• Keine Ergebnisse gefunden

Überregionale Vernetzung

4. Austauschsphären

4.1 Handel : Waren- und Güterströme

4.1.3 Überregionale Vernetzung

Die Behauptung, dass Galizien kaum in den Handel innerhalb der Habsburger-monarchie integriert war, gehört zu einer weit verbreiteten Feststellung nicht nur in wirtschaftshistorischen Abhandlungen. Begründet wird diese – nur selten auf Daten gestützte  – Bemerkung einerseits mit der naturräumlichen Barriere der Karpaten, andererseits mit der Einbindung Galiziens in den polnisch-litauischen Markt, von dem es auch durch die neuen „künstlichen“ Grenzziehungen nicht ge-trennt wurde.44 Dabei darf nicht übersehen werden, dass Galiziens Handel vor 1772 neben den Verflechtungen mit dem polnisch-litauischen Binnenmarkt sowie den Fernhandelszentren Danzig, Breslau und Frankfurt an der Oder auch wichtige Kontakte mit der Habsburgermonarchie umfasst hatte : Neben den böhmischen Ländern, Oberösterreich und der Steiermark zählte auch Ungarn zu Galiziens Handelspartnern. Im 18. Jahrhundert erholten sich die bilateralen Güterbewegun-gen von ihrem Einbruch während der Krise des 17. Jahrhunderts.45

Tatsächlich bekräftigt der zeitliche Verlauf der Güterströme aus und nach Ga-lizien die Wirkung der verschiedenen Zoll- und Mautgrenzziehungen. So nahmen die aus dem Ausland bezogenen und aus Galizien dorthin gelieferten Waren ab dem späten 18. Jahrhundert bis zur Außenhandelsliberalisierung der 1850er Jahre stetig, aber relativ mäßig zu (Abbildung 4-1). Der starke Anstieg des Außenhan-dels um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert ergab sich aus der temporären Angliederung Westgaliziens (1796–1809) und beruhte folglich auf einer

Erweite-43 Biegeleisen, Stan ekonomiczny, 271. Gargas, W sprawie statystyki, 19, 21. Krzyżanowski, Rolnictwo, 56f. Schiffsverkehr nach Drużbacki, Towarowy handel wodny. Deutsche Eisenbahnstatistiken nach : Pilat, Wiadomości Statystyczne, Tom X/1, XII/1, XIX/1 für die Jahre 1885, 1887–1900. Die Auf-zeichnungen für die Jahre 1900–1914 : Biegeleisen, Stan ekonomiczny, 387–413.

44 Siehe beispielsweise : Gross, Industrielle Revolution, 208. Good, Aufstieg, 36. Mosser, Habsburger-reich, 54f. Rudolph, Banking and industrialization, 15. Freudenberger, Lost Momentum, 25, 123.

Bacon, Austrian economic policy, 79. Drozdowski, Traktaty handlowe, 85, 102, 107. Kool, Develop-ment, 96. Kula, Historia gospodarcza Polski, 62. Kulczykowski, „Deindustrializacja”, 86. Grodziski, Historia, 57.

45 Guldon/Stępkowski, Żelazo świętokrzyskie, 64f. Dies, Polnisch-ungarische Handelsbeziehungen, 104–118. Bobińska, Niektóre przesłanki, 369. Kuklińska, Le facteur du marché, 48. Madurowicz/

Podraza, Próba, 76. Adamczyk, Spław zboża, 193. Kazusek, Żydzi a chrześcijanie, 296f., 302, 305, 307. Stone, Polish-Lithuanian State, 300. Hundert, Jews in Poland-Lithuania, 34. Kazusek, Zaraza, 53.

Abbildung 4-1 : Galiziens Handel mit dem Ausland, Cis- und Transleithanien (1778–1913)

Quellen : HHStA, Nachlass Zinzendorf, Bd. 118, 200f. ÖStA, Bankale, Nr. 2982, Merkantiltabellen M3. ÖStA, FHKA, SUS, Varia 16 (Nr.5). ÖStA, FHKA Kommerzakten Nr. 1723 und Nr. 1724. Tafeln für Statistik 1828–1840, Ausweise über den Handel 1840–1872. Grossmann, Die amtliche Statistik, 225. Otruba, Außenhandel Österreichs, 33–39. Biegeleisen, Stan ekonomiczny, 273f., 346–361.

0 50 100 150 200 250 300 350

1778 1784

1790 1796

1802 1808

1814 1820

1826 1832

1838 1844

1850 1856

1862 1868

1874 1880

1886 1892

1898 1904

1910

Millionen Kronen (laufende Preise)

Ausland Import Ausland Export Transleithanien Import

Transleithanien Export Cisleithanien Import Cisleithanien Export

rung des Territoriums und nicht auf dem tatsächlichen Wachstum des Handels-volumens. Zudem war der ausgewiesene Handelswert, wie erwähnt, aufgrund von Galiziens Funktion als Grenzregion tendenziell überhöht.46

Wuchsen die Handelskontakte mit den ungarischen Ländern im frühen 19. Jahr hundert langsamer, so nahmen sie in den 1840er Jahren weitaus dynami-scher zu – was auch im Trend der zunehmenden Verflechtung der beiden Reichs-hälften lag. Allein dies bekräftigt bereits eine starke Marktintegration Galiziens in den östlichen Teil der Habsburgermonarchie.47 Erst infolge der Außenhandelsli-beralisierungen 1852–1854 nahm insbesondere der Export ins Ausland exorbitant zu. Allerdings ist dieser Anstieg durch die 1852 und 1858 in Kraft getretenen Handelswertanpassungen überhöht, wodurch die Statistik jeweils einen sprung-haften Ausfuhranstieg ausweist. Trotz aller genannten Verzerrungen der Daten ist die Zunahme von Galiziens Auslandshandelskontakten in den 1850er Jahren unbestritten. In den Handelsbilanzüberschüssen manifestiert sich die zunächst positive Wirkung der Außenhandelsliberalisierung, die allerdings ab den späten 1850er Jahren zu einem erhöhten Konkurrenzdruck für die Industrie führte, als mit der zunehmenden Währungsstabilität auch die Fertigwarenimporte aus dem Ausland zunahmen.48 Interessanterweise stagnierten die internationalen Handels-ströme zu Beginn der eigentlichen Freihandelsepoche in den frühen 1860er Jahren, was von der stark wachsenden Verflechtungsdichte des gesamten Staats mit dem Ausland abwich. Die besonders stark gesunkenen Importe nach 1863 deuten auf einen Einfluss der Handelswertanpassung hin, spiegeln jedoch vorwiegend die mo-narchieweite Rezession von 1864–1866 wider. In der ersten Gründerzeit stiegen insbesondere die Importe stark an, während die Exporte stagnierten, wodurch das Handelsbilanzdefizit mit dem Ausland stark zunahm.

Dass Galiziens Handelsbilanz mit dem Ausland nach 1872 bis zum Ersten Weltkrieg laut den hier präsentierten Daten kaum wuchs, lag vor allem an der Schutzzollpolitik der Jahrhundertwende. Insgesamt war Galizien im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts sowie zwischen 1852 und 1862 besonders stark mit dem Aus-land verflochten, während die Kontakte mit den Märkten innerhalb der Habsbur-germonarchie, die stets eine bedeutende Rolle spielten, durch die Eisenbahnver-bindungen ab den 1860er Jahren eine markante Ausweitung erfuhren : Besonders dynamisch wuchsen Galiziens Handelsverflechtungen mit der cisleithanischen Reichshälfte, während die Güterströme mit Ungarn erst nach 1890 deutlich zu-nahmen und insbesondere Galiziens Einfuhren erfassten.

46 Hassinger, Außenhandel, 91. Weiss, Verhältnis, 109.

47 Blum, Noble Landowners, 91, 95f.

48 Huertas, Economic Growth, 14. Matis, Österreichs Wirtschaft, 90, 95.

Abbildung 4-3 : Einfuhr Galiziens nach Handelspartnern (1779–1789)

Quellen : HHStA, Nachlass Zinzendorf, Bd. 118, 200f. ÖStA, Bankale, Nr. 2982, Merkantiltabellen M3. ÖStA, FHKA, SUS, Varia 16 (Nr.5). Grossmann, Die amtliche Statistik, 225.

Abbildung 4-2 : Handelspartner Galiziens (1778–1913)

Quellen : HHStA, Nachlass Zinzendorf, Bd. 118, 198–202. ÖStA, Bankale, Nr. 2982, Merkantilta-bellen M3. ÖStA, FHKA, SUS, Varia 16 (Nr.5). Grossmann, Die amtliche Statistik, 225. Biegeleisen, Stan ekonomiczny, 273f., 346–361. Rocznik Statystyki Przemysłu i Handlu Krajowego, XVII/II, 2–152.

0 0,2 0,4 0,6 0,8 1

1779 1783 1787 1789 1890-1892 1913

Habsburgermonarchie Ausland

0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

70%

80%

90%

100%

1779 1783 1787 1789

Andere Reich Danzig Sachsen Preußen Erblande Ungarn Polen Brody

Osmanisches Reich Moldau

Zu berücksichtigen ist allerdings, dass Ungarns Anteil in der nur das Gebiet der Krakauer Staatsbahndirektion erfassenden Statistik von 1913 unterrepräsentiert ist, da einige galizisch-ungarische Bahnlinien ab Rzeszów bis zur russisch-habs-burgischen Grenze ausgeblendet bleiben. Zugleich unterstreicht der laut diesem Verzeichnis ausgewiesene starke Anstieg des Handelsvolumens in absoluten Zah-len, dass die überregionalen Marktverflechtungen innerhalb Österreich-Ungarns in den letzten beiden Vorkriegsjahrzehnten stark zunahmen.

Diese Tendenz bestätigen Berechnungen anhand von Weizenpreisen für Lemberg und Krakau, wonach Galizien insbesondere in den Phasen 1831–1855 sowie 1856–

1880 eine beachtliche überregionale Marktintegration verzeichnete, während lokale Marktzusammenhänge relativ an Bedeutung verloren. Erst mit der Rückkehr zum Protektionismus nach 1878 nahm der Anteil der habsburgischen Weizenmärkte für Galizien wieder deutlich zu.49 Im Unterschied zum Auslandshandel war Galiziens Handelsbilanz gegenüber Cis- und Transleithanien sowohl 1890/92 als auch 1913 stark passiv. Während bereits die Merkantiltabellen des späten 18. Jahrhunderts auf ein Handelsdefizit Galiziens gegenüber der böhmisch-österreichischen Zollunion hinweisen, so wurde gegenüber Ungarn bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts stets ein Überschuss erwirtschaftet.50 Dass Galiziens Handel im Lauf der zweiten Jahrhun-derthälfte auch gegenüber Ungarn vom Aktivum ins Defizit rutschte, deutet auf eine zunehmende Peripherisierung der Region im überregionalen Warenaustausch hin.

Nahm Ungarn im habsburgischen Gesamtkontext einen peripheren Status ein, so trat es im Zuge von Agrarintensivierung und Industrialisierung gegenüber Galizien in der zweiten Jahrhunderthälfte als Zentralraum auf. Zugleich verschärfte sich Ga-liziens Handelsbilanzdefizit mit den böhmischen und österreichischen Zentren wie auch insgesamt. Galiziens Integration in die Güterströme der Habsburgermonarchie nahm seit 1772 stark zu, sodass im späten 19. Jahrhundert über zwei Drittel des ga-lizischen Handelsvolumens innerhalb Österreich-Ungarns abgewickelt wurde ; kurz vor Weltkriegsausbruch waren es sogar über 80 Prozent (Abbildung 4-2).

Dabei darf nicht übersehen werden, dass dieser Anteil in den 1780er Jahren stark zugenommen und 1783 bereits 40,8 Prozent erreicht hatte. Der von Hen-ryk Grossmann51 geschätzte Außenhandelsanteil von rund 50 Prozent für 1782

49 Übele, Wheat Markt Integration, 34.

50 Für den Handel Galiziens mit den Erblanden in den Jahren 1783 und 1784 siehe die folgenden Ausführungen sowie : HHStA, KA, Nachlass Zinzendorf, Handschriften Bd. 118, 55–57. Eine ne-gative Handelsbilanz Galiziens gegenüber den Erblanden konstatierte 1813 auch : Andre, Beschrei-bung, 232. Siehe weiters : Kazusek, Handel, 63.

51 Grossmann, Die amtliche Statistik, 226–228, 231. Ebenso sind Grossmanns Schätzungen des mo-netären Handelsvolumens Galiziens mit den Erblanden sowie insgesamt für 1781/82 weit überhöht.

Grossmann, Handelspolitik, 446f.

ist zwar etwas überhöht, jedoch in der Tendenz korrekt : So belegen die in den Merkantiltabellen ausgewiesenen Handelspartner Galiziens in den 1780er Jahren ein deutliches relatives Wachstum der Kontakte mit den habsburgischen Regionen (Abbildung 4-3, Abbildung 4-4).

Dass im Jahr 1787 der Anteil der Habsburgermonarchie in den Diagrammen zurückgeht, erklärt sich durch Galiziens Eingliederung in die Zollunion, wodurch die Erblande nicht mehr in den Merkantiltabellen aufscheinen.52 Die westlichen Provinzen spielten bei der Einfuhr eine bedeutendere Rolle, während Ungarn stär-ker als Absatzmarkt für galizische Waren fungierte. Die Rasanz des Anstiegs des galizisch-ungarischen Handels lässt sich durch folgenden Vergleich verdeutlichen : Betrug der jährliche Durchschnitt der Summe aus Ein- und Ausfuhren laut den ungarischen Merkantiltabellen zwischen dem Königreich Ungarn und Polen in den 1730er Jahren sowie zur Jahrhundertmitte jeweils eine knappe halbe Million Gulden, so übertraf bereits der galizisch-ungarische Handel des Jahres 1779 dieses Volumen (633.362 fl.). Bis 1789 stieg dieser Wert um mehr als das Siebenfache auf 4,7 Millionen Gulden an (auch wenn hier die erwähnten Verzerrungen der unterschiedlichen Handelswerte zu berücksichtigen sind). Damit lag der unga-risch-galizische Handel in den 1780er Jahren weit über dem Durchschnitt des polnisch-ungarischen Handels der Jahre 1767–1780 (1,1 Millionen fl.), der Gali-zien ab 1772 nicht mehr enthielt.53 Die ökonomische Integration Galiziens in die Habsburgermonarchie verlief somit sehr rasch und wurde durch die Beseitigung von Zollbarrieren sowie den Aus- und Neubau von Handelsstraßen aus Galizien nach Oberungarn und Österreichisch-Schlesien befördert.54 Dies widerlegt die eingangs rezipierte Sichtweise von einer geringen Verflechtung Galiziens inner-halb der Habsburgermonarchie deutlich.

Die Ausweitung des Handels der habsburgischen Regionen mit Galizien er-folgte vor allem auf Kosten Polens, während die Verflechtungen mit den Staaten des Heiligen Römischen Reichs jenseits der Habsburgermonarchie, insbesondere mit Preußen und Sachsen, fast vollkommen zum Erliegen kamen.55 Ähnliches gilt im Norden für Danzig, von wo Galizien Kolonial- und westeuropäische Fertig-waren bezog und wohin es Nahrungsmittel und Rohstoffe lieferte. Bereits 1779 spielte Danzig nur mehr eine marginale Rolle für den galizischen Handel. Infolge der von Preußen verhängten Zölle auf der niederen Weichsel zwischen Thorn/

52 Ebenda, 446. Vgl. die irreführende Interpretation : Hassinger, Außenhandel, 91. Good, Aufstieg, 36.

53 Daten nach Wellmann, Handelspolitik, 592, 596.

54 Deák, Galizien bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, 446–450. Grossmann, Handelspolitik, 411.

55 Grossmann, Handelspolitik, 447. Brawer, Galizien wie es an Österreich kam, 93. Drozdowski, Trak-taty handlowe, 98f.

Toruń und Danzig sowie der Blockaden der Fluss- und Seeschifffahrt aus und nach Danzig ging Galiziens Warenverkehr mit dem bis dahin im Seehandel füh-renden polnisch-litauischen Ostseehafen weiter zurück. Allerdings schwankte das Handelsvolumen stark und verzeichnete Mitte der 1780er Jahre einen Anstieg.

1789 scheint wiederum überhaupt kein Wert auf.56

Abbildung 4-4 : Ausfuhr Galiziens nach Handelspartnern (1779–1789)

Quellen : HHStA, Nachlass Zinzendorf, Bd. 118, 200f. ÖStA, Bankale, Nr. 2982, Merkantiltabellen M3. ÖStA, FHKA, SUS, Varia 16 (Nr.5). Grossmann, Die amtliche Statistik, 225.

Ebenso verloren die Handelskontakte mit dem Osmanischen Reich nach einer Ausweitung bis Mitte der 1780er Jahre an Bedeutung : War dies zunächst eine durch den habsburgisch-osmanischen Krieg (1788–1791) bedingte Erscheinung, verwandelten die protektionistische Zollpolitik und der wachsende Seehandel mit der Levante über Triest diesen konjunkturellen in einen strukturellen Rückgang.57 Polen konnte durch den Handelsvertrag von 1775 noch bis Ende der 1780er Jahre eine relativ günstige Stellung behaupten, allerdings sanken Galiziens Exporte ge-genüber 1776 massiv, während die Importe nach einer anfänglichen Reduktion in etwa auf dem Niveau von Mitte der 1770er Jahre stagnierten. Zwischen 1787 und

56 Ebenda, 86f., 98f. Cieślak, Influence, 204–207. Ders./Biernat, History of Gdańsk, 190. Zur Verän-derung des Getreidehandels über Danzig siehe Kap. 5.2.4 und 6.2.3.

57 Grodziski, Historia, 57. Siehe auch Kap.5.1.9.

0%

20%

40%

60%

80%

100%

1779 1783 1787 1789

Andere Danzig Sachsen Preußen Erblande Ungarn Polen Brody Osmanisches Reich Moldau

1789 gingen die Güterströme Galiziens mit der Adelsrepublik deutlich zurück, lagen aber über dem Niveau von 1779–1783 (Abbildung 1-3, Abbildung 1-4, Ab-bildung 4-5).58

Abbildung 4-5 : Handel Galiziens bzw. der Habsburgermonarchie mit Polen und Brody in Millionen Gulden zu laufenden Preisen (1776–1855)

Quellen : Kazusek, Handel, 61. Stępkowski, Z dziejów Wisły, 31. ÖSTA, FHK, NHK, Kommerzakten, KK, Nr. 1725, Fol. 202–203 ; Statistische Tafeln 1828–1838. Ausweise über den Handel 1840–1855.

Bemerkung : Werte von 1776–1789 umfassen nur den galizisch-polnischen Handel, 1810–1855 jenen der Habsburgermonarchie mit Polen (bis 1847 inklusive Krakau) und Brody.

Die Importverbote von 1788 und die endgültige Teilung Polen-Litauens reduzier-ten die polnisch-galizischen Handelskontakte jedoch nachhaltig.59 1808/09 und 1810/11 lag das Handelsvolumen zwischen dem Herzogtum Warschau und Gali-zien deutlich unter den Werten des galizisch-polnischen Handels zwei Jahrzehnte zuvor (auch wenn hier die Folgen der Napoleonischen Kriege zu beachten sind).

Die Einfuhr betrug sogar nur die Hälfte des galizischen Wertes von 1779, die Aus-fuhr lag knapp darüber (Abbildung 4-5).

Dies widerspricht jenen Befunden, die nicht nur eine Konstanz der polnisch-galizischen Handelsbeziehungen zwischen 1772 und 1795, sondern ungeachtet der

58 Vgl. Grossmann, Handelspolitik, 200.

59 Vgl. Ebenda, 203.

Polen Export Polen Import Brody Export Brody Import Krakau Export Krakau Import

Teilungen sogar die Ausbildung eines polnischen Binnenmarktes postulierten.60 Die Abschwächung der polnisch-galizischen Handelsbeziehungen lässt sich auch an dem Umstand ablesen, dass der von Mariusz Kulczykowski betonte starke Wa-renaustausch zwischen Galizien und Krakau zu einem Teil überregionaler Fern-handel war. Die darin inbegriffenen Waren aus habsburgischen Regionen jenseits von Galizien nahmen infolge der preußischen Zollpolitik noch zu – wie Kulczy-kowski selbst akribisch ausführt.61

Wie die in Abbildung 4-5 angeführte weitere Entwicklung belegt, die sich nur mehr am Handel zwischen Polen und der gesamten Habsburgermonarchie ablesen lässt, war dieser Rückgang nachhaltig : Zwar stiegen die Exporte in den 1820er Jahren leicht an, allerdings erreichten auch die Spitzenwerte – in den Jahren 1822, 1832, 1842, 1852/53 – den galizischen Exportwert von 1776 nicht. Gleiches gilt für den Import, der infolge der protektionistischen Zollpolitik und der ungünsti-gen Handelsverträge bis zum Ende der Datenreihe im Jahr 1855 auf relativ nied-rigem Niveau stagnierte. Allein die Stagnation bzw. das mäßige Wachstum des Handels mit dem Königreich Polen unterstreicht in einem Zeitalter wachsenden Warenaustauschs die zurückgegangenen polnisch-galizischen Güterströme.

Zwar weiteten sich die über die Freihandelsstadt Brody verlaufenden Handels-ströme Galiziens in den ersten Jahren nach 1779 stark aus, da nun ein Teil des Handels mit den ehemaligen polnisch-litauischen Gebieten, aber auch mit der Leipziger und Breslauer Messe über Brody verlief ; sie verblieben insgesamt jedoch auf einem bescheidenen Niveau, da Brody für Galizien zollpolitisches Ausland war.

Zudem suggerieren die Daten für den Warenumsatz zwischen der gesamten Habs-burgermonarchie und der galizischen Freihandelsstadt eine stagnierende Tendenz ab den frühen 1820er Jahren, was für den gesamten Warenumsatz in Brody an sich galt. Unter den mannigfaltigen Güterströmen, die der „europäische Transferraum“

Brody62 koordinierte, machte der Warenumsatz mit Galizien nur einen Teil aus.

Somit konnte auch Brody den Rückgang der Handelsbeziehungen Galiziens mit Polen nicht ausgleichen, wie die Daten von Börries Kuzmany belegen.63 Insgesamt bedeutete die Reduktion von Galiziens Handelsbeziehungen mit dem Osmani-schen Reich, Sachsen und Polen eine grundlegende Transformation Jahrhunderte alter Austauschbeziehungen, sodass die Integration Galiziens in die Arbeitsteilung der Habsburgermonarchie die Einbindung der Region in globale Güterströme

re-60 Drozdowski, Traktaty handlowe, 85, 107. Bobińska, Niektóre przesłańki, 370. Kulczykowski, Kra-ków, 134–136.

61 Ebenda, 100, 103, 108f., 116f., 120, 122, 124f., 145.

62 Kuzmany, Brody, 72.

63 Ebenda, 54f., 62, 73–75, 79.

duzierte und deren räumlichen Verlauf veränderte : Triest und Brody traten als Ver-mittlungszentren für Produkte aus Amerika und Asien an die Stelle von Danzig, Leipzig und des Osmanischen Reichs.64

Bis ins späte 19. Jahrhundert fehlen umfassende Vergleichsdaten, die über Ver-schiebungen in der geografischen Ausrichtung des galizischen Handels Auskunft geben könnten. Der Ausbau der Transportwege im Vormärz – Straßen und Was-serwege – erfasste Galizien nicht so stark, weshalb die Klagen über hohe Trans-portkosten laut und beständig blieben.65 Erst mit dem Eisenbahnbau kam es zu einer Verdichtung des Verkehrsnetzes und einer Senkung der Transportkosten, was die überregionale Marktintegration vorantrieb. Wie in den meisten westeuropäi-schen Ländern begannen die Eisenbahnen auch in Galizien ab den 1850er Jahren einen wichtigen Einfluss auf Marktstrukturen zu nehmen.66

Mit dem Nordbahnanschluss, vor allem aber der sukzessiven Fertigstellung der Carl-Ludwig-Bahn zwischen 1855 und 1861 wurde Galizien an das Eisen-bahnnetz der westlichen Regionen angebunden. Bereits seit 1847/48 bestand eine Verbindung Krakaus mit Oberschlesien und der Linie Wien-Warschau.67 In den folgenden Jahrzehnten folgten weitere Linien, die durch die Bukowina in das Os-manische Reich bzw. später nach Rumänien führten, sowie eine Verbindung mit dem Russländischen Reich und Ungarn herstellten. Zusätzliche Verbindungen Richtung Westen und Süden stärkten in den 1880er Jahren die Verflechtungs-dichte mit den österreichisch-ungarischen Kronländern, während lokale Linien auch die innere Marktintegration Galiziens förderten.68

Infolge des sich ausweitenden Eisenbahnanschlusses kam es zu einem starken Zuwachs der mit der Eisenbahn abgewickelten überregionalen Warentransporte aus und nach Galizien (Abbildung 4-6), wobei insbesondere die Auswirkungen der Verdichtung des Schienennetzes ab den 1880er Jahren sichtbar ist (und 1913 aufgrund der ausschließlichen Berücksichtigung Westgaliziens zu niedrig ausge-wiesen ist). Wie dynamisch der überregionale Frachtverkehr auf den galizischen Eisenbahnen zunahm, lässt sich anhand jener drei Routen nachzeichnen, die von Anfang der 1860er Jahre bis in die späten 1880er Jahre die drei Hauptverbindun-gen für Galiziens überregionale MarktverflechtunHauptverbindun-gen darstellten (Abbildung 4-7).

64 Kulczykowski, Kraków, 146. Kasperek, Gospodarka folwarczna, 148–150. Brawer, Galizien wie es an Österreich kam, 88. Siehe Kap. 5.1.9 und 5.2.

65 Blum, Noble Landowners, 92–94. Vgl. Kap. 6.1.5.

66 Gross, Austria-Hungary in the World Economy, 16. Klíma Industrial Growth, 88. Matis, Öster-reichs Wirtschaft, 104. Turnock, Economy of East Central Europe, 135.

67 Ebenda, 91. Landau/Tomaszewski, Wirtschaftsgeschichte Polens, 32, 52.

68 Bachinger, Verkehrswesen, 285, 287–289, 293–295, 297. Szuro, Działalność, 326–329. Tokarski, Ethnic conflict, 203f.

Abbildung 4-6 : Im- und Exporte Galiziens per Eisenbahn (1862–1913)

Quellen : Paszkowski, Statystyczno-ekonomiczne studia, 231f., 234. Lipp, Verkehrs- und Handelsver-hältnisse.

Abbildung 4-7 : Frachtentransport auf den drei überregionalen Haupteisenbahnverbindungen Galiziens

Quelle : Szuro, Informator statystyczny, 55f., 61, 66, 70, 76, 80.

0

1860 1864 1868 1872 1876 1880 1884 1888

Tonnen/km

Dabei ist nicht nur der starke Anstieg der Fracht pro Kilometer insbesondere ab Mitte der 1870er Jahre auffallend, der in das Bild zunehmender Marktverflech-tung nach der Weltwirtschaftskrise von 1873 passt. Zudem macht sich auch eine räumliche Verschiebung bemerkbar, indem die Lemberg-Czernowitz-Jassy-Linie und die Ungarisch-Galizische Eisenbahn bei der Transportdichte bis in die spä-ten 1870er Jahre zur führenden Carl-Ludwig-Bahn aufschlossen. Dem absoluspä-ten Geldwert nach dominierten laut der Statistik der Jahre 1890/92 die beiden West-Ost-Verbindungen Galiziens Warentransporte – die Carl-Ludwig-Bahn wickelte eindrucksvolle 62,4 Prozent ab, die Transversalbahn 15,7 Prozent, während von den Nord-Süd-Verbindungen nur die Lemberg-Czernowitz-Jassy-Linie (8,6 Pro-zent) einen nennenswerten Anteil erreichte ; die übrigen Strecken kamen zumeist nicht über 3 Prozent hinaus.69

Infolge sinkender Transportkosten und -zeiten sowie sich verändernder Welt-marktpreise hatte sich 1890/92 das räumliche Austauschmuster im Vergleich mit 1784/87 nicht nur insofern deutlich verändert, als das Gros des galizischen Außen-handels innerhalb der Habsburgermonarchie abgewickelt wurde. Vielmehr hatten sich auch die Schwerpunkte innerhalb Österreich-Ungarns verschoben, als die westliche Reichshälfte zum dominanten Handelspartner Galiziens aufgestiegen war, mit der 60 Prozent des Handelsvolumens abgewickelt wurden. Davon ent-fielen vergleichsweise magere 5,3 Prozent auf die Bukowina. Die cisleithanischen Märkte waren für Galiziens Importe mit 63,8 Prozent Anteil aller Einfuhren deut-lich wichtiger als bei den Ausfuhren (54,9 Prozent). Dies entspricht auch Galiziens passiver Handelsbilanz mit den westlichen Kronländern, dessen Defizit sich im Durchschnitt der Jahre 1890–92 auf 52,7 Millionen Kronen belief. Demgegenüber blieb Ungarn mit einem Anteil von 10,1 Prozent weit zurück – aber auch hier lag der Importanteil über dem Gesamthandelsvolumen.70

1913 veränderte sich das Bild nur geringfügig, was die Anteile der beiden Reichshälften betrifft : Ungarn konnte seine Importe weiter steigern, blieb als Ab-satzgebiet aber ziemlich unbedeutend. Anders als 1890/92 erlaubt die Statistik des letzten Vorkriegsjahres einen Vergleich mit dem späten 18. Jahrhundert, da ein-zelne Länder bzw. Gruppen von Kronländern aufgelistet sind. Während es beim Handel mit der westlichen Reichshälfte eine leichte Verstärkung des Gewichts der

1913 veränderte sich das Bild nur geringfügig, was die Anteile der beiden Reichshälften betrifft : Ungarn konnte seine Importe weiter steigern, blieb als Ab-satzgebiet aber ziemlich unbedeutend. Anders als 1890/92 erlaubt die Statistik des letzten Vorkriegsjahres einen Vergleich mit dem späten 18. Jahrhundert, da ein-zelne Länder bzw. Gruppen von Kronländern aufgelistet sind. Während es beim Handel mit der westlichen Reichshälfte eine leichte Verstärkung des Gewichts der