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1. Einführung

1.1. Anlass und Hintergrund der Arbeit

In den letzten zehn Jahren sind vermehrt Untersuchungen zum Kontakt zwischen Lehrenden und Studierenden im Hochschulalltag durchgeführt worden (Boettcher/Meer, 2000:1). Die Analysen von Boettcher/Meer (2000) zu Sprechstundengesprächen zwischen Lehrenden und Studierenden im universitären Bereich setzen hier an. Die Autoren stellen fest, dass es zurzeit nur wenige empirische Untersuchungen zu Kontaktgewohnheiten zwischen Lehrenden und Studierenden gibt und es zudem auch noch keine hochschuldidaktischen Konzepte zur Unterstützung eines

1. Mehr dazu siehe Ehrhardt (2003) in Bolten/Ehrhardt (Hrsg.) (2003:16).

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effektiven und für die Beteiligten nützlichen Umgangs miteinander gibt. In der vorliegenden Untersuchung soll es deshalb darum gehen, in einem ersten Schritt Sprechstunden und die in diesen Situationen auftauchenden Schwierigkeiten der Beteiligten zu erforschen und sodann in einem zweiten Schritt Einblicke in Einstellungen, Abhängigkeiten und Veränderungspotenziale der Beteiligten im Hochschulalltag zu gewinnen.

Bei der Betrachtung von Sprechstundengesprächen im akademischen Bereich fiel Boettcher/Meer (2000) auf, dass in dem von ihnen untersuchten Korpus kaum studienstrukturierende Formen des Kontakts zwischen Studierenden und Lehrenden stattgefinden. Allgemein stellen die Autoren fest, dass es ihrerAnsicht nach zu wenig empirische Untersuchungen zu Kontaktgewohnheiten zwischen Lehrenden und Studierenden gibt. Im Vergleich dazu gibt es jedoch zahlreiche Forschungen über Beratungsgespräche in anderen Bereichen wie zum Beispiel das Feld der Arzt-Patient- Kommunikation, das unter anderem von Heath (1981), ten Have (1991) oder Heritage/Maynard (2006) sowie Heritage/ Robinson (2006) und Stukenbrock (2008) untersucht wurde. Es gibt zwar Forschungen zu Beratungsgesprächen im Verwaltungsbereich, wie beispielsweise von Drew/

Heritage (1992), die auch Ergebnisse zu Beratungsgespräche im akademischen Bereich liefern.

Diese beschränken sich jedoch auf Gesprächssituationen im Hochschulverwaltungskontext.

Trotz der noch wenigen empirischen Untersuchungen, die sich spezifisch mit dem Thema Beratungsgespräche zwischen Lehrenden und Studierenden in dem Kontext Sprechstunde beschäftigen, finden sich schon seit Mitte der 1980er Jahre mehrere Untersuchungen über interkulturelle Beratungsgespräche. Rehbein (1985) untersuchte hier Problempotentiale in interkulturellen Beratungsgesprächen, Kotthoff (1989) setzte den Fokus ihrer Untersuchungen auf die Problematik bei der Gesprächseröffnung und -beendigung aufgrund der kulturellen Differenzen und lernersprachlichen Defizite und Günthner (1993) konzentrierte sich auf den Einfluss der Transferphänomene und lernersprachlichen Eigenheiten auf die Gesprächsverläufe und -ergebnisse in deutsch-chinesischen Interaktionen. Hinnenkamp (1989) analysierte Probleme und Problembewältigungen in Beratungssituationen. Rost-Roth (1994) fragte nach den Arten und Ursachen von Verständigungsproblemen und Fehlkommunikation in interkulturellen Beratungsgesprächen, wozu z. B. einzelne Sprechhandlungen, situative Kontexte, kulturspezifisches Hintergrundwissen, unterschiedliche Sprachkompetenzen, soziale Dimensionen wie Gruppenidentität und Diskriminierung als Ursachen zählen. Nothdurft (1984) setzt den Fokus auf die Phase der Problempräsentation in Beratungsgesprächen. Becker-Mrotzeck (1991) untersuchte die Überführung von alltäglichem Sprachverhalten in institutionelle Kategorien sowie die Dominanz der Institution und Musterbrüche durch Institutionsvertreter. Nothdurft, Reitemeyer und Schröder (1994) stellen die Anliegensformulierung in der Gesprächseröffnung als Problempotential neben den unterschiedlichen Vorkenntnissen und Zielen der Berater und Ratsuchenden dar und analysieren diese. Weitere Untersuchungen zu Problemen in interkulturellen Beratungssituationen können u. a. bei Rost (1990) und Rost-Roth (1994, 2002, 2003, 2006) nachgelesen werden. Meer (2003) analysiert die Problematisierung in Sprechstundengesprächen und bietet zugleich praxisnahe Möglichkeiten der Sprechstundenorganisation an. Brock/Meer (2004) erforschen die kommunikative Ungleichheit in institutionellen Gesprächen. Zegers (2004) präsentiert eine Studie über das Gesprächsverhalten von Hochschullehrenden und Studierenden.

Die Forschungen von House/Lèvy (2008) beleuchten das Phänomen der universitären Kontaktgespräche als interkulturelle Kommunikationssituation.

Aus dem englischsprachigen Raum sind unter anderem die Arbeit von Carpenter (1983) ,Fo-reigner Talk‘ in University Office Hour Appointments sowie die Untersuchungen von Farr (2003) über die Bedeutung des Zuhörens in Gesprächen zwischen Tutoren und Studenten und von dei Analysen von House (2003) über Missverständnisse in den interkulturellen Begegnungen in der Universität zu nennen.

Neueste Arbeiten über Sprechstundengespräche sowie mündliche Kommunikation im Hochschulbereich stammen von Limberg mit seinen Beiträgen aus den Jahren 2007, 2009 und mit seiner Monographie Interactional Organization of Academic Talk aus dem Jahr 2010, wo er die Struktur der Sprechstundengespräche zwischen englischen Lehrenden und deutschen Studierenden sehr detailliert darstellt und analysiert. Weiterhin spielt die Dissertation von Jana Kiesendahl (2011a) eine große Rolle, in der sie Sprechhandlungen in ‘neuen Medien’, in diesem Fall in universitären E-Mails und Sprechstundengesprächen, nachgeht und die Kommunikation in der Universität als eine Form der institutionellen Kommunikation beleuchtet. Der neueste Aufsatz von Kiesendahl (2011b) über die Funktion informeller Gesprächssequenzen im universitären Sprechstundengespräch bereichert die Forschungen über akademische Sprechstundengespräche um alltagsbezogene Aspekte.

Die vorangegangene Präsentation bisher publizierter Arbeiten zeigt, dass linguistische Forschungen zu Beratungsgesprächen, insbesondere im akademischen Kontext, theoretisch und praktisch eine große Rolle spielen. Es gibt eine große Anzahl an Untersuchungen zu Gesprächsphänomenen in der Alltagskommunikation. Die Forschungen basieren hier immer auf der Analyse der Gespräche in institutionellen, organisatorischen Kontexten.

Die vorliegende Arbeit hat das Ziel, die bisherigen Forschungen zu ergänzen. Sie legt den Fo- kus auf Problematiken, die speziell in Beratungsgesprächen zwischen Gesprächsbeteiligten aus unterschiedlichen Kulturen stattfinden. Die Untersuchung bedient sich dafür hauptsächlich der Methoden der Gesprächsanalyse und der Theorie der kommunikativen Gattung.

Mir persönlich, als ‚Vertreterin‘ und ‚Nutzerin‘ einer hochschulischen Institution, in der ich ständig interkulturell kommuniziere, scheint die Erforschung der Praxis der interkulturellen Kommunikation und Sprache im Bereich der hochschulinternen Kommunikation besonders interessant. Mein besonderes Augenmerk liegt dabei auf Gesprächen zwischen Lehrenden und Studierenden aus dem deutschen und indonesischen Kulturkreis. In Deutschland konnte ich diese Kommunikation in der Rolle der Studierenden erleben; in Indonesien spiele ich dagegen die Rolle der Lehrenden, die mit indonesischen Studierenden auf Deutsch kommuniziert und mit ihnen über die deutsche Sprache und Kultur spricht. Im Kontrast dazu stehen meine deutschen KollegInnen als VertreterInnen und MuttersprachlerInnen des deutschen Sprach- und Kulturraums, die Kontakt mit indonesischen Studierenden nicht nur in den Lehr- und Lernsituationen, sondern auch außerhalb der Klasse auf Deutsch haben. Eine ähnliche Erfahrung machte ich selbst während meiner dreijährigen Erfahrung als Indonesischlehrerin im Sprachenzentrum der Universität Bayreuth. Besagte Kontakte zwischen Lehrenden und Studierenden können hier in Form einer mündlichen Prüfungssituation, einer kurzen Nachbesprechung nach dem Seminar oder nach der Vorlesung oder in anderen längeren Kontaktzeiten wie beispielsweise der Betreuung schriftlicher Abschlussarbeiten bestehen.

In einem Vergleich dieser unterschiedlichen Gesprächssituationen im Vorfeld dieser Arbeit und Konstellationen stellte ich fest, dass die Interaktionsprozesse zwischen deutschen und indonesischen Interaktanten, insbesondere im akademischen Bereich, viele interessante kommunikative Phänomene hervorbringen und vermutete, dass es eventuell auch wiederkehrende Probleme gibt, die sich nicht nur auf der sprachlichen Ebene ergeben, sondern in kommunikativen Handlungen insgesamt von Bedeutung sind. Diese Handlungen werden interaktiv von den teilnehmenden Interaktanten gestaltet, die mit unterschiedlichem Vorwissen, Erfahrungen und anderen kulturellen Hintergründen in Interaktion treten. Gerade in asymmetrischen Gesprächen zwischen Lehrenden und Studierenden können die Phänomene und mögliche auftauchende Probleme stark durch kultur- und sprachspezifische Normalitätserwartungen geprägt sein oder sie werden nicht klar oder gar nicht wahrgenommen, weil die Interaktanten in einem bestimmten kontextualisierten

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kommunikativen Rahmen interagieren. Beispielsweise haben sie einen bestimmten Raum, in dem sie sich mit einem bestimmten Gesprächsziel positionieren, das sie erreichen möchten und benutzen dabei bestimmte sprachliche Register. Das Zusammenspiel zwischen sprachlichen und nichtsprachlichen institutionellen Faktoren besonders in der deutsch-indonesischen Interaktion im akademischen Bereich ist für mich als Mitglied einer Bildungsinstitution persönlich von besonderem Interesse. Mich interessiert, wie die Interaktanten kommunikativ handeln und mit eventuell aufkommenden kommunikativen Problemen umgehen, wie sie der ihnen fremden Kultur interaktiv und kommunikativ begegnen, wie sie sich selber und ihren Gesprächspartner während des Interaktionsprozesses sprachlich und kulturell identifizieren und wie sie die eigene und fremde Kultur in dem Gespräch darstellen. Doch die genaueren Fragestellungen werden erst in dieser Arbeit formuliert und erläutert.

Für die vorliegende Untersuchung stellte ich daher ein Korpus aus Gesprächen zwischen Deutschen und Indonesiern in akademischen Beratungssituationen zusammen, das die Grundlage meiner Analyse bildet. Meiner Erfahrung und Beobachtung nach sind die Beratungssituationen die einzige Gelegenheit, mit den Muttersprachlern ‚intensiver‘ zu kommunizieren und Informationen von ihnen aus ‚erster‘ Hand zu bekommen.

1.2. Deutsch-indonesische Interaktion in akademischen