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8. Fallanalysen

8.3. Schlussfolgerung aus den Fallbeispielen

Anhand der Analysen auf allen drei Ordnungsebenen, nämlich der räumlichen, der sequenztiell- thematischen und der kontextuell-kulturspezifischen Ebene, zeigten sich in den besprochenen Fragmenten überwiegend kooperative Gespräche und kaum grundlegende Diskrepanzen. Diese Kooperation lässt sich an der Art der Interaktion, u. a. durch wenige Unterbrechungen durch Überlappung, wenige negative Rückmeldesignale, kaum Reparaturen, normal verlaufende Turn- Taking und überwiegend Frage-Antwort-Paarsequenzen erkennen. Obwohl das Gespräch UHH3 eher „dynamischer“ ist, verläuft es im Allgemeinen trotzdem kooperativ. Gemeinsames Lachen und Mitlachen über etwas spielen bei dieser Kooperation während des Gesprächs eine große Rolle.

Auf der Registerebene wechseln die Interaktanten oft den Kode vom Indonesischen ins Deutsche oder umgekehrt oder ins Englische. Diese Kodewechsel passieren innerhalbeiner Äußerungseinheit oder einer Phrase. Sie sind auch manchmal turnspezifisch, indem unverständliche Äußerungen in einer Sprache, z. B. Indonesisch, noch einmal nachgefragt werden. Diese Äußerungen werden metasprachlich durch Übersetzung weiter erklärt, d. h. die Kodes werden automatisch gewechselt.

In allen in Hamburg aufgenommenen Gesprächen finden diese Kodewechsel bei IDW statt, indem sie innerhalb ihrer Äußerungen die Kodes vom Indonesischen ins Deutsche und ins Englische wechselt. Ethnographisch gesehen verfügt IDW über mehrjährige Aufenthaltserfahrungen in den USA und machte dort ihren Master , so dass es möglich wäre, dass aus diesem Grund Sprachinterferenzen238 in ihren Äußerungen entstehen.

In den untersuchten Fragmenten in Hamburg werden die Äußerungen der Dozentin auch morphologisch und phonologisch vom Sundanesischen239 interferiert. Da Sundanesisch auch

238 Unter Interferenz versteht man grob ein Übertragungsphänomen muttersprachlicher Strukturen auf äquivalente Strukturen einer Fremdsprache und umgekehrt von Strukturen eines Dialekts auf die Standardsprache. Interferenz betrifft den semantischen, grammatischen (morphosyntaktischen), idiomatischen, phonologischen und gestikula- torischen Akt (vgl. Glück, 2000: 310).

239 Sundanesisch ist eine Regionalsprache Indonesiens. Sie wird in West-Java benutzt und ist dort verbreitet. IDW und IKM2 stammen selbst aus dieser Provinz.

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meine Muttersprache ist, erkenne ich, dass IDW in einigen Stellen sowohl wörtlich als auch prosodisch vom Sundanesischen stark beeinflusst ist. Dieses Phänomen findet man auch bei IKM2 im Gespräch GI-5.

Seitens der deutschen Studenten in Hamburg tauchen Kodewechsel eher nicht auf. Im Gegensatz dazu passiert dieses Phänomen bei den indonesischen Studierenden, die zur Beratung kommen, wobei DDW entweder nur auf Deutsch oder nur auf Indonesisch spricht. Die einzige Stelle, in der sie den Kode wechselt, ist, wenn sie etwas deutlicher erklären möchte. Ansonsten benutzen die indonesischen Interaktanten, sowohl die Dozentin als auch die Studenten, eher die informell gesprochene Sprache Indonesisch. Kodewechsel wurden in diesem Fall als metakommunikatives Instrument zur Übersetzung verwendet.

In allen Fragmenten kommen vieleWiederholungenund verbale bzw. nonverbale Rückmeldesignale vor, die als Kontextualisierungen dienen und zu besseren Beziehungen zwischen den Interaktanten führen. Damit wird Kooperativität im Gespräch erzeugt. Frage-Antwort-Sequenzen in den Gesprächen GI-7, GI-8 und GI-9, die manchmal nicht miteinander zusammenhängen, könnte auch darauf hinweisen, dass die inhaltliche Antwort weniger wichtig war als die Beziehungspflege.

Die Kooperativität während des Gesprächs hängt natürlich auch mit dem Setting und dem Ziel des Gesprächs zusammen. Das Setting und das Ziel der Interaktion sind durch die Institution Hochschule und in der beratenden Funktion der Sprechstunde festgelegt, sodass die Interaktanten von Anfang an gemeinsame Themen haben. Während des Gesprächs entwickeln sich natürlich die sich auf die Anliegen der Studenten beziehenden Themen. Die Themen werden direkt besprochen, sobald die Interaktanten sich in einem sogenannten „Beratungsraum“ befinden.

Diese für die Beratung genutzten „Räume“ sind das Büro der Lehrenden, das Klassenzimmer und der Innenhof des Goethe-Instituts. Die vielfältigen Räume, zwei davon sind geschlossen und einer open space, verursachten keine signifikanten Unterschiede für die Besprechung der Gesprächsthemen und die Bearbeitung des Anliegens von Studierenden. Potentielle Störungen des Gesprächsverlaufs sind aufgrund äußerlicher Faktoren in diesem Fall unvermeidbar wie zum Beispiel laute Bohrgeräusche oder die Ankunft einer anderen Person. Diese potentiellen Störungen verursachen jedoch keine Missverständnisse mi Beratungsgespräch, sie wurden hingegen sogar im Gesprächsverlauf thematisiert. Die auf der Registerebene vorkommenden Missverständnisse sind von den Interaktanten meistens sofort bearbeitet und geklärt worden. Andere Missverständnisse liegen auf der interaktiven Ebene vor, wenn eine Partei eine andere Modalität als die andere benutzt und Studenten ihre Anliegen formulieren. Außerdem wird Kooperativiät erzeugt, indem einige besprochene Themen auf common ground entwickelt werden, der durch Stereotypisierung hergestellt wird.

In den kooperierenden Handlungszügen während der Beratungssituation, die die Interkultur zwischen deutschen und indonesischen Interaktanten konstituieren, werden Formalisierung und Deformalisierung durch verbales und nonverbales Verhalten dynamisch erzeugt. Sie sind sowohl situations- als auch positionsgebunden. Im untersuchten Diskurs geht es um eine Gegenüberstellung und ein „Spiel“ um die Rechte von Studenten bzw. Klienten, Informationen aus erster Quelle zu bekommen und die Pflicht der Dozenten bzw. Ratgebenden, ihre Studenten zu betreuen und Vertreter ihrer jeweiligen Kultur zu sein. Diese Gegenüberstellung und dieses

„Spiel“ werden durch simultan realisierte Identitäten erzeugt, bestätigt oder zurückgewiesen.

Der inszenierte Einzelfall einer „fremden“ Sprechstunde wird verallgemeinernd für alle deutschen bzw. indonesischen Sprechstunden erzeugt. Hier werden prototypische Situationen (im Sinne von Lakoff, 1966) als ein unterstützendes Muster für die Einschätzung der übrigen Vertreter der Kategorie, in diesem Fall Sprechstunde bzw. Beratungsgespräch, mit ethnisierendem Dekor bzw. Zubehör (Tee, Bilder, Poster, Textilien, Zigaretten etc.) reproduziert. Abgesehen von den Partizipanten erzeugt der mit Dingen aus Indonesien geschmückte und eingerichtete Raum in

Hamburg oder umgekehrt die mit Sachen aus Deutschland eingerichteten Räume im Goethe- Institut und in der Deutschabteilung in Indonesien den Eindruck, dass man gleich in eine andere Kultur eintritt. Dazu gehört auch die Kleidung, die IDW jeden Tag trägt, nämlich eine Kombination des „deutschen“ Kleidungsstils mit indonesischen Accessoires oder umgekehrt. Bei der Nachbesprechung mit IDW erfahre ich, dass sie das absichtlich macht, weil sie „Indonesien“

in Deutschland vertritt.

Diese Ethnisierung manifestiert sich auch in den Handlungszügen, die vor allem in Gesprächen in Hamburg auftauchen. Die jeweils aktivierten Identitätsebenen sind jedoch nicht nur komple- mentär, sondern potentiell konfligierend. IDW spielt in ihrer Sprechstundenzeit ihre Rolle sowohl als Dozentin im Kontext „Patron“ als auch als Gastgeberin. Ihre zu ihrer Sprechstunde kommen- den StudentInnen werden nicht nur als Klienten betrachtet, sondern sie werden „automatisch“

auch ihre Gäste. Die Rollen Gast und Gastgeber erfordern einen bestimmten Grad an positiver Höflichkeit und Formalisierung, den der indonesische Sprecher mit small talk-Mustern zu etab- lieren versucht. In den untersuchten Daten erscheinen deshalb „rituelle“ small talk-Muster beim Gastempfang, wie die Frage nach der Befindlichkeit und das Anbieten von Tee oder Kaffee sogar Kuchen und Zigaretten, die in „typischen deutschen“ Sprechstunden fehlen. Gerade an dieser Stelle kommt es zu Missverständnissen, weil die Interaktanten andere kulturelle Erfahrungen sowie Vorstellungen von Sprechstundensituationen haben.

Im Gegensatz dazu fehlen diese small talk-Muster in den prototypischen „deutschen“

Sprechstunden, die von DDW in Bandung durchgeführt werden. Damit erzeugt DDW sowohl örtlich als auch sprachlich die „deutsche Sprechstundenkultur“ in Indonesien, die vor allem bei der Konstellation der Kopartizipanten in dem Gesprächsverlauf meines Erachtens anders verstanden wird. Diese Unterschiede sind auch von dem Ort abhängig, an dem die Sprechstunde bzw.

Beratung veranstaltet wird. Die auf dem Innenhof des Goethe-Instituts veranstalteten Beratungen sind eher offen, sodass mehrere Leute an einem Gespräch teilnehmen und mitdiskutieren können.

Die Sprechstunde bzw. das Beratungsgespräch ist kein „privat-formell“ institutionelles Gespräch mehr, sondern es handelt sich eher um „kollektive informelle“ Tischgespräche.

Aus den untersuchten Fragmenten und allen Daten im Allgemeinen kann auch die Schlussfolgerung gezogen werden, dass ein unterschiedliches Verständnis der Darstellung einer Sprechstunde vorliegt, was jedoch kulturell und örtlich bedingt ist. Damit kann in diesem deutsch- indonesischen Beratungskontext kein prototypisches Muster gefunden werden, weil sich nicht nur die Interaktionen, sondern auch der Verlauf anders manifestiert. Die Interaktanten bringen ihre eigenen Kulturvorerfahrungen in das Gespräch ein. Damit realisieren sie eine Mischform einer scheinbar gleichen Gattung Sprechstunde oder office hour. Diese Ergebnisse entsprechen der Aussage von Günthner (2007), dass unterschiedliche Aspekte kulturell variierender Gattungstradition und deren Folge für interkulturelle Kommunikation eine große Rolle spielen.

Hierbei, so Günthner, kommen nicht nur eigenkulturelle Gattungskonventionen wie Formen, Funktionen und stilistische Bewertungen, die auf die interkulturelle Kommunikationssituation übertragen werden, vor. Sie zeigen auch die „Eigendynamik interkultureller Begegnungen, die Raum für die Entstehung neuer (Misch)Formen liefert“ (Günthner, 2007: 380).

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