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Von Marginalität zu „Peripheralität“ : Die Produktivität des

3. Produktionssphären

3.1 Landwirtschaft

3.1.2 Von Marginalität zu „Peripheralität“ : Die Produktivität des

Landwirtschaft beeinträchtigte, lässt sich an der Produktivitätsentwicklung fest-stellen. Da die unsichere Datenlage über die Beschäftigten in der Landwirtschaft

21 Berger, Landwirtschaft in Galizien, 54, 125. Turnock, Economy of East Central Europe, 53.

22 Buszko, Wandel, 16, 27. Kieniewicz, Emancipation, 211. Rychlikowa, Arystokracja Galicji, 165–167, 174f. Dies., Studia nad ziemiaństwem, 557. Doppler, Die sozioökonomischen Verhältnisse, 47f.

23 Berger, Landwirtschaft in Galizien, 48–53, 101f., 111. Turnock, Economy of East Central Eu-rope, 61. Rudolph, East European Peasant Household, 377, 379–381. Burszta, Stosunki agrarne, 71. Koval’čak, Ekonomične stanovyšče, 77. Olesnevyč, Economične stanovyšče hirs’koho cil’s’koho nacelennja, , 141f., 145.

24 Ebenda, 147. Kravec, Masovi robitnyči vystupy, 114. Kulczykowski, „Deindustrializacja“, 81f. Buszko, Wandel, 9f. Hryniuk, Peasants with Promise, 139, 205. Rudolph, East European Peasant Household, 377–379.

eine Berechnung der Arbeitsproduktivität nach dem Muster František Loms für Böhmen,25 Scott Eddies für Ungarn26 oder Irena Kostrowickas für das Königreich Polen27 nicht zulässt,28 wird eine Einschätzung anhand eines regionalen Vergleichs der Flächenproduktivität für Getreide zwischen 1789 und 1913 unternommen (Abbildung 3-1).

Abbildung 3-1 : Hektarerträge von Getreide in zentraleuropäischen Regionen (1785/89 – 1904/13), Mittelwerte in 100 kg

0 10 20 30

1785/89 1830/50 1869/75 1876/85 1886/95 1895/04 1904/13 Niederösterreich Oberösterreich Steiermark

Tirol Böhmen Mähren

Bukowina Krain Dalmatien

Ungarn Großpolen Preußisch Schlesien

Königreich Polen Cisleithanien Galizien

Quellen : Sandgruber, Agrarstatistik, 177. Daten für Ungarn (1909/13) nach Eddie, Agricultural Pro-duction, 213. Die Daten für die polnischen Teilungsgebiete beziehen sich auf die Jahre 1884/88 und 1909/13 und wurden errechnet nach : Wiarowski, W czasie zaborów, 154.

Laut dem Josefinischen Kataster 1785–178729 verfügte Galizien zusammen mit Mähren über die zweithöchsten Getreidehektarerträge des späteren Cisleithanien und lag über dem Durchschnitt der westlichen Reichshälfte. Diese günstige Po-sition der galizischen Landwirtschaft konnte nicht gehalten werden – die Flä-chenproduktivität sank kontinuierlich bis in die späten 1860er Jahre und übertraf erst nach 1900 wieder den Wert des späten 18. Jahrhunderts. Ein analoger Trend ergab sich auch bei Mais und Zuckerrüben, auch wenn hier Daten erst für 1841 sowie laut dem zwischen 1830 und 1850 erstellten Franziszeischen Kataster vor-liegen. Hingegen nahmen die Flächenerträge der ertragreicheren Kartoffel in

die-25 Lom, Arbeitsproduktivität.

26 Eddie, Agricultural Production.

27 Kostrowicka, Changes.

28 Franaszek, Produkcja roślinna, 113, 130f.

29 Rozdolski, Agrar- und Steuerreform, 41. Falniowska-Gradowska/Leśniak, Struktura własności. Die Erhebungen des Josefinischen Katasters erfolgten in den Jahren 1785–1787, in der Literatur wird aber oft das Datum des Inkrafttretens des Katasters 1789 bzw. auch der Zeitraum 1785–1789 genannt.

sem Zeitraum zu.30 Die Hektarerträge von Getreide für das späte 18. Jahrhundert gelten als glaubwürdig,31 allerdings verdecken die Durchschnittswerte nicht nur die Diskrepanzen innerhalb der Region, sondern auch zwischen den verschiedenen Getreidesorten.32

Der Befund fallender Hektarerträge des galizischen Ackerbaus zwischen dem späten 18. Jahrhundert und den späten 1860er Jahren wird durch weitere Belege ge-stärkt. So kam es mit der Ausdehnung der Getreideanbauflächen vor allem zu einer extensiven Erweiterung der Grundnahrungsmittelerzeugung (über eine Reduktion der brachliegenden Flächen oder der Bebauung bisher ungenutzten Bodens). Insbe-sondere im frühen 19. Jahrhundert wurden marginale Gründe mit geringer Frucht-barkeit erschlossen, wodurch die durchschnittlichen Hektarerträge zurückgingen : Da sich in Galizien fruchtbarer Boden vorwiegend auf Podolien beschränkte und die Gutsbesitzer die extensive Erweiterung der Getreideproduktion für die Schnapsher-stellung forcierten, verschlechterte sich die Bodenqualität mittel- und langfristig.33

Dies lag auch daran, dass der Viehbestand und damit der potenziell vorhandene natürliche Dünger nur langsam wuchsen. Noch gravierender wirkte sich jedoch die geringe Verbreitung der natürlichen Düngung unter den galizischen Bauern aus.34 Während sich in den böhmischen und österreichischen Ländern intensive Be-wirtschaftungsformen etablierten, wurde in Galizien „ein der Dreifelderwirtschaft zwar angenähertes, aber viel willkürlicheres Fruchtfolgesystem“35 praktiziert : Es wurden jene Früchte angebaut, für die genug Samen zur Verfügung stand – was auf Mangelwirtschaft und schlechtes Saatgut hinweist. Der sich in der ersten Jahr-hunderthälfte bis zur Kartoffelfäule 1844/47 ausweitende Kartoffelanbau fungierte folglich als wesentliche Nahrungsquelle der Bevölkerung (Abbildung 3-2).36

Erst im letzten Drittel des Jahrhunderts stiegen die Hektarerträge der galizi-schen Landwirtschaft erneut, allerdings war die Zunahme bis zur

Jahrhundert-30 Sandgruber, Agrarstatistik, 179–181.

31 Dem Josefinischen Kataster wird in der Forschung große Glaubwürdigkeit zugeschrieben : Fierich, Kultury rolnicze, 27. Rozdolski, Stosunki poddańcze, Bd. 2, 298. Sandgruber, Agrarstatistik, 30f.

Wydro, Kataster gruntowy, 150–152. Meine Schätzungen für die Jahre 1772 und 1774 ergaben den Katasterdaten ähnliche Werte. Kaps, Produktywność, 287–289.

32 Siehe zu den verschiedenen Erträgen für die einzelnen Getreidesorten sowie der verschiedenen Subregionen Galiziens : Fierich, Kultury rolnicze, 46–55. Die Beschreibung der Bodenfläche der einzelnen galizischen Kreise laut der Konskription von 1782 : L’vivs’ka Nacional’na Naukova Biblio-teka im. V. Stefanyka, Viddil rukopysiv, f. Čolovski 141, rkps. 2351.

33 Sandgruber, Agrarstatistik, 61, 63. Fierich, Kultury rolnicze, 33.

34 Kieniewicz, Emancipation, 113. Wiarowski, W czasie zaborów, 110. Für die Zahlen des in Galizien gehaltenen Viehs siehe : Sandgruber, Agrarstatistik, 197–211, 215–217.

35 Sandgruber, Agrarstatistik, 16, 39.

36 Ebenda, 46. Wiarowski, W czasie zaborów, 132.

wende bescheiden : Zwischen 1885 und 1904 wuchs der Abstand zum Durch-schnitt Cisleithaniens sogar weiter und konnte erst im letzten Vorkriegsjahrzehnt leicht abgebaut werden (Abbildung 3-1). Zugleich vergrößerte sich die Diskrepanz Galiziens nicht nur zu den böhmischen Ländern, sondern auch zum preußischen Teilungsgebiet. Auch zu Ungarn, das ab dem späten 19. Jahrhundert starke Pro-duktivitätszuwächse verzeichnete, war der Abstand beachtlich. Nur die Erträge des Königreichs Polen, Kärntens, Tirols und der Steiermark lagen in Reichweite.

Die Erträge von Mais, Zuckerrüben und Hülsenfrüchten zeigten eine ähnliche Wachstumstendenz : Nach einer relativ günstigen Entwicklung zwischen den spä-ten 1860er und frühen 1870er Jahren kam es zu einer Stagnation bzw. einem Er-tragsrückgang im darauf folgenden Jahrzehnt aufgrund der erneuten Erschließung marginaler Böden. Zudem vergrößerte sich hier trotz deutlicher Steigerungsraten bis zum Ersten Weltkrieg der Abstand zum cisleithanischen Durchschnitt. Einzig bei der Kartoffel verzeichnete Galizien nicht nur eine stets wachsende, sondern eine auch über dem cisleithanischen Durchschnitt liegende Flächenproduktivität.37

Die um die Jahrhundertwende einsetzende Ertragssteigerung des galizischen Agrarsektors beruhte auf der graduell vorangetriebenen Intensivierung der Produk-tionsweise vor allem in kleineren und mittleren Betrieben : Die bis weit ins 19. Jahr-hundert dominante Dreifelderwirtschaft wurde zugunsten komplexerer Frucht-wechselsysteme aufgegeben, wobei die Brache stark reduziert und die Bodenqualität (beispielsweise über den ab den 1840er Jahren eingeführten Kleeanbau) nachhaltig verbessert wurde. Hierzu trugen auch die von der galizischen Landesverwaltung geförderten Meliorationen bei.38 Der Anreiz zur Mechanisierung auf den adeligen Latifundien war gering, da das Überangebot an Arbeitskräften sowie Massenemig-ration und Agrarstreiks im frühen 20. Jahrhundert die Löhne niedrig hielten.

Mit der zunehmenden Viehhaltung verbreitete sich auch die Naturaldüngung, zu der nach der Jahrhundertwende der Mineraldünger hinzukam. Galizien verzeichnete gemessen an seiner landwirtschaftlichen Nutzfläche zwischen 1903 und 1913 einen starken Verbrauchsanstieg von Mineraldünger, der sich kaum vom Ausmaß in Salzburg, Oberösterreich oder der Steiermark unterschied, aber weit niedriger lag als in Niederös-terreich, den böhmischen Ländern und Großpolen. Ebenso erhöhte der Einsatz besserer Geräte – Pflüge und Eggen aus Metall anstelle von Holz – die Ertragsleistung.39

37 Analyse auf Grundlage der Daten von Sandgruber, Agrarstatistik, 177–181. Zu den marginalen Böden : Hauser, Entwicklung, 52–54. Die Feststellung von Hauser (Ebenda, 53), wonach die Hekt-arerträge nach der Jahrhundertwende sanken, wird durch die Daten nicht gedeckt.

38 Hryniuk, Peasants with Promise, 115. Landau/Tomaszewski, Wirtschaftsgeschichte Polens, 82f.

Sandgruber, Agrarstatistik, 42. Good, Aufstieg, 69.

39 Ebenda, 225. Berger, Landwirtschaft in Galizien, 73–75. Franaszek, Produkcja roślinna, 118f.