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4. Austauschsphären

4.3 Migration

Die durch Erwerbsmigration erfolgende überregionale Verflechtung der Arbeits-märkte steht mit anderen Integrationsprozessen – insbesondere Kapitalströmen, weniger dem Warenhandel – in engem Zusammenhang.214 Die Position eines Raums in der überregionalen Arbeitsteilung, wie sie in den interregional und in-ternational unterschiedlichen Lohnniveaus zum Ausdruck kommt, beeinflusst Richtung und Ausmaß der Wanderbwegung von Arbeitskräften : In peripheren Gebieten ist ein Teil der Bevölkerung aufgrund fehlender Subsistenzmittel vor Ort gezwungen, saisonal oder dauerhaft seinen Lebens- und Arbeitsmittelpunkt in an-dere Räume zu verlegen.215 Die Zirkulation von Menschen im Raum wird von den rechtlichen Bestimmungen im Wechselspiel mit dem sozioökonomischen Wandel geprägt, wobei zwischen Binnen- und Auslandsmigration zu unterscheiden ist.

Laut dem von Andrea Komlosy für die Binnenwanderung in der Habsburger-monarchie entworfenen Periodisierungsschema erfolgte die Mobilisierung der Arbeitskräfte zwischen 1750 und 1815 vorwiegend innerhalb der Region, als im Zuge der Protoindustrialisierung Zusatzeinkommen zur Landwirtschaft gesucht wurden. Die zeitlich und räumlich beschränkte Wanderung der Untertanen wurde durch die Ausweitung ihrer Bewegungsfreiheit gegenüber den Grundherrschaften rechtlich gefördert, die Emigration hingegen behindert. Mit dem Einsetzen der Industrialisierung und infrastrukturellen Vernetzung von Räumen kam es zwi-schen 1815 und 1873 zu einer Rotationswanderung aus peripheren und ländlichen Gebieten in die urbanen Industrieagglomerationen, was durch den Wegfall der Grundherrschaften und deren Ersatz durch Kreis- bzw. Bezirkshauptmannschaf-ten gefördert wurde. Dieses Muster wandelte sich mit der InBezirkshauptmannschaf-tensivierung der über-regionalen Arbeitsteilung zwischen 1873 und 1914 zu einem dauerhaften Abwan-derungsprozess aus peripheren und ländlichen Räumen in die Industriezentren.

Dies wurde durch die Aufhebung der Binnenpässe und die Festschreibung der freien Wahl des Aufenthaltsortes auch rechtlich erleichtert.216

Galiziens Einbindung in die überregionalen Migrationsströme folgte relativ ge-nau dieser zeitlich-räumlichen Charakterisierung, allerdings muss die internationale Dimension berücksichtigt werden. Im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert waren Ab- und Zuwanderung aus und nach Galizien insgesamt von geringer Bedeutung, während saisonale Erwerbsmigration vorwiegend aus den Gebirgsgegenden, wo die Bevölkerung infolge fehlender Gutswirtschaften keine Robot leisten musste, nach

214 O’Rourke/Williamson, Globalization, 132, 257, 265.

215 Ebenda, 124. Komlosy, Grenze, 159.

216 Ebenda, 387–390.

Oberungarn erfolgten. Aber auch das Königreich Polen war zu Erntezeiten Zielge-biet saisonaler Wanderungsbewegungen. In beiden Fällen waren die Kontinuitäten zum Migrationsmuster vor 1772 relativ groß. Aus den ostgalizischen Gebirgsgegen-den erfolgte saisonale Erwerbsmigration in die Moldau und die Bukowina.217

Laut den Konskriptionstabellen überstieg die Anzahl der Zugewanderten die nicht in Galizien anwesenden Personen zumeist, wobei der Anteil beider Gruppen an der Gesamtbevölkerung bei zwei Zehntel Prozent lag.218 Spielten folglich bei der saisonalen Erwerbswanderung nur die angrenzenden Regionen der Habsburger-monarchie eine beschränkte und die ökonomischen Zentralräume gar keine Rolle, so fanden in Zusammenhang mit der politischen Inkorporation Galiziens in die Habsburgermonarchie wesentlich umfangreichere Wanderungsbewegungen statt : Neben der Fluchtbewegungen untertäniger Bauern vor ihren Grundherren sind die wechselnden Ab- und Zuwanderungen von MagnatInnen zu nennen. Weiters zog neues Verwaltungspersonal, zumeist aus den böhmischen Ländern, zu.219 Die quan-titativ und ökonomisch größte Bedeutung bei der Einwanderung nahm die von der Regierung geförderte Ansiedlung von KolonistInnen aus dem Deutschen Reich und den böhmischen Ländern ein, im Zuge derer sich zwischen 1780 und 1790 13.000 bis 18.000 Personen in Galizien niederließen. Dieser Bevölkerungszuwachs, der vom Staat und den Einwandernden selbst finanziert wurde, brachte der Region einen Zuwachs an Know-how und neue Technologien in Ackerbau und Gewerbe.220

Die weitere Entwicklung der Binnenwanderung lässt sich anhand der offiziel-len Statistiken221 bis zur Volkszählung von 1857 nicht nachvollziehen, da nur die mit einer offiziellen Auswanderungserlaubnis ins Ausland abgewanderten Perso-nen erfasst wurden. Die für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg vorliegenden und aufgrund der Quellenprobleme222 voneinander leicht abweichenden Schätzungen und Berechnungen legen jedenfalls nahe, dass Galizien erst in den 1880er Jahren insgesamt zu einer Abwanderungsregion wurde (Abbil-dung 1-17). Diese Entwicklung setzte zu Mitte der 1870er Jahre in den von der Deindustrialisierung zuerst betroffenen Bezirken ein und verstärkte sich kontinu-ierlich in den folgenden Jahrzehnten in enger Verzahnung mit den fortschreitenden Peripherisierungstendenzen, um im frühen 20. Jahrhundert ihren Höhepunkt zu

217 Bujak, Rozwój gospodarczy, 358. Kula, Szkice, Bd. 2, 164.

218 Eigene Berechnung nach : HHStA, Nachlass Zinzendorf, Handschrift Band 30b, 490f.

219 Rozdolski, Stosunki poddańcze, Bd. 2, 48. Augustynowicz, Lebenswelten, Topographien und Funktionen, 94. Glassl, Einrichtungswerk, 106, 161. Grodziski, Uwagi o elicie, 151, 153f.

220 Rutkowski, Historia gospodarcza, 286f. Brawer, Galizien wie es an Österreich kam, 56, 61. Glassl, Einrichtungswerk, 223f., 232, 235. Mark, Galizien unter österreichischer Herrschaft, 59.

221 Tafeln für Statistik 1828–1857.

222 Pilch, Migrations, 78, 80.

erreichen.223 Zu beachten ist, dass die in der Abbildung niedrigere Zahl für 1911–13 keineswegs einen Rückgang der Auswanderung signalisiert, da sie nur drei Jahre erfasst. Im jährlichen Durchschnitt kam es zu einer deutlichen Steigerung (von 32.017 Personen 1891/1900 über 48.093 1901/10 auf 54.141 Personen 1911/13).

Nach der Jahrhundertwende wies Galizien die größte Abwanderung unter den cisleithanischen Regionen auf.224 Insgesamt verließen nach den unterschiedlichen Berechnungen zwischen 856.000 und 1,04 Millionen Menschen das nordöstliche habsburgische Kronland in den letzten drei Vorkriegsjahrzehnten, was zwischen 10,7 und 13 Prozent des Bevölkerungsstands des Jahres 1910 ausmachte.225

Abbildung 4-17 : Nettowanderungsbilanz Galiziens 1857–1913 nach verschiedenen Angaben

Anmerkung : negativer Wert = Nettozuwanderung ; positiver Wert = Nettoabwanderung.

Quelle : Bolognese-Leuchtenmüller, Bevölkerungsentwicklung, 138. Pilch, Migrations, 93. Zamorski, Ludność, 180–182. Struve, Bauern und Nation, 315.

Die Angaben über den Anteil der Binnen- im Vergleich zur Außenabwanderung schwanken zwar zum Teil stark – zwischen 26 Prozent laut Landau und

Tomaszew-223 Ebenda, 84.

224 Komlosy, Grenze, 176.

225 Eigene Berechnung nach : Appendix A. Abbildung 4–17.

-200 -100 0 100 200 300 400 500 600

1857-1869 1870-1880 1881-1890 1891-1900 1901-1910 1911-1913

Bevölkerungszahl in Tausend

Pilch, Bolognese-Leuchtenmüller Zamorski Murdzek

ski und 86 Prozent laut Zamorski im Jahrzehnt 1881/90 –, allerdings nahm die Rolle der cisleithanischen Kronländer als Zielgebiete für galizische MigrantInnen laut allen Daten zwischen 1891 und 1900 stark ab und blieb trotz einer erneuten Steige-rung nach der Jahrhundertwende niedrig (1891/1900 : 27,1 Prozent ; 1900/10 : 38,1 Prozent).226 Die galizische Erwerbsmigration innerhalb Cisleithaniens wurde durch die Grundentlastung wesentlich erleichtert und erhielt durch den Eisenbahnbau der 1850er/60er Jahre sowie die Ausweisung preußischer StaatsbürgerInnen nach der Niederlage von Königgrätz 1866 starke Impulse. Im Zuge der intensivierten Industrialisierungsprozesse in den Zentren und der fortschreitenden Deindustri-alisierung in der galizischen Peripherie erreichte die Binnenerwerbsauswanderung ebenso wie die Gesamtemigration ab den 1890er Jahren ihren Höhepunkt.227

Mit dieser quantitativen Steigerung ging eine Verschiebung des räumlichen Musters der Binnenmigration einher : So blieb zwar die Bukowina aufgrund ihrer räumlichen Nähe bis ins frühe 20. Jahrhundert eines der wichtigsten Zielgebiete der galizischen MigrantInnen, wurde allerdings um die Jahrhundertwende von Niederösterreich und Schlesien überholt. Auch nach Mähren wanderten zehntau-sende Personen aus Galizien, während ansonsten nur Böhmen noch eine marginale Bedeutung für die galizische Erwerbswanderung hatte.228

Umgekehrt war Galizien als Herkunftsort für MigrantInnen neben der Buko-wina (91–95 Prozent) vor allem für Schlesien relevant, wo um 1900 mehr als die Hälfte aller nicht im Kronland ansässigen Personen aus Galizien stammte, wäh-rend es 1869 noch 20 Prozent gewesen waren. Auch in Mähren stieg der Anteil galizischer ZuwanderInnen rasant – von 3,53 Prozent (1869) auf 15,4 Prozent um die Jahrhundertwende. Ebenso traten galizische MigrantInnen verstärkt in Böh-men, Niederösterreich und Wien in Erscheinung, blieben allerdings bis um 1900 unter 10 Prozent. Zu berücksichtigen ist das statistisch nur 1857 erfasste Ungarn, das als Zielgebiet für Galizien (39,99 Prozent) noch vor der Bukowina die bedeu-tendste Rolle spielte, was sich auch in der Gegenrichtung mit einem Anteil von 20 Prozent aller ZuwanderInnen bemerkbar machte. Ungarn blieb bis ins frühe 20.

Jahrhundert ein wichtiges Zielgebiet der galizischen Arbeitsmigration.229

Im räumlichen Migrationsmuster innerhalb Österreich-Ungarns fungierte Ga-lizien somit nicht nur als Arbeitskräftereservoir für die böhmischen und

niederös-226 Eigene Berechnung nach : Landau/Tomaszewski, Wirtschaftsgeschichte Polens, 35. Zamorski, Transformacja demograficzna, 135f. Bolognese-Leuchtenmüller, Bevölkerungsentwicklung und Berufsstruktur, 138. Pilch, Migrations, 84, 97.

227 Ebenda.

228 Rudolph, Economic Revolution, 173f. Tokarski, Ethnic conflict, 190. Pilch, Migrations, 97.

229 Daten nach Ebenda, 96. Komlosy, Grenze, 453–458.

terreichischen Industriezentren, sondern auch für das semiperiphere Ungarn und die periphere Bukowina. Letzterer Fall war eine Reaktion auf die fortschreitende Teilung von Kleinparzellen, die Personen im galizischen Grenzgebiet in die Bu-kowina auswandern ließ. Die Bedeutung der mährischen und schlesischen Ar-beitsmärkte für galizische Migranten ergab sich aus dem Arbeitskräftebedarf der Metallindustrie und der Kohleförderung in Mährisch-Ostrau/Ostrava : Wanderten 1869 zwei Drittel der galizischen MigrantInnen in den Bezirk Bielitz/Bielsko ein, so wandte sich die Mehrheit (60 Prozent) 1890 und 1900 nach dem westlichen Te-schener Bezirk. Zur gleichen Zeit konzentrierten sich 73 Prozent der aus Galizien nach Mähren neu zuwandernden Personen im nordöstlichen Gebiet von Ostrau.

1901 stellten dort in Galizien geborene ArbeiterInnen 32 Prozent der Bergbau- und 39 Prozent der Kokereibetriebsbelegschaft.230

Neben der saisonalen Erwerbswanderung innerhalb Cisleithaniens wurde ab den 1880er Jahren auch das Deutsche Reich zu einem Zielgebiet galizischer Sai-sonarbeiterInnen. War das Ausmaß zunächst bescheiden und unregelmäßig, so nahm die Auswanderung nach 1890 deutlich zu und überstieg 1912 die Zahl der in die USA gehenden ErwerbsmigrantInnen mehrfach. Innerhalb Europas waren auch Dänemark, Frankreich, Schweden, die Schweiz, Belgien, Holland, Rumänien und das Russländische Reich Zielgebiete galizischer MigrantInnen, spielten aber quantitativ nur eine geringe Rolle.231 Von großer Bedeutung war hingegen die sai-sonale und dauerhafte Wanderung in die USA und Kanada, wohin zwischen 1896 und 1910 579.000 Personen gingen. Hingegen spielten Brasilien und Argentinien eine untergeordnete Rolle.232

Die Partizipation an Mobilität und Migration erfasste die Gesellschaft sozial geschichtet und in kultureller Hinsicht in unterschiedlichem Ausmaß : Die gali-zischen Juden emigrierten in einem weitaus stärkeren Ausmaß als Ruthenen und Polen, woran sich trotz einer starken Steigerung insbesondere der ruthenischen MigrantInnen im frühen 20. Jahrhundert nichts änderte. Abgesehen vom Einfluss des Antisemitismus auf die unterschiedlichen Mobilitätsraten manifestieren sich hierin die verschiedene soziale Gliederung der ethnisch-kulturellen Gruppen und ihre unterschiedliche Erfassung von Peripherisierungsprozessen.233

230 Ebenda, 97. Doppler, Die sozioökonomischen Verhältnisse, 103. Turnock, Economy of East Cen-tral Europe, 92, 162.

231 Doppler, Die sozioökonomischen Verhältnisse, 90. Landau/Tomaszewski, Wirtschaftsgeschichte Polens, 35. Wiarowski, W czasie zaborów, 165.

232 Ebenda, 166. Landau/Tomaszewski, Wirtschaftsgeschichte Polens, 35. Doppler, Die sozioökono-mischen Verhältnisse, 95f. Vgl. mit deutlich höheren Zahlen : Kappeler, Geschichte der Ukraine, 233 Tokarski, Ethnic conflict, 50f.147.

Zwar wanderten alle drei kulturell-ethnischen Gruppen in ähnliche Zielländer aus, allerdings sind verschiedene Schwerpunktsetzungen erkennbar : Während sich RuthenInnen besonders stark nach Kanada und Südamerika orientierten, waren Wien und die böhmischen Länder für die galizisch-jüdische Bevölkerung attraktiv, auch wenn die USA insgesamt die meisten jüdischen MigrantInnen anzogen. Da-neben spielten auch innereuropäische Zentren wie Paris und London eine Rolle.

Die polnischen Auswandernden wandten sich hingegen vorwiegend den USA und dem Deutschen Reich zu.234 Deutlich wird hier, dass Galiziens Arbeitsmarkt – entgegen der Behauptung Alexander Gerschenkrons235 – im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eng mit den böhmischen und niederösterreichischen Zentralräu-men, aber auch mit peripheren Zonen wie der Bukowina und den transleithani-schen Regionen verflochten war. Diese Integration nahm bis zum Ersten Weltkrieg kontinuierlich zu, auch wenn ab den 1880er Jahren die Erwerbsmigration nach Zielgebieten jenseits der österreichisch-ungarischen Staatsgrenzen weitaus stärker zunahm.

Galizien erscheint bei der Migration noch stärker als bei den Güter- und Kapi-talströmen als multiple Peripherie, wobei kulturell bzw. national segregierte Zent-ren auszumachen sind. Die niedrigen galizischen Löhne machten Arbeitskräfte aus der Region auf den Arbeitsmärkten innerhalb der Habsburgermonarchie, Europas und Amerikas attraktiv. Umgekehrt zogen die höheren Einkommen galizische EinwohnerInnen an, die mit dem in der Erwerbsmigration erwirtschafteten Ver-mögen ihre sozioökonomische Position zuhause über Landerwerb und eine bessere Ausbildung steigern wollten.236

In Bezug auf Galiziens Wirtschaft wirkte die Erwerbsmigration in zweifacher Weise : Einerseits stieg durch die Abwanderung von Arbeitskräften das Lohnni-veau, 237 andererseits stellten die auf den auswärtigen Arbeitsmärkten erwirtschaf-teten Ersparnisse und Rücksendungen eine direkte Geldspritze für die galizischen Haushaltseinkommen dar. Die in Kapitel 2.3.2 konstatierten, wenn auch beschei-denen Konvergenztendenzen insbesondere bei den Reallöhnen der Fabrikarbeite-rInnen innerhalb Cisleithaniens scheint auf die Emigration in die mährische und schlesische Bergwerksindustrie zurückzuführen sein. Ebenso ist die Abwanderung von HandwerkerInnen und HändlerInnen in die böhmischen Länder sowie nach Wien zu erwähnen. Ab den 1890er Jahren begannen auch in die USA verstärkt

234 Hödl, Vom Shtetl, 36. Mahler, Economic Background, 266f. Rabinbach, Migration of Galician Jews, 53f. Pilch, Migrations, 86f., 93.

235 Gerschenkron, Economic Spurt, 46.

236 Pilch, Migrations, 91. Doppler, Die sozioökonomischen Verhältnisse, 95.

237 Good, Economic Union, 72. O’Rourke/Williamson, Globalization, 152, 157–166, 170–177.

HandwerkerInnen abzuwandern, nachdem bis dahin vorwiegend LandarbeiterIn-nen, TaglöhnerInnen und DienstbotInnen bzw. die jüdischen Luftmenschen domi-niert hatten. 238 Weniger stark machte sich die Abwanderung von Arbeitskräften im Agrarsektor bemerkbar.239

Die Galizien aus der Erwerbsmigration zufließenden Nettoeinnahmen wurden nach verschiedenen Schätzungen für das frühe 20. Jahrhundert auf 120 bis 160 Millionen Kronen beziffert.240 Diese Angaben dürfen nicht mit den reinen Geld-sendungen verwechselt werden, die wesentlich niedriger lagen (16–20 Millionen im Jahr 1904 bzw. 30 Millionen im Jahr 1913).241 Diese Daten belegen die Rolle der Überseemigration als Quelle zur Subsistenzsicherung Galiziens bzw. zum Ausgleich der stark defizitären Zahlungsbilanz : So reduzierten die Remessen nach Feldsteins Daten Galiziens Zahlungsbilanzdefizit von 16,7 auf 11,8 Prozent.242 Fungierte somit die Erwerbsmigration als Kompensation für eine periphere Öko-nomie, ist festzuhalten, dass durch die Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte in Handwerk und Handel ein Kompetenzabfluss erfolgte, der auch die staatlichen Investitionen im Bildungsbereich konterkarierte, da diese dem galizischen Arbeits-markt nur indirekt zugute kamen, während die Zentralräume keine Ausbildungs-kosten zu tragen hatten.