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Der Bericht der Staatskommission über die Arbeitslosigkeit (1913) Es war die Rezession der Jahre 1907/1908, die die damalige Regierung dazu

Teil II Die Entstehung der öffentlichen Arbeitsverwaltung in Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden

8.3 Der Bericht der Staatskommission über die Arbeitslosigkeit (1913) Es war die Rezession der Jahre 1907/1908, die die damalige Regierung dazu

veran-laßte, eine Expertenkommission einzurichten, welche Empfehlungen für eine Ar-beitslosenpolitik auf nationaler Ebene aussprechen sollte (vgl. Hoogland 1940a:

244). Die damaligen politischen Verhältnisse erforderten es und ließen es (noch) zu, daß in der Staatskommission über die Arbeitslosigkeit alle „Säulen“ vertreten waren.

Denn bis zum Ersten Weltkrieg bestand ein Patt zwischen dem katholischen und pro-testantischen Block auf der einen Seite und dem liberalen und sozialdemokratischen Lager auf der anderen. Die Regierung Heemskerk (1908-1913) war zwar eine prote-stantisch-katholische Koalition, mußte aber auf die liberalen und sozialistischen ge-sellschaftlichen Gruppen und deren Interessen Rücksicht nehmen (vgl. Roebroek 1993: 51). Die Ausgeglichenheit der politischen Kräfteverhältnisse, der Umstand, daß die „Säulen“ der liberalen und sozialistischen Interessen in der ScoW noch ver-treten waren, ist zu betonen, denn nach der Einführung des allgemeinen Wahlrechts im Jahr 1917 änderte sich dies und begann eine Phase konfessioneller Dominanz.

Es waren nun die „Säulen“ der Sozialisten und Progressiven Liberalen, die den Be-richt der Staatskommission entscheidend prägten. Die Federführung in der Abfas-sung des Endberichts oblag dem Sozialisten Jan van Tempel. Neben Tempel waren der Progressive Liberale Treub, der der Vorsitzende der Kommission war, und der

178 Zum Endbericht der Staatskommission vgl. vor allem Bekkum 1996b: 230-254; Sol 2000: 44-57;

Hoffius/Vriend 1988: 25-30.

Sozialist Troelstra179 weitere Triebkräfte in der Arbeit der Kommission. Über Tem-pel, einem ehemaligen Funktionär der sozialistischen Gewerkschaft NVV, standen die Ideen der Kommission in starker Nähe zu den arbeitsmarktpolitischen Überle-gungen des NVV. Der Bericht der Kommission stimmte in vielen Punkten sogar mit einer Stellungnahme überein, die der NVV im Mai 1914 veröffentlicht hatte (vgl.

Rooy 1978: 20-21). 180

Die Schlüsselworte in den Empfehlungen der Kommission waren „Zusammenarbeit und Beratschlagung“ (Sol 2000: 49). Die Kommission plädierte in ihrem Bericht da-für, möglichst viele Interessen zu berücksichtigen:

Die Arbeitslosigkeit ist eine zu komplizierte und mit vielen Interessen verknüpfte Erscheinung, als daß man sich nicht von Beginn an die Information und die Unterstützung der unterschied-lichsten Gruppen dienlich machen sollte (ScoW 1913: 842; meine Übersetzung, CT).

In der engeren arbeitsmarktpolitischen Zielsetzung schlug der Bericht der ScoW eine Brücke zwischen der öffentlichen Arbeitsvermittlung, der Förderung regionaler und beruflicher Mobilität und der Organisierung der Fachausbildung und der Berufsbera-tung. Dabei sprach der Bericht die folgenden neun Bereiche als mögliches Feld staat-licher, aber zugleich alle Akteure integrierender Interventionen an: Beschäftigungs-förderung, Arbeitszeitverkürzung, Bekämpfung der Saisonarbeitslosigkeit, kategoria-le Umverteilung der Beschäftigung, Beschränkung von Hausarbeit, Armenfürsorge und Arbeitsbeschäftigungsmaßnahmen, räumliche Mobilität, Berufsausbildung sowie Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung. Daß die Kommission eine derart große Bandbreite an Maßnahmen vorschlug, ist vor allem auf die sozialistischen Mitglieder zurückzuführen (vgl. Bekkum 1996b: 231-243).

Durch dieses umfassende Konzept vertrat die Kommission in gewisser Hinsicht ei-nen arbeitsmarktpolitischen Ansatz, den man heute eine gezielte Konzertierung aller politischen Kräfte unter staatlicher Moderation nennen würde. Blicken wir genauer auf die Vorstellungen der Kommission hinsichtlich des neunten Interventionsberei-ches, der Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, so läßt sich folgendes festhalten:

179 Troelstra machte im November 1918 Geschichte, als er in den Niederlanden revolutionäre Stim-mungen wahrnahm und die Arbeiterklasse zur Ergreifung der politischen Macht aufrief. Es kam dann aber nur zu sporadischen Kundgebungen. In den Niederlanden charakterisiert man dies als die „Revolutie, die niet doorging“.

180 Darauf hinzuweisen ist auch, daß über die Bedeutung des Berichts der ScoW in der Forschung Uneinigkeit besteht. Während Hoffius/Vriend (1988: 31) anmerken, daß er lange Zeit „eine Bi-bel“ auf dem Gebiet der Arbeitsmarktpolitik gewesen sei, erkennt zwar auch Bekkum eine politi-sche Bedeutung des Berichts, räumt zugleich aber ein, daß „viele Dinge anders gelaufen sind als der Bericht sie andachte“ (Bekkum 1996b: 243). Bei Rooy (1978: 20-21) findet der Bericht der ScoW demgegenüber nur am Rande eine Erwähnung. Auch Rigter et al. (1995: 117) äußern sich skeptisch über die tatsächliche Bedeutung des Berichts für die weitere Entwicklung in der nieder-ländischen Arbeitsmarktpolitik.

Was die Arbeitslosenversicherung anbelangt, forderte die Kommission, sie als frei-willige und auf Gewerkschaftskassenbasis einzurichten. Die Gewerkschaftskassen sollten durch das Reich und die Kommunen finanziell unterstützt werden. Hier kommt zum Tragen, daß der NVV die Einführung einer verpflichtenden Versiche-rung strikt ablehnte, weil sie die Position der eigenen Kassen und damit die der eige-nen Organisation substantiell gefährdet hätte. Der NVV betrachtete es zu diesem Zeitpunkt noch als nicht „opportun“, in den Niederlanden eine verpflichtende Versi-cherung einzuführen, solange nicht alle Arbeiter einer Gewerkschaft angehören (vgl.

Sol 2000: 55). In den Verhandlungen der Kommission betonten die Mitglieder der sozialistischen Gewerkschaftsbewegung immer wieder, wie stark die Belange der Gewerkschaftsbewegung mit dem Status der Kassen in einem engen Zusammenhang stehen würden (vgl. Sol 2000: 56).

Neben der Unterstützung der Gewerkschaftskassen und dem Beibehalten einer frei-willigen Arbeitslosenversicherung, empfahl der Bericht die Errichtung von Arbeits-ämtern (‚arbeidsbeurzen‘), um dadurch eine öffentliche und landesweite Arbeitsver-mittlung aufzubauen. Die gewerkschaftlichen Versicherungsträger und die Arbeits-ämter sollten nach den Plänen der Kommission zusammenarbeiten, aber nicht in ei-ner gemeinsamen Organisation integriert werden. Die Arbeitsämter sollten korporati-stisch verwaltet werden. Sie sollten auf drei Ebenen (Reich, Distrikt, Gemeinde) in-stitutionalisiert und paritätisch von Arbeitgebern und Gewerkschaften geleitet wer-den. Für den Vorsitz der Arbeitsbörsen sah der Bericht eine neutrale Person vor, die weder dem Arbeitgeber- noch dem Arbeitnehmerlager zuzurechnen war. Finanzie-rungsgrundlage der Vermittlung sollten Beiträge des Reiches und der Kommunen sein. Die Kommission forderte damit die Einrichtung einer öffentlichen und paritä-tisch verwalteten Arbeitsvermittlung (vgl. Hoffius/Vriend 1988: 25-28).

Den paritätischen Verwaltungsorganen wurde in der Leitung der Arbeitsverwaltung eine zentrale Rolle zugestanden. Ihre Befugnisse definierte die Kommission selbst folgendermaßen:

Zwischen den Zuständigkeiten, die der Staat für sich selbst reserviert und denjenigen, die er dem Direktor [der Arbeitsbörsen] verleiht, liegt das Feld auf dem das (paritätische) Verwal-tungsorgan seine Aufgabe ausübt. Das VerwalVerwal-tungsorgan kann mit der Durchführung der all-gemeinen Regelungen beauftragt werden ... Es kann zum Beispiel das Reglement der Arbeits-börse festlegen. Es kann in zweifelhaften Fällen beurteilen, ob es einen Streik oder eine Aus-sperrung gibt und ob die betreffenden Bestimmungen der Verordnung Verwendung finden können. Es kann entscheiden, wie hoch der Standardlohn des Berufes sein soll. Es kann, vor-behaltlich der nötigen finanziellen Mittel, über [folgendes] entscheiden: über die Öffnungszei-ten der Arbeitsbörsen, über die Zusammenarbeit mit den Facharbeitsbörsen, über Maßnahmen zur Förderung der Nutzung der Arbeitsbörsen, wie die optimalste Zusammenarbeit mit den Ar-beitnehmer- und den Arbeitgebervereinen angereichert werden kann usw. (ScoW 1913: 651;

meine Übersetzung, CT).

Im Bericht wird deutlich, daß die Kommission die Arbeitsvermittlung (und damit die Arbeitsverwaltung) unter die Kontrolle von Gewerkschaften und Arbeitgebern stel-len wollte. Die Rolle der Gewerkschaften und Arbeitgeber definierte man nicht nur als eine der „Aufsicht“ (‚toezicht‘), sondern auch als eine der „Verwaltung“

(‚bestuur‘, vgl. Bekkum 1996b: 245).

Damit wird auch klar, warum die Kommission nicht für eine Organisation für Ar-beitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung plädierte, sondern für die institutio-nelle Trennung dieser beiden Aufgaben. Bereits die Kommission ging davon aus, daß die Gewerkschaftskassen und die Arbeitsämter (als Träger der Arbeitsvermittlung) jeweils selbständige, nach unterschiedlichen Prinzipien zu verwaltende Organisati-onseinheiten darstellen: Die Arbeitsverwaltung sollte paritätisch verwaltet werden, die Versicherung eine Aufgabe der Gewerkschaften bleiben.

Da die Niederlande in industrieller Hinsicht wie auch beim Aufbau des Wohlfahrts-staates181 zu den Spätentwicklern gehörten, besaß die Kommission im besonderen Maße die Möglichkeit zur internationalen Diffusion. Und in der Tat sind die Empfeh-lungen der Kommission auch ein treffendes Beispiel dafür, wie sich die Akteure während der formativen Phase der Institutionalisierung der öffentlichen Arbeitsver-waltung gegenseitig beobachteten. So nahm die Kommission in ihren Vorschlägen zur Institutionalisierung der Arbeitsvermittlung explizit zum Status quo in der deut-schen und englideut-schen Arbeitsmarktpolitik Stellung. Nach Sol (2000: 46) waren Deutschland und England „Inspirationsquellen“ der Kommission. Was die Kommis-sion nun aber hinsichtlich der Organisationsform der Arbeitsbörsen vorschlug, war eine positive Adaption des deutschen „Modells“ und eine negative des englischen.

Die Kommission plädierte dafür, dem deutschen Weg zu folgen, und sprach sich ge-gen die englische Lösung aus (vgl. Bekkum 1996b: 249). Warum blickten die Kom-missionsmitglieder nun aber überhaupt auf Deutschland und England und was lern-ten sie von der deutschen und der englischen Arbeitsmarktpolitik?

Deutschland wurde beobachtet aus Angst davor, daß auch in den Niederlanden die Arbeitsvermittlung zu einer Frage des Klassenstreits werden würde; und Beveridge faszinierte die Kommission durch seine „Principles“, die er in seinem Buch ‚Unem-ployment. A Problem of Industry‘ ausgeführt hatte, und insbesondere durch die Idee,

181 Die Entwicklung des niederländischen Wohlfahrtsstaates charakterisiert Swaan (1993) als “Lan-ges Zischen, später Knall”. Betrachtet man die Geschichte der niederländischen Sozialversiche-rung, so zeigt sich, daß die Akteure die Stufe politischer Diskussion lange Zeit nicht überschrit-ten (vgl. Rooy 1997: 143). Während zwischen 1880 und 1910 in jedem anderen europäischen Land Programme zur Sozialversicherung eingerichtet wurden, hielt man sich in den Niederlanden zurück. Erst 1913 wurden eine Krankenversicherung sowie eine Invaliditäts- und Rentenversi-cherung eingeführt. Diese waren jedoch nicht universal (vgl. Rooy 1997: 143, 146). Die Arbeit von Cox (1993) versucht, die Verspätung der Institutionalisierung des niederländischen Wohl-fahrtsstaates zu erklären.

mit Hilfe einer umfassenden und zentralen Organisation des Arbeitsmarktes - einer öffentlichen Arbeitsvermittlung - struktureller Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken;

eine Problematik, die sich den Niederlanden aufgrund der verspäteten Industrialisie-rung jedoch bei weitem nicht im selben Ausmaß wie Großbritannien stellte.

Gleichwohl beeinflußte Beveridge die Arbeit der Kommission doch so stark, daß Mitglieder der Kommission nach London reisten, um mit ihm über sein Buch zu re-den. Man war beeindruckt vom englischen Weg, zeigte aber bei der Übertragung der Prinzipien Beveridges auf die eigene Situation Vorbehalte. Die Skepsis resultierte vor allem aus der Erkenntnis, daß die strukturellen Voraussetzungen bei der Initiali-sierung der Arbeitsvermittlung in den Niederlanden und England nicht dieselben wa-ren (vgl. Bekkum 1996b: 227-228). Die Mitglieder der Kommission erkannten, daß man aufgrund der kommunalen Arbeitsbörsen in den Niederlanden bei der institutio-nellen Ausgestaltung der Arbeitsverwaltung festgelegter sei, als es in England der Fall gewesen war. So stellte die Kommission in ihrem Bericht fest, daß man in den Niederlanden,

in der Wahl der Lösung nicht so frei [ist], wie man es in England war, als die Regelung [ge-meint ist der ‚Labour Exchange Act‘] entworfen wurde, wodurch das jetzt existierende System der zentralstaatlichen Arbeitsämter ins Leben gerufen wurde. In England war ... die bestehende öffentliche Arbeitsvermittlung in einem geringeren Umfang vorhanden und sie hatte eine ge-ringere Bedeutung (ScoW 1913: 646; meine Übersetzung, CT).

Gerade diese „Unfreiheit“ wurde auch als Grund dafür gesehen, daß man eher den deutschen Weg eines Nebeneinanders von mehreren Vermittlungsorganisationen im Auge behalten sollte. Die Niederlande, so schloß die Kommission an die oben zitier-te Aufnahme des englischen Beispiels direkt an, müssen dem deutschen Weg folgen und eine Regelung treffen,

welche die bestehende Position der Arbeitsbörsen festlegt, das Verhältnis dieser Einrichtungen und deren Zusammenarbeit sicherstellt, Arbeitsbörsen einrichtet und instandhält, wo diese nö-tig sind, die einheitliche Arbeitsweise gewährleistet und das Verhältnis der öffentlichen Ar-beitsbörsen zu den anderen Vermittlungseinrichtungen regelt (ScoW 1913: 646; meine Über-setzung, CT).

Nicht nur strukturelle, sondern auch ideologische Vorbehalte sind im Kommissions-bericht erkennbar. So kritisierte die Kommission das wissenschaftliche Verständnis Beveridges vom „Problem der Arbeitslosigkeit“. Die Kommission wandte sich gegen die Auffassung Beveridges, daß die Arbeitslosigkeit allein eine Frage der Organisati-on des Arbeitsmarktes sei:

Es mögen viele Leute die Erwartung Beveridges vielleicht zu optimistisch erachten, darauf aber keinen Wert legen kann niemand. Es ist in der Tat wahrscheinlich, daß mittels einer gut organisierten Arbeitsverwaltung viele Gelegenheitsarbeiter in eine geregelte, sei es auch eine ungeregelte Arbeit, vermittelt werden können. Daß dadurch andere geringere Chancen haben, beschäftigt zu werden, weil weniger Arbeitskräfte eingesetzt werden, ist ebenfalls deutlich. Ob die anderen weniger sein werden, hängt aber von so vielen und so komplizierten gesellschaftli-chen Bedingungen ab, daß dies schwierig zu ermitteln ist. Einstweilen scheint es gewagt die organisierte Arbeitsvermittlung als einen Regulator zu betrachten, wodurch die Arbeitsreser-vearmee bis zum theoretischen Minimum eingeschränkt werden kann (ScoW 1913: 604; meine Herv. und meine Übersetzung, CT).

Ein Transfer der englischen Lösung der Arbeitsverwaltung in die Niederlande wurde von der Kommission daher abgelehnt. Man orientierte sich mehr am deutschen „Mo-dell“. Das deutsche Vorbild beeindruckte die Kommission, weil hier auf kommunaler Ebene zahlreiche paritätisch verwaltete Arbeitsnachweise entstanden waren. Die Niederländer perzipierten die kommunalen und paritätisch verwalteten Nachweise in Deutschland als Möglichkeit, einem möglichen „Klassenstreit“ um die Arbeitsver-mittlung vorzubeugen; „vorbeugen“ verständlicherweise schon deshalb, weil die Ar-beitsvermittlung in den Niederlanden keine Frage des Klassenstreits war:

Alles verläuft in den Niederlanden viel zahmer. Es gibt hier keine heftigen Klassenkämpfe über die Beherrschung der Allokation der Arbeit. Natürlich streben auch in den Niederlanden die Arbeitgeber und Arbeitnehmer danach, ihre jeweils eigenen Ziele im Allokationsprozeß erfolg-reich durchzusetzen. Aber unilaterale Vermittlungsorganisationen werden kaum gegründet (Bekkum 1996b: 166; meine Übersetzung, CT).

Die Forderung nach einer Korporatisierung der Arbeitsvermittlung entwickelten die Mitglieder der ScoW daher gewissermaßen prophylaktisch und unter dem Eindruck der klassenpolitischen Auseinandersetzung in der deutschen Arbeitsmarktpolitik zu jener Zeit:

Um vorzubeugen, daß die Arbeitsvermittlung wie in Deutschland zu einem Streitobjekt zwi-schen den beiden Parteien wird, erachtete es die Kommission als ratsam, so schnell wie mög-lich ein nationales Netzwerk von Arbeitsbörsen zu errichten, dies unter der Mitarbeit von Ar-beitgebern und Arbeitnehmern (Hoffius/Vriend 1988: 27; meine Übersetzung, CT).

Der Bericht der Kommission zeigt somit deutlich auf, daß die Akteure in den Nieder-landen die Entwicklungen bei ihren Nachbarn Deutschland und England wahrnah-men. “Bewußt” bezogen sich die Mitglieder in ihren Vorschlägen auf die Arbeits-marktpolitik ihrer Zeitgenossen in anderen Ländern. Die Wahrnehmung war jedoch selektiv. Dem Liberalismus der Engländer begegnete man mit Skepsis, der deutsche Weg gefiel besser.

Der paritätisch verwaltete Nachweis konnte sich aber in der weiteren Entwicklung de facto nicht durchsetzen. Entgegen dem im Kommissionsbericht entworfenen Plan ei-ner paritätisch verwalteten Arbeitsverwaltung wurde diese nämlich in der Zwischen-kriegszeit als staatliche Aufgabe und ohne Beteiligung der Gewerkschaften und Ar-beitgeber institutionalisiert. “Unbewußt” folgte man nun doch dem englischen Weg:

Die Arbeitsvermittlung (Arbeitsverwaltung) wurde als staatliche Aufgabe eingerich-tet. Daß sich die Korporatisierung der Arbeitsverwaltung nicht durchsetzte, lag dar-an, daß sich die politischen Machtverhältnisse nach dem Ersten Weltkrieg verscho-ben hatten: Denn diejenigen Kräfte, die den Bericht prägten, die Liberalen und die Sozialisten, hatten gegenüber den konfessionellen Gruppen nach dem Krieg beträcht-lich an Boden verloren. Auch die Idee der Kommission, eine einheitbeträcht-liche und vom Reich initiierte Arbeitslosenpolitik aufzubauen, wie sie in den neun vorgeschlagenen Interventionsbereichen zum Ausdruck kam, fand keinen Niederschlag (vgl. Sol 2000:

45). Entgegen der Vorstellung der Kommission einer vom Reich ausgehenden

Insti-tutionalisierung einer korporatistischen Arbeitsvermittlung dominierten in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen weiterhin die Kommunen die Arbeitsvermittlung.

Die niederländische Arbeitsmarktpolitik war daher zunächst von „Zwischenlösun-gen“, wie Fürsorgeeinrichtungen, Gewerkschaftskassen und kommunale Arbeitsver-mittlung, geprägt. Nachdem die Kommission mit ihrem Bericht von 1913 eine erste Wegmarke in der öffentlichen Wahrnehmung der Arbeitslosigkeit gesetzt hatte, nö-tigte der Erste Weltkrieg182 den Staat dazu, die Kassen der Gewerkschaften zu sub-ventionieren. Weil diese Subventionierung der Kassen nicht nur für die Entwicklung der niederländischen Gewerkschaften, sondern auch für die der Arbeitslosenversiche-rung von besonderer Bedeutung war, soll sie im folgenden Abschnitt erläutert wer-den.