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7. Institutioneller Interdiskurs: deutsch-indonesische Ko-konstruktion von Beratung 73

7.3. Grußverhalten und Anredeformen

So wie in anderen Sprachgemeinschaften gibt es auch im Indonesischen Standardbegrüßungen wie selamat pagi (dt. Guten Morgen), selamat siang (dt. Guten Tag), selamat sore (dt. Guten Tag (am Nachmittag)) und selamat malam (dt. Guten Abend und Gute Nacht), die in der ersten Lektion der Lehrwerke für Indonesisch vermittelt werden. In der alltäglichen Kommunikationssituation benutzt man diese Standardbegrüßungen nur in der offiziell-formellen Situation als offizielle

169 Geertz (1961) in Tjitra (2001: 49).

170 Vgl. Tjitra (2001).

171 Vgl. Tjitra (2001).

172 Mehr dazu siehe Kistler (2003).

173 „Kulturdimensionen“ geprägt worden. Er ist das Ergebnis seiner Forschung bei den Mitarbeitern von IBM in 40 Ländern einschließlich Deutschland und Indonesien, in der er die Unterschiede der erforschten Länder in vier Di- mensionen aufgezeigt, nämlich „Individualismus – Kollektivismus“, „Maskulinität – Feminität“, „Machtdistanz“

und „Unsicherheitsvermeidung“.

174 Mehr über das Forschungsergebnis von Hofstede über die Kulturdimension sowie die Einteilung der erforschten Länder in Hofstede (1980, 2001).

Begrüßungsanrede. Diese offiziell-neutralen Begrüßungen variiert man auch oft mit religiösen Begrüßungen wie „Assalamu’alaikum“ bei den Muslimen oder „Om Swastiastu“ bei den Hinduisten. In einer relativ informellen Situation verkürzt man diese Begrüßungsformen wie auch im Deutschen mit „pagi!“ (dt. Morgen!), „siang“ (dt. Tag!), „sore!“ (dt. Tag! für Nachmittag) und „malam!“ (dt. Abend!). Als andere eher informelle Begrüßung wie im Deutschen „Hallo!“

oder im Englischen „Hi!“ wird im Indonesischen das Wort„Hey!“ benutzt.

Durch Begrüßungen in den hoch kontextualisierenden Sprachgemeinschaften Indonesiens zeigt man ein gemeinsames Wahrnehmungsfeld, das als „Spezifikum des Wahrnehmungsfeldes“

(Kistler, 2003: 118) der Interaktanten bei der Begrüßung bezeichnet werden kann. Kistler (2003) nennt in seiner Forschung als Beispiele, dass das Verb wie „jalan-jalan“ (dt. spazierengehen) als Begrüßung benutzt wird, wenn man Bekannte oder Freunde auf der Straße trifft. Auch Umstände, die das gemeinsame Wahrnehmungsfeld beeinträchtigen oder verändern, können in Grußform zum Ausdruck gebracht werden.175 Zum Beispiel das Nomen „hujan“ (dt. Regen) verwendet man als Begrüßung und Entschuldigung, wenn man zu spät zu einer Verabredung kommt. Eine andere alltägliche Erfahrung ist die Äußerung und die Benutzung der Verben „makan“ (dt. essen) und

„minum“ (dt. trinken), die man zu hören bekommt, wenn man einen Raum betritt, in welchem die Menschen gerade essen oder das Essen oder Getränke auf dem Tisch stehen. Die Interaktanten begrüßen den Neuankömmling mit dem Wort und fordern ihn ebenfalls zum Essen oder zum Trinken auf. Ein anderes Beispiel ist die Benutzung von Fragen wie „dari mana?“ (dt. Woher?) oder „mau ke mana?“ (dt. Wohin?) oder „apa kabar?“ (dt. Wie geht’s?) als Begrüßungsformeln, die meistens Floskeln bedeuten, auf die man keine „ehrliche“ Antwort von den Gefragten erwartet.

Diese Fragen gehören nach Durantis Kriterienkatalog für Begrüßungen sowohl zu dem Kriterium Nr. 3 „adjacency pair format“ als auch zu dem Kriterium Nr. 6 „identification of the interlocutor as a distinct being worth recognizing“176.

In Bezug auf die hierarchisch asymmetrische Beziehung, wie bereits im Kapitel 7.2 erwähnt, sieht man dieses Phänomen in der Interaktion sowohl verbal als auch nonverbal. Tjaya (2008:

59) zitiert Magnis-Suseno (1981: 56), der beschreibt, wie die hierarchischen Beziehungen in der (javanischen) Sprache verankert sind:

„It is impossible to speak Javanese without reference to the position of the person spoken to in relation to the position of the speaker. In its many complicated and formal gradations, the choice of words reflects position, intimacy, formality, age, social distance and rank, together with all the nuances of relative expectations, obligations and rights.“ (Tjaya, 2008: 59)

Dass die javanische Interaktionskultur die ganzen indonesischen Interaktionskonventionen einfärbt, kann man mit dem obigen Zitat der asymmetrischen Interaktion zwischen Lehrern und Studierenden kulturell begründen. Deren Phänomene tauchen in meinen Daten nicht nur verbal durch beispielsweise die Nutzung von Personalpronomen, sondern auch nonverbal wie die Proxemik der Gesprächsbeteiligten während des Gesprächs auf.

Auch in der Anrede von Personen außerhalb der Familie wie in dem akademischen Kontext, der mehr oder weniger sehr stark institutionalisiert ist, zeigt sich klar das typische soziale Rangverhältnis. Begriffe aus der familiären Hierarchie werden dabei auf die ganze Gesellschaft übertragen und als Anrede verwendet (Tjaya, 2008). Man sagt „Ibu“ (dt. „Mutter“) (abgekürzt

„Bu“) zu einer älteren hochgeschätzten Frau oder „Bapak“ (dt. „Vater“) (abgekürzt „Pak“) zu einem älteren hochgeschätzten Mann. Diese gelten auch für Lehrer, deren Position in der

175 Vgl. Kistler (2003: 118).

176 Duranti (1997: 67) erläutert in seinem Beitrag sechs Kriterien zur Identifizierung der Begrüßungen in einer Sprachgemeinschaft, und zwar: „(1) near-boundary occurence; (2) establishment of a shared perceptual field;

(3) adjacency pair format; (4) relative predictability of form and content; (5) implicit establishment of a spatio- temporal unit of interaction; and (6) identification of the interlocutor as distinct being worth recognizing.”

78 Institutioneller Interdiskurs: deutsch-indonesische Ko-konstruktion von Beratung

Gesellschaft hoch eingestuft ist. Im Gegensatz dazu sprechen Ältere Jüngere, vor allem diejenige in einer niedrigeren Position, meistens mit dem Personalpronomen „kamu“ (dt. „du“) an. Die Verwendung von Anredeformen im Indonesien ist nach Kistler (2003) regional und ethnisch verschieden und kann zu sprachlicher Stereotypisierung führen, wenn man Anredeformen aus fremden Sprachgemeinschaften verwendet. Zum Beispiel wenn man „Mamie“ statt „ibu“ für Mutter benutzt, dann hat man die Vorstellung, dass er/sie aus Manado in Nordsulawesi kommt oder die Familie eine „westliche“ bzw. „chinesische“ Herkunft hat oder die Familie sogar als

„modern“ bezeichnet werden kann. In diesem Fall verschiebt sich die familiäre Bezeichnung von Mutter zu einer ethnischen und sozialen Stereotypisierung.

Der Gebrauch des Pronomens der 1. Person Singular saya oder aku (dt. ich) ist im alltäglichen Gespräch häufig zu hören, da „saya“ in einer eher offiziell-formellen Kommunikationssituation verwendet wird, während „aku“ eherinformell-inoffiziellist. „Saya“ zeigteine neutral-distanzierte Beziehung zwischen den Interaktanten, während „aku“ eine engere intime Beziehung darstellt.

Die Pronomina für die 2. Person Singular engkau und kamu (dt. du) sind in offiziell-formeller Kommunikationssituation stärker dispräferiert und entsprechend selten zu hören, aber sie kommen in informellen Situationen häufig vor, vor allem in Gesprächen mit gleichaltrigen Interaktanten.

Stattdessen verwendet man in einer offiziell-formellen Kommunikationssituation das Pronomen der 2. Person Singular/Plural „Anda“, das mit dem Englischen „you“ und Deutschen „Sie“

vergleichbar ist, als Anrede. Anders als die neutrale und höfliche Bedeutung der Pronomen „you“

und „Sie“ drückt das Pronomen „Anda“ im Indonesischen keine egalitäre Beziehung aus, sondern wird als steif, unpersönlich und hierarchisch eingestuft. Infolgedessen verwendet man lieber Kombinationen von Anredeformeln „Bapak“ (dt. Herr) oder „Ibu“ (dt. Frau) + Namen oder in abgekürtzer Form „Pak“ (dt. Herr) oder „Bu“ (dt. Frau) + Namen, zum Beispiel „Ibu Yanti“ (dt.

Frau Yanti), um höflich zu sein, aber es bleibt formell und offiziell. Trotzdem wird immer noch eine Hierarchie deutlich, vor allem wenn die Interaktanten keine gleichen Grußformeln benutzen, zum Beispiel ein Student/eine Studentin spricht seinen/ihren Dozenten oder seine/ihre Dozentin mit „Pak Bima“ oder „Ibu Yanti“ an, während er/sie von seinem/ihrem Dozenten oder seiner/

ihrer Dozentin nur mit seinem/ihrem Vornamen angesprochen wird, z. B. „Christoph“, „Miriam,

„Livana“ etc.

Interessant zu betrachten ist, dass die Indonesier die Anrede „Bapak“ oder „Ibu“ mit den Vorna- men kombinieren, weil sie meistens keine Familiennamen haben, wie es im deutschen Kulturraum üblich ist. Sie haben zwar Nachnamen, aber diese gehören nicht zu den Familiennamen, sondern zu ihren eigentlichen Namen. Aus diesem Grund kombiniert man die Anredeformeln (Ba)Pak und (I)Bu + Vorname. Diese im Vergleich zum Deutschen unterschiedliche Funktion der Namensteile erzeugt typische Überschneidungssituationen, da die Indonesier Deutsche häufig mit „Herr + Vor- name“ oder „Frau + Vorname“ ansprechen, z. B. „Herr Svann“ statt „Herr Langguth“ oder „Frau Jutta“ statt „Frau Kunze“, die sie anscheinend von dem üblichen indonesischen Format direkt übernehmen „Pak Svann“ oder „Ibu Jutta“. Dieses im Deutschen nicht angepasste Anredeformat irritiert häufig den deutschen Interaktanten. Im Gegensatz dazu sind indonesische Interaktanten verunsichert, weil die Deutschen dazu neigen, den in Indonesien hochformalisierten Nachnamen- gebrauch auch in für Indonesier als informell bezeichneten Situationen zu verwenden, z. B. sagen sie „Pak Panigoro“ statt „Pak Ramdan“, weil er den Namen „Ramdan Panigoro“ trägt, oder „Ibu Mirdayanti“ statt „Ibu Yanti“, weil sie den Namen „Yanti Mirdayanti“ hat. Kistler (2003) zeigt auch auf, dass Anredeformen mit nonverbalen Mitteln wie Körperhaltung, Kopfhöhe, Blickkon- takt usw. kombiniert werden, wobei „fast immer die Ehrerbietung gegenüber Höherstehenden in der Alters- oder Sozialhierarchie zum Ausdruck gebracht wird“ (Kistler, 2003: 117).

Wie Namen und Anrede sowie Begrüßungen unter den Interaktanten in der deutsch-indonesischen Interaktion verwendet werden, wird in dem nächsten Kapitel anhand des empirischen Datenmaterials von deutsch-indonesischen Beratungsgesprächen analysiert und interpretiert.