• Keine Ergebnisse gefunden

Quellenkritik und methodische Überlegungen

4. Austauschsphären

4.1 Handel : Waren- und Güterströme

4.1.2 Quellenkritik und methodische Überlegungen

Forschungen über den überregionalen Binnenhandel der Habsburgermonarchie sind bislang stark unterrepräsentiert, sieht man von den Untersuchungen Gus-tav Otrubas und Herbert Hassingers für das späte 18. Jahrhundert sowie einigen Arbeiten über die Handelsbeziehungen zwischen Cis- und Transleithanien ab.23 Nicht zu Unrecht machte David Good dafür den Daten- und Quellenmangel ver-antwortlich, der die Schätzung der Warenströme zu einer „Herkulesaufgabe“ gera-ten lasse.24 Dessen ungeachtet liegen zumindest für Galizien auch für die Wende

20 Turnock, Economoy of East Central Europe, 38f. Matis, Österreichs Wirtschaft, 377–379.

O’Rourke/ Williamson, Globalization, 95f., 100, 117. Paygert, Podstawy, 1.

21 Good, Aufstieg, 197.

22 Otruba, Einführung, 136, 137, 140.

23 Otruba, Außenhandel Österreichs. Hassinger, Außenhandel. Eddie, Terms of Trade. Tremel, Bin-nenhandel, 389–392.

24 Good, Economic Union, 69. Ders., Aufstieg, 100f.

zum 19. Jahrhundert punktuell aufbereitete Daten über den Handel innerhalb der Habsburgermonarchie vor. Für den galizischen externen Handel insgesamt ist die Datenlage viel günstiger. Für den Zeitraum 1778 bis 1789 sind für Galizien ei-nige der von den Staatsbuchhaltungen auf Grundlage der Zollregister verfassten

„Merkantiltabellen“ erhalten geblieben. Bis zur Inkorporation Galiziens in die Zollunion spiegeln diese den vollständigen externen Warenverkehr wider, ab dem Verwaltungsjahr 1785 nur mehr jenen mit Ungarn und dem Ausland. Da auch Ga-lizien ab 1790 in die „Universal- bzw. Zentraltabellen“ integriert wurde, findet sich ab dann auch kein gesonderter Ausweis über Handelspartner und Güterströme.

Nur für einige Jahre ist neben den in den Zentraltabellen angeführten Import- und Exportwerten des galizischen Auslandshandels im Zeitraum 1791 bis 1839 auch der Umfang des Güterverkehrs mit Ungarn enthalten.25 Dabei ist zu berücksich-tigen, dass bis zur Erstellung der Zentraltabellen unterschiedliche Güterklassifi-zierungen, Preise und Gewichtsmaße für die von den Staatsbuchhaltungen für das Zollgebiet, Ungarn, Siebenbürgen und Galizien gesondert konzipierten Statistiken galten und sie daher untereinander nicht kompatibel sind.26

Von den galizischen Merkantiltabellen der Jahre 1778–1789 sind nur mehr drei summarische Auszüge über die Handelspartner sowie unvollständige und relativ allgemeine Auflistungen der gehandelten Güter für das Jahr 1783 in amtlichen Berichten von Hofkammer und Hofrechenkammer erhalten.27 Nur für 1787 liegt eine komplette Statistik vor, die eine Analyse der Warenstruktur ermöglicht. Da aufgrund von Galiziens Eingliederung in die Zollunion die Erblande in diesem Verzeichnis nicht mehr enthalten sind, wurde diese Quelle durch die letzte Mer-kantiltabelle für den Handel zwischen Galizien und den Erblanden aus dem Jahr 1784 ergänzt, die jedoch von zwei Mankos gekennzeichnet ist : Erstens galten ab 1785 neue Schätzpreise, zudem wurde der erbländische Export nach Galizien teil-weise mit Polen verwechselt und ist daher als zu gering ausgewiesen. Umgekehrt

25 Grossmann, Die amtliche Statistik, 223f. Otruba, Aussenhandel Österreichs, 15. ÖStA, FHKA NHK Kommerz Oberösterreich + Niederösterreich Akten, Nr. 144, 67 ex Novemb. 1789, Fol. 866–

869 ; 18 ex Januari 1791 ; 77 ex Aprili 1793. Der monetäre Umfang des Auslandshandels der Pro-vinzen der Habsburgermonarchie wurde exzerpiert nach Otruba, Aussenhandel Österreichs, 37–39 sowie der Tafeln für Statistik 1828–1840. Handelsdaten der in der Zollunion integrierten Provinzen mit Ungarn : FHKA, NHK, Kommerz, U Akten Nr. 1724, Fol. 777–778, Nr. 1725, Fol. 201–202.

26 Beer, Die österreichische Handelspolitik unter Maria Theresia, 121–123. ÖStA, FHKA, NHK, Kommerz, Oberösterreich + Niederösterreich Akten, Nr. 144, 49 ex Julio 1786, Nota vom 21. April 1786, Fol. 701–702.

27 Vgl. Grossmann, Die amtliche Statistik, 224. ÖStA, FHKA NHK Kommerz Oberösterreich + Nie-derösterreich Akten, Nr. 144, 49 ex Julio 1786. HHStA, KA, Nachlass Zinzendorf, Handschriften Bd. 117, 33–41 ; Bd. 118, 1–140.

waren Galiziens Handelswerte ab der Aufnahme in die Zollunion im Vergleich mit den Jahren davor überhöht, da ab diesem Zeitpunkt die Güterströme zu den höheren Wiener Preisen berechnet wurden. 28

Wiederholte behördeninterne Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Merkantilta-bellen nicht nur bis in die 1790er Jahre, sondern vereinzelt auch noch im Jahr 1820 unterstreichen die Relativität der hier verwendeten Quellen.29 Mit der Einrichtung einer neuen Handelsstatistik im Jahr 1840 wurden die Handelsdaten in jährlichen Bänden der Serie „Ausweise über den Handel Oesterreichs“ publiziert, wobei für 1831–1840 ein summarischer Rückblick zusammengestellt wurde.30 Zwar änderten sich die Güterkategorien, nicht aber Erhebungsweise oder Schätzpreise.31

Bis 1850 ist der galizisch-ungarische Handel erfasst, Galiziens Handel mit dem Ausland bis 1872. Zu beachten ist hierbei nicht nur, dass diese Daten bis 1863 die Bukowina beinhalteten. Viel stärker fällt ins Gewicht, dass die in den jeweiligen Provinzen verzollten Waren nicht den in den einzelnen Provinzen hergestellten und exportierten sowie importierten und dort verbrauchten Waren entsprechen, da nach einmaliger Verzollung die Waren zollfrei in die anderen Provinzen innerhalb der Zollunion versendet werden konnten.32 Dass der tatsächliche Auslandshandel Galiziens wie auch jener der anderen Grenzregionen der Habsburgermonarchie in den amtlichen Statistiken bis 1872 überschätzt wurde, bestätigen die Auslandshan-delswerte der Eisenbahnstatistiken 1890/92 und 1913.33

Weiters muss bei der Analyse und Interpretation der Handelsstatistiken die Ver-änderung der Schätzpreise, der sogenannten Handelswerte, ebenso beachtet wer-den wie die wechselnwer-den Gütergruppen. Die Schätzpreise wurwer-den bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nur selten angepasst, weshalb die angegebenen Han-delswerte zumeist die tatsächliche Veränderung des Warenumfangs wiedergeben.

Anpassungen der Handelswerte erfolgten bei der Veränderung von Zollsätzen, was in dem hier relevanten Zeitraum in den Jahren 1775, 1784, 1788, 1803, 1811, 1852,

28 Galizische Merkantiltabelle von 1787 : ÖStA, Bankale, Nr. 2982, Merkantiltabellen M3, Fol. 33–

110. Die detaillierten Aufzeichnungen für die Jahre 1783 und 1784 : HHStA, KA, Nachlass Zinzen-dorf, Handschriften Bd. 118, 523–590. Zur Quellenkritik siehe : Hassinger, Außenhandel, 86.

29 ÖStA, FHKA, NHK, Kommerz, Oberösterreich+Niederösterreich Akten, Nr. 144, 32 ex Aprili 1792, Fol. 993. ÖStA, FHKA NHK Kommerz KK Akten Karton Nr. 1724, Fol. 898–900, 980–982.

Otruba, Außenhandel Österreichs, 4. Zu Details siehe Appendix E.

30 Statistik Austria, Ausweise über den Handel Oesterreichs 1831–40, 1840–1872 (ab 1867 : Ausweise über den Handel der österreichisch-ungarischen Monarchie). Vgl. Lauss, Wachstum, 13.

31 Otruba, Aussenhandel Österreichs, 17. Ders., Österreichs Industrie, 578f.

32 Siehe z. B. Ausweise 1848, IV. Dieser Hinweis findet sich regelmäßig in späteren Jahrgängen der Ausweise.

33 Für die Daten dieser Statistiken siehe : Biegeleisen, Stan ekonomiczny, 273f. Pączewski, Bilans handlowy, 388–391.

1858 und 1863 geschah. Da zumindest im frühen 19. Jahrhundert nur die Preise für die von den Zollveränderungen betroffenen Produkte angepasst wurden, erge-ben sich daraus vor allem Verzerrungen, die sich kurzfristig auf die Daten einzelner Gütergruppen besonders stark auswirken. Weiters wurde eine Unterschätzung des Exportwerts im Vergleich mit den Importen vermutet.34 Hingegen war die Glaub-würdigkeit der Statistiken zu laufenden Preisen in den 1780er Jahren infolge der häufigen Anpassungen relativ hoch. Die Verzerrungen sind bei der Analyse des Handelswerts insbesondere in den unmittelbaren Jahren nach der Preisanpassung zu berücksichtigen. Nichtsdestotrotz ist der monetäre Warenwert die sinnvollste Einheit zur Analyse der Güterströme – nicht nur weil er die unterschiedlichen Wertniveaus der Warenstruktur besser zum Ausdruck bringt, sondern auch auf-grund der durchgehenden Vereinheitlichung aller in der Statistik enthaltenen Pos-ten (was bei den unterschiedlichen GewichtseinheiPos-ten nur schwer möglich und bedeutend weniger aussagekräftig wäre).

Die Frage der Güterkategorien nimmt für die Bestimmung der Position ei-nes Raums in der überregionalen Arbeitsteilung eine Schlüsselstellung ein. Das Gliederungssystem nach Nahrungsmitteln, Halbfertig- und Fertigwaren wurde dahingehend leicht modifiziert, indem alle Güter als Rohstoffe, Halbfertig- und Fertigwaren kategorisiert wurden. Nahrungsmittel wurden entsprechend ihres Verarbeitungsgrades einer der drei Kategorien zugeordnet, da diese Klassifikation aussagekräftiger für die Bewertung der Position einer Region innerhalb der Wa-renketten ist.35

Zu beachten ist, dass diese Kategorien insofern im zeitlichen Wandel nicht sta-tisch sind, als die jeweiligen Veränderungen von Produkten und die Umstruktu-rierung der Warenketten auch die Zuordnung der Güter neu bestimmen. Zudem können die in den Quellen verwendeten Kategorisierungen nicht übernommen werden.36 Allerdings stößt diese Methode auf Schwierigkeiten, da manche Statis-tiken undifferenziert Rohstoffe und Fertigwaren in einer Gruppe führen, sodass sie dann bei der Auswertung entweder einer der drei Kategorien zugeschlagen oder aber nach geschätzten Prozentsätzen getrennt werden müssen.37 Deswegen wurde hier auf die Berücksichtigung solcher Statistiken verzichtet, die sehr grobe und

34 Blum, Noble Landowners, 91. Grossendorfer, Österreichs Außenhandel, 629f. Zizius, Oecono-misch-politische Betrachtungen, 170f. Hassinger, Außenhandel, 62. Lauss, Wachstum, 13f. Aus-weise 1851–60, II. AusAus-weise 1852. AusAus-weise 1876, XV.

35 Details siehe Appendix E.

36 Folglich unterscheiden sich die hier gewonnenen Untersuchungsergebnisse von den Gliederun-gen der Ausweise über den Handel als auch von Szezpanowski, Nędza, 45 und Pączewski, Bilans handlowy, 389–391, auf die Tokarski, Ethnic conflict, 190f. rekurriert.

37 Hassinger, Außenhandel, 80–82 wendet wechselweise beide Methoden an.

nicht auflösbare Güterkategorien aufweisen. Dies gilt für die Zusammenstellung der Eisenbahntransporte Adolph Lipps, 38 aber auch die ohnehin stark in Zweifel zu ziehenden Angaben Stanisław Szczepanowskis.39 Die Statistik des galizischen Auslandshandels für die Jahre 1841 bis 1872 wiederum muss mit starken Ein-schränkungen interpretiert werden.

Am besten sind die Informationen über den externen Handel Galiziens am Ende der Untersuchungsperiode. Mit den von Ludwik Biegeleisen und Leon Pączewski aufbereiteten Eisenbahntransportstatistiken wird das Gros des Außen-handels für die Jahre 1890/92 und 1913 erfasst : Trotz der Mängel der ursprünglich von Tadeusz Rutowski erarbeiteten Aufstellung für 1890/92, die auf repräsentati-ven Zählungen bei einzelnen Bahnhöfen beruht und einige Ungenauigkeiten bei den Güterklassen sowie durch Mehrfachzählung von auf verschiedenen Zuglinien transportierten Waren aufwies, ist sie eine der wenigen glaubwürdigen Statistiken des überregionalen Eisenbahnhandels in der Habsburgermonarchie.40

Die Statistik für 1913 umfasst hingegen nur die Krakauer Staatsbahndirektion, also den überregionalen Warenhandel, der von den Zuglinien in Westgalizien zwischen den Punkten Krakau und Rzeszów abgewickelt wurde, da die übrigen Materialien im Ersten Weltkrieg vernichtet wurden. Allerdings ergibt eine Be-rechnung der auf den überregionalen Bahnlinien abgewickelten Ex- und Importe über die Kronlandgrenzen hinweg für die Jahre 1890/92 eine hohe Aussagekraft dieser Quelle : So verliefen 78 Prozent des exportierten und sogar 84,7 Prozent des importierten Warenwerts über den Krakauer Staatsbahnbezirk.41

Summarische Rechenfehler der beiden Verzeichnisse wurden richtiggestellt und in weiterer Folge auch diese Werte verwendet.42 Da die Handelsströme regional nach Bezugs- und Absatzorten nur in Gewichtsangaben aufgeschlüsselt waren, wurden diese nach den ermittelten Durchschnittspreisen für die einzelnen Güter-kategorien, getrennt nach Im- und Export, hochgerechnet. 1890/92 konnten die Daten für Hornvieh, Schafe und Ziegen nicht berücksichtigt werden, da die ent-sprechenden Seiten der Originalquelle beschädigt sind. Andere Statistiken werden nicht berücksichtigt, da ihre Unvollständigkeit oder unterschiedliche

Erhebungs-38 Lipp, Verkehrs- und Handelsverhältnisse. Lipps Statistik enthält nur Mengenangaben und ist daher für eine Untersuchung der Außenhandelsstruktur Galiziens nicht geeignet. Biegeleisen, Stan ekono-miczny, 269f. macht von Lipps Daten sporadisch Gebrauch. Bujak (Rozwój gospodarczy, 365–367) zitiert die Statistik, analysiert die Handelsstruktur im zeitlichen Verlauf jedoch nicht systematisch.

39 Szczepanowski, Nędza, 46. Trotz Kritik übernimmt Tokarski (Ethnic conflict, 191) diese Werte. Vgl.

Kaps, Peripherisierung der Ökonomie, 39, 59 (Anmerkung 18).

40 Gargas, W sprawie statystyki handlu, 20f.

41 Siehe dazu Appendix E.

42 Pączewski, Bilans handlowy, 372.

methoden keine komparative Analyse zulassen. Dies betrifft die unvollständige Poststatistik von 1895 sowie die Aufzeichnungen des Schiffs- und Eisenbahnver-kehrs Galiziens mit dem Ausland bzw. dem Deutschen Reich (1891–1914).43