• Keine Ergebnisse gefunden

Das Verhältnis des ‚Board of Trade‘ zu den Gewerkschaften und Arbeitgebern

Teil II Die Entstehung der öffentlichen Arbeitsverwaltung in Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden

7.5 Das Verhältnis des ‚Board of Trade‘ zu den Gewerkschaften und Arbeitgebern

Vor dem ‚Labour Exchange Act‘ gab es nur vereinzelte kommunale Initiativen der Arbeitsvermittlung. Das Engagement der Gewerkschaften und Arbeitgeber auf die-sem Gebiet, sofern sie überhaupt eigene Vermittlungsorganisationen anstrebten, war sehr gering. Es war Beveridge selbst, der diese Zurückhaltung der Gewerkschaften und Arbeitgeber inspiziert und ausführlich kritisiert hatte.142

Beveridge entwickelte seine Kritik am Verhalten der Gewerkschaften und Arbeitge-ber in Referenz zu Deutschland. So wies er in seinem Arbeitge-bereits erwähnten Artikel üArbeitge-ber die deutschen Arbeitsnachweise darauf hin (vgl. hierzu und zum folgenden Beverid-ge 1908: 1), daß sowohl England als auch Deutschland in den Jahren 1893 und 1894 eine Periode wirtschaftlicher und industrieller Depression durchliefen, innerhalb de-rer das Problem der Arbeitslosigkeit auf die politische Agenda gesetzt wurde. Wäh-rend in Deutschland, so führt Beveridge weiter aus, in rasanter Geschwindigkeit so-wohl von Kommunen als auch von Gewerkschaften und Arbeitgebern Arbeitsnach-weise gebildet wurden, kam es in England lediglich zur Gründung eines Besonderen Parlamentsausschusses (‚Select Committee‘), der aber keinen Bericht ablieferte.

Während in Deutschland eine umfangreiche und bunt gemischte Nachweispolitik der Gewerkschaften, der Arbeitgeber und der Kommunen entstand, und damit viele klei-ne Arbeitsmarktpolitiken aus dem Boden schoßen, gab es in England nur wenige kommunale Initiativen, wie z.B. in Egham 1895. Ende 1905 zählte man in ganz Eng-land nur 21 kommunale und 5 nicht-kommunale Einrichtungen der Arbeitsvermitt-lung (vgl. Beveridge 1912: 262).

Angesichts der marginalen Tradition an kommunalen oder von den Arbeitsmarkt-partnern getragenen Vermittlungsorganisationen ist die Behauptung Gilberts (1966a:

268), daß die Einrichtung der ‚labour exchanges‘ „unkompliziert und billig“ war und die Probleme rein administrativer Natur waren, nur allzu verständlich. Die Gewerk-schaften mißtrauten den wenigen kommunalen Arbeitsvermittlungsstellen im Gefühl, daß diese Rekrutierungsdepots für Streikbrecher seien (vgl. Gilbert 1966a: 38). Be-züglich der Haltung der Arbeitgeber zur Frage einer öffentlichen Arbeitsvermittlung vor 1909 hält Seymour (1928: 10) fest, daß diese sich weigerten,

142 Vgl. hierzu Beveridge 1912: 255-266, Appendix B „Existing Methods of Seeking Employment in Great Britain“.

lungsstellen als Institution zu betrachten, durch die sie geeignete Arbeitskräfte rekru-tieren könnten.

Trotzdem verhandelte Churchill im Vorfeld zu den Gesetzen mit den Gewerkschaf-ten und Arbeitgebern. So organisierte er im Juni und Juli 1909 Konferenzen mit den

‚trade unions’, im August 1909 lud er die ‚employers‘ zu Gesprächen ein.143 Die Ge-spräche zwischen Churchill, den Arbeitgebern und den Gewerkschaften konzentrier-ten sich um die folgenden drei Fragen (vgl. King 1995: 38): Wie sollkonzentrier-ten die lokalen Komitees besetzt sein, die Churchill den Arbeitsämtern als beratende Gremien bei-stellen wollte? Wie sollten sich die Arbeitsämter im Streikfall verhalten? Wie sollte das Verhältnis der Arbeitsverwaltung zu den festgesetzten Löhnen definiert werden?

Es war nun weniger die Intention der Korporatisierung des Entscheidungsprozesses, die Churchill dazu bewog, mit den Gewerkschaften und Arbeitgebern zu verhandeln, als die Notwendigkeit, sich in der Frage der Einrichtung der staatlichen Arbeitsver-waltung „ihre Unterstützung zu sichern“ (Davisdon/Lowe 1982: 288). Auch King (1995) konstatiert:

The negotiations were important to the Board of Trade for two reasons. First, to implement the labor exchange system successfully they required the cooperation of both the trade union movement and of employers and so were obliged to take both groups‘ interests into account.

Second, labor exchanges were already perceived unfavorable by workers. Consequently, early and ardent union support of the new system was essential to overcome this hostility (King 1995: 47).

Es lohnt sich daher durchaus, die Positionen der Arbeitsmarktpartner näher zu be-trachten. Im folgenden sollen nun zunächst die Stellungnahmen der ‚trade unions’

und des TUC näher erläutert werden.

Vor dem Hintergrund der Tradition der gewerkschaftlichen Kassen kam der Einbeziehung der Gewerkschaften gerade in der Frage der Arbeitslosenversicherung eine besondere Bedeutung zu. Churchill startete daher eine „energische Kampagne“

(Heclo 1974: 84), um die Zustimmung der Gewerkschaften für die Versicherung zu erlangen. Aber auch in der Frage der öffentlichen Arbeitsvermittlung äußerten die

‚trade unions’ grundsätzliche Skepsis (vgl. Harris 1977: 128-129).

Auf der Konferenz der ‚trade unions’ mit Vertretern des BoT am 18. Juni 1909 trat der Verband der Maschinen- und Schiffsbaubranchen (‚Federation of Engeneering and Ship Building Trades‘), der die stärkste Facharbeitergewerkschaft (‚craft union‘)

143 Zum Verlauf der Gespräche vgl. Harris 1972: 289-291, 316-318; King 1995: 33-49. Sowohl Har-ris als auch King haben ausführlich die Originaldokumente über die Verhandlungen ausgewertet, so daß der Verlauf der Gespräche auf der Grundlage ihrer Untersuchungen gut nachvollziehbar ist. Zur Haltung der Arbeitgeber bezüglich der Reformen der Neuen Liberalen vgl. auch Hay 1977.

darstellte, weil im Maschinen- und im Schiffsbau der gewerkschaftliche Organisati-onsgrad und die Qualifikation der Arbeiter sehr hochwar, als engagiertester Gegner der ‚labour exchanges‘ auf. Den Tenor der Kritik dieses Verbandes beschreibt King folgendermaßen:

For the unionists, equalizing nonunion members with union members in the labor market was highly undesirable. The Federation of Engeneering and Ship Buildung Trades‘ greatest concern was the advantaging of nonunion members in the exchanges. They did not wish to ‚see non-union men put upon the same footing through these labour exchanges as the society men are‘

and had no wish to assist unemployed workers (King 1995: 35).

Die ‚trade unions’ befürchteten, daß durch die Einrichtung der Arbeitsvermittlung die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter ihre Vorteile gegenüber den unorgani-sierten Arbeitern verlören (vgl. King 1995: 35). Während der Verhandlungen äußerte ein Gewerkschaftsführer diese Bedenken klar:

If the non-unionist is to have equal facilities for getting into the Works, then goes down our supremacy and under modern conditions down goes the conditions we have helped to build up in past years (zit. nach King 1995: 35).

Der TUC wehrte sich vehement gegen die geplante staatliche Versicherung. Denn diese bedeutete, daß der Kreis der Versicherten auch auf Nicht-Gewerkschaftsmitglieder ausgedehnt werden sollte. Bei einem Gespräch mit dem Minister des BoT Sydney Buxton144 am 1. März 1910 hielt das Parlamentskommitee des TUC in diesem Zusammenhang bezeichnenderweise fest:

[Y]ou will have men to support who never have been and never will be self-supporting. They are at present parasites on their more undustrious fellows and will be the first to avail them-selves of the funds the Bill provides (zit. nach Harris 1972: 317-318).

Buxton erwiderte auf diese Kritik, daß es „unvernünftig“ sei, Nicht-Gewerkschaftsmitglieder von der Versicherung auszuschließen. Er sicherte zu, daß die ‚trade unions’ in Beratungskomitees der lokalen Arbeitsämter vertreten sein soll-ten und die Gewerkschafsoll-ten ihren Anteil zur Versicherung selbst verwalsoll-ten dürfsoll-ten (vgl. Harris 1972: 318).

Der TUC war 1868 gegründet worden und insbesondere in der ersten Generation

„craft orientied, cautious and even hostile to industrial action“ (Coates/Topham 1988: 107). Nachdem seit den 1890er Jahren der Organisationsgrad unter den

‚unskilled workers‘ zunahm, gewannen innerhalb des TUC zwar syndikalistische und sozialistische Ansprüche etwas mehr Gewicht;145 in der Frage der Insti-tutionalisierung der Arbeitsverwaltung stellte sich der TUC jedoch ganz auf die Seite der dominierenden ‚craft unions‘. Es waren somit die ‚craft unions‘, die „alten“

Gewerkschaften, die in den Verhandlungen mit Churchill die Akzente setzten146, und

144 Buxton wurde 1910 Minister des ‚Board of Trade‘.

145 Vgl. hierzu Coates/Topham 1988: 107-108, die auch ausführlich auf die einschlägige Literatur hierzu verweisen.

146 Vgl. hierzu die ausführliche Beschreibung der Verhandlungen bei King 1995: 33-49.

nicht die nach dem großen Londoner Dockers Streik (1889) neu entstandenen Gewerkschaften der ‚unskilled workers‘ des ‚new unionism‘147.

Konfrontiert man diese Dominanz der „unpolitischen“ ‚craft unions‘ mit der politi-schen Aufladung der deutpoliti-schen Gewerkschaften (gemeint ist die Spaltung der deut-schen Arbeiterbewegung in die Hirsch-Dunkerdeut-schen Gewerkvereine, die Freien Ge-werkschaften und die Christlichen GeGe-werkschaften), so verwundert es nicht, daß die Institutionalisierung der Arbeitsmarktpolitik in Deutschland nicht auf demselben Schleichweg wie in Großbritannien vollzogen werden konnte.148

Der TUC (wie auch die Webbs)149 forderte entsprechend der Dominanz der ‚craft unions‘ die Installierung eines Genter Systems (vgl. Heclo 1974: 86), d.h. die Ar-beitslosenversicherung sollte durch die Gewerkschaften verwaltet und durch öffentli-che Mittel unterstützt werden. Dies hätte dem entsproöffentli-chen, was in den Niederlanden mit Beginn des Ersten Weltkrieges institutionalisiert worden ist: eine freiwillige Ver-sicherung auf der Basis der Gewerkschaftskassen. Da Beveridge in seinen Studien jedoch herausfand, daß vor allem die unorganisierten und unqualifizierten Arbeiter durch die Arbeitslosigkeit betroffen seien, lehnte er das Genter System ab (vgl. He-clo 1974: 86).

Der erbitterte Widerstand der Gewerkschaften in der Frage des Status der Gewerk-schaftskassen erklärt sich daraus, daß die Selbsthilfe der Ursprung ihrer Bewegung war. Die ‚tramp rooms‘, die von den ‚trade unions’ in kleinen Gasthöfen auf dem Land eingerichtet wurden, gelten in England als die zuerst auftauchende Form einer regelmäßigen und organisierten Unterstützung von Arbeitslosen auf der Basis der Selbsthilfe (vgl. Pfister 1936: 25). Es waren englische Gießereiarbeiter, die 1831 erstmals in Europa einen regulären gewerkschaftlichen Unterstützungsfond errichte-ten (vgl. Alber 1987: 167). Nicht nur bei Arbeitslosigkeit, sondern auch bei Krank-heit, Alter, Unfall, Streik und Beerdigungen versprachen die ‚trade unions’ Leistun-gen, wobei nach Ritter (1989: 53) die diskriminierenden Bestimmungen des ‚Poor Law‘ den Aufbau dieser kollektiven Selbsthilfevereinigungen „indirekt“ beförderten.

Die Arbeiterfürsorge und die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen ih-rer Mitglieder waren bei den englischen Gewerkschaften sogar lange Zeit der Schwerpunkt der gewerkschaftlichen Tätigkeit schlechthin. So betont Bremme (1961: 11), daß die englischen Gewerkschaften „in ihren Anfängen ... unpolitisch

147 Zum ‚new unionism‘ vgl. Hobsbawm 1985.

148 Für einen Überblick der unterschiedlichen Ausrichtungen der britischen und deutschen Gewerk-schaften in historischer Perspektive vgl. den Sammelband von Mommsen/Husung 1985.

149 Der Status der gewerkschaftlichen Kassen bildete auch einen zentralen Spannungspunkt zwi-schen den Webbs und Beveridge. Die Webbs favorisierten wie der TUC eine freiwillige Versi-cherung auf der Basis der gewerkschaftlichen Kassen mit staatlicher Unterstützung (vgl. Heclo 1974: 86; Gilbert 1966a: 258-260).

und allein auf die soziale Besserstellung ihrer Mitglieder ausgerichtet“ gewesen sei-en.150

Den ‚trade unions’ ging es weniger um die Herbeiführung einer neuen Wirtschafts-ordnung als um die Erhöhung des durchschnittlichen Lebensstandards ihrer Mitglie-der, der ‚skilled workers‘. Die ‚trade unions’ versuchten, durch gegenseitige Unter-stützung und durch die Monopolisierung der jeweiligen spezifischen Qualifikationen die Tauschbedingungen ihrer Mitglieder auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Diese Monopolisierung beinhaltete eine explizite Abgrenzung gegen unqualifizierte Arbei-ter. Die Ausgrenzung der ‚unskilled workers‘ stellte einen vorrangigen Organisati-onszweck der ‚trade unions’ dar.

Die ‚trade unions’ waren nun lokal gebunden und besaßen selten eine landesweite Organisation. Ihre Aktivitäten auf dem Gebiet der Arbeitsvermittlung hatten dement-sprechend nur eine lokale Bedeutung. Anders ist es mit den Unterstützungsleistungen der Gewerkschaften. Denn zwischen 1898 und 1907 verwandten die ‚trade unions’, die eine Unterstützung bei Arbeitslosigkeit anboten, immerhin 23 Prozent ihrer Aus-gaben hierfür. Insgesamt war ein Drittel der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter durch das gewerkschaftliche Unterstützungssystem abgesichert (vgl. Beveridge 1912: 224-225). Beveridge hielt dies gesamtwirtschaftlich betrachtet zwar nicht für ausreichend, für die ‚trade unions’ hatten diese Kassen jedoch eine große organisati-onspolitische Bedeutung.

Was die Gewerkschaftskassen nun für unsere Zusammenhänge interessant macht, ist aber weniger ihre quantitative Bedeutung. Ihr Deckungsgrad gilt gemeinhin als ge-ring.151 Vielmehr muß hier festgehalten werden, daß nur qualifizierte Arbeiter in den Genuß der Leistungen kamen (Harris 1977: 137). Der Rest der Arbeiter, die weniger qualifizierten, waren durch keinerlei Vorrichtung abgesichert. Sie gingen leer aus und waren auf das Armenrecht angewiesen.

Aus diesem Verständnis der ‚trade unions’ als Organisationen der ‚skilled workers‘

ergibt sich, daß diese in den Verhandlungen mit Churchill ihre Positionen zur Institu-tionalisierung einer nationalen Arbeitsmarktpolitik, die ja gerade auch die ‚unskilled workers‘ ansprechen sollte, aus der Marktposition ihrer Mitglieder ableiteten. Sie üb-ten gegenüber den Plänen der liberalen Reformer Widerstand aus.

150 Bezeichnend ist auch die Definition von ‚trade union‘ durch die Webbs: „A Trade Union, as we understand the term, is a continous association of wage earners for the purpose of maintaining and improving the conditions of their working lives.“ (Webb/Webb 1920: 1)

151 So waren 1911 etwa 1 bis 1,5 Millionen der 3 Millionen der Gewerkschaftsmitglieder durch die-se Kasdie-sen versichert. Die Gesamtzahl der Industriebevölkerung betrug zu diedie-ser Zeit allerdings 15 Millionen (vgl. Weissmandel 1929: 27).

Die ‚trade unions’ und der TUC äußerten in den Gesprächen zusammengefaßt fol-gende Bedenken: Erstens ging es ihnen um den Erhalt ihrer wirksamsten Werbeme-thode, den Gewerkschaftskassen. Zweitens äußerten sie Kritik an einer behördlichen Organisierung der Arbeitsvermittlungsstellen. Drittens fürchteten sie, daß die öffent-liche Arbeitsverwaltung ihre Verhandlungsmacht bei den Löhnen und während der Streiks gefährden würde. Viertens vermuteten sie eine Dis- und Dequalifizierung der Arbeiter durch die Vermittlungstätigkeit (vgl. Harris 1972: 289-291, 316-318; King 1995: 41-38). Da die Bedenken der Gewerkschaften bezüglich der Gewerkschafts-kassen bereits oben erläutert wurden, soll im folgenden nur noch die Frage der be-hördlichen Organisierung und der Neutralität der Arbeitsverwaltung näher skizziert werden.

Wiederum um die Position der ‚skilled workers‘ gegenüber den ‚unskilled workers‘

zu schützen, plädierten die ‚trade unions’ für eine Paritisierung der öffentlichen beitsverwaltung. Vertreter der Arbeitgeber und der Gewerkschaften sollten die Ar-beitsverwaltung in einem Direktorium gemeinsam führen (vgl. Harris 1972: 290).

Die Gewerkschaften forderten eine Selbstverwaltung, in der alle Branchen vertreten sein sollten (vgl. King 1995: 38).152 Eine Beteiligung der Gewerkschaften war nun auch in Churchills Sinne, er sah deren Rolle aber eher als beratend denn als regulie-rend. So plante Churchill, den Arbeitsämtern mit Vertretern der Gewerkschaften und der Arbeitgeber besetzte Beratungskomitees beizustellen. Dagegen wandten die Ge-werkschaften nun ein, daß die Beratungskomitees der Arbeitsverwaltungen auch un-parteiische Mitglieder haben sollten, wie lokale Honoratioren. Churchill entgegnete diesem Einwand, daß diese Gremien „so katholisch wie möglich“153 sein sollten, „um einen guten Willen zu kultivieren“ (Harris 1972: 291). Die Beratungskomitees hatten die Funktion, untertarifliche Bezahlung der Vermittelten zu verhindern und bei Ver-mittlung in Betrieben, die bestreikt wurden, einzugreifen (vgl. King 1995: 39). Chur-chill sprach sich klar gegen eine weitergehende Penetration durch Arbeitgeber und Gewerkschaften als auf lokaler Ebene aus (vgl. Harris 1972: 286). Die Gewerkschaf-ten favorisierGewerkschaf-ten eine weitgehende Dezentralisierung des Systems. Sie bewerteGewerkschaf-ten dies gar höher als die Realisierung einer nationalen Politik. Das BoT hatte sich je-doch bereits in der Phase der Formulierung des ‚Labour Exchange Act‘ klar für eine Zentralisierung des Systems ausgesprochen: D.h. die Arbeitsämter sollten unter der Kontrolle des BoT stehen und keine kommunalen oder lokalen Einrichtungen sein.

Auch die Arbeitgeber, dies sei vorweggenommen, befürworteten eine Zentralisie-rung. Sie befürchteten, daß eine Dezentralisierung den ‚trade unions’ zuviel Macht

152 Die Forderung nach einer Selbstverwaltung wurde auf der Konferenz des TUC im Jahr 1909 ins-besondere von J. Sexton, einem Vertreter der ‚Liverpool Dockers‘, und C. Hickin, einem Vertre-ter der Metallblech-ArbeiVertre-ter (‚sheetmetal workers‘), vorgebracht. Es ging beiden dabei vor allem darum, sicherzustellen, daß die Arbeitsämter nicht auf Löhne und Streiks Einfluß nehmen können (vgl. King 1995: 34).

153 „Katholisch“ bedeutet hier „allumfassend“.

verleihen würde (vgl. King 1995: 46). Bezüglich des Verhaltens der Arbeitsämter zu den festgesetzten Löhnen und bei Streiks plädierte Churchill von Beginn an dafür, daß sich die Arbeitsämter hier strikt neutral verhalten sollten. Dies setzte er in den Gesprächen auch durch.

In den Gesprächen hatten die Gewerkschaften, dies zeigen die eben gemachten Ausführungen, vornehmlich die Interessen der qualifizierten Arbeiter im Auge. Das

‚policy-making‘ auf der nationalen Ebene hatte auf diese Ausrichtung der Gewerkschaften nur einen sehr indirekten Einfluß und blieb daher weitgehend außer Betracht.

Churchill erweckte auf den Konferenzen mit den ‚trade unions’ den Eindruck, als würde er die Bedenken der Gewerkschaften aufgreifen. In Wahrheit änderte er aber nichts wesentliches am Gesetzentwurf des Kabinetts. Churchill dominierte die Sitzungen (vgl. King 1995: 35). Die Gewerkschaften wurden „beschwatzt“

(Weir/Skocpol 1997: 121), die Einführung einer Arbeitslosenversicherung zu unterstützen. Gegen den von den Gewerkschaften vorgebrachten Wunsch, alle ‚trade unions’ zu beteiligen, entgegnete Churchill bezeichnenderweise: „We want it to be used just like the Post Office is used for all sorts of matter.“ (zit. nach King 1995: 44;

meine Herv., CT)

Zu den Gesprächen mit den Arbeitgebern, die Churchill im August 1909 führte, ist folgendes festzuhalten: Auch hier waren die Vertreter der Verbände der Maschinen-bau- und Schiffsbauindustrie154, der ‚Engeneering Employers‘ Association‘ und der

‚Shipbuilding Employers‘ Federation‘, die Wortführer. Die Arbeitgeber waren gegen die öffentliche Arbeitsvermittlung. Sie führten an, daß auch die ‚trade unions’ Skep-sis äußern würden, die öffentliche Arbeitsvermittlung die Moral und die Suchaktivi-täten der Arbeiter reduzieren sowie gewerkschaftliche Aufstände befördern könnte und die Kosten einer öffentlichen Arbeitsvermittlung ihren Nutzen weit übersteigen würden (vgl. Harris 1972: 291). Was die Position der Arbeitgeber jedoch auch ge-prägt hat, war ihre Sichtweise, daß sie ihre eigene Vermittlungspraxis hätten, die sie bisher mit Erfolg eingesetzt haben:

154 Mit den Arbeitgebern aus der Maschinenbauindustrie und dem Schiffsbau meldeten sich gerade diejenigen zu Wort, die besonders wenig Investitionen in die Organisation der Arbeitsbedingun-gen und die Rationalisierung ihrer Industriezweige tätigten. In seiner Untersuchung über die Stra-tegien der britischen Maschinenbauer bis zum Ersten Weltkrieg führt Zeitlin (1985) diese Zu-rückhaltung insbesondere auf die Struktur der Unternehmen und Märkte in diesen Bereichen zu-rück. Die Dominanz der kleinen Familienbetriebe, die geringen Tendenzen einer Kartellisierung, ihre Orientierung zu Exportmärkten sowie die durch den Commonwealth eröffnete Möglichkeit des Austritts in einen geschützten Markt, erklärt, so Zeitlin (1985: 329), „the limited character of British employers‘ investment strategies and of their efforts to transform the division of labour“

in diesen Wirtschaftszweigen.

First, the foreman have usually in their possession a list of men out of work with whose capacity and character they are aquainted. Second, recommendations of other workmen on whose opinions the foreman can rely. Third, trade union and other organizations. And, fourth, the public press (Die ‚Engeneering Employers‘ Association‘ und die ‚Shipbuilding Employers‘

Federation‘ auf der BoT-Konferenz im August 1909; zit. nach King 1995: 37).

Denn in Branchen wie dem Schiffsbau war die Kommunikation zwischen dem Un-ternehmer und dem Arbeitnehmer relativ einfach. Die Beschäftigung war oft regional und in wenigen großen Betrieben konzentriert (vgl. Harris 1972: 14). In diesem Sin-ne machten Alexander Siemens von der ‚Siemens Brothers and Company‘ und Fred Henderson von der ‚D&W Henderson and Company‘ bei den Verhandlungen mit Churchill folgende Bemerkung:

[In engineering and shipbuilding the exchanges; Einfügung durch King] will do us no good at all ... we have our own Labour Exchanges every morning (zit. nach King 1995: 37; meine Herv. CT).

Gerade Alexander Siemens, der 1911 Vorsitzender des Arbeitgeberverbandes der Maschinenbauindustrie (‚Engineering Employers‘ Federation‘) wurde, wandte sich explizit gegen die Einrichtung der Arbeitsämter, „da er es für besser hielt, auf eine große Reservearmee gelernter Arbeiter zurückgreifen zu können“ (Hay 1982: 124).

Auch auf die Auswirkungen der staatlichen Arbeitsvermittlung auf die Regulierung der Arbeitsbedingungen konnten die britischen Unternehmer relativ gelassen reagie-ren. Der Kontext ihrer Produktionsweise und der industriellen Bedingungen gab den Unternehmern wenig Motivation, sich als eigenständiger Interessenakteur und natio-naler (gemischter) Verband für die Regulierung der Arbeitsbedingungen zu engagie-ren. Exemplarisch sei an dieser Stelle auf die Einschätzung des Verhaltens und der Strategien der britischen Unternehmer vor dem Ersten Weltkrieg durch Reid (1984) verwiesen:

Selbstverständlich sind einige allgemeine Bemerkungen zur britischen Wirtschaft des 19. Jahr-hunderts und frühen 20. JahrJahr-hunderts möglich, z.B. war sie durch eine weitgehende Zersplitte-rung der Eigentumsverhältnisse, starke Produktionsschwankungen und eine Tendenz zu erhöh-ter Arbeits- statt Kapitalintensität gekennzeichnet ... Allgemein gesagt, zeigten kleine Firmen, oft in Familienbesitz, großes Beharrungsvermögen; Möglichkeiten der Außenfinanzierung ge-genüber nahmen die Unternehmer eine zögernde Haltung ein; Zentralisierungstendenzen zu größeren Besitzeinheiten waren selbst in den von großen Unternehmen beherrschten Sektoren schwach. Insofern kennzeichnete das Verhältnis der Unternehmer untereinander eher Konkur-renz als Kooperation. Häufig liefen ihre Interessen selbst innerhalb einer Branche auseinander,

Selbstverständlich sind einige allgemeine Bemerkungen zur britischen Wirtschaft des 19. Jahr-hunderts und frühen 20. JahrJahr-hunderts möglich, z.B. war sie durch eine weitgehende Zersplitte-rung der Eigentumsverhältnisse, starke Produktionsschwankungen und eine Tendenz zu erhöh-ter Arbeits- statt Kapitalintensität gekennzeichnet ... Allgemein gesagt, zeigten kleine Firmen, oft in Familienbesitz, großes Beharrungsvermögen; Möglichkeiten der Außenfinanzierung ge-genüber nahmen die Unternehmer eine zögernde Haltung ein; Zentralisierungstendenzen zu größeren Besitzeinheiten waren selbst in den von großen Unternehmen beherrschten Sektoren schwach. Insofern kennzeichnete das Verhältnis der Unternehmer untereinander eher Konkur-renz als Kooperation. Häufig liefen ihre Interessen selbst innerhalb einer Branche auseinander,