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Spezifische rekurrente Muster in den Gesprächen deutsch-indonesischer

5. Forschungsfragen und Hypothesen

5.3. Spezifische rekurrente Muster in den Gesprächen deutsch-indonesischer

Unter dem Begriff „Muster“ versteht man erkennbare Regelmäßigkeiten entweder durch „das Befolgen einer (expliziten oder impliziten) Vorlage oder als von Interaktanten hergestellt“ (Werlen, 2001: 1263). Diese Terminologie ist in verschiedenen theoretischen Kontexten mit Schema, Skript, Frame usw. vergleichbar, da alle nach Regelmäßigkeiten des Verhaltens oder Handelns suchen und diese konzeptualisieren. Für Gespräche gilt der grundlegende Mechanismus des Turnwechsels (Sacks, Schegloff, Jefferson, 1974) als soziale Ordnung in der Mikroebene. Ehlich und Rehbein (1979) definieren Muster als Instanziierung von sprachlichen Handlungen. Diese Muster gelten in der Interaktion als vorgefertigte oder zumindest als vorgezeichnete Lösungen kommunikativer Probleme, wie Günthner/Knoblauch (1994) erläutern.

In vielen Fällen wird ein kommunikatives Muster von regelmäßig wiederkehrenden Handlungsritualen gebildet. Der Begriff „rituell“ bzw. „Ritual“ ist auch in seiner Verwendung immer noch nicht einheitlich, da Rituale meist mit religiösen Vollzügen im engeren Sinne verbunden sind. Mit diesem Verständnis wird die Beziehung zwischen den Mitmenschen als Akteur der Rituale nicht so umfangreich berücksichtigt. In Gesprächen sind rituelle Vollzüge schließlich von Interesse, wie Werlen (2001: 1264) erläutert. Seiner Meinung nach impliziert rituelles Handeln in Gesprächen, die wesentliche verbale Äußerungen beinhalten, „häufig mehr als das Äußern von Worten oder gar keine Worte“ (Werlen, 2001: 1264).

Werlens Meinung wird von Untersuchungen ritueller Muster in Gesprächen von Goffmann (1971, 1974) beeinflusst, deren Ausgangspunkt die Beobachtung der verschiedenen Rollen oder unterschiedlichen Selbstdarstellungen von Individuen ist, die sich aber bei einer Interaktion mit anderen Individuen als dieses oder jenes Selbst zeigen. Wenn Individuen sich in einem sozialen

97 Die Wichtigkeit des Einbezugs der Ethnographie bei der Gesprächsanalyse wird von Deppermann (2000) aufge- führt.

Kontakt mit anderen Individuen begegnen, werden sie füreinander für eine bestimmte Zeit zugänglich. In dieser Situation wenden sie sich einander zu und haben einen gemeinsamen Punkt der Aufmerksamkeit, der sie zum verbalen Austausch veranlassen kann. Den Anfang und das Ende einer solchen Phase, die durch kleine rituelle Handlungen markiert wird, nennt Goffman

„bestätigendes Austauschen“ (Goffman, 1974: 97-137). Zu „bestätigendem Austauschen“ gehören u. a. Begrüßungen und Abschiede bzw. Eröffnungen und Schlüsse. Nach Goffman enthält jedes Ritual gegenseitige Respekt- und Ehrerbietung von Individuen, die diese Rituale durchführen.

Damit nennt er diese Rituale „interpersonelle Rituale“ oder „Interaktionsrituale“, indem er den Begriff Ritual mehr auf die Beziehung zwischen den Individuen hin definiert, nämlich: „Ein Ritual ist eine mechanische, konventionalisierte Handlung, durch die ein Individuum seinen Respekt und seine Ehrerbietung für ein Objekt von höchstem Wert gegenüber diesem Objekt oder seinem Stellvertreter bezeugt“ (Goffman, 1974: 97). Das Zitat verdeutlicht, dass das Individuum während seiner mechanisch und konventionalisiert durchgeführten Handlung eine große Rolle spielt, im Zentrum steht und es in der Interaktion später ein rituelles Muster bildet.

Für dieAnalyse dieses rituellen Musters nutzt Goffman verschiedene textuelle Quellen sowie eigene Beobachtungen, literarische Notizen, Notizen aus der Feldarbeit usw.. Diese Methodik wird von der klassischen ethnomethodologischen Methode kritisiert, die die Transkriptinterpretation von natürlich stattfindenden Kommunikationsereignissen für wichtig hält. Im Vergleich zu Goffmans Analyse in Bezug auf die symbolische Dimension von Respekt und Ehrerbietung betrachtet die Ethnomethodologie vor allem den Sequenzcharakter des „konversationellen Handelns“98, d. h. die Sequentialität in einem Gespräch, die dann mit einer bestimmten Form wie z. B.

adjacency pairs charakterisiert wird. Rauch (1992) spricht über „Sprachrituale“ und inhaltliche Kommunikation, um die Grenze zwischen dem Rituellen (auch Zeremonien) und dem Inhalt der Kommunikation selber zu ziehen. Sie versteht alle kommunikativ und interaktiv durchgeführten Rituale als „Gestaltung der Beziehung“ und als geregelten „Umgang mit Gefühlen“(Rauch, 1992: 60). Im Gegensatz dazu spricht Coulmas (1981) von „Routinen im Gespräch“, indem er diese „Routineformeln im Gespräch“ teilweise genau wie das Musterkonzept von Goffmans Interaktionsritualen behandelt. Der Aufsatz von Coulmas ergänzt allerdings die Forschungen der kontrastiven sprachlichen Rituale, die sich für die kulturellen Variationen von interpersonalen Ritualen in den letzten Jahrzehnten als Forschungsthemen interessieren.99

In Anlehnung an Goffmans Konzept „Interaktionsrituale“ fasst Werlen (2001) Beispiele für rituelle Muster zusammen, die nach Möglichkeit aus veröffentlichten Transkripten von Gesprächen stammen. Er teilt die Muster in zwei Kategorien, die bestätigende oder die korrektive Art. Eine große Anzahl der Muster ist durch adjacency pairs gekennzeichnet, die in meisten Fällen für Grüße, Abschiede, Wohlergehensfragen, Aufforderungen für die Zukunft oder für den nächsten Kontakt gelten. Daneben befinden sich asymmetrische Paare, in denen ein Angebot, ein Kompliment, eine Entschuldigung angenommen oder abgelehnt werden. In diesen Mustern sind sowohl verbale als auch nonverbale Handlungen zu beobachten, die in der Interaktion eine besondere Funktion haben. Werlens Beobachtungen nach sind diese rituellen Muster optional erweiterbar, denn sie scheinen einer generellen rituellen Regel zu folgen, nämlich je größer oder schwerwiegender die rituelle Veranlassung ist, desto länger und ausführlicher müsste die rituelle Abhandlung sein.

Unterstützt von Goffmans Theorie des Interaktionsrituals und dem rituellen Muster in der Interaktion sollten Beratungssituationen im akademischen Kontext auch ihre eigenen Muster haben und sich entwickeln. Wie ich in den vorherigen theoretischen Teilen über Beratungssituationen, insbesondere Sprechstundensituationen in der Institution Universität erwähnt habe, folgen sie einem

98 Den Begriff „konversationelles Handeln“ wurde von Werlen (2001: 1265) genommen.

99 Als Vertreter dieser Forschungen sind u. a. zu nennen Kasper/Blum-Kulka (1993), der über interlanguage Prag- matics, House (1996), der über die kontrastive Diskursanalyse und Missverständnisse, und Lüger (1992, 1993), der über sprachliche Routinen und Rituale in Alltagskommunikation schreibt.

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bestimmten Gesprächsverlauf, der die Situation als eine Beratungssituation bzw. Sprechstunde charakterisiert, wie zum Beispiel die relativ kurze Begrüßungssequenz, einseitige Identifizierung der Gesprächsbeteiligten, meist genau geäußerte Anliegensformulierung, Sequenzen von Problembearbeitung und -lösung sowie die Gesprächsbeendigung und Verabschiedung.

Die oben genannten Muster in der Interaktion im Allgemeinen und spezifisch in den akademischen Beratungsgesprächen findet man in den meisten Fällen im deutschen Kultur- und Sprachraum natürlich auch mit vielen Abweichungen. Ein gegebenes Anliegen würde bestimmt in einer interkulturellen Kommunikationssituation mit aus unterschiedlichen Kultur- und Sprachräumen stammenden Gesprächsbeteiligten anders ausgehandelt werden, da die Gesprächsbeteiligten ihre eigenen kulturellen Erfahrungen in die Interaktion automatisch hineinbringen und möglicherweise andere sprachliche bzw. nichtsprachliche Mittel zur Verwirklichung der rituellen Muster in der Interaktion zur Verfügung haben. Es ist dann interessant zu betrachten, ob in dem Kontext der Interaktion zwischen deutsch-indonesischen Gesprächsbeteiligten im akademischen Bereich spezifische rekurrente Muster vorliegen. Wenn ja, welche Muster kommen vor und wie werden diese in dem Gespräch aufgebaut? Mit Bezug auf das bisher Gesagte wird „Kultur“ hier reziprok inszeniert, ko-konstruiert und bildet eine Inszenierung vom „Deutschsein“ in der indonesischen Situation und umgekehrt.

6. Korpus und Methodeninventar: von teilnehmender