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Die Auswirkung der überregionalen Verflechtung :

4. Austauschsphären

4.1 Handel : Waren- und Güterströme

4.1.4 Warenstruktur und Peripherisierung

4.1.4.1 Die Auswirkung der überregionalen Verflechtung :

Dass Galiziens Einbindung in den überregionalen Güteraustausch im hier be-trachteten Zeitraum nicht nur rasant wuchs, sondern auch einen bedeutenden Einfluss auf die Ökonomie der Region hatte, geht aus dem Anteil hervor, den der Gesamtwert des Warenexports, d.h. von Binnen- und Außenhandel gemeinsam, am Bruttosozialprodukt ausmachte. Die Zunahme der Exportquote von 6,9 auf 9,3 Prozent in den letzten beiden Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg unterstreicht die deutlich gewachsene Verflechtung von Galiziens Ökonomie im Zuge des Ei-senbahnbaus im späten 19. Jahrhundert. Die Auslandsexporte blieben dabei hinter der Bedeutung des Binnenmarkts weit zurück und nahmen auch nur marginal zu – von 2,4 Prozent (1890/92) auf 2,9 Prozent (1913).79

Damit war Galizien im letzten Vorkriegsjahr weit schwächer mit internationalen Märkten verflochten als westeuropäische Staaten (13 Prozent), Österreich-Ungarn insgesamt (zwischen 10 und 13,9 Prozent) und lag selbst unter den Außenhan-delsquoten peripherer Länder innerhalb Europas – wie Spanien, Portugal, Serbien oder Griechenland. Allein der exorbitant niedrige italienische Durchschnittswert lag in greifbarer Nähe.80 Insgesamt kam damit dem habsburgischen Binnenmarkt entscheidende Bedeutung bei der überregionalen Verflechtung von Galiziens Öko-nomie in den letzten zwei Vorkriegsjahrzehnten zu.

78 Eddie, Terms of Trade, 100.

79 Eigene Berechnung nach : Schulze, Regional income dispersion, 25. Biegleisen, Stan ekonomicz ny, 273f. Pączewski, Bilans handlowy, 385–391. Der sich nur auf das Krakauer Staatsbahngebiet bezie-hende Handelswert von 1913 wurde mittels einer Schätzmethode angepasst, sodass er eine Annähe-rung an den gesamten per Eisenbahn abgewickelten kumulativen Außenhandel Galiziens repräsen-tiert. Siehe dazu Appendix E.

80 Becker, Peripherie, 38. Grossendorfer, Österreichs Außenhandel, 629. Mosser, Habsburgerreich, 58.

O’Rourke/Williamson, Globalization, 30. Williamson, Periphery, 92f. Die Daten variieren leicht, je nach Berechnung.

Abbildung 4-8 : Galiziens Außenhandelsstruktur (1784/87–1913)

Quelle : Eigene Berechnungen auf Grundlage von : HHStA, Nachlass Zinzendorf, Bd. 118, 523–590.

ÖStA, Bankale, Nr. 2982, Merkantiltabellen M3. Biegeleisen, Stan ekonomiczny, 273f., 346–361. Rocz-nik Statystyki Przemysłu i Handlu Krajowego, Zeszyt XVII, Część II, Lwów 1895, 2–152.81

Die Zunahme des Warenaustauschs ging zugleich mit einer ungünstigen Verände-rung seiner Struktur einher (Abbildung 4-8) : So verfügte Galizien im späten 18.

Jahrhundert nicht nur über eine insgesamt relativ ausgeglichene Handelsbilanz, sondern auch über eine vorteilhafte Warenstruktur : Die Einfuhr von Rohstoffen war größer als die Ausfuhr, während umgekehrt ein bedeutend höherer Anteil an Fertigwaren exportiert als importiert wurde.82 Allerdings ist zu beachten, dass mangels ausreichender Daten die bekanntlich fehlerhaften Merkantiltabellen der böhmisch-österreichischen Zollunion von 1784 für die Berechnung herangezogen werden mussten : Da dort die Fertigwareneinfuhr Galiziens aus den Erblanden weit zu gering beziffert ist, war deren Anteil am Gesamtimport unterrepräsentiert

81 Da eine vollständige Merkantiltabelle über die Warenstruktur des galizischen Außenhandels nur für 1787 vorliegt, wurde diese durch die Merkantiltabelle der böhmisch-österreichischen Zollunion für 1784 (dem letzten Jahr vor Galiziens Inkorporation) ergänzt. Siehe ausführlich dazu : Appendix E.

82 Dies bestätigt den Befund von Herbert Hassinger, der jedoch nur die galizische Merkantiltabelle von 1787 berücksichtigt. Hassinger, Außenhandel, 92.

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1784/87 1890-92 1913 1784/87 1890-92 1913

Import Export

Rohstoffe Halbfertigwaren Fertigwaren

und das Ausmaß der Fertigwarenimporte eventuell zu niedrig ausgewiesen. Eine Hochrechnung auf Grundlage der galizischen Merkantiltabellen von 1783, die von den Behörden in diesem Fall als glaubwürdiger eingestuft wurden, verschiebt denn auch je nach Berechnungsmethode den Anteil an Fertigwareneinfuhren von zu-nächst 27,74 auf 37,6 bis 39 Prozent.83

Diese doch beachtliche Relativierung revidiert jedoch nicht die günstige Po-sition Galiziens in der überregionalen Arbeitsteilung, die durch einen Vergleich mit der Struktur des Außenhandels der gesamten Monarchie für das Jahr 1791 weiter verdeutlicht werden kann : So entsprach Galiziens Fertigwarenexportquote exakt dem Durchschnittswert der Monarchie, lag allerdings bei der Halbfertig-warenausfuhr deutlich unter und bei der Fertigwareneinfuhr über den Werten des habsburgischen Zentraleuropas. Dies verweist auf den im Vergleich schwächer aus-geprägten Gewerbesektor Galiziens.84

Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert nahm Galiziens Fertigwarenimport kontinuierlich und rasant zu – zusammen mit den Halbfertiggütern machten In-dustrieprodukte 1890/92 zwei Drittel der Einfuhr aus ; bis 1913 stieg der Anteil auf über 80 Prozent. Spiegelverkehrt dazu gingen die Fertigwarenexporte bis 1890/92 stark zurück und verschoben sich vorwiegend zu den Rohstoffen. Das Gros der Verdrängung der galizischen Gewerbeproduktion von den überregionalen Märkten inner- und außerhalb Österreich-Ungarns ereignete sich dabei parallel zur ersten Phase des Ausbaus des Eisenbahnnetzes bis Anfang der 1890er Jahre. Die weitere infrastrukturelle Verdichtung in den letzten beiden Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg trieb die Peripherisierung von Galiziens Außenhandelsstruktur weiter voran, sodass die Fertigwarenausfuhr bis 1913 auf etwas mehr als ein Zehntel sank, während die ohnehin starke Rohstoffausfuhr weiter expandierte und den Export vollkommen dominierte.85

Die Transformation der galizischen Außenhandelsstruktur zwischen dem späten 18. und dem frühen 20. Jahrhundert war nicht nur durch ein downgrading, sondern auch durch eine zunehmende Konzentration auf einige wenige Produkte gekenn-zeichnet, was mit einer gering ausgeprägten und abnehmenden Diversifizierung

83 Eigene Berechnung nach den Daten aus Abbildung 4–8 sowie HHStA, KA, Nachlass Zinzendorf, Handschrift Bd. 118, 104. Zur Schätzmethode siehe Appendix E.

84 Kaps, Aufholen, 109.

85 An anderer Stelle habe ich aufgrund einer leicht abweichenden Warenklassifizierung den Befund geäußert, der Peripherisierungsschub Galiziens hätte vorwiegend um die Jahrhundertwende statt-gefunden. Kaps, Galizisches Elend, 67. Das hier präsentierte Ergebnis erscheint aufgrund der Wa-renklassifikation konsistenter und stimmt auch mit der Chronologie zusätzlicher Befunde über die Verdrängung der Gewerbeexporte überein. Vgl. Kap.7.

Abbildung 4-9 : Warenstruktur nach Handelspartnern 1784/87

Quelle : Eigene Berechnung nach HHStA, Nachlass Zinzendorf, Bd. 118, 523–590.

ÖStA, Bankale, Nr. 2982, Merkantiltabellen M3.

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I X I I X I X I X

Erbländische Zollunion

Tirol Triest Ungarn Siebenbürgen

Rohstoffe Halbfertigwaren Fertigwaren

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Polen Brody Russland Osmanisches

Reich "Italien"

Rohstoffe Halbfertigwaren Fertigwaren

der galizischen Ökonomie einherging.86 Dies wird anhand der hohen Konzentra-tion der Ausfuhr auf einige wenige Güter deutlich. Führend waren dabei Vieh und Fleisch, die bereits 1784/87 kanpp 19 Prozent von Galiziens Gesamtexporten ausmachten, bis 1890/92 auf 26,3 Prozent (1890/92) anstiegen, um dann bis 1913 leicht auf 24,2 Prozent zurückzugehen.87 Noch dynamischer war die Zunahme bei der Holzausfuhr, die in den 1780er Jahren mit 1,4 Prozent kaum bedeutend war und kontinuierlich auf 10 Prozent (1890/92) und 18,9 Prozent (1913) anwuchs.

Das neu hinzukommende Rohöl steigerte seinen Anteil um die Jahrhundertwende von 6 auf 10 Prozent. Während Galiziens Exportbilanz zunehmend durch einige wenige Rohstoffe dominiert wurde, verschwanden Fertigwaren fast vollkommen.

Zwar konnten Metallwaren zwischen dem späten 18. und dem späten 19. Jahr-hundert ihren Anteil an den Ausfuhren von mageren 0,1 Prozent auf 3,9 Prozent steigern, allerdings sanken sie bis 1913 erneut unter ein Prozent. Noch drastischer war die Entwicklung der Textilexporte : Von beachtlichen 38,6 Prozent 1784/87 rutschte der Anteil zu Beginn der 1890er Jahre auf 4,3 Prozent, um am Vorabend des Ersten Weltkriegs vollkommen aus der Exportstatistik zu verschwinden – was die Verdrängung dieser Branche von den überregionalen Märkten eindrucksvoll belegt.88

4.1.4.2 Welches Zentrum, wessen Peripherie ?