handel : Der Austausch von Gütern und Waren wird idealtypisch im Sinn ei-ner Handelsbilanz in Geld- und Gewichtseinheiten analysiert. Während mo-netäre Einheiten über die für diese Arbeit zentralen Fragen der

unterschied-110 Simonek, Möglichkeiten, 131f. Wendland, Imperiale, koloniale und postkoloniale Blicke, 218.

111 Janion, Rozstać się. Korek, Central and Eastern Europe.

112 Woldan, Selbstunterwerfung.

113 David, Nationalisme, 111f.

lichen Wertschöpfung besonders aufschlussreich sind, zeigen Vergleiche mit Gewichten und Maßen die Preisrelationen der gehandelten Waren. Die unter-schiedlichen Erzeugnisse werden analytisch in den Kategorien von Rohstoffen, Halbfertig- und Fertigwaren, mitunter auch Nahrungsmitteln, gefasst, wobei dem Ausgangs- und Endpunkt der Warenkette (Rohstoff – Fertigware) un-terschiedliche Möglichkeiten der Wertschöpfung an den einzelnen Positionen der Warenkette entsprechen. Die mithilfe dieser Kategorien aufgeschlüssel-ten Handelsbilanzen geben Aufschluss über die Position von Räumen in den überregionalen Warenketten – und somit über ihre Rolle in der überregionalen Arbeitsteilung. Dementsprechend werden gewerbliche, protoindustrielle und industrielle Produktionsformen stärker in ihrer Gemeinsamkeit der Fertigwa-renproduktion wahrgenommen. Allerdings sind die Güterkategorien unscharf, da ein Produkt mehrere Funktionen innerhalb der Warenketten gleichzeitig einnehmen kann.114 Zu beachten ist weiters, dass diese Kategorien einem steten Wandel unterworfen sind. Quantitativ betrachtet sind Handelsstatistiken auch Indikatoren für Konsum und Produktion sowie Teil von regionalen Leistungs-bilanzen. Passive Handelsbilanzen können auf strukturelle Schwächen im Pro-duktionssektor bis zu Verdrängungen regionaler Produktionszweige verweisen.

Für Galizien liegen nur für wenige Jahre tatsächlich verlässliche Handelsbilan-zen vor, weshalb in hohem Ausmaß qualitative Quellen herangezogen werden.

• Kapital : Als einer der Dreh- und Angelpunkte von Wertgenerierung wird die Verfügung über Kapital und seine Verwendungsart zu einer der entscheiden-den Variablen für die Gestaltung des Produktionsprozesses. Das Ausmaß an Kapitalimporten in einen Raum macht diesen von Entscheidungen abhängig, die von Akteuren und Institutionen jenseits seiner Grenzen ausgehen. Zudem kommt es zu Gewinnrückflüssen. Allerdings belegen Investitionsverweigerung sowie Kapitalexport peripherer Akteure, dass neben der räumlichen Verortung der konkrete Einsatz von Kapital über Entwicklungsperspektiven entscheidet.

Die soziale Dimension von Konsum, die Verteilung von Wohlstand, ist damit impliziert. Bei externen Kapitalinvestitionen ist insofern die Art der Anlage entscheidend, als langfristig gebundenes Kapital, hoher Vernetzungsgrad von extern finanzierten Unternehmen mit der regionalen Ökonomie und die Re-Investitionsquote über das Ausmaß des Gewinnabflusses bzw. die Vorteile für die regionale Ökonomie entscheidend sind. Idealtypisch stehen einander somit ein hoher Grad an horizontaler innerräumlicher Vernetzung und eine vertikale extra-räumliche Integration von Unternehmen und somit von Warenketten ge-genüber. Eine weitere Dimension von Kapitaltransfers sind Investitions- sowie

114 Siehe dazu die Ausführungen in Appendix E. Vgl. Kaps, Aufholen, 107.

Konsumkredite. Bei inneren Peripherien kommt die Umverteilung von Steu-ergeldern durch die staatliche Fiskal- und Investitionspolitik hinzu. Alle diese Dimensionen von Geldflüssen lassen sich in der Zahlungsbilanz eines Raums kalkulieren – allerdings stößt eine solche für Galizien im langen 19. Jahrhundert auf empfindliche methodische und quellenspezifische Mängel. Zudem ist die relative Wirkung dieser Geldflüsse zu beachten, da sie die in der Region gene-rierte Wertschöpfung steigern (auch über die Schaffung von Beschäftigung).

Ebenso verbessern sie Produkte und Dienstleistungen und lassen Zinssätze sin-ken. Inwieweit Kapitaltransfers zu catching-up oder Reproduktion der bestehen-den räumlichen Divergenzen beitragen, ist zu prüfen.

• Güterketten : In einem weiteren Schritt werden exemplarisch wichtige Produk-tionssphären untersucht, die in überregionale Standortketten eingebunden wa-ren. Stärker als dem quantitativen Wachstum von Erzeugung und Produktivität wird dem up- und downgrading innerhalb der Güterketten Aufmerksamkeit geschenkt. Lässt sich die aggregierte Position, die Galiziens Ökonomie inner-halb der Standortketten einnahm, an der Handelsbilanz ablesen, so wird anhand konkreter Branchen in Landwirtschaft, Gewerbe und Industrie nachgezeichnet, wie Ausmaß und Art überregionaler Verflechtung die Produktionsprozesse be-einflussten. Im Mittelpunkt des Interesses steht die Frage, ob sich Auf- oder Abwertungsprozesse des Fertigungsgrads feststellen lassen.

• Arbeitskräfte und Migration : Neben Kapital und Boden sind Arbeitskräfte der dritte wesentliche Produktionsfaktor, dessen Mobilisierung einen roten Faden in den zeitgenössischen galizischen Diskursen im langen 19. Jahrhundert dar-stellt. Einerseits sind Löhne Produktionskosten, die zusammen mit der Leis-tung der Arbeitenden über die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und über jene eines Raumes entscheiden. Zugleich wird dadurch Binnenkaufkraft geschaffen und somit die Reproduktion von Produktion und Kapital sicher-gestellt. Peripherisierende Tendenzen bestehen hingegen dann, wenn zur Ein-kommenssicherung Arbeitskräfte von peripheren in zentrale Räume abwandern.

Können saisonale Wanderungen zusätzliche Gelder in eine Region transferie-ren, so bewirkt dauerhafte Abwanderung einen beachtlichen Kompetenzabfluss.

Dieser wirkt sich besonders dann stark aus, wenn die Peripherie die Kosten für Reproduktion und Ausbildung übernimmt, während die Unternehmen der Zentren von niedrigen Löhnen und kostenloser Qualifikation profitieren. Um-gekehrt verdienen die Erwerbsmigranten aus der Peripherie im Zentrum mehr und senden einen Teil ihres Verdiensts in die Peripherie zurück.

• Technologietransfer : Verstanden im weitesten Sinn besteht Technologie in ei-ner stetigen Weiterentwicklung von Produktions- und Transportmethoden, was in Summe eine Effizienzsteigerung der Produktions- und Austauschprozesse

bewirkt. Innovationen finden dabei vorwiegend in den Zentren statt, die über die dafür notwendigen institutionellen, bildungs- und forschungspolitischen Bedingungen verfügen. Ein Technologietransfer in die Peripherien ist mit Kos-ten verbunden, zudem kann der Zugang beschränkt sein (beispielsweise durch Verbote zwischen Staaten, die den Austausch von Information und Kenntnissen unterbanden, zumindest aber behinderten). Oft bedeutete Technologietransfer auch die Wanderung von entsprechend qualifizierten Fachkräften, die neue Er-rungenschaften einrichteten, betreuten und das Personal schulten.

• Entwicklungskonzepte und staatliche Regulierung : Die der überregionalen Arbeitsteilung zugrunde liegenden Verflechtungs- und Interaktionsprozesse fanden auf der Grundlage eines politisch-rechtlichen Rahmenwerks statt, das die Austauschsphären der überregional integrierten Ökonomie verschieden-artig regulierte. Hierbei waren innerstaatliche Maßnahmen ebenso wie inter-nationale Abkommen von Bedeutung, die Art und Verflechtungsdichte bei Warenaustausch, Kapitaltransfers und Migrationsströmen beeinflussten. Diese jeweiligen Regulierungen folgten divergierenden Interessen verschiedener ge-sellschaftlicher Gruppen und unternehmerischer Akteure, die der Staat mit ma-kroökonomischen Entwicklungszielen in Einklang zu bringen versuchte. Die unterschiedlichen staatlichen Regulierungsversuche werden hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf Galiziens Position in der überregionalen Arbeitsteilung be-leuchtet. Von besonderem Interesse sind die Zoll-, Handels- und Fiskalpolitik, aber auch die Agrar- und Gewerbepolitik werden betrachtet. Zugleich wird der Einfluss der divergenten sozioökonomischen Interessen innerhalb Galiziens als auch im Verhältnis zu anderen Regionen auf die jeweiligen Regulationsmecha-nismen herausgearbeitet.

Galiziens ökonomische Entwicklung wird entsprechend dieser Untersuchungsebe-nen sowohl chronologisch als auch mittels Querschnitten in den Blick genommen.

Anhand von wechselweise eingenommenen synchronen und diachronen Perspek-tiven sollen die Veränderungen und Kontinuitäten Galiziens in der überregionalen Arbeitsteilung dies- und jenseits der Staatsgrenzen herausgearbeitet werden.

Eingerahmt wird die Analyse von zwei unterschiedlichen Betrachtungen im Sinn von Fernand Braudels longue durée, d. h. über den Zeitraum von 1772 bis 1914, der sich als „langes 19. Jahrhundert“ bezeichnen lässt. In Teil A werden die Strukturen von Galiziens Entwicklung im Längsschnitt beleuchtet : Anhand von makroökonomischen Kennzahlen werden Galiziens Einkommensniveau sowie der Rhythmus seiner Produktionssphären im Verhältnis zu den anderen Regionen der Habsburgermonarchie als auch in einen darüber hinausgehenden zentraleuropäi-schen Kontext eingeordnet. Darauf aufbauend werden langfristige Entwicklungen

der Produktions- und Austauschsphären herausgearbeitet. Hierin wird jener zeit-liche Raster ersichtlich, der dem chronologisch orientierten Teil B zugrunde liegt.

Dieser fokussiert in drei Phasen Akteure, Institutionen und ökonomische Diskurse der im Zusammenhang mit sich wandelnden Rolle Galiziens in der überregiona-len Arbeitsteilung. Dabei gilt diese chronologische Gliederung als Orientierungs-schema, das Wandel und Brüche strukturiert.

Von der beginnenden Primärperipherisierung Galiziens (1772–1830), über die krisenhafte Mittelphase (1830–1873) bis hin zu der modernen Rohstoff- und Ag-rarperipherie (1873–1914) wird die ökonomische Entwicklung bis in die Mikro-strukturen hinein verfolgt. Damit wird die strukturalistische Perspektive des ersten Teils mit der Ebene von Akteuren und Institutionen als Gestaltenden der überre-gionalen Arbeitsteilung zusammengeführt. Zugleich wird die Auswirkung wirt-schaftspolitischer Entwicklungsstrategien analysiert und der Zusammenhang von Raumkonzepten und kulturellen bzw. nationalen Identitäten beleuchtet. Ökono-mische Prozesse treten somit als mit politischen Entscheidungen, institutionellen Regelungen, sozialen Interessen und kulturellen Identitäten eng verflochtene Phä-nomene in Erscheinung. Dadurch werden die Ursachen für Galiziens sozioökono-mische Ungleichgewichte präzisiert und zudem die Aufmerksamkeit auf weitere Felder gelenkt – wie die Ethnisierung sozioökonomischer Verhältnisse oder die gegenseitigen Bedingungen der Interessen von Führungsschichten sowohl in Peri-pherie als auch den Zentralräumen.

Beim Nachzeichnen dieser unterschiedlichen, vielschichtigen Prozesse ergän-zen einander quantitative und qualitative Methoden115 wechselseitig, werden mit- und gegeneinander gelesen. Diskursanalytische und statistische Methoden stehen folglich nicht nebeneinander, sondern in einem kritischen, miteinander verwobe-nen Dialog. Weder werden Daten und die von den in dieser Arbeit verwendeten Berechnungen als an sich objektiv gültige Aussagen noch als bloße Konstrukte betrachtet. Durch Quellenkritik quantitativer und qualitativer Art werden die Be-deutungs- und Aussagefelder von Statistiken, Tabellen und Diagrammen ausge-lotet. An erster Stelle steht hierbei die Berücksichtigung der Entstehungsweise zeitgenössischer Statistiken und des ihnen zugrunde liegenden Zahlenmaterials.

Im Blick bleiben dabei die Verknüpfungen von Narrativen und daraus folgende Denk- und Handlungsmuster.

Abschließend sei noch auf die Frage der Terminologie verwiesen. Grundsätzlich werden Ortsnamen in Deutsch nach dem damals gültigen amtssprachlichen Stan-dard geschrieben – was die Machtverhältnisse von Galizien als ein von

Deutsch-115 Zu den diskursanalytischen Methoden siehe : Cabrera, Historia. Sarasin, Geschichtswissenschaft.

Zu statistischen Herangehensweisen und ihren Einschränkungen siehe : Hudson, History.

sprachigen (und in geringerem Grad von Polen) beherrschtem Territorium wider-spiegelt. Dies bedeutet die Übernahme der meisten Namen aus dem Polnischen, mit Ausnahme einiger Städte (Jaroslau/Jarosław, Krakau, Lemberg, Stanislau/

Stanisławów/Stanyslaviv). Anderssprachige Bezeichnungen werden bei der ersten Nennung erwähnt. Gleiches gilt für topografische Bezeichnungen. Personennamen werden hingegen in der Originalsprache belassen, bei unterschiedlichen Versionen wird die gemeinhin übliche Form verwendet, die Alternativen in Klammer bei der ersten Erwähnung hinzugefügt.