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Situationsbeschreibung des Fragments (1): „seLAmat PAgi“

8. Fallanalysen

8.1. Analyse unmarkiert verlaufender Überschneidungs- situationen

8.1.1. Situationsbeschreibung des Fragments (1): „seLAmat PAgi“

Diese Sprechstunde findet im Büro von IDW, einer indonesischen Lektorin an der Universität Hamburg, statt. In dem Raum gibt es einen Schreibtisch, an dem IDW arbeitet, und einen Tisch mit zwei Stühlen, an dem IDW normalerweise ihre Gäste empfängt. Auf dem Tisch steht ein Teller mit Kuchen und ein Tablett mit Kaffee und Zucker. In diesem Fragment kommt DSM1, ein Masterstudent im 2. Semester an der Universität Hamburg, zur Sprechstunde von IDW. Er hat Indonesisch gelernt und bereits einmal in Indonesien gelebt. Nachdem DSM1 den Raum betreten hat, sprechen die beiden Interaktanten zuerst als pre-beginning-phase über die Aufnahme der Sprechstunde. Danach erfolgt die Begrüßungssequenz, die von IDW initiiert wird. Das gesamte Gespräch verläuft auf Indonesisch mit dem Anliegen von DSM1, der seinen Stundenplan besprechen möchte.

F (1)

Projekt : Sprechstunde

Gesprächskodierung : UHH-1

Sequenz : Gesprächseröffnung

Titel : „seLAmat PAgi“

Aufnahmedatum : 27.10.2010

Aufnahmeort : AAI Universität Hamburg, Deutschland Aufnahme & Transkript : Dian Ekawati

Dauer des Gesprächs : 0:27:21 Minuten Dauer des Gesprächsauszugs : 0:00:33 Minuten Gesprächsteilnehmer :

IDW : indonesische Dozentin (weiblich) DSM1 : deutscher Student (männlich) DE : Forscherin (weiblich)

IDW und DSM1 sind schon in dem Raum und sitzen.

001 DSM1: (undeutlich) INdonesia tiga; ((nickt)) [(undeutlich) INdonesien drei;

INdonesisch drei;

002 IDW : [YA.

[JA.

003 [((nickt))

004 itu bisa dibicarakan YA. [komme nur kurz hierher he he, 012 IDW : ((lächelt)) äh he [YA.

[JA.

013 [((schiebt einen Teller mit Kuchen zu DSM1)) 014 DSM1 : [((lächelt, blickt auf den Teller))

015 (0:2)

016 IDW : ((schiebt die Becher))

017 DSM1 : karena aku harus pergi ke kantor mau ada registrasi=

weil ich müssen gehen zu büro werden es gibt anmeldung=

weil ich zum Büro wegen der Anmeldung gehen muss=

018 =[<<dim>kita> jadi-

=[<<dim>wir> also-

=[<<dim>wir> also-

019 IDW : [((nickt)) hh. <<acc>TIdak apa apa;>

<<acc> KEin etwas;>

<<acc> KEin problem;>

020 sepuluh meNIT juga ngga apa apa ya, ((Blick zu DE)) zehn miNUTe auch kein etwas,

zehn miNUTen ist auch kein Problem, 021 hanya- (.)

nur- (.)

022 tapi mungkin harus agak keras ya; (.) ((Blick zu DE)) aber vielleicht müssen ziemlich laut ja;(.)

aber vielleicht müssen wir ziemlich laut ja;(.) 023 bicaranya.(-) ((Blick zu DE))

sprechen.(-)

029 IDW : <<p>oh> ((blickt zu DE)) 030( 0:11)

031 DE : ((legt ein Diktiergerät auf den Tisch))

032 IDW : ((schiebt die Becher, das Diktiergerät und den Teller)) 033 ja haLLO ä: [::h-

034 [((schiebt den Teller zu DSM1)

86 Fallanalysen

035 DSM1 : [hallo.

036 [((lächelt))

037 IDW : MA:Rtin.

038 hh. äh he, 039 ((lacht)) 040 seLAmat PAgi.

gLÜCK MORgen.

guTEN MORgen.

041 ((lächelt)) 042 DSM1 : selamat pagi ibu.

Glück morgen mutter/frau.

043

guten morgen frau.

((lächelt, bringt seine Jacke in Ordnung))

8.1.1.1. Anrede und Grußverhalten

Neben ihrer Funktion als rituelle Eröffnung eines Gesprächs dient die Sequenz „sich begrüßen“

in dem akademischen Beratungsgespräch auch dazu, den Verlauf des Gesprächs zu regulieren, d.h. wer den ersten Redebeitrag hält, wer danach kommt und so weiter. Die Begrüßung kann den Gesprächsbeteiligten auch „Anerkennung“ zollen, genauer, dass beide ihre „Anwesenheit“

im Gespräch bewusst wahrnehmen. Goffmann (1972: 88) bezeichnet dieses Phänomen mit dem Begriff „footing“ und definiert eine Begrüßung als eine Form von gegenseitig unterstützendem Austausch mit rituellem Charakter, in der ein Individuum seinen Respekt gegenüber irgendeinem Gegenstand und gegenüber anderen Personen schildert, auf den Anderen Rücksicht nimmt und den höchsten Wert auf die Höflichkeit legt.

Dieser „rituelle“ Austausch wird in der Regel als erste Instanz der Diskussion nach der pre- beginning-Phase behandelt. Er markiert den Eintritt in einen gegenseitig ratifizierten Stand des Gesprächs (Schegloff, 1986). Sich begrüßen ist auch eine Art der Darstellung, dass der andere Ko-Partizipant anerkannt wurde. Mit dem Austausch der Begrüßung wird eine reziproke Aner- kennung beider Ko-Partizipanten erreicht, wie es in der folgenden Sequenz gezeigt wird:

D (1)

033 IDW : ja haLLO ä: [::h-

034 [((schiebt den Teller zu DSM1)

035 DSM1 : [hallo.

036 [((lächelt))

und D (2)

033 IDW : MA:Rtin.

034 hh. äh he, 035 ((lacht)) 036 seLAmat PAgi.

gLÜCK MORgen.

guTEN MORgen.

037 ((lächelt)) 038 DSM1 : selamat pagi ibu.

glück morgen mutter/frau.

guten morgen frau.

039 ((lächelt, bringt seine Jacke in Ordnung))

Die Sequenz zeigt, dass IDW das Gespräch mit dem Gruß „ja haLLO“ (Z. 033) initiiert, die mit dem Gegengruß „hallo“ von DSM1 (Z. 034) beantwortet wird. Eine solche Paarform wie Gruß Gegengruß wird adjacency pair (Schegloff, 1986) benannt. Eine sprachliche Variante der Begrüßung in der oberen Gesprächssequenz ist in den Zeilen 040 zu sehen, und zwar mit der Begrüßung „seLAmat PAgi“ (dt. guten Morgen) (Z. 040) und der Antwort von DSM1 „selamat pagi ibu.“ (dt. guten Morgen, Frau) (Z. 042).

Die Anwendung der Anrede „ibu“ (dt. Mutter, Frau) von SM2 fungiert in der oberen Gesprächssequenz als eine Antwort auf die Anrede „MA:Rtin“ in der Zeile 037 von IDW. In diesem Kontext zeigt die Anwendung des Namens und der Anrede „ibu“ (dt. Mutter/Frau) eine Hierarchie in der Interaktionssituation, indem IDW ihre Rolle als Dozentin einnimmt und sich DSM1 als ihr Student kategorisiert. Hier ist eine deutliche asymmetrische Dozent-Studenten- Beziehung zu sehen, indem IDW DSM1 mit Vornamen anspricht, während DSM1 mit der Anrede

„ibu“ antwortet. Als ein deutscher Student, der Indonesisch lernt und Indonesien besuchte und dort gelebt hat, kennt sich DSM1 mit dem Kontext der Anwendung von Anredeformen mehr oder weniger gut aus. Im deutschen Kulturkontext wird der Vorname als Anredeform in einem formellen institutionellen Kontext meistens nicht benutzt, vor allem im formellen institutionellen Gespräch zwischen Dozenten und Studenten in einer Beratungssituation.

In dieser Sequenz initiiert IDW eine Identifizierungs- bzw. Anerkennungssequenz mit der Namensbenennung, die dann von DSM1 in Z. 042 mit dem Gegengruß und in Z. 043 mit einem Lächeln ratifiziert wird:

D (3)

042 DSM1 : selamat pagi ibu.

glück morgen mutter/frau.

guten morgen frau.

043 ((lächelt, bringt seine Jacke in Ordnung))

Wie ich oben erwähnt habe, kennt DSM1 das rituelle Begrüßungsmuster bzw. die -formel, da er die Anrede „ibu“ ohne weitere Namensidentifizierung benutzt. Die Anrede ohne weitere Namensidentifikation ist in indonesischen Sprechhandlungen üblich.

Verbale Begrüßungen zeigen sich in allen in Hamburg erhobenen Daten. Meistens werden die Grußworte „hallo“, „selamat siang“ (dt. guten Tag) oder eine Kombination von „hallo, selamat siang“ (dt. hallo, guten Tag) als adjacency pair benutzt, sodass Äußerungen von first part und second part relevant werden (Schegloff, 2004). Interessant zu betrachten ist das gegensätzliche Phänomen, dass nämlich diese verbalen Begrüßungen mit den entsprechenden Ausdrücken in allen in Bandung aufgezeichneten Gesprächen nicht gefunden werden. Es sind trotzdem Begrüßungssequenzen vorhanden, die allerdings auf nonverbalen Zeichen beruhen, wie auf Kopfnicken und/oder Lächeln.

Dieses Fragment verläuft ohne bedeutende Hemmungen, obwohl IDW am Anfang des Gesprächs versucht, sich an den Namen von DSM1 (vgl. das Verzögerungssignal ä:[::h- in der Z. 033) zu erinnern und im Anschluß den Namen „MA:Rtin“ (Z. 037) betont und ein Lachen (Z. 038 - 039) als Zeichen des „Erfolges“, den Namen des Studenten zu erinnern, produziert:

D (4)

033 IDW : ja haLLO ä: [::h-

034 [((schiebt den Teller zu DSM1)

035 DSM1 : [hallo.

036 [((lächelt))

037 IDW : MA:Rtin.

038 hh. äh he, 039 ((lacht))

Bei dem Versuch, den Namen des in die Sprechstunde kommenden Studenten zu erinnern, kommt es öfters zu Verzögerungen oder es gibt sogar keine Reaktion von Seiten der Lehrenden, auch wenn StudentInnen ihre Namen vorher genannt haben, wie es die Studien von Meer et al. (2000), Meer (2003) und Limberg (2010) zeigen. Die fehlende Rückbenennung der Namen der StudentInnen bezeichnet Meer als eine „spezifische Form einseitiger Anonymität“ (Meer, 2003: 34), die

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entstehen könnte, weil die Lehrenden sich aufgrund der großen Zahl von Studierenden, mit denen sie im Rahmen ihrer Lehraktivitäten Kontakt haben, an die Mehrzahl der Studierendennamen nicht präzise erinnern können.

In diesem Fragment sowie in allen in Hamburg aufgenommenen Beratungsgesprächen hat IDW dieses Problem anscheinend nicht, weil der Lehrstuhl und das Fach relativ klein sind, sodass die Mitglieder des Faches sich gegenseitig kennen. Eine kurze Verzögerung, um den Namen von DSM1 endlich in Erinnerung zu bringen, entsteht möglicherweise, weil IDW erst zwei Monate lang in dem Fach beschäftigt ist und DSM1 vorher in Indonesien war und an einer anderen Universität studiert hat, sodass er in der Lehrveranstaltung von IDW relativ neu ist.