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Umgang mit Gastlichkeit als kulturell repräsentative Normalität

8. Fallanalysen

8.2. Analyse markiert (kritisch) verlaufender Überschneidungssituationen

8.2.1. Situationsbeschreibung des Fragments (7): „apa kabar miriam.“

8.2.1.2. Umgang mit Gastlichkeit als kulturell repräsentative Normalität

Das Anbieten von Getränken oder Speisen, in einem Gespräch sogar von Zigaretten, findet in allen in Hamburg aufgenommenen Gesprächen statt, deren Reaktionsoptionen unterschiedlich sind, und zwar in Form einer Ablehnung oder einer Annahme. Diese Reaktionsoptionen hängen selbstverständlich mit dem Setting und dem Ziel des Gesprächs zusammen. Eine Sprechstunde ist ein institutionelles Gespräch, das eher formell durchgeführt wird. Deshalb gehören sowohl die Frage nach dem Befinden als auch ein solches Angebot nicht zu der Gattung Sprechstunde, besonders im akademischen Bereich im deutschen Kulturkontext.

Diese Handlungen haben aber im Zusammenhang mit der Bewirtung von Gästen in bestimmten Kulturen eine andere Bedeutung, sodass die sprachlichen Handlungseinheiten nicht autonom für sich stehen, sondern auf gesellschaftlich-kulturelle Funktionen der Regeln verweisen, nach denen sie gebildet werden. In allen kulturellen Kontexten Indonesiens gehören die Sprechhandlung des etwas Anbietens zum Gast-Gastgeber-Ritual219, das sehr stark mit Höflichkeit zu tun hat.

Dieses Ritual hat insbesondere in javanischen und sundanesischen Kulturräumen normalerweise folgende Sequenz: Angebot – Ablehnung – (wieder) Angebot – Annahme.

In Bezug auf Dissimulation im Sinne von Geertz (1961) ist diese Struktur nachvollziehbar, da man nicht direkt äußern darf, was man haben möchte oder was man will. Direktheit könnte in diesem Sinne als ein Verstoß gegen eine Höflichkeitsnorm verstanden werden. In einer interkulturellen Kommunikationssituation könnte dieses Ritual ein „kritischer Moment“ sein, der bei den in einer völlig anderen Kultur sozialisierten Interaktanten zu einem Missverständnis führen könnte. Gerade in dieser Situation, in der man mit der benutzten Sprache handeln müsste, könnte eine direkte Äußerung der Muttersprachler als unhöflich verstanden werden.Und wenn aber andererseits ein Gast so handelt, dass er ein Angebot direkt annimmt, dann wird dies möglicherweise nicht als Unhöflichkeit interpretiert, weil man – mehr oder weniger bewusst – weiß, dass er mit diesem Ritual nicht sozialisier ist. Damit dienen mir diese „kritischen Momente“ als „rich points“ im Sinne Agars (1994) – „rich points“, die auf kulturelle und soziale Funktionen der sie tragenden Muster im Sinne der Ethnographie der Kommunikation verweisen.

Ich bin der gleichen Ansicht wie Kistler (2003: 132), dass die Beziehung von Gast und Gastgeber und die Situation des Gastmahls im indonesischen Kontext mit Status und Rang zu tun haben. In dieser Situation werden „positionale Identitäten“ (Kistler, 2003: 132) zugeschrieben, bestätigt, abgesprochen und verhandelt. Deshalb könnte die Ablehnung bzw. Annahme der Angebote ebenfalls im Zusammenhang mit Status- und Rangpositionen gesehen werden.

In diesem Fragment ist der Status der beiden Interaktanten von ihrer sozial-gesellschaftlichen Position her deutlich asymmetrisch. Dies wird aber auch sprachlich und interaktiv verstärkt.

Mit den drei Betrachtungsebenen der Theorie der kommunikativen Gattung kann sich die Interaktionsdynamik dieser Gesprächsmuster sowohl auf der Mikro- als auch auf der Makroebene gut verfolgen lassen. Es geht um den Bereich der räumlichen Ordnung (setting), nämlich das Büro von IDW als Ort der Sprechstunde, sowie um den Bereich der sequentiellen Ordnung (act sequence), unter den auch die Ordnung der verwendeten Sprachen fallen kann.

Wie in dem vorherigen Kapitel erwähnt, beginnt die oben gezeigte Sequenz mit der Einladung zum Betreten des Raumes als pre-beginning. Ohne vorherige verbale Begrüßung leitet IDW ihren

219 Dieser Begriff ist von Kistler (2003: 131).

Redezug mit einem für ein Gast-Gastgeber-Ritual klassischen Angebot, ob DSW1 einen Tee (Zeile 002) haben möchte, ein:

D (40)

002 IDW : miriam mau teh.

wollen Tee.

Wollen Sie Tee (trinken).

Als Reaktionsoptionen könnte eine Annahme oder eine Ablehnung stehen. Da DSW1 mit der Beratungssituation in Deutschland anders sozialisiert ist, kennt sie anscheinend dieses Interakti- onsmuster nicht. Sie versucht, die Äußerung von IDW in der Zeile 002 mit dem Rückmeldesignal

„hmm?“ (Z. 003) und der fragenden Intonation zu verstehen. Dieses Unverständnis wurde anschei- nend von IDW erst einmal als sprachliches Unverständnis auf ihre vorherige Frage interpretiert, sodass IDW mit einer kurzen Pause und der Auswahlmöglichkeit zwischen Tee und Kaffee erneut versucht, DSW1 das vorherige Angebot zu unterbreiten bzw. fortzuführen.220 Sie gibt sogar einen Akzent auf das Wort „kopi“ (dt. Kaffee), da es vielleicht einen ähnlichen Klang mit dem gleichen Wort im Englischen hat:

D (41)

004 IDW : mau teh. (.) atau mau KOpi.

wollen Tee oder wollen Kaffee.

wollen Sie Tee oder Kaffee?

Da DSW1 auf die relevante Stelle für die mögliche Redeübergabe noch nicht reagiert, behält IDW ihren turn (Z. 005) und erklärt, dass sie das Wasser für den Tee bzw. Kaffee hat (Z. 007), als DSW1 die Äußerung von IDW mit dem Verzögerungssignal „[mmm-“ (Z. 006) überlappt:

D (42)

004 saYA a[da?

ich da/es gibt ich habe (es) 005 DSW : [mmm- 006 IDW : airnya ada,

das Wasser da/es gibt das Wasser ist da,

DSW1 ist aber in dieser Situation noch nicht sicher, da sie mit “mmm-“ (Z. 008) und der überle- genden Intonation “ja?” (Z. 009) reagiert. Diese Reaktion wird von IDW möglicherweise als eine „dissimulative“ Ablehnung verstanden, da sie DSW1 mit steigendem Rückmeldungsregister

“hm?” (Z. 010) nochmal fragt. DSW1 ist in dieser Situation immer noch unsicher, indem sie IDW eine Sicherungsfrage stellt, der ein Lachen folgt als Zeichen für Unsicherheit, aber gleichzeitig eine mögliche Stelle für eine positive Antwort:

D (43)

011 DSW : KOpi?

KAffee?

012 hehehe.

In dieser Sequenz ist die asymmetrische Beziehung zwischen DSW1 als Studentin bzw. „Gast“

und IDW als Dozentin bzw. „Gastgeberin“ deutlich zu sehen. DSW1 hat mit ihrer Rolle als Studentin nur eine „geringe“ Macht, sich für etwas zu entscheiden. Deswegen überlässt sie es IDW mit ihrem relativ offenen und neutralen Lachen, für sie zu entscheiden. Damit wird diese

220 Ein ähnliches Schema ist auch in der Studie von Kistler (2003: 133 f.) zu finden.

130 Fallanalysen

Unsicherheit abgebaut.221 Dieses Zeichen wird von IDW gut verstanden, indem sie DSW1 in einem Fragesatz die Entscheidung, nämlich für Kaffee, mitteilt:

D (44)

013 IDW : ya?

ja?

014 mau kopi? (-) wollen Kaffee möchten Sie Kaffee?

Diese Strategie ist erfolgreich, da DSW1 jetzt nicht mehr wie in den vorherigen Paarsequenzen mit offener Nicht-Antworten-Handlung reagiert, sondern sie präferiert das Angebot danach mit einer positiven Annahme „GERne,“ (Z. 015). In dieser Paarsequenz wird deutlich, dass IDW mithilfe ihrer Position ihre „Macht“ als Dozentin bzw. als „Gastgeberin“ verstärkt. Die von ihr verwendeten Fragesätze werden in diesen Paarsequenzen als Aufforderung verstanden. Die gleiche Funktion hat der Diskursmarker „ya“ (dt. ja), der in dieser Interaktion als „höflicher Zwang“, etwas anzunehmen, fungiert. Dies entspricht der Studie von Wouk (2001) über unterschiedliche Funktionen des Diskursmarkers „ya“ in Bezug auf den Aufbau von Solidarität im indonesischen Gespräch. Der Diskursmarker „ya“ mit fragender Intonation aber ohne Pause, die für eine mögliche verbale Antwort stehen kann, fungiert er im Gegensatz dazu als eine Form von „sleight-of-hand“ (Wouk, 2001: 186), indem der Sprecher seine Information bzw. seine Frage vorausgesetzt präsentiert. Des Weiteren erklärt Wouk, dass dieser Prozess „trading on an extension oft the particle’s basic meaning of agreement, and instructing listeners to agree with, or accept, […]“ (Wouk, 2001: 186) beinhaltet.

Die gleiche Strategie findet man auch häufig in der Interaktion zwischen Eltern mit ihren Kindern, wenn die Kinder etwas ablehnen und die Eltern versuchen, sie zu überzeugen. Die Anwendung von Namen („Miriam“) im direkten Gespräch nicht direkt mit den Pronomen der 2. Person Singular entspricht nicht nur der Höflichkeitsform im Javanischen oder im Sundanesischen, sondern ist auch eine diminutive Form, die von Älteren für die Jüngeren oder von den Eltern für ihre Kinder benutzt wird.222

In Bezug auf ein Sprechstundengespräch, das in einer deutschen Institution in Deutschland mit deutschen und indonesischen Interaktanten stattfindet, bleibt DSW1 in ihrem institutionellen Rahmen und ihrer Position als Studentin, die zu einer Sprechstunde kommt und mit ihrer Dozentin spricht. Sie erwartet vermutlich eine formelle institutionelle Interaktion, indem sie ihr Anliegen sofort formulieren könnte und keinen small talk führen müsste. Das passiert aber in diesem Fragment nicht, weil IDW diesen formellen institutionellen Rahmen komplett abbaut und erst einmal in dem indonesischen Gastlichkeitsdiskurs bleibt.

Aus diesen Ebenen resultiert letztlich ein Verbund, der in seiner Gesamtheit die positionelle Iden- tität ausmacht. Die Entscheidung für eine bestimmte Handlung, in diesem Fall Ablehnen oder Annehmen, beruht auf der Aktivierung einer oder mehrerer Ebenen der positionellen Identität.

IDW folgt in einem formellen institutionellen Kontext der indonesischen Etikette im Rahmen des Gast-Gastgeber-Diskurses, während DSW1 aufgrund des Sprechstundendiskurses auf der formel- len institutionellen Ebene bleibt. Deswegen kommt dem Anbieten von Getränken in beiden Posi- tionen mit sozial-kulturellem sowie kontextuellem Hintergrund ein unterschiedlicher Stellenwert zu. Im Einklang mit Kistler (2003: 140) wird dieses Phänomen im indonesischen Etikettendiskurs als ein konstituierendes Merkmal bezeichnet, während es im deutschen institutionellen Diskurs als ein irritierendes, ablenkendes Element gelten könnte.

221 Das Lachen als Abbau von Modalitätsunsicherheit findet sich auch in der Studie von Kistler (2003: 134).

222 Ein ähnliches Phänomen findet Kistler (2003: 132) auch in seiner Studie.

Außerdem hat dieser Umgang mit der Befindlichkeit und Gastlichkeit meines Erachtens mit der

„Inszenierung“ von kulturellem Handeln zu tun, die mit der Einrichtung des Raumes verstärkt wird, indem IDW den Raum mit Sachen aus Indonesien dekoriert hat. In der Nachbesprechung mit mir hat IDW zugegeben, dass sie „ein Stück“ Indonesien in sich (durch ihre Kleidung und ihren Schmuck) bzw. in ihrem Raum repräsentieren möchte. Damit könnte sie ihren StudentInnen direkt und indirekt die kulturelle Normalität Indonesiens vorstellen.