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Missverständniskommunikation vs. gelingende Kommunikation in deutsch-

5. Forschungsfragen und Hypothesen

5.1. Missverständniskommunikation vs. gelingende Kommunikation in deutsch-

Wenn man bei dem Wort „Missverständnis“ das Präfix „miss-„ unterstreicht, das laut Duden (2007) bedeutet, dass „etwas falsch, nicht richtig oder nicht gut ist bzw. getan wird“, und das Nomen „Verständnis“ betrachtet, bei dem es sich um das Verstehen und den inhaltlichen Begriff (bzw. auch das inhaltliche Begreifen) eines Sachverhalts handelt, so impliziert das Kompositum

„Missverständnis“ die Negation eines positiven, d. h. gelingenden, Verstehensprozesses, in dem die Ursache auf der Seite des Empfängers liegt. Das Duden Wörterbuch präzisiert und definiert Missverständnis als „[unbeabsichtigte] falsche Deutung, Auslegung einer Aussage oder Handlung“. Hier wird der Begriff „Handlung“ angedeutet, dass nicht nur mündliche oder schriftliche Kommunikation mögliche Bereiche für Missverständnisse werden, sondern auch Handlungen, die sowohl verbal als auch nonverbal sind, zu solchen führen können. Hier stellt sich aber die Frage, ob das Missverständnis wirklich die „falsche Deutung“ eines Sachverhalts auf der Seite des Empfängers ist oder ob das Missverständnis nicht vielmehr ein Zustand ist, der durch die Verbindung von Äußerung auf Seiten des Senders und der Interpretation auf Seiten des Empfängers entsteht.

Dafür beschreibt Kindt (1998: 17) in seinem Aufsatz über „Verständigungsprobleme“, dass ein Missverstehen ein Problem der Koordination von Zuordnungen ist, das heißt genauer:

„KommunikationsteilnehmerInnen erbringen in ihrer Interaktion im allgemeinen bestimmte Zuordnungsleistungen und versuchen, ihre Zuordnungsaktivitäten sowohl in der sequentiellen Durchführung als auch in ihren Resultaten zu koordinieren. Der Typ von Zuordnungsleistungen […] betrifft die semantische Zuordnung von Äußerungen (gleich welcher kommunikativen Einheit) zu Sachverhalten bei der Äußerungsproduktion und umgekehrt die Zuordnung von Sachverhalten (Bedeutungen) zu Äußerungen bei der Rezeption“ (Kindt, 1998: 18).

Anhand des oben genannten Zitats ist ersichtlich, dass Kindt damit ferner verdeutlicht, dass Verständigungsprobleme immer nur in Verbindung mit den Leistungen von Kommunikationsbeteiligten entstehen können. Demnach würde die Definition eines Missverständnisses als „falsche Deutung“ bereits als zu vage gelten. Kindt argumentiert, dass ein Verständigungsproblem bereits beim Produzenten eines Sachverhalts entsteht, da dieser zuerst den Sachverhalt mit einer „korrekten“ Äußerung versehen müsste, sodass die Zuordnungsleistung bzw. das Verstehen des Rezipienten vollkommen korrekt verlaufen und dennoch zu einem Missverständnis führen könnte. In diesem Fall ist die Wechselseitigkeit bei der Entstehung des Missverständnisses zu sehen.

Hinnenkamp (1998: 11) arbeitet dann heraus, dass jeder kompetente Sprecher einer Sprachgemeinschaft versteht, was Missverständnisse sind, da jeder welche produziert, jeder darunter leidet und jeder den Begriff „Missverständnis“ während der Interaktion mit anderen Sprechern, auch in metakommunikativen Reparaturen, auch benutzt. Missverständnisse entstehen

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laut der Ansicht vieler Forscher in jeder Form von Kommunikation und Interaktion. Zuerst sollte untersucht und geprüft werden, ob dieser Begriff in verschiedenen Disziplinen fachübergreifend einheitlich verwendet wird. Daher muss zunächst der Begriff „Missverständnis“ definiert werden.

Mehrere Faktoren können die Verständigung während der Kommunikation und Interaktion stören. Wenn sie aber im Grunde schon während des Kommunikationsverlaufs durch Formulierungswiederholungen oder -reparaturen sofort gelöst werden könnten, würden sie den Kommunikationserfolg nicht beeinträchtigen (Kindt, 1998: 20). Entscheidend ist laut Kindt die Tatsache, dass das Problem in der Regel sofort und innerhalb kürzester Zeit erkannt wird und durch einen Reparaturmechanismus des Produzenten bzw. des Rezipienten gelöst werden kann. Dieser Prozess kann wiederum in unterschiedlichen Stufen ablaufen. Ein Problem kann beispielsweise durch unklare Aussprache des Produzenten entstehen und vom Rezipienten durch eine kurze Nachfrage oder Bitte um Wiederholung gelöst werden. Es kann aber auch passieren, dass ein Problem aus falschem Verstehen von Seiten des Rezipienten beispielsweise durch akustische Störungen in der Umgebung oder durch andere Ablenkungen resultiert. Auch in diesem Fall könnte eine Bitte um Wiederholung oder eine Nachfrage als Lösung in Betracht kommen.

Es könnte aber auch möglich sein, dass eine Äußerung von dem Rezipienten aus irgendwelchen Gründen anders verstanden wird, die in mehreren Fällen von mehreren Reparaturmechanismen bearbeitet werden sollte.93

Diese Verständigungsprobleme, die oft zu Missverständnissen führen können, treten besonders häufig in interkulturellen Kommunikationssituationen auf, auch wenn man nicht behaupten kann, dass sich interkulturelle Kommunikation nur allein durch Missverständnisse konstituiert (ten Thi- je, 2006: 1). Er betont, dass über Missverständnisse eine interkulturelle Verständigung stattfinden kann, da Kultur seiner Meinung nach nicht als statisch materialisierte Artefakte von Normen und Werten für eine bestimmte Gruppe oder einen bestimmten Staat angesehen werden kann, son- dern als eine aktive soziale Gruppe, die Lösungen für immer wiederkehrende gesellschaftliche Bedürfnisse und Probleme findet. Kultur wird in der Wahrnehmung, im Verständnis und in der Realitätsbildung interaktiv produziert und reproduziert (ten Thije, 2002). Da die Kultur interak- tiv rekonstruiert ist, hat interkulturelle Kommunikation das Potenzial, linguistische Systeme mit neuen diskursiven Strukturen bereichern zu können oder sogar einen Beitrag zur Schaffung neuer sprachlicher Systeme mit neuer diskursiver Interkultur zu leisten (ten Thije, 2006: 3).

Im Einklang mit ten Thije (2006) stellt Rehbein (2006: 80) fest, dass interkulturelle Kommuni- kation eine kulturelle Aktion in der multilingualen Konstellation ist. Diese Konstellation könnte die Kommunikation wegen unterschiedlicher Sprach- und Handlungssysteme der Kommunika- tionsteilnehmer im Vergleich mit einer monolingualen Kommunikationskonstellation erschwe- ren. Gerade aufgrund dieser Schwierigkeiten tendieren die Partizipanten einer interkulturellen Kommunikation dazu, neue kreative Methoden der Verständigung zu finden oder sie vertrauen zumindest nicht mehr bedingungslos auf die Wirksamkeit der alten Methoden. Für den institutio- nellen Kontext, besonders für eine interkulturelle Beratungssituation, hat Rost-Roth (2006: 210) festgestellt, dass diese Kommunikationsprobleme verschiedene sprachliche bis hin zu kulturellen Problembereichen verursachen und sich während der Interaktion gegenseitig verstärken.

Eng verknüpft mit dem Begriff „Missverständnis“ ist der von Hiller (2007: 28) genutzte Begriff

„Kommunikationsproblem“, der die „Fehlkommunikation bzw. falsche Interpretation von Kom- munikationshandlungen“ (Hiller, 2007: 28) impliziert. Sie bezeichnet ein Kommunikationspro- blem als einen Akt gestörter Kommunikation, die durch den Überbegriff, Konflikt, Störungen, Irritationen oder Missverständnisse in die Interaktion einbezogen wird.

93 Über den Reparaturmechanismus in deutschen Gesprächen ist u.a. in der Forschung von Egbert (2009) zu lesen.

Da Probleme zu mehreren Missverständnissen führen können, soll das Verständnis des Begriffs

„Probleme“ im Kontext kultureller Probleme abgegrenzt werden. Demzufolge spricht Müller- Jacquier (2000) von „sprachspezifischen Problemen“, die er nicht nur auf die Kultur zurückver- weist, sondern auf die Sprachgemeinschaft. Allerdings führen die Interagierenden die Verwen- dung verschiedener Sprechkonventionen auf unterschiedliche kulturelle Eigenschaften zurück und kulturalisieren unterschiedliche Sprechweisen. Das sogenannte Linguistic Awareness of Cul- ture (LAC)-Raster leistet zwei Dinge, typische Probleme der interkulturellen Kommunikation werden in einer Kategorie geordnet, und das Ablaufraster zeigt, wie auf der sprachlichen Ebene entstandene Probleme von den Interagierenden als kulturelle Eigenschaften aufgefasst und attri- buiert werden, weil sie nämlich diese Sprachkategorie nicht kennen, und wie sie in der Reaktion auch bearbeitet werden. Diese Probleme können mithilfe eines auf der Basis seiner eigenen Un- tersuchungen und verschiedener linguistischer Forschungen94 entwickelten Rasters zugeordnet werden. Dieses Raster beinhaltet folgende Analysekomponenten:

- Soziale Bedeutungen/Lexikon

- Sprechhandlungen/Sprechhandlungssequenzen

- Gesprächsorganisationen: Konventionen des Diskursablaufs - Themen

- Direktheit/Indirektheit - Register

- Paraverbale Faktoren - Nonverbale Faktoren

- Kulturspezifische Werte/Einstellungen

- Kulturspezifische Handlungen (einschließlich der Rituale) und Handlungssequenzen

Im Einklang mit Müller-Jacquier zählt Knapp (2004) ebenso eine Reihe der die Kommunikation beeinträchtigenden linguistischen Faktoren auf, und zwar:

- Unterschiede in der referentiellen bzw. sozialen Bedeutung

- Nonverbale Signale, die übersehen oder nicht richtig eingeordnet werden - Indirekte Kommunikationsart, Nichtgesagtes

- Intonation

- Schaffung bzw. Nichteinhalten sozialer Distanz (z. B. Anrede mit „Du“ oder „Sie“) - Fehlende Übersetzungsäquivalente im Lexikon

- Präferierte Sprechakttypen und -sequenzen (Modalpartikel, Höflichkeitsfloskeln) - Argumentationsstrukturen (Umgang mit Dissens, Gliederung von Informationen) - Inhalte und Abläufe von Kommunikationsereignissen

- Präferenz formeller/informeller Kommunikationssituationen - Dominanz der Sachebene bzw. Beziehungsebene

- Sprecherwechsel (Schweigepausen, Unterbrechungen) - Missverständnisse aufgrund fehlender Sprachkompetenz

Die in meinen Daten induktiv erarbeiteten Interaktionsphänomene in deutsch-indonesischen aka- demischen Beratungsgesprächen zeigen explizierte bzw. implizierte Kommunikationsprobleme, die mit den von Müller-Jacquier und Knapp vorgeschlagenen Analysekomponenten bzw. -fakto- ren besser erfasst und eingeordnet werden können. Zur Erfassung der meisten der angeführten Punkte ist die Methode der linguistischen Gesprächsanalyse am besten geeignet. Des Weiteren

94 Vgl. Knapp/Knapp-Potthoff (1990), Helmot (1997), Apeltauer (1997).

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sollen in der vorliegenden Arbeit diejenigen Phänomene erklärt und verstanden werden, die den Kontakt zwischen den deutschen und indonesischen Interaktanten in dem Kontext akademischer Beratungsgespräche hemmen, stören oder erschweren und somit der erfolgreichen Kommunika- tion im Wege stehen. Real erlebte kritische Situationen werden hier ebenfalls dargestellt und in Bezug auf ihre Ursachen gesprächsanalytisch und gattungsspezifisch untersucht.

Grundsätzlich geht die These davon aus, dass kulturbedingte Kommunikationsprobleme in aller Regel ein unvermeidlicher Bestandteil der interkulturellen Kommunikation sind, entsprechend dem Hinweis von Müller-Jacquier (2000: 7), dass die meisten Menschen in interkulturellen Kommunikationssituationen unbewusst auf die Regeln der eigenen Sprachgemeinschaft zurückgreifen und das fremdkulturelle Handeln auf dieser Grundlage interpretieren. Knapp (2004:

414) stellt ebenfalls fest, dass auch Probleme, die auf unterschiedlichen kulturellen Handlungs- oder Beziehungstypen basieren, oft sozial gedeutet werden, also der Person oder Intention des anderen zugeschrieben werden.

Weil sich viele Ursachen für die bis zum Missverständnis führenden Kommunikationsprobleme auf einer latenten Ebene befinden und oft schwer identifiziert werden können, stelle ich aufgrund der oben genannten Studien und Forschungen, der erhobenen Daten sowie meiner eigenen Erfahrungen als Vertreterin der interkulturellen Kommunikation insbesondere im akademischen Kontext in dieser Arbeit die Frage, wie Missverständniskommunikation und gelingende Kommunikation in deutsch-indonesischen akademischen Kontaktsituationen im Sinne akademischer Beratung sprachlich und interaktiv ko-konstruiert werden und wie sie sich in der Ko-konstruktion, also nicht in der externen Bewertung durch Partizipanten im Nachhinein, zeigen. Hierzu gehören beispielsweise auch die Sprachbarriere oder das spezifische Gesprächsverhalten und andere Handlungsrituale.

5.2. Critical incidents in den Gesprächssequenzen der deutsch-