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Die Arbeitsmarktpolitik der liberalen Experten

Teil II Die Entstehung der öffentlichen Arbeitsverwaltung in Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden

7.3 Die Arbeitsmarktpolitik der liberalen Experten

Hubert Llewellyn Smith und William Beveridge standen beide den Webbs nahe, wa-ren beide von dewa-ren Effizienzdenken beeindruckt und gehörten beide zu den wichtig-sten Mitarbeitern des politischen Schlüsselakteurs der Institutionalisierung der Ar-beitsmarktpolitik: Winston Churchill (vgl. Metz 1988: 391; Davidson/Lowe 1982;

Harris 1972; Harris 1977).

Smith, der in Oxford studierte und stark von den idealistischen Vorstellungen T.H.

Greens geprägt wurde, galt als Fachmann für Arbeitsstatistiken. Er trug zu den Stu-dien von Charles Booth bei und wurde der erste Beauftragte für Arbeitsfragen (‚la-bour commissioner‘) der 1893 gegründeten Abteilung für Arbeitsfragen (‚La(‚la-bour Department‘)128 des BoT. Im Jahr 1907 wurde er schließlich Ständiger Sekretär (‚permanent secretary‘) des BoT (vgl. Vickerstaff/Sheldrake 1989: 3-6). William Be-veridge, Fachmann für Fragen der Unterbeschäftigung und ausländischer Sozialver-sicherungsgesetzgebung, wurde 1907 in den Beamtenstab der Abteilung für Arbeits-fragen des BoT übernommen (vgl. Davidson/Lowe 1982: 284). Auch er wurde durch die Studien von Booth geprägt (vgl. Harris 1977: 116).

Smith und Beveridge schufen nun die wissenschaftliche Begründung für das, was durch den ‚Labour Exchange Act‘ und den ‚National Insurance Act‘ von in einer im Vergleich zu Deutschland atemberaubender Geschwindigkeit institutionalisiert wur-de: Arbeitsämter, die eine Arbeitsvermittlung sowie eine staatliche Arbeitslosenver-sicherung verwalteten. Harris (1972: 273) spricht davon, daß die Reformen der Libe-ralen eine „scientific policy for the unemployed“ darstellten.

Der Statistiker Llewellyn Smith machte im Jahr 1893 erstmalig auf das Problem „in-dustrielle Arbeitslosigkeit“ aufmerksam. Smith entwarf für das BoT129 eine Klassifi-zierung der Ursachen von Arbeitslosigkeit. Er unterschied dabei saisonale und kon-junkturelle Arbeitslosigkeit von solcher, die durch technologische, regionale und managerielle Wandlungsprozesse in der Industrie verursacht wurde (vgl. Harris 1972: 12-13).

128 Im Ersten Weltkrieg wurde die Abteilung für Arbeitsfragen in ein eigenes Ministerium, das

‚Ministry of Labour‘ umgewandelt. 1968 wurde schließlich das ‚Department of Employment‘

gegründet. Zur „Geschichte“ des Beschäftigungsministeriums vgl. Hennessy 1989: 450-456.

129 Smith stieg seit 1897 stetig in der Beamtenhierarchie des BoT auf und wurde 1907 schließlich Staatssekretär des BoT (vgl. Davidson/Lowe 1982: 276).

Die Studien William Beveridges schlossen an diese Überlegungen von Smith an.

Beveridge lieferte in seinem für das BoT angefertigten Bericht ‚Unemployment. A Problem of Industry‘ eine sehr umfassende Analyse über das Problem der Arbeitslosigkeit. Arbeitslosigkeit war für ihn kein Problem der Überpopulation, eines unelastischen Goldangebots oder von Unterkonsumption (J.A. Hobson)130, sondern vorrangig durch friktionelle und strukturelle Gründe bestimmt. Er unterschied zwischen Arbeitslosigkeit aufgrund des Verfalls von bestimmten Industrien, Arbeitslosigkeit aufgrund der Beibehaltung von Surplus an unterwertiger Beschäftigung und Arbeitslosigkeit aufgrund von Wirtschaftsfluktuationen (vgl.

Harris 1972: 23-24). Für Beveridge war die Nicht-Beschäftigung oder unterwertige Beschäftigung eines Arbeiters somit nicht nur eine individuelle Angelegenheit, sondern immer auch eine industrielle.

Arbeitslosigkeit wurde damit auch zum Thema der nationalen Produktivität und Wirtschaftskraft. Sein Vorgesetzter, Minister Churchill, hielt die Erhöhung der Mo-bilität der Arbeit für notwendig, weil moderne Industrie national sei.131

Die Problematik der strukturellen Unterbeschäftigung sah Beveridge vor allem in ei-nem Überangebot des Arbeitsmarktes („overstocking of the labour market“) auf-grund der ungeregelten und unorganisierten Nachfrage der einzelnen Unternehmer begründet (Beveridge 1907: 68). Das „overstocking“ führe zu einer chronischen Un-terbeschäftigung der betroffenen Arbeiter (vgl. Beveridge 1907: 68). Insoweit diese Unstetigkeit der Nachfrage nicht auf saisonale oder konjunkturelle Schwankungen, sondern auf dem individuellen Erfolg der Unternehmer gründete („peculiar in its own undertaking“), sei es offensichtlich, daß das Ausmaß der Nachfrage nach Arbeits-kräften in einem Beruf, nicht nur eine Funktion der aggregierten Masse an Arbeit, sondern auch eine der Verflüssigung („fluidity“) der Arbeit sei (Beveridge 1907: 71).

Diese „Verflüssigung“ wollte Beveridge nun durch Arbeitsvermittlungsstellen in Gang bringen:

So soon ... it becomes clear that the extent of the labour supply required in any occupation is a function not only of the aggregate mass and flow of work, but also of its own fluidity. This is the fundamental principle underlying the use of the Labour Exchange (Beveridge 1907: 71-72;

Herv. durch Beveridge).

Beveridge spricht an dieser Stelle die Notwendigkeit der Verbesserung der Mobilität der Arbeit zwischen den einzelnen Betrieben an: die regionale Mobilität. Als Bild verwendet er zwei Werften, von denen die eine aufgrund einzelbetrieblicher Schwie-rigkeiten Arbeiter entlassen muß, während die andere floriert, Arbeitskräfte sucht und keine findet. Wenn nun, so Beveridge (1907: 72), zwischen den beiden Werften

130 Harris (1977: 115) bezeichnet Beveridges Verständnis der Arbeitslosigkeit in Abgrenzung zum Ansatz der Unterkonsumption (Hobson) als „new empirical school“.

131 So Churchill in einer Rede vor dem ‚House of Commons‘ im Mai 1909 (vgl. King 1995: 24).

„unüberwindbare Barrieren“ die Mobilität der Arbeitskräfte behindern, so kann Ar-beitslosigkeit nur verhindert werden, wenn eine Stelle geschaffen wird, bei der beide Werften nach Arbeitskräften suchen bzw. bei der sich Arbeitslose melden können.

Beveridge erkannte aber auch die Bedeutung von Ungleichgewichten auf dem Ar-beitsmarkt aufgrund von Qualifikationen. Denn, so Beveridge, „[o]b jemand beschäf-tigungsfähig ist oder nicht, hängt von der Art der Arbeit ab, die getan werden muß.

Der beste Zimmermann der Welt ist arbeitslos, wenn nur Tischler gebraucht werden“

(Beveridge 1912: 135). Arbeitslosigkeit konnte nach Beveridge nur verstanden wer-den, wenn man die Bedeutung von Qualifikationen berücksichtigt (vgl. Beveridge 1912: 136). Beveridge differenzierte in seinen Analysen auch zwischen ‚skilled wor-kers‘ und ‚unskilled worwor-kers‘ (vgl. auch Showler 1976: 21).

Hinzu kam nun, daß die Problematik der strukturellen Unterbeschäftigung nicht nur regionale und berufliche Mobilitätsengpässe offenlegte, sondern auch sozialen Sprengstoff in sich barg. Sie kumulierte bei den unqualifizierten Arbeitern in die Problematik der Gelegenheitsarbeit (‚casual employment‘): die Beschäftigung des unqualifizierten Paupers, der von der Hand in den Mund lebte und nur tagweise be-schäftigt war. Es war die Studie von Charles Booth über die Londoner Arbeiter-schaft, die die Problematik der Gelegenheitsarbeit aufzeigte. Booth stellte in seiner Studie fest, daß „knapp ein Drittel (32%) der gesamten Einwohnerschaft Londons und fast zwei Drittel der Bewohner des berüchtigten Stadtteils ‚East End‘ nur über ein Einkommen verfügten, das unterhalb einer als Mindeststandard ermittelten Ein-kommensgrenze lag“ (Bremme 1961: 15).132 Die gewerkschaftlichen Unterstützungs-kassen, neben dem Armenrecht die einzige Versorgungseinrichtung, stützten jedoch vorrangig die qualifizierten Arbeiter. Damit sprachen sie eine große Gruppe der Ar-beitslosen, nämlich den nicht-organisierten Teil der Arbeiterschaft, nicht an. Auch Beveridge erkannte dies:

Casual employment produces a class of casual labourers upon which trade unionism and fri-endly societies get no hold (Beveridge 1907: 80).

Sollten durch die Einrichtung von ‚labour exchanges‘ Arbeitslose, die aufgrund der behinderten regionalen und beruflichen Fluktuation auf dem Arbeitsmarkt nicht be-schäftigungsfähig („unemployable“, Beveridge 1912: 215) waren, wieder beschäfti-gungsfähig werden, so erkannte Beveridge in der Einrichtung einer Versicherung ge-gen Arbeitslosigkeit die Funktion, Phasen der Arbeitslosigkeit zu überbrücken, wel-che trotz einer Verbesserung der Organisation des Arbeitsmarktes auftraten:

Insurance against unemployment ... stands in the closest relation to the organisation of the la-bour market, and forms the second line of attack on the problem of unemployment. It is, in-deed, the necessary supplement thereto. The Labour Exchange is required to reduce to a mini-mum the intervals between successive jobs. Insurance is required to tide over the intervals that will still remain (Beveridge 1912: 229; meine Herv., CT).

132 Zur damaligen Lage der Pauper in London vgl. auch ausführlich Jones 1971.

Die Arbeitslosenversicherung sah Beveridge somit als weiteren, jedoch nachrangigen Schritt in seinen „Principles“ an:

When all has been done that can be done to organise the labour market, many further measures will still be needed ... some form of insurance against unemployment (Beveridge 1912: 219, 223; Herv. durch Beveridge).

Der erste Schritt, und damit der Nukleus der Arbeitsämter, sollte, wie bereits er-wähnt, die Aufgabe der Organisation des Arbeitsmarktes sein, die Arbeitsvermitt-lung, der zweite eine Versicherung. Als dritten Schritt („third line of attack“) führte er schließlich öffentliche Arbeiten und die Elastizität der Löhne an (Beveridge 1912:

230).133

Die Reihenfolge der Politikempfehlungen Beveridges ist hervorzuheben, weil die britische Geschichte der Arbeitsverwaltung und Arbeitsmarktpolitik in einigen Stu-dien (vgl. King 1995; King/Rothstein 1993) als historisch-gewachsener Prototyp ei-nes ‚work fare‘-Regimes und als Fortsetzung der Diskrimierung durch das vormo-derne ‚Poor Law‘ mit anderen, movormo-dernen Mitteln interpretiert wird. Als Leitmotiv der liberalen Reformpolitik gilt hier die Institutionalisierung der Arbeitsmarktpolitik zum Zweck der sozialen Kontrolle und der Disziplinierung der Arbeitslosen. So ver-bindet King die Absicht Beveridges und Churchills, Arbeitsämter einzurichten, mit dem Motiv, die Arbeitswilligkeit der Erwerbslosen zu testen. Deswegen habe man die Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung in einer Organisation integriert:

The drafters of the 1909 bill had two priorities of equal importance: to place the unemployed and to exclude the alleged undeserving from benefits. Placement and insurance were jointly conceived. Labor exchanges provided a mechanism with which to distinguish the loafer from the able-bodied unemployed (King 1995: 22).

Die Arbeitsämter seien als „Substitut“ für das ‚Poor Law‘ errichtet worden:

In place of the crude Poor Law principle of deterrence, labor exchanges provided a substitute (King 1995: 23).

Diese Sichtweise verkennt meiner Ansicht nach jedoch ein wesentliches Moment der britischen Reformabsichten. Es soll und kann nicht bestritten werden, daß Beveridge wie auch Churchill (und die Webbs) im Auge hatten, die Arbeitswilligkeit der Ar-beitslosen zu testen.134 Dennoch greift die allgemeine Vorstellung der Einrichtung der Arbeitsverwaltung als Instrument der sozialen Kontrolle zu weit, insofern sie die gerade auch von Beveridge immer wieder betonte Differenzierung zwischen ‚skilled workers‘ und ‚unskilled workers‘ verwischt. Wenn überhaupt läßt sich das Argument

133 Beveridge teilte dementsprechend seine „Principles“ in zwei Kapitel ein: Das erste Kapitel (das neunte Kapitel seiner Schrift ‚Unemployment. A Problem of Industry‘) betitelte er „Principles of Future Policy. I. The Organized Fluidity of Labour“, das zweite und damit das zehnte Kapitel seiner Schrift hieß „Principles of Future Policy. II. Averaging of Wage and Earnings“.

134 Vgl. hierzu entsprechende Verweise auf Schriften von Beveridge in Metz 1988: 369 und auf Re-den von Churchill in King 1995: 22, 23.

der sozialen Kontrolle nur für die ‚unskilled workers‘ vortragen. Es ist auch einzu-wenden, daß diese Diskussion um die Kontrolle der Arbeitslosen nicht nur Bestand-teil liberaler Reformpolitik war, sondern sich eine ähnliche Diskussion auch in nicht-liberalen Ländern, wie Deutschland, entwickelte. Daneben erklärt die von King (1995) vorgetragene Position auch nicht, warum die Akteure nicht doch am ‚Poor Law‘ festhielten, welches ja dieses Ziel durch die Arbeitshäuser wesentlich unkom-plizierter umsetzte. Schließlich lassen Beveridges Schriften klar erkennen, daß er als Nukleus der Arbeitsämter die Arbeitsvermittlung (bzw. die Organisation des Ar-beitsmarktes durch den Staat) erkannte und nicht ein neues ‚Poor Law‘ mit anderen Mitteln, wie es Kings Studie vermuten läßt. Die Politik der Liberalen brach durchaus auch mit dem Wertesystem, welches das ‚Poor Law‘ verkörperte: Die Arbeitslosig-keit und Armut des einzelnen ist nicht nur Ausdruck eines individuellen Schicksals, sondern auch ein strukturelles Problem.

Daß die Arbeitslosenversicherung und Arbeitsvermittlung in einer Behörde zusam-mengefügt wurden, war somit eher als „Ausgangspunkt für eine rationale Organisati-on des Arbeitsmarktes“ (Whiteside 1979: 509) gedacht, um den strukturellen Pro-blemen entgegenzuwirken, als ein Ausdruck des Versuches, eine disziplinierende Arbeitslosenpolitik als funktionelles Äquivalent für das disziplinierende ‚Poor Law‘

einzuführen. Auch die Versicherung gegen Arbeitslosigkeit wurde daher zu einer staatlichen Aufgabe.

In diesem Zusammenhang drängen sich die folgenden Fragen auf: Welchen Status und welche Bedeutung maß Beveridge einer staatlichen Arbeitslosenversicherung bei? Wie verstand er das Verhältnis zur Arbeitsvermittlung? Warum erkannte er den Staat als den zentralen und wichtigsten Akteur und vertraute er in einem geringeren Ausmaß als die Webbs auf die zu jener Zeit einzigartige und umfangreiche britische Tradition der Gewerkschaftskassen?

Beveridge gewann seine „Principles of Future Policy“ aus wirtschaftsliberalistischen Effizienzüberlegungen. Er setzte sich ausführlich mit dem bestehenden Zustand aus-einander. Seine Kritik an der Politik der ‚relief works‘ durch die Philantrophen wur-de bereits erwähnt. Auch seine wissenschaftliche Begründung einer umfassenwur-den Arbeitsvermittlung wurde bereits diskutiert. Die Begründung, warum der Staat eine Arbeitslosenversicherung einrichten müsse, gewann er nun aus einer Analyse der Ef-fektivität des Status quo. Der Status quo, auf den er in seiner Begründung für eine Arbeitslosenversicherung eingehen mußte, waren die Gewerkschaftskassen.

Warum Beveridge auch in der Versicherungsfrage den Staat an zentraler Stelle setzte und empfahl, die Versicherung in die staatlichen Arbeitsämter zu integrieren, dafür nannte er selbst folgende Gründe (vgl. Beveridge 1912: 227-230): Erstens würden die Kassen nur etwa ein Drittel der Gewerkschaftsmitglieder ansprechen, zweitens

seien die Gewerkschaften nicht bereit, ihre Kassen auch für ‚unskilled workers‘ zu öffnen, drittens hätte deswegen ein großer Teil der Arbeiter, selbst wenn er wollen würde, keine Möglichkeit sich zu versichern, und viertens könnten die Gewerkschaf-ten, weil sie nur ein sehr begrenztes Registrierungssystem hätGewerkschaf-ten, nicht sicherstellen, daß derjenige, der eine Versicherungsleistung empfängt, auch aktiv nach Arbeit sucht. Das vierte Argument bedeutete eine Absage an das Genter System, und damit an die Forderung der Webbs, daß die Gewerkschaften die Versicherung verwalten sollten und der Staat diese bezuschußte.

Damit wären die zentralen Prinzipien benannt, die Beveridge in seinem Bericht für das BoT entwarf: Der Staat muß die Organisation des Arbeitsmarktes in die Hand nehmen, indem er erstens eine Arbeitsvermittlung, zweitens eine gesetzliche Arbeits-losenversicherung errichte und drittens beides zusammen durch Arbeitsämter verwal-ten lasse, die landesweit eingerichtet werden sollverwal-ten.

Beveridge kehrte sich nicht nur von den ‚relief works‘ ab, sondern er mißtraute auch den gewerkschaftlichen Kassen.

Beveridge wollte die Gelegenheitsarbeit regularisieren und nicht wie die Philan-trophen, die sozialen und individuellen Folgen der „Pauper-Arbeitslosigkeit“ be-kämpfen. Ihm ging es nicht um die „depauperisation“, sondern um die „Systematisie-rung“ (Metz 1988: 399) der Anpassung von Angebot und Nachfrage.

Hierzu fertigte er für Churchill die wissenschaftliche Begründung an. Die Politik, die er vorschlug, bezeichnete Beveridge selbst als „policy of making reality correspond with the assumptions of economic theory“ (Beveridge 1912: 237).

Beveridge entwarf eine Politik, die den Staat als zentralen Akteur erkannte. Den Staat, wie er ihn sich vorstellte, nannte er selbst in Abgrenzung zu einem „socialist state“ einen „competitive state“ (Beveridge 1912: 237). Der Staat sollte in William Beveridges Verständnis, so Gilbert (1966a: 245), nicht „social welfare“, sondern

„social service“ anbieten:

For Beveridge the State‘s function was to provide consistent year-round support to working men in the labour market. State power would have to be available to regularize the employment of casual labour, the men who were constantly underemployed, who needed help in good times as well as bad. The State ought not to provide social welfare, but social service - the organiza-tion of the labour market (Gilbert 1966a: 245).

Wie gelang es Churchill, diese Prinzipien seines Mitarbeiters im politischen Prozeß umzusetzen? Wie verhielten sich die ‚trade unions‘, die ‚employers‘ und die Webbs?

Und warum nahm das BoT unter Churchill einen derart hohen Stellenwert im Institu-tionalisierungsprozeß ein, daß man die Entstehung der Arbeitsverwaltung als „Ver-waltungsakt“ interpretieren kann? Wie kam es dazu, daß Arbeitsmarktpolitik in Großbritannien nicht nur wissenschaftlich als Ordnungsaufgabe des Staates

begrün-det wurde, sondern de facto auch so institutionalisiert wurde? Warum und wie wur-den die Impulse der Verwaltungsbeamten Smith und Beveridge zu wur-den bestimmen-den?

Um diese Fragen zu diskutieren, werden im folgenden zwei wesentliche Momente des Institutionalisierungsprozesses aufgegriffen. Erstens wird diejenige Phase darge-stellt, innerhalb derer die Vorstellungen der liberalen Experten Eingang in die Geset-ze fand. Hierbei geht es um das Verhältnis der Bürokratie (der Beamten und Spezia-listen des BoT) zur Politik: Der Gang der Konzepte der Reformer durch die parla-mentarischen Instanzen und die Position der ‚Poor Law Commission‘ sollen kurz diskutiert werden. Zweitens wird erläutert, wie sich die Gewerkschaften und Arbeit-geber zur Reform verhielten.