• Keine Ergebnisse gefunden

Pauperisierung und Polarisierung : Soziale Schichtung und

3. Produktionssphären

3.1 Landwirtschaft

3.1.1 Pauperisierung und Polarisierung : Soziale Schichtung und

zur allgemeinen Wertschöpfung sowie als wichtiges Erwerbsfeld die galizische Wirtschaft besonders stark. Diese agrarische Prägung erklärt sich aus der Persis-tenz jener gutswirtschaftlichen Strukturen, die sich in der polnisch-litauischen Ökonomie der Frühen Neuzeit etabliert hatten. Ersichtlich ist dies an der sozialen Schichtung der ländlichen Gesellschaft Galiziens, die seit dem späten 18. Jahrhun-dert durch ein hohes Ausmaß an sozialen Ungleichgewichten gekennzeichnet war : Einer kleinen Gruppe von zumeist adeligen Großgrundbesitzern, die den Groß-teil von Grundbesitz und Wertschöpfung kontrollierten, stand eine umfangreiche bäuerliche Unterschicht gegenüber, die ihren Lebensunterhalt durch eine Vielfalt an „marginalen Verdienstmöglichkeiten“ decken musste. Dazu zählten Klein- und Kleinstbesitzer wie Gärtler und Häusler ebenso wie landlose Personen, die als Tag-löhner und TagTag-löhnerinnen ihren Lebensunterhalt sicherten. Eine Mittelschicht fehlte weitgehend.1

Im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert lässt sich der Anteil der bäuerlichen Unterschichten in Galizien anhand der Konskriptionsdaten bestimmen : Zwischen 1782 und 1786 stellten Gärtler und Häusler demnach mehr als zwei Drittel (70–

71 Prozent) der bäuerlichen, männlich-christlichen Gesellschaft Galiziens ; in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts ging ihr Anteil sukzessive auf etwas über 50 Prozent zurück. Dieser Wert ergibt sich in etwa auch laut der Konskription von 1803 (47 Prozent).2

Diese statistischen Veränderungen ergaben sich nicht aus der administrativen Zugehörigkeit der Bukowina 1787–1791, da sich für 1803 bei Fehlen des Kreises Czernowitz ein sogar noch niedrigerer Wert für die ländlichen Unterschichten er-gibt. Vielmehr scheint sich die Zählweise der Behörden verändert zu haben : 1773 wurden nur Vollbauern in der Kategorie Bauern erhoben und somit alle Landwirte

1 Berger, Landwirtschaft in Galizien, 101f. Baltzarek, Zentralistische und föderalistische Aspekte, 63.

Hauser, Entwicklung, 47. Siehe zum Begriff der ländlichen Unterschichten und seiner Problematik : Mitterauer, Lebensformen, v.a. 316–318.

2 Eigene Berechnung auf Grundlage von : HHStA, KA, Nachlass Zinzendorf, Handschrift Band 30b, 490f., 937 und HHStA, KA, Nachlass Baldacci, Kartons 3–9. Brawer (Galizien wie es an Österreich kam, 23) beziffert den Anteil der ländlichen Unterschichten 1773 auf 84 Prozent, was jedoch über-höht ist. Vgl. Bacon, Austrian economic policy, 21.

mit kleineren Parzellen den bäuerlichen Unterschichten zugerechnet. Der Rück-gang der bäuerlichen Unterschichten ab 1787 in absoluten wie relativen Zahlen spiegelt folglich eine zunehmende Registrierung dieser Landwirte als Bauern wi-der.3 Lässt sich folglich rund die Hälfte der christlichen bäuerlichen Bevölkerung der Unterschicht zurechnen, so ergibt sich für die jüdisch-galizische Bevölkerung insgesamt laut der Konskription von 1803 ein Anteil von rund einem Fünftel : Neben Taglöhnern (10,6 Prozent) registrierten die Behörden im frühen 19. Jahr-hundert 9,2 Prozent aller jüdischen Familien Galiziens als Almosenempfänger.4

Die prekäre Lage der ländlichen Unterschichten ergab sich nicht nur aus ihrem geringen Bruttoeinkommen, vielmehr waren sie auch die von Robotleistungen und Abgaben in Naturalien und Geld am stärksten belastete bäuerliche Schicht.5 Das Ausmaß der ländlichen Unterschichten Galiziens war im zentraleuropäischen Ver-gleich zu dieser Zeit ein außerordentliches : 1785 kam mit Ausnahme von Böhmen (70,2 Prozent) keine andere westliche Region der Habsburgermonarchie in die Nähe eines so hohen Anteils der ländlichen Unterschichten wie Galizien (70,8 Prozent).6

Wird der Anteil der ländlichen Unterschichten Galiziens an der Wende zum 19. Jahrhundert mit rund der Hälfte der in der Landwirtschaft tätigen Bevölke-rung veranschlagt, treten die Unterschiede zu anderen Regionen der ehemaligen polnisch-litauischen Adelsrepublik deutlich hervor : Im Königreich Polen belief sich im Jahr 1810 der Anteil von Häuslern, Taglöhnern und Gesinde auf 25,6 Pro-zent, in Großpolen machten Häusler und Gärtler nur knapp ein Drittel der bäu-erlichen Bevölkerung (30 Prozent) aus. Nur im preußischen Schlesien waren die ländlichen Unterschichten zahlreicher, in Pommern (1798) verfügten sogar mehr als zwei Drittel der Agrarbevölkerung über keinerlei Grundbesitz.7

3 Brawer, Galizien wie es an Österreich kam, 22f. Die Größe der Grundstücke von Vollbauern un-terschied sich nicht nur zwischen, sondern auch mitunter innerhalb der einzelnen Provinzen. Laut den Konskriptionsdaten für 1803 schwankte die Größe einer Vollbauernstelle im Kreis Bochnia in Westgalizien zwischen 15–26 Joch (8,6–15 ha) im Gebirge und 15–35 Joch (8,6–20,1 ha) im Flachland. HHStA, KA, Nachlass Baldacci, Karton Nr. 4 (2. Kreis Bochnia : Num 5. Unterthans Gegenstände, o.F.). Die von Ślusarek (Drobna Szlachta, 98) angegebenen 10–19 Joch (5,8–10,9 ha) stellen daher eine zu undifferenzierte Verallgemeinerung dar.

4 Eigene Berechnungen auf Grundlage von : HHStA, KA, Nachlass Baldacci, Kartons Nr. 3–8.

5 Rosdolsky, Distribution, 262f.

6 Die Prozent-Werte der anderen Provinzen lauten in absteigender arithmetischer Reihenfolge : Ober- und Niederösterreich 63, Mähren und Österreichisch-Schlesien 61,2, Steiermark 60,2, Kärn ten 50,5, Krain und Görz-Gradisca 34,5. Eigene Berechnungen nach : Dickson, Finance and Government, Bd. 1, 46. Diese Vergleichswerte machen deutlich, dass auch in einigen Erblanden andere Gruppen in die Kategorie der Häusler und Gärtler aufgenommen wurden.

7 Wiarowski, W czasie zaborów, 124f.

Diese Werte verdeutlichen, dass die ländlichen Unterschichten in Galizien im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert ein höheres Ausmaß als in anderen zent-ral- und ostmitteleuropäischen Regionen erreichten. Die staatlichen Agrarrefor-men der 1780er Jahre bremsten einen weiteren Anstieg der Unterschichten, indem sie die rechtliche Position der Untertanen stärkten. Die gesetzlichen Regelungen hatten für die ländlichen Unterschichten besondere Bedeutung. Insbesondere die zwischen 1785 und 1787 erlassenen und mehrfach erneuerten Gesetze, wonach die Grundherren bäuerliches Land (die sogenannten Rustikalgründe) weder tei-len noch gegen herrschaftliche Parzeltei-len (Dominikalgründe) austauschen durften, sollten einer weiteren Besitzzersplitterung unter Häuslern und Gärtlern entgegen-wirken. Bereits zuvor war dem Adel untersagt worden, die Untertanen von ihren Gründen zu vertreiben.8

Die Gesetzgebung bewirkte trotz Missachtungen, dass die Zahl der Wirtschaf-ten bis 1820 langsamer wuchs als die Bevölkerung : Die durchschnittliche Parzel-lengröße nahm von 6,6 auf 6,8 Hektar leicht zu. Zu einer Besitzzersplitterung kam es dennoch – allerdings stieg die Zahl der Häuslergründe von bis zu 4 Joch (6,9 ha) vorwiegend auf Kosten des niederen Adels. Die Tendenz der Besitzzersplitte-rung ist auch innerhalb der adeligen Liegenschaften auszumachen : Die Zahl der Dominien verdoppelte sich zwischen 1789 und 1820, am stärksten war der Anstieg zwischen 1808 und 1817 – auch hier verschob sich das Gewicht von den Gütern über 100 Morgen (173,8 ha) zu kleineren Besitztümern.9

Die josefinische Agrarpolitik, die in diesen Belangen auch nach 1793 bei-behalten wurde, bewirkte folglich eine Konsolidierung der ländlichen Unter-schichten auf Kosten größerer Liegenschaften. Dies war nicht nur deshalb eine vorübergehende Erscheinung, weil die Zahl der Dominien nach 1820 bis zur Jahrhundertmitte auf den Wert vor 1817 zurückging.10 Viel bedeutender war der Anstieg des Kleinbesitzes (unter 5 ha) nach der Grundentlastung 1848, vor allem aber mit der gesetzlichen Liberalisierung des Bodenmarktes 1868 : Hatte dessen Anteil zu Beginn der 1820er Jahre 60,8 Prozent aller landwirtschaftli-chen Parzellen Galiziens ausgemacht, so wurde 1859 die Zwei-Drittel-Marke überschritten (69 Prozent). Um die Jahrhundertwende waren 80 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe Galiziens kleiner als 5 Hektar, während die An-zahl der Wirtschaften über 10 Hektar zurückgegangen war. Dieser Befund wird

8 Rosdolsky, Untertan und Staat, 205f. Link, Emancipation, 126–128. Vnenchak, Historyczne per-spektywy, 258.

9 Rosdolsky, Untertan und Staat, 126. Ślusarek, Drobna Szlachta, 98, 102. Rychlikowa, Studia nad ziemiaństwem, 550.

10 Ebenda, 550. Vnenchak, Historyczne perspektywy, 259. Link, Emancipation, 151.

auch durch die zusätzliche Pachtung und gemeinsame Nutzung von Land durch Bauern nicht relativiert.11

Um die Jahrhundertwende stach die außerordentliche Dominanz des Kleinbe-sitzes in Galizien im Vergleich mit den meisten cisleithanischen Regionen hervor : Nur die Bukowina und Dalmatien hatten im Jahr 1902 noch einen höheren Anteil an Kleinparzellen als Galizien. Die böhmischen Länder und Tirol waren noch in statistischer Reichweite (70–73 Prozent), alle anderen Kronländer lagen deutlich darunter. Dementsprechend stärker waren dort mittlere, aber auch Großbetriebe vertreten.12 Nicht ganz so krass, aber dennoch deutlich sah der Unterschied zu den anderen polnischen Teilungsgebieten aus : 1905 waren in Großpolen 67,7 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe nicht größer als 5 ha, im Königreich Polen wa-ren es zwei Jahre später mehr als die Hälfte (57,6 Prozent).13 Zudem sank die Zahl der Kleinbetriebe in allen vom Deutschen Reich beherrschten Gebieten Polen-Litauens, während sie in Galizien stieg.14

Ein weiterer Unterschied zwischen den polnischen Teilungsgebieten war die Bodenverteilung : Zwar hielt der Kleinbesitz in Galizien ein größeres Ausmaß an Grundbesitz als in Großpolen, allerdings war hier der mittelbäuerliche Besitz deutlich schwächer ausgeprägt als in Groß- und dem Königreich Polen, während beim Großgrundbesitz große Übereinstimmungen bestanden.15 Folgerichtig

cha-11 Berger, Landwirtschaft in Galizien, 48, 51–53. Buzsko, Wandel, 17. Dinklage, Die landwirtschaft-liche Entwicklung, 422. Hryniuk, Peasants with Promise, 121f. Rudolph, East European Peasant Household, 369f., 376. Sandgruber, Agrarstatistik, 229. Die bei vielen Autoren als Vergleichsjahr he-rangezogene Erhebung von 1882 wird hier nicht berücksichtigt, da sie als fiskalische Quelle die ein-zelnen Parzellen, nicht aber die realen Eigentumsverhältnisse widerspiegelt. Vgl. die Statistiken bei Dinklage, Die landwirtschaftliche Entwicklung, 423. Baranowski (Stosunki agrarne, 72) wiederum stützt sich auf die Studie von Wincenty Styś aus dem Jahr 1934 und kommt anhand dieses Samples für 1850 und 1883 auf niedrigere Werte, die aber dem Trend der Besitzzersplitterung entsprechen.

Zur Quellenkritik des Verzeichnisses von 1882/83 siehe : Berger, Landwirtschaft in Galizien, 48.

Kool, Development, 27.

12 Sandgruber, Agrarstatistik, 229, 233. Turnock, Economy of East Central Europe, 61.

13 Landau/Tomaszewski, Wirtschaftgeschichte Polens, 84. Dieser Statistik wird gegenüber der von Jezierski/Leszczyńska (Historia gospodarcza, 168) erstellten und von Struve (Kapitalisierung der Landwirtschaft, 7) mit Korrekturen übernommenen der Vorzug gegeben, da die Besitzverhältnisse insbesondere für Galizien bei Jezierski/Leszczyńska falsch ausgewiesen sind. Vgl. dazu die Statistik für 1902 bei Osečyns’kyj, Kolonial’ne Stanovyšče, 54, die sich auf die Publikation des galizischen Landesstatistikbüros stützt und nur minimal von den Angaben bei Landau/Tomaszewski abweicht.

Gestützt wird die Richtigkeit dieser Angaben auch durch die Angaben Baranowskis (Stosunki ag-rarne, 76) über den Tabularbesitz.

14 Wiarowski, W czasie zaborów, 156–158. Auch diese Daten widersprechen jenen von Jezierski/

Leszczyńska (Historia gospodarcza, 168).

15 Landau/Tomaszewski, Wirtschaftsgeschichte Polens, 84.

rakterisierte Stefan Kieniewicz die landwirtschaftlichen Besitzverhältnisse im preußischen und russischen Teilungsgebiet als Polarisierung, während es in Gali-zien zur Pauperisierung kam : Nur einer schmalen bäuerlichen Schicht gelang der Aufstieg zu Wohlstand, die zunehmende Anzahl an Kleinproduzenten musste zur Sicherung ihres Lebensunterhalts zusätzliche Erwerbsquellen erschließen, da ein Grundstück unter 5–10 ha nicht zur Subsistenzsicherung ausreichte.16

Im Gegensatz zu Regionen wie Ober- und Niederösterreich, die von der Ren-tengrundherrschaft gekennzeichnet waren, kam es in Galizien nach der Grundent-lastung nicht zur Entstehung einer bäuerlichen Mittelschicht : Da die untertänigen Bauern in großem Ausmaß die grundherrlichen Eigenländer bewirtschafteten und die Reform von 1848 die Besitzverhältnisse nicht antastete, nahmen kleinbäuerli-che und landlose Schichten zu.17

Deren Konsolidierung verhinderten auch die umfangreichen Entschädigungs-zahlungen bzw. die zu deren Deckung aus dem Anteil der öffentlichen Hand er-höhten Landessteuern. Diese Mehrbelastungen zwangen die Landwirte zu teuren Kreditaufnahmen. Nach der Weltwirtschaftskrise von 1873 gipfelte diese Verschul-dung auf fragilem Fundament bei sinkenden Getreidepreisen in Zwangsversteige-rungen von 23.642 Bauernhöfen zwischen 1875 und 1884. Nach einer vorüberge-henden Entspannung stiegen die Auktionen bäuerlicher Gründe nach 1895 erneut stark an, sodass ihre jährliche Zahl im frühen 20. Jahrhundert den Spitzenwert von der Wende der 1870er zu den 1880er Jahren bei weitem übertraf.18

Parallel dazu kam es infolge des Bevölkerungswachstums und der Vererbungs-praxis der Realteilung zur zunehmenden Verkleinerung bäuerlicher Parzellen.

Praktiziert wurde dies bereits vor der Liberalisierung des Bodenrechts entgegen den gesetzlichen Bestimmungen, aber mit stillschweigender Akzeptanz der Behör-den.19 Diese Praxis war eine Reaktion auf die prekäre ökonomische Lage Galiziens, womit die Subsistenz aller Familienmitglieder mangels Alternativen an Erwerbs-möglichkeiten über den Grundbesitz gesichert werden sollte.20

Zwar verschob sich um die Jahrhundertwende das Schwergewicht des Grund-besitzes von herrschaftlichen Gründen (Tabularbesitz) zu von Bauern gehaltenem

16 Berger, Landwirtschaft in Galizien, 50. Buszko, Wandel, 17. Kieniewicz, Emancipation, 212–214.

Vnenchak, Historyczne perspektywy, 261. Hryniuk, Peasants with Promise, 115, 160, 206. Stauter-Halsted, Nation in the village, 58.

17 Berger, Landwirtschaft in Galizien, 113. Melville, Grundherrschaft, 302–305.

18 Buszko, Wandel, 9. Ślusarek, Uwłaszczenie, 173. Tokarski, Ethnic conflict, 106, 114f.

19 Berger, Landwirtschaft in Galizien, 45. Blum, Noble Landowners, 181. Rudolph, East European Peasant Household, 365.

20 Ebenda, 366f. Vnenchak, Historyczne perspektywy, 261f. Landau/Tomaszewski, Wirtschaftsge-schichte Polens, 82.

Boden, allerdings war der Anstieg des letzteren von 57,7 Prozent im Jahr 1874 auf 65,7 Prozent 1912 viel zu schwach, um die Landnachfrage der wachsenden Bevöl-kerung zu decken.21 Diese Besitzverschiebung erfolgte durch die Parzellierung von Liegenschaften. Zwischen 1889 und 1902 wurden 237.000 ha, danach bis 1910 weitere 607.000 ha Land parzelliert, das vor allem von kleinen und mittleren Gü-tern stammte. Bäuerliche Familien konnten sich aufgrund der in der Erwerbsmi-gration erwirtschafteten Gelder einen Großteil dieser Parzellen leisten, aber auch die Latifundien mit einer Größe ab 5.000 Hektar erwarben zusätzliches Land.

Sowohl beim Bodenbesitz als auch bei der Wertschöpfung kam es innerhalb des Großgrundbesitzes um die Jahrhundertwende somit zu einem weiteren Konzent-rationsprozess.22

Anstelle der Entstehung einer mittelständischen Landwirtschaft mit intensiven Bewirtschaftungsformen und hoher Produktivität erfüllte der Agrarsektor in Ga-lizien um die Jahrhundertwende vorwiegend eine intendierte Subsistenzfunktion, die aufgrund der zunehmenden Besitzzersplitterung nicht eingelöst werden konn-te.23 Zur Sicherung des Lebensunterhalts des kleinbäuerlichen Familienbetriebs waren vielfältige Formen außerhäuslichen Erwerbs folglich unabdingbar. Dabei zeigte sich eine besondere Abhängigkeit der ländlichen Unterschichten von der zunehmenden überregionalen Marktintegration im späten 19. Jahrhundert : Mit dem Zurückdrängen des Heimgewerbes mussten die ländlichen Unterschichten neue Nebenerwerbsquellen erschließen : Dazu zählten die schlecht entlohnte Ar-beit auf den adeligen Gütern, saisonale Beschäftigungsverhältnisse in Industrie und Bauwesen sowie in letzter Konsequenz die Erwerbsemigration.24

3.1.2 Von Marginalität zu „Peripheralität“ : Die Produktivität des Agrarsektors