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8. Fallanalysen

8.1. Analyse unmarkiert verlaufender Überschneidungs- situationen

8.1.3. Situationsbeschreibung des Fragments (3): „karna kan sekarang saya lagi

8.1.3.2. Narrativ-indirekte Selbstidentifizierung

Wie bereits erwähnt wurde, erscheint die Interaktion in einer Sprechstunde bzw. in einem Bera- tungsgespräch aufgrund des Mangels an persönlicher Identifizierung als anonymisierte Interakti- on. In einigen Fällen, wie z. B. wenn man nur einen Schein oder eine Unterschrift holen möchte, könnte dies als unproblematisch verstanden werden. Statt der persönlichen Identifizierung sind Hintergrundwissen über einen Studenten oder eine Studentin und seinen oder ihren akademischen Hintergrund von großer Bedeutung, wenn ein Dozent oder eine Dozentin ihm/ihr individuelle Hilfe anbieten möchte. Solche Informationen können auf verschiedene Weise in dem ersten Slot der Anliegensformulierung in der Sprechstunde angezeigt werden.200

200 Vgl. Limberg (2010: 119).

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Limberg (2010: 119) zeigt in seiner Studie, dass der Mechanismus der Identitätskonstruktion, d.

h. Selbstidentifizierung und Anerkennung, weniger häufig im Gespräch auftritt als im Vergleich zu dem Mechanismus der Identitätskonstruktion, der nach der Anfangssequenz realisiert wird.

Gegenseitige Anerkennung könnte vorkommen, sobald die Interaktanten das voneinander wahrnehmen und wenn es natürlich nötig ist. Diese Anerkennung ist laut Limberg (2010) oft nicht ausdrücklich angegeben, z. B. indem die Lehrenden die Studenten persönlich adressieren.

Normalerweise umrahmt die gegenseitige Begrüßung auch den Identifizierungs- bzw.

Anerkennungsprozess. Eine genauere „Einleitung“ zur Identifizierung ist aber notwendig, bevor StudentInnen bzw. Ratsuchende ihr Anliegen formulieren. Diese „Einleitung“ könnte verbal oder nonverbal realisiert werden, wie es in folgender Sequenz sichtbar ist:

D (13)

004 DDW : [okEH,(.)

005 [((lächelt, blickt zu der Kamera)) 006 [SElamat daTANG;

[SIcher komMEN;

[HErzlich willkomMEN;

007 [((anbietende Handgeste)) 008 IKM2 : [ahaha

009 [((blickt kurz zu DDW)) 010 DDW : [äh he he he,

011 [((blickt zu IKM2))

In der oberen Sequenz wird die Begrüßung von DDW mit dem Gliederungssignal „[okEH,(.)“

(Z. 004), Lächeln und Blick zur Kamera (Z. 005) bezeichnet und dann mit verbaler Begrüßung

„[SElamat daTANG;“ (dt. herzlich Willkommen) (Z. 006) und einer anbietenden Handgeste von DDW (Z. 007) weitergeführt. Dieses „Angebot“ wird von IKM2 „angenommen“, indem er lacht (Z. 008) und kurz DDW anblickt (Z. 009). Das überlappende Lachen mit dem Blickkontakt von DDW (Z. 010 - 011) zeigt eine identische und gemeinsame Haltung der beiden Interaktanten, die in diesem Kontext als eine gegenseitige Anerkennung interpretiert werden könnte, und verweist darauf, dass das Gespräch beginnen kann.

Wie es in dem vorherigen Kapitel (8.1.3.1) erläutert worden ist, versteht IKM2 die nonverbale wartende Fremdwahl von DDW, indem er nach ein paar Verzögerungen sein Anliegen formuliert und sich mit den gegebenen Informationen über seinen Bildungshintergrund „indirekt“ identifi- ziert. Diese „indirekte“ Selbstidentifizierung ist von der Äußerung „karna kan sekarang saya lagi ES dua;“ (dt. weil ich gerade mal mein Masterprogramm mache) in der Zeile 025 indiziert.

Die Äußerung erfolgt letztlich in Form eines kausativen Satzes, wird aber von IKM2 als ein

„Weg“ genutzt, um sich selbst zu beschreiben, wie man in weiteren Äußerungen sehen kann. Die- ser Prozess entspricht auch Limbergs „categorical fashion“ (Limberg, 2010: 120), indem DDW nach der Selbstidentifzierung von IKM2 nicht explizit fragt, sondern mit nonverbal-wartender Haltung (Z. 015) IKM2 zum Weitersprechen stimuliert. IKM2 benutzt eine kurze Rückblende, eine narrative of personal experience201 als eine Art und Weise seiner Selbstbeschreibung. Diese Selbstbeschreibung wird mit dem Ziel seiner Teilnahme an der Sprechstunde, der jetzigen Berufs- position in der Arbeit und dann noch weiter nach hinten bis zu seiner Ausbildung strukturiert, wie es in dem folgenden Auszug zu sehen ist:

D (14)

024 IKM2 : atau mungkin dokTO:R;

oder vielleicht dokTO:R;

beziehungsweise dokTO:R;

025 karna kan sekarang saya lagi ES dua;

weil (Part.) jetzt ich gerade ES zwei;

201 Dieser Begriff ist von Quasthoff (1980).

weil ich gerade mal mein Masterprogramm mache; ersten Semester an einer technischen Hochschule („wo?“) und gleichzeitig als Angestellter („als was?“) in einer medizinischen Fakultät Abteilung Pharmakologie („wo?“).

Die minimale Reaktion von DDW, die „nur“ mit Kopfnicken (Z. 026, Z. 029 und 030), Blick zu IKM2 und dem Rückmeldesignal „hh-mm.“ mit fallender Intonation (Z. 032, Z. 038 und Z.

042) gekennzeichnet ist, zeigt, dass DDW diese Art der Selbstidentifikation von IKM2 erkennt und sogleich das „go-head“ Zeichen202 gibt, dass IKM2 sein Anliegen weiter formuliert. Diese kategorische Information ermöglicht Lehrenden bzw. Ratgebenden, das Anliegen der Studierenden bzw. Ratsuchenden besser zu kontextualisieren. Diese Art der Selbstidentifizierung evoziert verschiedene Implikationen. Die von IKM2 gegebenen Informationen, dass er ein Masterstudent und gleichzeitig Zahnarzt ist, könnten sowohl die Art und Weise als auch die Informationen von DDW beeinflussen. Darüber hinaus könnte die Verwendung solcher Informationen nicht nur die Erkennung seitens des Lehrers in dem nächsten Treffen verbessern. Es könnte auch für die Erfüllung bestimmter Beratungsaktivitäten technisch relevant sein. Eine ähnliche Selbstidentifikationstechnik ist auch in den Gesprächen GI-7, GI-8 und GI-9 zu finden.

Diese Arten der kategorischen Feststellung scheinen eine wichtige Rolle bei der Interaktion in der Sprechstunde bzw. Beratungssituation zu spielen. Darüber hinaus wird das, was in der Regel mit der Kategorie „Student“ oder „Klient“ oder „Ratsuchender“ in Verbindung gebracht wird, in diesem Kontext als „situated Identity“ (Limberg, 2010: 120) bezeichnet. IKM2 identifiziert sich mit seiner Erklärung, dass er eine „besondere“ Art von Student ist. Diese „Besonderheit“ wird am Anfang der Beratungssituation betont und er deutet an, welche Projekte er im Rahmen seiner Tätigkeiten bearbeitet, die dann den weiteren Beratungsprozess beeinflussen. Diese „situated

202 Dieser Begriff ist von Limberg (2010: 120)

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Identity“ wird laut Limberg (2010) während des ersten Themenslots gegenseitig aufgebaut.

Sie spezifiziert ebenfalls die Positionierung der Kopartizipanten im Gespräch, die durch den vorhergehenden Grußaustausch bereits erstellt wurde.

Es ist schwer vorherzusagen, ob und an welcher Stelle eine persönliche Identifizierung während des Gesprächs überhaupt stattfindet. In der Tat könnte das Nennen der Namen von Studenten bzw.

Ratsuchenden für den Informationsaustausch nicht einmal notwendig sein. Es hängt aber von dem Kontext und der Intensität des Kontakts zwischen den beiden Kopartizipanten sowie dem Ziel der zu der Sprechstunde kommenden StudentInnen ab. Je kleiner und intensiver ein Kreis ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, sich gegenseitig zu kennen. In dem Fall fehlt dann diese Art der Selbstidentifizierung in der Anfangsphase einer Sprechstunde oder einer Beratungssituation.

Dieses Phänomen spiegelt sich in allen in Hamburg aufgenommenen Gesprächen und in drei Gesprächen in Bandung wieder, nämlich in den Gesprächen GI-1, GI-2 und GI-3.

8.1.4. Situationsbeschreibung des Fragments (4): „ich hab ZWEI sachen